Leergut, Bildung einer Rückstellung wegen unvollständiger Rückgabe: 1. Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten wegen möglicher vertraglicher Schadensersatzverpflichtungen für die nicht vollständige Rückgabe von Leergut darf steuerrechtlich nur gebildet werden, wenn der Getränkehersteller von den den Schadensersatzanspruch begründenden Umständen Kenntnis hat oder zumindest eine derartige Kenntniserlangung unmittelbar bevorsteht. - 2. Nach den im Getränkehandel branchenüblichen Abläufen kann im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen nur aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise mit einer vorzeitigen Inanspruchnahme des Rückgabeverpflichteten gerechnet werden. - Urt.; BFH 25.4.2006, VIII R 40/04; SIS 06 37 95
I. Streitig ist, ob die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) eine gewinnmindernde
Rückstellung für Schadensersatzansprüche wegen nicht
zurückgegebenen Leergutes bilden darf.
Die Klägerin betreibt einen
Getränkegroßhandel in der Rechtsform einer GmbH & Co.
KG. Sie ist neben anderen Getränkehändlern über
einen Kooperationsvertrag seit 1993 an der KG I beteiligt. Die KG I
nimmt zentral den Wareneinkauf vor und hat hierfür mit
mehreren Getränkeherstellern Lieferverträge
abgeschlossen.
Nach den Lieferverträgen sind die
Transportgefäße und Mehrweg-Verpackungen (Leergut) an
die Lieferanten zurückzugeben. Der Lieferant berechnet jeweils
Pfandbeträge. Für das zurückgegebene Leergut werden
jeweils Gutschriften erteilt, die als anerkannt gelten, sofern der
Kunde nicht innerhalb von zwei bzw. drei Wochen schriftlich
widerspricht.
Nach den in die Lieferverträge
einbezogenen allgemeinen Geschäftsbedingungen sind die
Lieferanten berechtigt, von der KG I als Käuferin für
nicht zurückgegebenes Leergut Schadensersatz zu verlangen, auf
den das eingezahlte Pfandguthaben angerechnet wird.
Lediglich in den mit der X Brauerei AG mit
der KG I geschlossenen Liefervertrag sind die an der KG I
beteiligten Gesellschafter, also u.a. auch die Klägerin,
unmittelbar mit einbezogen.
Nach den Lieferbedingungen der KG I ist
fehlendes Leergut zum jeweiligen Wiederbeschaffungspreis
zuzüglich Mehrwertsteuer zu ersetzen.
Die zumeist auf unbestimmte Zeit
abgeschlossenen Lieferverträge sehen überwiegend die
Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung mit einer Frist
von sechs Monaten vor.
Der KG I sind regelmäßig
entsprechende Leergutsalden durch die Lieferanten mitgeteilt und
von der KG I u.a. an die Klägerin weiter berechnet
worden.
Eine bei der Klägerin
durchgeführte Außenprüfung erkannte die von ihr
für das Streitjahr 1999 gebildete Pfandrückstellung in
Höhe von 165.600 DM nicht an.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) erließ einen entsprechend gemäß
§ 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten
einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsbescheid sowie
einen Gewerbesteuermessbescheid für 1999.
Einspruch und Klage blieben
erfolglos.
Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 249 Abs. 1
des Handelsgesetzbuchs - HGB - i.V.m. § 5 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes - EStG - ).
Das Finanzgericht (FG) wende zu Unrecht die
in dem zu öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten ergangenen
Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19.10.1993 VIII R 14/92 (BFHE
172, 456, BStBl II 1993, 891 = SIS 94 01 13) entwickelten
Rechtsgrundsätze zu den sog. einseitigen Verbindlichkeiten an.
Der BFH nehme in jenem Urteil indes ausdrücklich die
vertraglichen Verbindlichkeiten aus, bei denen davon auszugehen
sei, dass der Gläubiger von seinen Rechten Gebrauch mache,
weil er als Vertragspartner seine Rechte kenne.
Das FG begründe seine Auffassung
allein mit der nicht nachvollziehbaren Aussage, dass der
Schadensersatzanspruch die Nichterfüllung voraussetze, weshalb
dieselben Grundsätze wie für einseitige Verbindlichkeiten
gelten.
Damit setze sich das FG in Widerspruch zu
dem von der Klägerin bereits im finanzgerichtlichen Verfahren
herangezogenen BFH-Urteil vom 28.3.2000 VIII R 13/99 (BFHE 191,
517, BStBl II 2000, 612 = SIS 00 09 75). Danach bestünden bei
vertraglichen Verbindlichkeiten keine besonderen
Konkretisierungsanforderungen, insbesondere nicht in zeitlicher
Hinsicht.
Entgegen der Ansicht des FG komme es also
gerade nicht auf eine - zumindest unmittelbar bevorstehende -
Kenntniserlangung des Gläubigers vom Bestehen seines
Schadensersatzanspruches an.
Erfahrungsgemäß differierten die
in den Saldenmitteilungen bestätigten
Rücklieferungsverpflichtungen und die tatsächlich
vorhandenen Bestände aus vielerlei Gründen, z.B. wegen
einer Rückgabe an falscher Stelle, wegen privater
Zweckentfremdung oder wegen Zerstörung des Leerguts beim
Transport.
Würden Lieferbeziehungen zwischen den
Getränkegroßhändlern und einem gewerblichen
Abnehmer beendet, übernehme der neue Lieferant
regelmäßig auch das vom vorherigen Lieferanten stammende
Leergut. Zu den Fehlbeständen komme es auch, wenn
zunächst kleinere Händler in Folge einer
Vergrößerung ihrer Bezüge zum direkten Warenbezug
beim Getränkehersteller berechtigt würden. Bei
langjährigen Lieferbeziehungen könnten sich auf diese
Weise erhebliche Differenzen aufbauen. Jeder
Getränkehersteller gehe hiervon und von den daraus
resultierenden Schadensersatzansprüchen aus.
Deshalb sei es fraglich, ob die vom FG
geforderte - zumindest unmittelbar bevorstehende - positive
Kenntnis in den konkreten Fällen nicht sogar vorliege.
Die von ihr, der Klägerin, bei ihrer
Rückstellung zugrunde gelegte Quote von 20 v.H. entspreche der
ursprünglichen Einigung mit der Außenprüfung.
Obwohl sie entsprechende Beweisangebote unterbreitet habe, habe das
FG nicht die tatsächlichen Grundlagen dieser Schätzung
überprüft.
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, den Bescheid über die einheitliche und
gesonderte Feststellung der Einkünfte für 1999 vom
15.2.2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.7.2003 dahin
gehend abzuändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb
unter Berücksichtigung einer Rückstellung von 165.600 DM
unter gleichzeitiger Senkung der Gewerbesteuerrückstellung
anderweitig festgestellt werden und den Gewerbesteuermessbescheid
1999 vom 15.2.2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
11.7.2003 dahin gehend abzuändern, dass unter Minderung des
bisherigen Gewerbeertrags von 754.589 DM um eine Rückstellung
in Höhe von 165.600 DM unter gleichzeitiger Senkung der
Gewerbesteuerrückstellung der Gewerbesteuermessbetrag
anderweitig festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Das FG hat im Ergebnis zu Recht angenommen,
dass die Klägerin zum 31.12.1999 steuerrechtlich keine
Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten wegen
möglicher vertraglicher Schadensersatzansprüche aufgrund
von Nichterfüllung oder zumindest verzögerter
Erfüllung bestehender Rückgabeverpflichtungen
hinsichtlich des den Lieferanten gehörenden Leergutes bilden
durfte. Die Klägerin musste zum Bilanzstichtag nicht ernsthaft
mit ihrer Inanspruchnahme rechnen.
1. Die Rückstellungsbildung ist nicht
bereits nach den Grundsätzen der Bilanzierung schwebender
Geschäfte ausgeschlossen. Die Schadensersatzverpflichtung
fällt nicht unter das Rückstellungsverbot für
drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (§ 5 Abs. 4
a EStG); denn insoweit läge ein sog.
Verpflichtungsüberhang vor. Ansprüche und
Verbindlichkeiten aus fortbestehenden schwebenden Geschäften
sind solange nicht zu bilanzieren, wie und soweit sie einander
ausgleichend gegenüberstehen. Eine Passivierung erfolgt nur im
Falle drohender Verluste.
Das Passivierungsverbot greift nur ein,
solange und soweit sich Ansprüche und Verbindlichkeiten
ausgleichend gegenüberstehen. Es endet mit dem Wegfall des
Schwebezustands des gegenseitigen Geschäfts. Dessen
Saldierungsbereich ist zeitlich und sachlich eingegrenzt
(BFH–Urteile vom 30.1.2002 I R 71/00, BFHE 198, 420, BStBl II
2003, 279 = SIS 02 84 93; vom 30.11.2005 I R 110/04, BFH/NV 2006,
866 = SIS 06 12 91, mit Anm. von Christiansen, HFR 2006, 356).
Schwebende Geschäfte sind als Vertragsverhältnisse
definiert, die zum Bilanzstichtag auf einen gegenseitigen
Leistungsaustausch gerichtet sind. Darunter fallen auch solche, die
eine (ratierliche) Leistungserbringung auf Dauer zum Gegenstand
haben (Dauerschuldverhältnisse), wie z.B. Lieferverträge.
Da sie begrifflich einen weiter bestehenden Leistungsaustausch
voraussetzen, sind schwebende Geschäfte beendet, wenn einer
der gegenseitig zur Leistung Verpflichteten (im Regelfall der zur
Sach- oder Dienstleistung verpflichtete Vertragspartner) seine
vertraglich geschuldete Leistung in vollem Umfang erbracht hat oder
wenn die Lieferbeziehung beendet wird. Eine nach Beendigung des
schwebenden Geschäfts zu erfüllende Verpflichtung ist in
der Bilanz auszuweisen. Diese Passivierungspflicht besteht bereits
an Bilanzstichtagen vor der Beendigung des schwebenden
Geschäfts. Sie entspricht dem Gebot, alle am Abschlussstichtag
entstandenen unvorhersehbaren künftigen Risiken zu
berücksichtigen (§ 246 Abs. 1, § 252 Abs. 1 Nr. 4
HGB). Die zugrunde liegende Verpflichtung ist zu einem Zeitpunkt zu
erfüllen, in dem ein Anspruch auf eine Gegenleistung nicht
mehr besteht, der dieser Verpflichtung ausgleichend
gegenüberstehen könnte; dies gilt gleichermaßen
für dem Grunde nach ungewisse Verbindlichkeiten. Aus der Sicht
des früheren Bilanzstichtags ist so von dem Erfordernis der
Erfüllung einer Verpflichtung nach der Beendigung des
schwebenden Geschäfts auszugehen, was zur antizipierten
Passivierung führen muss (BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 866 =
SIS 06 12 91; in BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279 = SIS 02 84 93).
2. a) Verbindlichkeiten, die nach Grund und
Höhe gewiss sind, müssen nach den für die
Klägerin geltenden Grundsätzen ordnungsgemäßer
Buchführung (§§ 247, 266 HGB, § 5 Abs. 1 EStG)
passiviert werden, es sei denn, sie müssten mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt werden (BFH-Urteil
vom 22.11.1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359 =
SIS 89 06 15).
b) Hingegen dürfen Rückstellungen
für nach Grund und/oder Höhe ungewisse Verbindlichkeiten
steuerrechtlich nur unter folgenden Voraussetzungen gebildet werden
(§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG;
grundlegend BFH-Urteil vom 19.10.1993 VIII R 14/92, BFHE 172, 456,
BStBl II 1993, 891 = SIS 94 01 13, mit umfangreichen
Nachweisen):
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Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit des
künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit. Auch wenn nur die
Höhe einer bereits bestehenden Verbindlichkeit noch ungewiss
ist, so ist sie unter den Rückstellungen für ungewisse
Verbindlichkeiten auszuweisen (BFH-Urteile vom 19.11.2003 I R
77/01, BFHE 204, 135 = SIS 03 53 46, m.w.N.; vom 19.10.2005 XI R
64/04, BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371 = SIS 06 12 73,
m.w.N.).
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Wirtschaftliche Verursachung der
Verbindlichkeit in der Zeit vor dem Bilanzstichtag
(BFH–Urteil in BFH/NV 2006, 866 = SIS 06 12 91) und
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der Schuldner muss ernsthaft mit seiner
Inanspruchnahme rechnen. Die bloße Möglichkeit des
Bestehens oder Entstehens einer Verbindlichkeit reicht nicht
für die Rückstellungsbildung aus (BFH-Urteile vom
30.4.1998 III R 40/95, BFH/NV 1998, 1217 = SIS 98 18 21 betreffend
die künftige Inanspruchnahme auf Garantieleistungen; in BFHE
211, 475, BStBl II 2006, 371 = SIS 06 12 73, m.w.N.).
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Hinsichtlich des letztgenannten Merkmals
differenziert die Rechtsprechung nach Fallgruppen.
Für vertragliche Ansprüche, z.B.
eine bei Vertragsende bestehende Abbruchverpflichtung (BFH-Urteil
vom 28.3.2000 VIII R 13/99, BFHE 191, 517, BStBl II 2000, 612 = SIS 00 09 75) ist regelmäßig davon auszugehen, dass der
Gläubiger seine Rechte geltend macht.
Hingegen verlangt die Rechtsprechung sowohl
bei öffentlich-rechtlichen als auch bei privat-rechtlichen
Schadensersatzansprüchen entweder die Kenntnis des
Gläubigers von den den Schadensersatzanspruch
begründenden Umständen oder zumindest eine derartige
unmittelbar bevorstehende Kenntniserlangung. Dies gilt
unabhängig von der Rechtsgrundlage, ob also ein
Schadensersatzanspruch auf gesetzlicher oder vertraglicher
Grundlage beruht (BFH–Urteil vom 11.12.2001 VIII R 34/99,
BFH/NV 2002, 486 = SIS 02 58 20).
Wie der Senat bereits im Urteil in BFHE 172,
456, BStBl II 1993, 891 = SIS 94 01 13, unter 1.b cc der
Gründe ausdrücklich hervorgehoben hat, gehört auch
die Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz zu den sog.
einseitigen Verbindlichkeiten, die nicht ohne weiteres den
vertraglichen Verbindlichkeiten gleichstehen. Vielmehr sind
einseitige Verbindlichkeiten mit den vertraglichen erst
vergleichbar, wenn der Gläubiger die sich aus ihnen ergebende
(mögliche) Berechtigung kennt. So lange dies nicht der Fall
ist, folgt aus dem Vorsichtsprinzip nur, dass auch eine nachweisbar
unmittelbar bevorstehende Kenntnisnahme zur Bildung einer
Rückstellung berechtigt, weil auch in diesem Falle die
Rückstellung noch hinreichend objektivierbar ist (BFH-Urteil
vom 30.6.1983 IV R 41/81, BFHE 140, 30, BStBl II 1984, 263 = SIS 84 05 13). Frühestens von diesem Zeitpunkt an muss der
Schädiger trotz der bereits abstrakt bestehenden rechtlichen
Verpflichtung ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Erst
von diesem Zeitpunkt an besteht eine inhaltlich und zeitlich
konkretisierte wirtschaftliche Last (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 486
= SIS 02 58 20; zu zivilrechtlichen - gesetzlichen -
Schadensersatzverpflichtungen vgl. BFH-Urteil vom 2.10.1992 III R
54/91, BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153 = SIS 93 02 15;
Blümich/Schreiber, § 5 EStG Rz. 796, 798 und 920
„Schadensersatz“).
c) Jede Verbindlichkeit - auch eine ungewisse
- setzt eine Verpflichtung gegenüber einem anderen, also einem
Gläubiger aus dem Schuldverhältnis voraus (§ 241 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - ; BFH-Urteil vom 12.12.1990 I
R 153/86, BFHE 163, 146, BStBl II 1991, 479 = SIS 91 10 16). Indes
reicht es für die Passivierbarkeit einer Verbindlichkeit oder
einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nicht
aus, dass es einen Gläubiger gibt. Vielmehr muss dieser auch
wissen, dass er einen Anspruch gegenüber dem Schuldner hat.
Deshalb ist bei Schadensersatzansprüchen eine Inanspruchnahme
des Schuldners erst wahrscheinlich, wenn die den Anspruch
begründenden Tatsachen entdeckt und dem Geschädigten
bekannt sind oder dies zumindest unmittelbar bevorsteht.
Erst von diesem Zeitpunkt an muss der
Schädiger trotz der bereits abstrakt bestehenden rechtlichen
Verpflichtung ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Erst
von diesem Zeitpunkt an besteht deshalb auch eine inhaltlich und
zeitlich hinreichend konkretisierte wirtschaftliche Last
(BFH-Urteile in BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891 = SIS 94 01 13;
in BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153 = SIS 93 02 15; in BFH/NV
2002, 486 = SIS 02 58 20).
d) Die allgemein bei der Bildung von
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu
beachtenden handelsrechtlichen Grundsätze
ordnungsgemäßer Buchführung, die nach § 5 Abs.
1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz maßgeblich sind,
regeln die Voraussetzungen, die für die ernsthafte Gefahr
einer Inanspruchnahme gegeben sein müssen, allerdings nicht.
Die insoweit erforderliche Prognose ist vielmehr anhand der
erkennbaren tatsächlichen Verhältnisse zu treffen
(BFH-Urteil vom 1.8.1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985,
44 = SIS 85 02 10, m.w.N., ständige Rechtsprechung).
e) Allerdings ist der erforderliche Grad der
wahrscheinlichen Inanspruchnahme bei der Passivierung einer
Verbindlichkeit einerseits und der Bildung einer Rückstellung
wegen ungewisser Verbindlichkeiten andererseits verschieden
(BFH-Urteil vom 16.2.1996 I R 73/95, BFHE 180, 110, BStBl II 1996,
592 = SIS 96 15 13, m.w.N.).
Im Urteil vom 28.3.2000 VIII R 77/96 (BFHE
191, 339, BStBl II 2002, 227 = SIS 00 08 74, m.w.N.) hat der
erkennende Senat z.B. die bloße Möglichkeit einer
Inanspruchnahme des Verkäufers aufgrund von
Mängelrügen für die Bildung einer Rückstellung
nicht ausreichen lassen, sondern verlangt, dass die Inanspruchnahme
wahrscheinlich sein müsse.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen
für die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme aus der Sicht
des Streitjahres mehr Gründe dafür als dagegen sprechen
(vgl. BFH-Urteile in BStBl II 2006, 371 = SIS 06 12 73; vom
30.1.2002 I R 68/00, BFHE 197, 530, BStBl II 2002, 688 = SIS 02 06 14, m.w.N.; vom 27.11.1997 IV R 95/96, BFHE 185, 160, BStBl II
1998, 375 = SIS 98 13 21; in BFH/NV 2002, 486 = SIS 02 58 20,
m.w.N.).
Der Steuerpflichtige darf im Hinblick auf
seine Inanspruchnahme überdies nicht die pessimistischste
Annahme wählen (BFH–Urteil in BFHE 211, 475, BStBl II
2006, 371 = SIS 06 12 73; BFH-Beschluss vom 6.5.2003 VIII B 163/02,
BFH/NV 2003, 1313 = SIS 03 41 77).
Es steht nicht im Ermessen des Kaufmanns, ob
er eine Belastung annimmt und dafür eine Rückstellung
bildet. Eine bloß subjektive Einschätzung liefe dem
Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit zuwider (vgl. Frotscher, EStG, § 5 Rz.
363; Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5
Rdnr. D 70). Deshalb muss das Vorhandensein nach objektiven
Gesichtspunkten beurteilt werden, d.h. die Inanspruchnahme muss
wahrscheinlich sein.
Das Wahrscheinlichkeitsurteil kann sich auf
betriebsindividuelle (BFH-Urteile in BFHE 185, 160, BStBl II 1998,
375 = SIS 98 13 21; in BFHE 191, 339, BStBl II 2002, 227 = SIS 00 08 74) oder branchenübliche Erfahrungen der Vergangenheit
stützen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 1313 = SIS 03 41 77;
BFH-Urteil in BFHE 191, 339, BStBl II 2002, 227 = SIS 00 08 74).
§ 6 Abs. 1 Nr. 3 a EStG i.d.F. des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 - StEntlG
1999/2000/2002 - (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) hat die
vergangenheitsbezogene Ermittlung der Rückstellung(en) auf der
Grundlage der tatsächlichen Abwicklung nunmehr gesetzlich
geregelt.
Bedeutsam können insbesondere auch die
für den Schuldner erkennbaren Vorstellungen des
Anspruchsberechtigten sein (BFH-Urteil vom 3.7.1991 X R 163,
164/87, BFHE 164, 556, BStBl II 1991, 802 = SIS 91 18 12).
Der Steuerpflichtige ist gehalten, zur
Rechtfertigung der von ihm begehrten Rückstellung konkrete
Tatsachen darzulegen; er trägt die Feststellungslast
(BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 1217 = SIS 98 18 21).
Die Feststellung der Wahrscheinlichkeit ist im
Wesentlichen einzelfallbezogen. Sie obliegt dem FG als
Tatsacheninstanz, so dass der BFH nach Maßgabe des § 118
Abs. 2 FGO an die Feststellungen des FG grundsätzlich gebunden
ist (BFH-Beschluss vom 25.11.1999 I B 8/99, BFH/NV 2000, 752 = SIS 00 55 89; BFH-Urteile in BFH/NV 2002, 486 = SIS 02 58 20; vom
12.12.1991 IV R 28/91, BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600 = SIS 92 13 21). Hingegen betrifft die Frage, ob eine Verbindlichkeit
überhaupt passivierbar ist, eine Rechtsfrage (vgl.
Blümich/Schreiber, a.a.O., § 5 EStG Rz. 796).
f) Zu Recht hat das FG die vom erkennenden
Senat im Urteil in BFHE 191, 517, BStBl II 2000, 612 = SIS 00 09 75
für vertragliche Verpflichtungen geltenden Grundsätze
für die Bildung von Rückstellungen nicht
gleichermaßen auf vertragliche Schadensersatzansprüche
übertragen. In jenem Fall hat der Senat für eine bei
Vertragsende bestehende Abbruchverpflichtung die
Rückstellungsbildung ohne besondere
Konkretisierungsanforderungen gebilligt, weil es bei derartigen
vertraglichen Verpflichtungen in hohem Maße wahrscheinlich
sei, dass der Gläubiger als Vertragspartner aufgrund der
Kenntnis seiner Rechte von diesen auch zu gegebener Zeit Gebrauch
machen werde. Von den vertraglichen Verpflichtungen hat der Senat
aber bereits in seinem Urteil in BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891
= SIS 94 01 13 nicht nur die auf Gesetz, sondern auch die auf
Vertrag beruhenden Schadensersatzansprüche abgegrenzt. Diese
Grundsätze hat der Senat in seinem Urteil in BFH/NV 2002, 486
= SIS 02 58 20 bestätigt.
Der Senat hat es für unerheblich
erachtet, dass der Zeitpunkt der Erfüllung der
Abbruchverpflichtung noch unbestimmt war. Im Falle der Bildung
einer Rückstellung für die ggf. nicht
ordnungsgemäße Leergutrückgabe geht es indes um die
vorrangige Frage, ob am Bilanzstichtag überhaupt mit einer
Inanspruchnahme ernsthaft zu rechnen ist.
g) Mit diesen Grundsätzen stimmt die vom
Bundesministerium der Finanzen (BMF) in seinem Schreiben vom
23.4.2001 IV A 6 - S 2133 - 1/01 (juris = SIS 01 08 60) vertretene
Rechtsauffassung zur Bildung von Rückstellungen für die
Verpflichtung zum Ausgleich wegen nicht zurückgegebenen
Leerguts überein (vgl. ebenfalls Verfügung der
Oberfinanzdirektion - OFD - Hannover vom 26.3.2002 S 2137 -63- StH
221/S 2137 -67- StO 221, DStR 2002, 1616 = SIS 02 85 39).
3. Zurecht hat das FG nach diesen
Maßstäben die Voraussetzungen für die Bildung einer
Rückstellung zum 31.12.1999 wegen drohender Inanspruchnahme
der Klägerin auf Schadensersatz wegen Nichtrückgabe von
Leergut verneint. Die anhand der gesamten Umstände vom FG
vorgenommene Würdigung und die daraus gewonnene
Schlussfolgerung, im Streitfall sei eine Inanspruchnahme der
Klägerin zum Bilanzstichtag nicht ernsthaft wahrscheinlich
gewesen, ist möglich und vertretbar und damit mangels
zulässiger und begründeter Verfahrensrügen auch
für den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich
bindend.
a) Das FG hat zwar nicht ausdrücklich die
Voraussetzungen möglicher vertraglicher
Schadensersatzansprüche gegen die Klägerin und die daraus
ggf. folgende unterschiedliche Zuordnung zu den Verbindlichkeiten
oder den ungewissen Verbindlichkeiten geprüft.
Nach § 1 Abs. 2 des am 12.11.1993 von der
Klägerin und zwei weiteren Partnern mit der KG I geschlossenen
Kooperationsvertrages waren die Partner verpflichtet,
sämtliche Getränke zentral über das
Kooperationsunternehmen einzukaufen mit Ausnahme des
Zusatzsortiments für den GAM-Bereich (Letzteres ist in den
Akten nicht erläutert).
In den Lieferbedingungen der KG I war
lediglich bestimmt, dass das fehlende Leergut zum jeweiligen
Wiederbeschaffungspreis zuzüglich Mehrwertsteuer zu ersetzen
sei.
Nur im Partnerschaftsvertrag mit der X
Brauerei AG sind neben der KG I auch deren Gesellschafter, u.a. die
Klägerin, als Vertragspartner aufgetreten. Nach deren
Lieferbedingungen kann die Brauerei für nicht
zurückgegebenes oder beschädigtes Leergut nach ihrer Wahl
als pauschalen Schadensersatz den jeweiligen Neupreis verlangen,
ggf. abzüglich eines Abschlags „alt für
neu“, den die Brauerei nach billigem Ermessen im
Einzelfall bestimmt oder in Höhe des vom Kunden bezahlten
Pfandes. Im Übrigen bleibt dem Kunden der Nachweis unbenommen,
dass überhaupt kein Schaden entstanden sei oder dieser
wesentlich geringer als die Pauschale sei.
Aus den übrigen, bei den FG-Akten
befindlichen Verträgen mit den Getränkeherstellern wird
lediglich die KG I unmittelbar verpflichtet.
Nach den vertraglichen Voraussetzungen ist von
sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewissen
Verbindlichkeiten auszugehen.
b) Zutreffend hat das FG aufgrund der
typischen Gegebenheiten im Getränkehandel festgestellt, dass
den Lieferanten der Klägerin allein aufgrund der
Saldenmitteilungen nicht zugleich bekannt war, ob die Klägerin
ihren Rückgabeverpflichtungen vollständig und zeitnah
nachkommen könnte.
Getränkegroßhändler
können das Leergut erst nach einem entsprechenden Zeitablauf
zurückgeben. Insbesondere dienen die Saldenmitteilungen noch
nicht dem Zweck, die Durchsetzung eventueller
Schadensersatzansprüche vorzubereiten. Vielmehr sollen sie
lediglich verbindlich den jeweiligen Umfang der
Rückgabeverpflichtung rechnerisch festhalten, ohne in der
Regel den Schluss zu erlauben, der Kunde werde seine
Rückgabeverpflichtung nicht ordnungsgemäß
erfüllen.
Nach den branchenüblichen Abläufen
hatte die Klägerin nicht ernsthaft mit ihrer Inanspruchnahme
auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Verzuges zu
rechnen. Im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen - wie sie
dem Streitfall zugrunde liegen - kann nur aufgrund besonderer
Umstände ausnahmsweise mit der Inanspruchnahme gerechnet
werden, wenn z.B. die Geschäftsbeziehungen beendet werden oder
eine Aufforderung unmittelbar bevorsteht, das gesamte Leergut zu
einem bestimmten Termin zurückzugeben.
Indes hat die Klägerin nach den bindenden
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) solche besonderen
Umstände weder schlüssig vorgetragen noch sind
entsprechende Anhaltspunkte hierfür ersichtlich. Vielmehr hat
die Klägerin selbst in ihrem Schreiben an die
Betriebsprüfung vom 12.10.2001 vorgetragen, ein derartiges
Rückgabeverlangen oder Zwischenabrechnungen im Rahmen
laufender Lieferbeziehungen seien - auch nach ihren
geschäftlichen Erfahrungen - unüblich.
Regelmäßig seien die Kosten für fehlendes Leergut
erst mit Beendigung der Lieferverbindung zu begleichen.
Die Würdigung des FG ist auch nicht
insoweit zu beanstanden, dass aus der Erwähnung zweier
Vorfälle, bei denen u.a. auch eine Lieferantin der
Klägerin im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen
Schadensersatzansprüche geltend gemacht habe und wegen der
weiteren Behauptung, dies komme in jüngster Zeit vermehrt vor,
nicht auf ein branchenübliches Verhalten bereits zum
Bilanzstichtag zu schließen sei. Insbesondere sind die
Umstände, die die Lieferfirmen zu diesen Maßnahmen
veranlasst haben, nicht von der Klägerin konkretisiert
worden.
Ebenso ist die Würdigung des FG der nach
einzelnen Lieferverträgen möglichen unterjährigen
Kündigung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass dieser
Umstand noch nicht eine unmittelbar bevorstehende Kenntniserlangung
der Lieferanten von den Schadensersatzansprüche
begründenden Umständen wahrscheinlich mache. Die
lediglich rechtliche Möglichkeit zu kündigen erlaubt noch
nicht den Schluss auf eine tatsächlich bevorstehende
Vertragsbeendigung.
Soweit unmittelbare Lieferbeziehungen allein
zwischen der KG I und der Klägerin bestehen, ist die
Klägerin neben zwei weiteren Gesellschaftern an der KG I als
Gesellschafterin beteiligt. Die Gesellschafter der KG I haben es
indes in der Hand, ob und wann sie Rückgabeverpflichtungen und
ggf. - nach den Lieferbedingungen nicht konkret geregelte -
Schadensersatzansprüche geltend machen wollen. Nach § 5
des Kooperationsvertrages müssen sämtliche
Beschlüsse in einer Partnerversammlung grundsätzlich
einstimmig gefasst werden.
Soweit die KG I ihrerseits eventuell
Schadensersatzansprüchen aufgrund der unmittelbar mit ihren
Lieferanten bestehenden Lieferbeziehungen ausgesetzt ist, ist die
Zulässigkeit, Rückstellungen zu bilden, nicht Gegenstand
dieses Verfahrens.