GrESt, Verfassungsmäßigkeit der Grundbesitzwerte als Bemessungsgrundlage: Das BMF wird aufgefordert, dem Verfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die in § 8 Abs. 2 GrEStG angeordnete Heranziehung der Grundbesitzwerte i.S. des § 138 BewG als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß ist. - Urt.; BFH 27.5.2009, II R 64/08; SIS 09 21 89
A. Verfahrensstand
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, kaufte mit
privatschriftlichem Vertrag vom 18.12.2002 von ihrer
Alleingesellschafterin, einer AG, den einzigen Geschäftsanteil
an einer weiteren GmbH (GmbH 2), die Eigentümerin eines
unbebauten und eines bebauten Grundstücks war. Die Abtretung
des Geschäftsanteils wurde am 19.12.2002 durch einen Schweizer
Notar öffentlich beurkundet.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) setzte die Grunderwerbsteuer für den Kauf
des GmbH-Anteils erst nach Durchführung einer
Außenprüfung durch Bescheid vom 8.5.2006 fest, und zwar
auf der Grundlage der von ihm gemäß § 8 Abs. 2 Satz
1 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) i.V.m. § 138
Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) gesondert festgestellten
Grundstückswerte von 3.154.500 EUR für das bebaute
Grundstück und von 84.000 EUR für das unbebaute
Grundstück. Einspruch und Klage (vgl. SIS 08 40 55) blieben
erfolglos.
B. Rechtliche Erwägungen
Die Aufforderung zum Beitritt beruht auf
§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil das
Revisionsverfahren II R 64/08 eine auf Bundesrecht beruhende Abgabe
und eine Rechtsstreitigkeit über Bundesrecht, nämlich
Vorschriften des GrEStG und BewG betrifft.
In dem Revisionsverfahren ist in
grunderwerbsteuerrechtlicher Hinsicht darüber zu entscheiden,
ob für den Erwerb des einzigen Anteils an einer
Kapitalgesellschaft mit Grundbesitz Grunderwerbsteuer festzusetzen
ist. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die Vorschriften des
GrEStG und BewG, insbesondere die Tarifvorschrift des § 11
GrEStG einer am Gleichheits-
satz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG)
orientierten verfassungsrechtlichen Prüfung
standhalten.
I. Der Senat geht in Übereinstimmung
mit der Vorentscheidung davon aus, dass aufgrund des
Erwerbsvorgangs vom 18.12.2002 Grunderwerbsteuer gegen die
Klägerin festzusetzen war.
II. Es bestehen verfassungsrechtliche
Bedenken, ob der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende
Ansatz der gesondert festgestellten Grundstückswerte (§ 8
Abs. 2 GrEStG i.V.m. §§ 138 ff. BewG) als
Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer
verfassungsgemäß ist, soweit das bebaute Grundstück
betroffen ist.
1. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat
im Beschluss vom 7.11.2006 1 BvL 10/02 (BVerfGE 117, 1, BStBl II
2007, 192 = SIS 07 06 26) in Abschn. C. II. 2. ausgeführt, die
Bewertung von bebauten Grundstücken im vereinfachten
Ertragswertverfahren nach § 146 Abs. 2 Satz 1 BewG sei zur
Erfüllung der Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes
(Art. 3 Abs. 1 GG) strukturell ungeeignet. Sie führe zu
Einzelergebnissen, die in erheblicher Anzahl zwischen weniger als
20 v.H. und über 100 v.H. des gemeinen Werts differierten.
Aufgrund dieser weitreichenden und gravierenden Streubreite der
Bewertungsergebnisse hafte dieser Bewertung Zufälliges und
Willkürliches an, ohne dass dies als Folge einer
zulässigen Typisierung verfassungsrechtlich hinnehmbar sei.
Die Übernahme der Steuerbilanzwerte für die aufstehenden
Gebäude bei der Sonderbewertung nach § 147 BewG
führe zu bloßen, nicht durch Typisierung und
Pauschalierung gerechtfertigten Zufallswerten für die
Gebäude. Für die Bewertung der Grundstücke im
Zustand der Bebauung nach § 149 BewG gelte das zu bebauten
Grundstücken und zur Sonderbebauung Gesagte entsprechend. Das
BVerfG hat im Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192 = SIS 07 06 26 in Abschn. C. II. 2. f. ferner ausgeführt, die
Bewertung der unbebauten Grundstücke entspreche aufgrund der
durch § 138 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4, § 145 Abs. 3 Satz 3
BewG a.F. angeordneten, bis Ende 2006 geltenden Festschreibung der
Wertverhältnisse auf den 1.1.1996 nicht den Vorgaben des Art.
3 Abs. 1 GG.
Diese Ausführungen lassen sich nicht
lediglich auf den nur für die Erbschaft- und Schenkungsteuer
bedeutsamen Vergleich der Grundstückswerte mit den für
andere der Besteuerung unterliegende Gegenstände anzusetzenden
Werten beschränken, sondern betreffen auch die
Binnengerechtigkeit beim Wertansatz für Grundstücke. Sie
sind daher für die Grunderwerbsteuer gleichermaßen von
Bedeutung, soweit sich die Steuer nicht nach dem Wert der
Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG), sondern nach den Werten
i.S. der §§ 138 ff. BewG (§ 8 Abs. 2 GrEStG) bemisst
(vgl. Micker, DStZ 2009, 285, 290, m.w.N.).
2. Der Bundesfinanzhof (BFH) ist zwar nach
Ergehen des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007,
192 = SIS 07 06 26 von der Anwendbarkeit des § 8 Abs. 2 GrEStG
jedenfalls für vor dem 1.1.2009 verwirklichte
Erwerbsvorgänge ausgegangen (BFH-Urteile vom 9.4.2008 II R
32/06, BFH/NV 2008, 1526 = SIS 08 32 18, und vom 11.6.2008 II R
58/06, BFHE 222, 87, BStBl II 2008, 879 = SIS 08 33 12). Daran kann
aber nicht mehr festgehalten werden. Denn dieser Rechtsprechung lag
die Annahme zugrunde, dass der Gesetzgeber die vom BVerfG
festgestellten Verfassungsverstöße bei der
Grundbesitzbewertung nicht nur für die Erbschaft- und
Schenkungsteuer, sondern auch für die Grunderwerbsteuer
für nach dem 31.12.2008 verwirklichte Erwerbsvorgänge mit
Wirkung ab 1.1.2009 beseitigen würde. Da dies nicht geschehen
ist, kommt nunmehr eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1
GG - und zwar auch für Besteuerungszeitpunkte vor dem 1.1.2009
- in Betracht.
Die Entscheidungserheblichkeit der Frage, ob
§ 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. §§ 138 ff. BewG -
insbesondere im Hinblick auf die im Streitfall anzuwendenden
Vorschriften über die Bewertung bebauter und unbebauter
Grundstücke in ihrer im Jahre 2002 geltenden Fassung -
verfassungsgemäß ist, ergibt sich daraus, dass dann,
wenn das BVerfG die Vorschrift und unter Umständen auch §
11 Abs. 1 GrEStG (Steuersatz) für verfassungswidrig und
nichtig erklären sollte, die Grunderwerbsteuer wegen Fehlens
einer Bemessungsgrundlage oder eines Steuersatzes nicht festgesetzt
werden kann. Auch eine Aussetzung des Verfahrens gemäß
§ 74 FGO bis zu einer rückwirkenden Neuregelung durch den
Gesetzgeber käme in Betracht. Eine solche Aussetzung wäre
ebenfalls eine andere Entscheidung als im Falle der Gültigkeit
des § 8 Abs. 1 GrEStG (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1,
BStBl II 2007, 192 = SIS 07 06 26, unter B. I.1.). Der
Entscheidungserheblichkeit steht auch nicht entgegen, dass das
BVerfG bei einer Unvereinbarerklärung die weitere Anwendung
des bisherigen Rechts anordnen kann (BVerfG-Beschluss in BVerfGE
117, 1, BStBl II 2007, 192 = SIS 07 06 26, unter B. I.1.).