GrESt; Sorgfaltspflichten, Strafbarkeit unterlassener Erklärung, Verjährung: 1. Entscheidet das FG über einen anderen als im Steuerbescheid erfassten Sachverhalt, verstößt es gegen den Grundsatz der Bindung an das Klagebegehren (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), was auch ohne Rüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt. - 2. Der subjektive Tatbestand einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) kann nicht mit dem bloßen Unterlassen einer Anzeige nach § 19 GrEStG verneint werden. Den Steuerpflichtigen treffen vielmehr Informations- und Erkundigungspflichten auch über seine Erklärungs- und Anzeigepflichten, die aus der Steuerpflicht folgen. - Urt.; BFH 19.2.2009, II R 49/07; SIS 09 20 81
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine GmbH & Co. KG, wurde mit „Vertrag
über die Errichtung einer Kommanditgesellschaft“ vom
30.9.1996 zwischen der S-GmbH und der B-KG gegründet. Die
S-GmbH verpflichtete sich darin zur Einlage aller ihrer
Vermögenswerte, wozu u.a. eigene Grundstücke sowie alle
Anteile der K-GmbH, die ihrerseits über inländischen
Grundbesitz verfügte, gehörten. In dem „Vertrag
über eine Unternehmenseinbringung“ ebenfalls vom
30.9.1996 übertrug die S-GmbH ihre Vermögenswerte auf die
Klägerin. Beide Verträge wurden von einem Schweizer Notar
in Zürich öffentlich beurkundet. Aus ihnen geht nicht
hervor, dass zum Vermögen der K-GmbH Grundstücke
gehörten.
Die Klägerin reichte beide
Verträge zusammen mit dem Eröffnungsfragebogen im Oktober
1996 bei der Körperschaftsteuerstelle des Finanzamts S ein,
die diese jedoch nicht an die dortige - zu dieser Zeit für die
Grunderwerbsteuer zuständige - Grunderwerbsteuerstelle
weiterleitete. In der Bilanz zum 31.12.1996 bildete die steuerlich
beratene Klägerin eine Rückstellung in Höhe der
durch die Vorgänge entstandenen Grunderwerbsteuer.
Nach einer Außenprüfung setzte
der - nach Zuständigkeitswechsel nunmehr zuständige -
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) mit hier
streitigem Bescheid vom 28.10.2004 gegen die Klägerin wegen
ihres Erwerbs aller Anteile an der grundstücksbesitzenden
K-GmbH Grunderwerbsteuer fest. Das FA ging dabei von einer
leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 Abs. 1 i.V.m.
§ 370 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung - AO - ) aus, da die
vertretungsberechtigten Personen der Klägerin ihre
Anzeigepflichten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 des
Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) verletzt hätten. Wegen der
Einbringung der Grundstücke der S-GmbH erging gegen die
Klägerin ein gesonderter Bescheid.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene
Klage, die sich ausschließlich gegen die Steuerfestsetzung
wegen des Erwerbs aller Anteile an der grundstücksbesitzenden
K-GmbH richtete, hatte Erfolg (vgl. SIS 08 18 48). Das
Finanzgericht (FG) legte seiner Entscheidung die Einbringung der
Grundstücke der S-GmbH in die Klägerin zugrunde und
verneinte eine leichtfertige Steuerverkürzung. Die
Klägerin habe die Verträge über die Einbringung der
Grundstücke an das FA übersandt und es nur versäumt,
eine ausdrückliche Anzeige für Grunderwerbsteuerzwecke zu
erstatten.
Mit seiner Revision rügt das FA
Verletzung des § 169 Abs. 2 Satz 2 und des § 378
AO.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und
zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung.
1. Das FG hat § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO
verletzt. Es hat seiner Entscheidung einen anderen
Lebenssachverhalt zugrunde gelegt als der angefochtene
Verwaltungsakt, gegen den sich die Klage gerichtet hat. Darin liegt
ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bindung an das
Klagebegehren, dessen Einhaltung das Revisionsgericht auch ohne
ausdrückliche Rüge zu beachten hat; ein solcher
Verstoß führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
(vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15.7.1998 II R
82/96, BFHE 186, 147, BStBl II 1998, 630 = SIS 98 19 07; vom
18.8.2005 II R 68/03, BFH/NV 2006, 360 = SIS 06 08 63, m.w.N.).
Nach dem eindeutigen und klaren Inhalt des mit
der Klage angefochtenen Bescheids vom 28.10.2004 wurde gegen die
Klägerin Grunderwerbsteuer für den Erwerb aller Anteile
der grundstücksbesitzenden K-GmbH gemäß § 1
Abs. 3 Nr. 3 GrEStG festgesetzt. Ausweislich der in der
Klageschrift genannten Steuernummer hat die Klägerin diesen
Steuerbescheid zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens
gemacht. Das FG hat demgegenüber seiner Entscheidung die
Einbringung der Grundstücke der S-GmbH zugrunde gelegt und ist
fehlerhaft von einem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG steuerbaren
und gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 GrEStG
anzeigepflichtigen Vorgang ausgegangen.
2. Die Sache ist nicht spruchreif und wird
deshalb an das FG zurückverwiesen, um diesem Gelegenheit zu
geben, auf der Grundlage des dem streitigen Steuerbescheid
zugrundeliegenden Lebenssachverhalts zu prüfen, ob die
Vertretungsberechtigten der Klägerin die Grunderwerbsteuer
leichtfertig verkürzt haben. Bei dieser Prüfung wird das
FG Folgendes zu beachten haben:
a) Für eine nachvollziehbare
Tatsachenwürdigung reicht nicht allein der Hinweis, die zur
Vertretung der Klägerin berechtigten Personen hätten es
lediglich unterlassen, neben der Übersendung der Verträge
an die Körperschaftsteuerstelle eine ausdrückliche
Anzeige für Grunderwerbsteuerzwecke zu erstatten. Denn
bloße Untätigkeit schließt Leichtfertigkeit nicht
ohne Weiteres aus. Vielmehr hat sich der Steuerpflichtige bei
rechtlichen Zweifeln über seine steuerlichen Pflichten bei
qualifizierten Auskunftspersonen zu erkundigen (BFH-Urteil vom
24.4.1996 II R 73/93, BFH/NV 1996, 731; Urteil des
Oberlandesgerichts - OLG - Celle vom 1.10.1997 22 Ss 198/97,
Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht - wistra -
1998, 196; Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6.
Aufl. 2005, § 378 Rz 39; Rüping in Hübschmann/
Hepp/Spitaler, § 378 AO Rz 37; Kohlmann, Steuerstrafrecht,
§ 378 AO Rz 65 ff.). Darüber hinaus sind an die
Erfüllung der Erkundigungspflichten bei einem Kaufmann
jedenfalls bei Rechtsgeschäften, die zu seiner
kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere
Anforderungen zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen (vgl.
Urteile des OLG Hamm vom 28.6.1963 I Ss 655/63, BB 1963, 1004; vom
14.2.1964 I Ss 1495/63, BB 1964, 1032). Die Erkundigungspflichten
beschränken sich zudem nicht auf die Steuerpflicht einer
Tätigkeit, sondern umfassen auch die an die Steuerpflicht
anknüpfenden Verfahrenspflichten. Wer die Steuerpflicht seines
Verhaltens kennt, ist umso mehr gehalten, sich um die damit
verbundenen Erklärungs- und Anzeigepflichten zu
kümmern.
Nach den bisherigen Feststellungen kann davon
ausgegangen werden, dass den zur Vertretung der Klägerin
berechtigten Personen der Anfall von Grunderwerbsteuer für den
mit dem angefochtenen Bescheid erfassten Lebenssachverhalt bekannt
gewesen ist, weil sie in der Bilanz entsprechende
Rückstellungen gebildet haben. Ferner kann davon ausgegangen
werden, den vertretungsberechtigten Personen wäre auf
Nachfrage bei einer qualifizierten Auskunftsperson bekannt
geworden, mit welchem Inhalt und in welcher Form die Klägerin
ihre Anzeigepflichten zu erfüllen hatte, insbesondere dass der
Erwerb bei der Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen
Finanzamts anzuzeigen ist (BFH-Urteil vom 21.6.1995 II R 11/92,
BFHE 178, 228, BStBl II 1995, 802 = SIS 95 23 25). Zu
berücksichtigen wird ferner sein, dass die Klägerin
steuerlich beraten war, die Einholung einer Auskunft über das
Bestehen einer Anzeigepflicht („Ob“) und die
Modalitäten ihrer Erfüllung („Wie“)
also leicht möglich gewesen wäre. Das FG wird
schließlich zu würdigen haben, dass der der streitigen
Steuerfestsetzung zugrunde liegende Erwerbsvorgang nicht aus den
der Körperschaftsteuerstelle des Finanzamts S eingereichten
Verträgen ersichtlich ist und das Übersenden der
Verträge damit den Mindestanforderungen an den Inhalt einer
Anzeige i.S. des § 20 GrEStG nicht genügte (vgl.
BFH-Beschluss vom 20.1.2005 II B 52/04, BFHE 208, 456, BStBl II
2005, 492 = SIS 05 18 62).
b) Sollte das FG zu dem Ergebnis gelangen,
dass die Vertreter der Klägerin zumindest leichtfertig Steuern
verkürzt haben, wird es - was das FA übersehen hat - zu
beachten haben, dass bei einem Erwerb nach § 1 Abs. 3 Nr. 3
GrEStG die Befreiungsvorschriften der §§ 5, 6 GrEStG
anwendbar sind (BFH-Urteile vom 16.1.2002 II R 52/00, BFH/NV 2002,
1053 = SIS 03 13 35; vom 2.4.2008 II R 53/06, BFHE 220, 550, BFH/NV
2008, 1268 = SIS 08 21 73). Die Grunderwerbsteuer wäre danach
gemäß § 5 Abs. 2 GrEStG in dem Umfang nicht zu
erheben, zu dem die S-GmbH im Zeitpunkt der Übertragung der
Anteile der grundstücksbesitzenden K-GmbH am Vermögen der
Klägerin beteiligt war. Die Steuerbefreiung wäre jedoch
zu versagen, wenn und soweit sich die
vermögensmäßige Beteiligung der S-GmbH an der
Klägerin entsprechend eines im Einbringungszeitpunkt bereits
bestehenden Plans wieder verringerte (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil
vom 10.12.2008 II R 55/07, DStR 2009, 530 = SIS 09 08 70).