Ersterwerb eines Gebäudes, USt-Freiheit vereinbarter Zusatzleistungen: 1. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 von der gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Anhang F Nr. 16 der Richtlinie 77/388/EWG bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, die gemäß Art. 4 Abs. 3 Buchst. a von der Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG ausgenommene Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen vor dem Erstbezug weiterhin von der Umsatzsteuer zu befreien. - 2. Beim Verkauf eines neu errichteten Gebäudes ist der über eine einfache "Grundausstattung" hinausgehende Einbau von zusätzlichen Treppen, Wänden, Fenstern, Duschen sowie die Errichtung von Garagen und Freisitzüberdachungen durch den Verkäufer jedenfalls dann ein Bestandteil der steuerfreien Grundstückslieferung, wenn das Gebäude dem Erwerber in dem gegenüber der "Grundausstattung" höherwertigen Zustand übergeben wird. - Urt.; BFH 24.1.2008, V R 42/05; SIS 08 18 26
I. Die
Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist
Organträgerin der Firma T, Gesellschaft mit beschränkter
Haftung (GmbH). Die GmbH schloss mit Erwerbern notariell
beurkundete Kauf- und Bauwerkverträge über den Verkauf
eines Grundstückes oder Erbbaurechts bzw.
Wohnungseigentumsrechts an einem Grundstück
einschließlich eines gemäß der vereinbarten
Baubeschreibung zu errichtenden Gebäudes bzw. einer zu
errichtenden Wohnung. Der in jedem Vertrag vereinbarte einheitliche
Festpreis für das Grundstück und das Gebäude lag
zwischen 257.250 DM und 603.100 DM. Mit Ausnahme eines Vertrages
enthielten die Verträge die Klausel, dass auf Wunsch der
Käufer Abweichungen gegenüber der Baubeschreibung
möglich und die dadurch eintretenden Preisänderungen
schriftlich zu vereinbaren seien.
Nach Abschluss
der notariell beurkundeten Verträge vereinbarte die GmbH mit
den Erwerbern, die das erworbene Eigentum nach Fertigstellung des
Objektes zumindest teilweise selber bezogen, die Ausführung
von Zusatzleistungen, die vom zusätzlichen Einbau von
Wänden, Treppen, Fenstern und Duschen bis zur
zusätzlichen Errichtung von Garagen und
Freisitzüberdachungen sowie der Verwendung höherwertigen
Materials reichten. Die Entgelte für die Sonderleistungen
betrugen zwischen 6.690 DM und 42.900 DM.
Nach Abschluss
der Arbeiten einschließlich der Zusatzleistungen erteilte die
GmbH den Erwerbern im Streitjahr (1999) Schlussrechnungen, in denen
sie den vereinbarten Festpreis und das Entgelt für die
jeweiligen Zusatzleistungen sowie die Preisabzüge für
Minderkosten und Eigenleistungen der Erwerber abrechnete und dabei
keine Umsatzsteuer offen auswies. In ihrer
Umsatzsteuererklärung behandelte die Klägerin auch die
Zusatzleistungen als nach § 4 Nr. 9 Buchst. a des
Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999) steuerbefreite
Umsätze.
Im Rahmen einer
bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung
vertrat der Prüfer die Auffassung, die Sonderleistungen seien
nicht umsatzsteuerbefreit, weil sie nicht der Grunderwerbsteuer
unterlägen. Für die eventuelle Steuerbarkeit des Vorgangs
nach dem Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) sei allein das notarielle
Verpflichtungsgeschäft maßgeblich. Nachträgliche
Änderungen des Umfangs des Bauauftrages hätten aber nur
dann grunderwerbsteuerrechtliche Auswirkung, wenn auch der
notarielle Vertrag geändert werde, was vorliegend nicht
geschehen sei. Folglich unterlägen die Zusatzleistungen der
Umsatzsteuer und dementsprechend sei auch der Vorsteuerabzug aus
den zugehörigen Vorbezügen zu
gewähren.
Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) folgte dieser
Auffassung und änderte den Umsatzsteuerbescheid 1999, indem es
die Zusatzleistungen der Umsatzsteuer unterwarf. Der Einspruch
hatte keinen Erfolg.
Mit seinem in EFG
2005, 1387 = SIS 07 01 10 veröffentlichten Urteil gab das
Finanzgericht (FG) der Klage statt. Zur Begründung führte
es im Wesentlichen aus:
Das FA habe die
von der GmbH erbrachten Zusatzleistungen zu Unrecht als
umsatzsteuerpflichtig behandelt, weil sie gemäß § 4
Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 steuerfrei seien.
Nach § 4 Nr.
9 Buchst. a UStG 1999 seien die Umsätze umsatzsteuerbefreit,
die unter das GrEStG fielen. Diese Regelung stelle nicht darauf ab,
ob ein Entgelt beim Leistungsempfänger in die
grunderwerbsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage einzubeziehen sei.
Die laut den Schlussrechnungen von der GmbH erbrachten
Zusatzleistungen seien jedenfalls umsatzsteuerlich Nebenleistungen
zu der steuerfreien Hauptleistung, bestehend aus der
Grundstückslieferung und der Bauleistung laut dem Kauf- und
Bauwerksvertrag mit der Folge, dass sie umsatzsteuerrechtlich das
Schicksal der Hauptleistung teilten, selbst wenn - wie vorliegend -
für die Nebenleistungen ein besonderes Entgelt verlangt und
entrichtet worden sei.
Biete ein
Unternehmer ein Grundstück mit einem noch zu errichtenden
Gebäude, das nach der Baubeschreibung „ohne
Komfort“ nur eine „Grundnutzung“ für
Wohnzwecke ermögliche, zu einem Festpreis an, so gehe der
Unternehmer regelmäßig als selbstverständlich davon
aus, dass jedenfalls der Erwerber, der die Selbstnutzung des
Gebäudes plane und den Erwerb nicht nur als reine
Kapitalanlage etwa durch Fremdvermietung ansehe, Zusatzleistungen
mit dem Ziel der Steigerung des Wohnwertes und der
Nutzungsmöglichkeit des erworbenen Objektes beauftrage.
Selbstnutzer entsprächen im Regelfall dieser Erwartung und
beauftragten, nur begrenzt durch ihre finanziellen
Möglichkeiten und durch den für das Grundstück
bauplanungsrechtlich vorgegebenen Rahmen, Sonderleistungen, die
teilweise bereits bei Abschluss des notariellen Vertrages
feststünden, spätestens aber in der Bauphase angefragt
und in Auftrag gegeben würden, und die, wie gerichtsbekannt
sei, vom Einbau besserer Materialien über Veränderungen
im Zuschnitt der Räume bis zur Schaffung zusätzlicher
Wohn- und Abstellflächen reichen könnten. In allen
Erwerbsfällen habe die GmbH Zusatzleistungen erbracht, die
allein dazu dienten, eine nach den Vorstellungen des jeweiligen
Erwerbers im Vergleich zum Nutzungswert laut Baubeschreibung
„verbesserten Wohnwert“ des erworbenen Objektes zu
ermöglichen.
Mit der Revision
macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend. Es trägt
vor, das FG habe den Begriff der Nebenleistung unzutreffend
ausgelegt. Gegenstand und Umfang der Werklieferung seien durch den
notariell beurkundeten Kauf- und Bauwerkvertrag und die dazu
gehörende Baubeschreibung abschließend geregelt.
Nachträglich vereinbarte Leistungen, die darüber
hinausgingen, stellten weitere selbständige Lieferungen
dar.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin
beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die
Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen
(§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat
die von der Klägerin erbrachten sog. Zusatzleistungen
zutreffend als gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999
umsatzsteuerfrei behandelt.
Von den unter §
1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UStG 1999 fallenden Umsätzen sind
gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 steuerfrei die
Umsätze, die unter das GrEStG fallen. Zu den unter § 1
Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999 fallenden Umsätzen gehören die
Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland
im Rahmen seines Unternehmens ausführt.
a) Die
Steuerbefreiung in § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 weicht von
Art. 13 Teil B Buchst. g der Sechsten Richtlinie des Rates
vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie
77/388/EWG) ab. Danach befreien die
Mitgliedstaaten
|
„g) die
Lieferungen von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem
dazugehörigen Grund und Boden, mit Ausnahme der in Artikel 4
Absatz 3 Buchstabe a) bezeichneten
Gegenstände;“.
|
In Art. 4 Abs. 3
Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ist bezeichnet die
„Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und
dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug
erfolgt“.
Das
Gemeinschaftsrecht unterscheidet somit zwischen Neubauten und
Baugrundstücken einerseits sowie Altbauten und sonstigen
Grundstücken andererseits. Werden - wie hier - Neubauten von
einem Unternehmer verkauft, unterliegt dies der Umsatzsteuer, weil
die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen, die vor
dem Erstbezug erfolgt, von der Befreiung durch Art. 13 Teil B
Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG ausgenommen ist.
Gemäß
Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Anhang F Nr. 16 der
Richtlinie 77/388/EWGkönnen die
Mitgliedstaaten diese Umsätze aber während der noch nicht
abgelaufenen Übergangszeit aus Art. 28 Abs. 4 der
Richtlinie 77/388/EWG weiterhin befreien.
Deutschland hat von dieser Möglichkeit in den Grenzen der in
§ 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 getroffenen Regelung Gebrauch
gemacht.
b) Der zu
beurteilende Sachverhalt ist zunächst umsatzsteuerrechtlich zu
erfassen und erst danach grunderwerbsteuerrechtlich zu
würdigen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15.10.1992
V R 17/89, BFH/NV 1994, 198; vom 10.9.1992 V R 99/88, BFHE 169,
255, BStBl II 1993, 316 = SIS 92 24 17; vom 29.8.1991 V R 87/86,
BFHE 166, 185, BStBl II 1992, 206 = SIS 92 06 23; vom 7.2.1991 V R
53/85, BFHE 164, 482, BStBl II 1991, 737 = SIS 91 16 30; vgl.
BFH-Beschluss vom 20.6.1994 V B 12/94, BFH/NV 1995,
456).
aa) Die streitigen
Zusatzleistungen sind Bestandteil der ausgeführten
Grundstückslieferungen. Der Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften hat zur einheitlichen Leistung sowie zum
Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung im Urteil vom
21.6.2007 C-453/05, Ludwig (UR 2007, 617 = SIS 07 23 31 Randnrn.
17, 18) Folgendes ausgeführt:
|
„Aus Art. 2 Abs. 1 der Sechsten
Richtlinie, der den Anwendungsbereich dieser Richtlinie definiert,
ergibt sich, dass jede Dienstleistung in der Regel als eigene,
selbständige Leistung zu betrachten ist und dass eine
wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines
funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich
aufgespalten werden darf, so dass das Wesen des fraglichen Umsatzes
zu ermitteln ist, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem
Verbraucher mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine
einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht des
Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist (Urteil vom 25.2.1999,
CPP, C-349/96, Slg. 1999, I-973 = SIS 99 10 25, Randnr.
29).
|
|
|
|
Eine einheitliche Leistung liegt
insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die
Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile dagegen
Nebenleistungen darstellen, die das steuerliche Schicksal der
Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer
Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen
eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung
des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu
nehmen (Urteile vom 22.10.1998, Madgett und Baldwin, C-308/96 und
C-94/97, Slg. 1998, I-6229 = SIS 98 23 41, Randnr. 24, und CPP,
Randnr. 30).“
|
bb) Das entspricht auch der Rechtsprechung des
Senats (BFH-Urteil vom 11.11.2004 V R 30/04, BFHE 207, 560, BStBl
II 2005, 802 = SIS 05 08 84; BFH-Beschluss vom 22.8.2006 V B 59/04,
BFH/NV 2007, 116 = SIS 06 48 77).
cc) Danach hat das FG im Ergebnis zu Recht die
Lieferung der neu errichteten Gebäude und Wohnungen und die
damit in unmittelbarem Zusammenhang erbrachten Zusatzleistungen als
eine einheitliche steuerfreie Grundstückslieferung
beurteilt.
Bei den Zusatzleistungen hat es sich zwar
nicht um Nebenleistungen gehandelt, weil sie nicht lediglich dazu
dienten, die Hauptleistung „Lieferung eines bebauten
Grundstücks bzw. einer Wohnung“ unter optimalen
Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Aus der Sicht des
Durchschnittsverbrauchers ist aber beim Erwerb eines neu
errichteten Gebäudes der über eine
„Grundausstattung“ hinausgehende Einbau von zusätzlichen Wänden, Treppen,
Fenstern und Duschen, die Errichtung von Garagen und
Freisitzüberdachungen sowie die Verwendung höherwertigen
Materials durch den Veräußerer jedenfalls dann ein
Bestandteil der steuerfreien Grundstückslieferung, wenn diese
Zusatzleistungen - wie hier - mit der Grundstückslieferung
insoweit in unmittelbarem Zusammenhang stehen, als die Immobilie
dem Erwerber vom Veräußerer in gegenüber der
„Grundausstattung“ höherwertigem,
umfangreicherem oder verbessertem Zustand übergeben wird. Ob
die Zusatzleistungen dabei in den notariell beurkundeten
Grundstückskaufvertrag aufgenommen oder in einem gesonderten
Vertrag vereinbart worden sind, ist für die
umsatzsteuerrechtliche Beurteilung unerheblich. Über die
Frage, inwieweit spätere, d.h. nach Übergabe des
Gebäudes/der Wohnung erbrachte Bauleistungen unter den
Befreiungstatbestand fallen können, brauchte der Senat nicht
zu entscheiden.
c) Da die von der Klägerin
ausgeführten Zusatzleistungen umsatzsteuerrechtlich
unselbständiger Teil der Grundstückslieferung sind,
„fallen sie“ i.S. des § 4 Nr. 9 Buchst. a
UStG 1999 wie diese unter das GrEStG und werden von dieser
Steuerbefreiung umfasst.
Im Übrigen sind auch
grunderwerbsteuerrechtlich Vergütungen für
nachträglich vereinbarte Sonderwünsche gemäß
§ 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG der Gegenleistung zuzurechnen
(BFH-Urteil vom 26.4.2006 II R 3/05, BFHE 213, 239, BStBl II 2006,
604 = SIS 06 25 17).