Überzahlung, Doppelzahlung, ustl. Bemessungsgrundlage: 1. Entgelt für eine Leistung i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG ist alles, was der Leistende für seine Leistung vom Leistungsempfänger erhalten hat, außer der Umsatzsteuer. Zahlt der Kunde die Leistung irrtümlich doppelt oder zahlt er versehentlich zu viel, ist der Gesamtbetrag Entgelt i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG (Anschluss an BFH-Urteil vom 13.12.1995 XI R 16/95, BFHE 179 S. 465, BStBl 1996 II S. 208 = SIS 96 07 24). - 2. Werden Über- oder Doppelzahlungen zurückgezahlt, liegt eine Minderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG vor. - Urt.; BFH 19.7.2007, V R 11/05; SIS 07 37 84
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) - eine GmbH - handelt mit
Nahrungs- und Genussmitteln und versteuert ihre Umsätze nach
vereinbarten Entgelten. In den Jahren 1990 und 1991 kam es nach den
Feststellungen des Finanzgerichts (FG) zu Über- und
Doppelzahlungen von Kunden, die sich bis Ende des Jahres 1991 auf
insgesamt 84.884,87 DM beliefen.
Hiervon wurde 1993 der Betrag von 26.623,58
DM zurückgezahlt. Nachdem die Klägerin nicht mehr mit
einer Rückforderung der verbleibenden 58.260,89 DM rechnete,
die sie bis dahin gewinnneutral als Verbindlichkeit gebucht hatte,
buchte sie diese im Jahre 1994 (Streitjahr) erfolgswirksam
aus.
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung,
bei der lt. Bericht „von der Stpfl. nicht aufgeklärt
werden konnte, worum es sich bei diesen Zahlungen handelte“,
sah der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) in
dem Wegfall der Rückforderungserwartung unter Berufung auf
§ 17 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG)
zunächst die Berechtigung zu einer Vorsteuerkürzung und
schließlich für eine Erhöhung der
Bemessungsgrundlage. Das FA erließ einen
Änderungsbescheid für 1994, in dem die verbliebenen
Über- oder Doppelzahlungen mit dem Nettobetrag als
Bemessungsgrundlage erfasst wurden.
Einspruch und Klage hatten keinen
Erfolg.
Das FG sah in den Überzahlungen eine
nachträgliche Erhöhung des Entgelts, das nicht im
Zeitpunkt der Zahlung (1990, 1991), sondern erst in demjenigen
Veranlagungszeitraum zu besteuern sei, in dem bei objektiver
Betrachtung nicht mehr mit einer Rückforderung nach § 812
des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu rechnen sei. Das Urteil
des FG ist in EFG 2005, 570 = SIS 05 10 15
veröffentlicht.
Die Klägerin begründete die (vom
Senat zugelassene) Revision wie folgt: § 17 UStG sei nicht auf
Fälle anwendbar, in denen die Bemessungsgrundlage von
vornherein in einem früheren Veranlagungszeitraum falsch
angesetzt worden sei. Die Über- oder Doppelzahlungen
hätten in den Jahren 1990/1991 bei Eingang der Zahlungen
versteuert werden müssen, denn auch eine Überzahlung
gehöre zum Entgelt gemäß § 10 UStG. Eine
Änderung für diesen Zeitraum sei jedoch wegen
Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich. Das FG habe
unzutreffend die umsatzsteuerrechtliche Wirkung einer
Überzahlung in einen späteren Veranlagungszeitraum
verlegt. Dieser Korrekturzeitpunkt sei vom FG zudem -
losgelöst von den zivilrechtlichen
Verjährungsvorschriften - willkürlich bestimmt worden
für den Zeitpunkt, in dem nach der subjektiven Auffassung des
Entgeltsempfängers nicht mehr mit einer Rückforderung des
Zahlenden gerechnet werden könne. Dies führe zu
erheblicher Rechtsunsicherheit.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG des Landes Sachsen Anhalt vom 30.9.2004 3 K 2263/03 sowie die
Einspruchsentscheidung des FA vom 18.11.2003 aufzuheben und den
Umsatzsteueränderungsbescheid 1994 vom 9.6.2000 dahingehend zu
ändern, dass die Umsatzsteuer auf 92.918,20 DM (= 47.508,33
EUR) herabgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Es meint, das FG sei zu Recht von einer
Änderung der Bemessungsgrundlage im Jahre 1994 ausgegangen.
Die tatsächlich erhaltenen Überzahlungen seien zu Recht
in den Jahren 1990/1991 nicht als Entgelt behandelt worden, weil
die Klägerin in diesen Zeiträumen noch mit einer
Rückforderung der Kunden rechnen musste. Erst in dem Wegfall
der Rückforderungserwartung im Jahre 1994 sei eine
Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten, die zu einer
Entgeltserhöhung berechtige.
II. 1. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der
Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Das FA hat im Streitjahr 1994 zu Unrecht die Voraussetzungen
für eine Änderung der Bemessungsgrundlage
gemäß § 17 UStG angenommen.
a) Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1
UStG hat der Unternehmer, der den Umsatz ausgeführt hat, den
dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen, wenn sich die
Bemessungsgrundlage geändert hat. Die Höhe der
Bemessungsgrundlage bestimmt sich nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG
nach dem für eine Lieferung oder sonstige Leistung erhaltenen
Entgelt. Entgelt ist „alles, was der
Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten,
jedoch abzüglich der Umsatzsteuer“ (§ 10 Abs. 1
Satz 2 UStG). Die Summe der Empfängeraufwendungen
(Bemessungsgrundlage) hat sich im Streitjahr 1994 jedoch nicht
(mehr) geändert.
b) Ursprünglich waren als
Bemessungsgrundlage in den Jahren 1990 und 1991 die vereinbarten
Entgelte einschließlich der Über- und Doppelzahlungen zu
erfassen, denn die Kunden haben über die vereinbarten Entgelte
hinaus die Gesamtentgelte gezahlt, „um die Leistung zu
erhalten“. Dass sie sich hinsichtlich des Umfangs bzw.
des Fortbestands der Zahlungsverbindlichkeit im Irrtum befanden,
ändert nichts am Zweck der Zahlung, sondern berührt
lediglich das Zahlungsmotiv. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) bereits
entschieden hat, stellt der Gesamtbetrag der tatsächlich
erhaltenen Zahlungen das Entgelt für eine Leistung i.S. des
§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG auch bei Überzahlungen dar, wenn
sie aufgrund keines anderen Rechts- oder Anspruchsgrundes als dem
der Leistung zugrundeliegenden erbracht wurden (BFH-Urteil vom
13.12.1995 XI R 16/95, BFHE 179, 465, BStBl II 1996, 208 = SIS 96 07 24).
c) In der Rückzahlung eines Teils der
Überzahlungen im Jahre 1993 ist eine Änderung der
Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 UStG zu sehen. Soweit der
restliche Teil der Überzahlungen endgültig bei der
Klägerin verblieb, weil sie (im Streitjahr 1994) davon
ausgehen konnte, dass die Kunden ihre verbleibenden
Rückzahlungsansprüche auch vor Eintritt der
Verjährung nicht mehr weiterverfolgten, lag mangels weiterer
Rückzahlung an die Kunden weder eine weitere Minderung der
Bemessungsgrundlage vor noch ist im „Wegfall einer
Verbindlichkeit“ eine nachträgliche Erhöhung
der Bemessungsgrundlage zu sehen. Hierfür besteht auch kein
steuerrechtliches Bedürfnis, weil die Umsatzbesteuerung der
Gesamtentgelte bereits im Jahr der tatsächlichen Zahlung
erfolgt ist.
2. Der Senat hält an dieser
Rechtsprechung (BFH in BFHE 179, 465, BStBl II 1996, 208 = SIS 96 07 24), die überwiegend Zustimmung erfahren hat, fest
(zustimmend FG des Landes Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.7.2001 1 K
1489/00, DStRE 2002, 242 = SIS 02 60 03; Heidner in Bunjes/Geist,
UStG, 8. Aufl., § 10 Rz 4; Handzik in
Offerhaus/Söhn/Lange, § 10 UStG Rz 85; Tehler in
Reiß/Kraeusel, UStG § 10 Rz 76; Heuermann, UR 1995, 294,
Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - Abschn. 149 Abs. 3; zweifelnd
Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, § 117 Rz 41, und Wagner in
Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 10 Rz 88). Dafür sind
folgende Gründe maßgebend:
a) Für die Anknüpfung des Entgeltes
an die tatsächlich erhaltene Gegenleistung spricht bereits der
Wortlaut von Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten
Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach gehört zur
Bemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet,
die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze
vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem
Dritten „erhält oder erhalten soll“
(unverändert Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem -
MwStSystRL 2006/112 - ).
b) Auch die historische Auslegung spricht
hierfür. Nachdem noch in § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967
bestimmt war, dass zum Entgelt nur dasjenige gehört, was der
Empfänger der Leistung
„vereinbarungsgemäß“ aufzuwenden
hatte, um die Leistung zu erhalten, wurde durch Art. 6 § 1 Nr.
4 des Steueränderungsgesetzes 1973 (vom 26.6.1973, BGBl I
1973, 676, 684) diese Fassung durch den heute geltenden Wortlaut
mit der Anknüpfung an die tatsächliche Leistung ersetzt
(vgl. Birkenfeld, a.a.O., § 116 Rz 13).
c) Die Anknüpfung an das tatsächlich
enthaltene Entgelt entspricht auch dem Zweck der Vorschrift, die
Umsatzsteuer letztlich nach dem Entgelt zu bemessen, „das
sich aufgrund der von ihm wirklich vereinnahmten Gegenleistung
ergibt“ (BFH-Urteil vom 16.1.2003 V R 72/01, BFHE 201,
335, BStBl II 2003, 620 = SIS 03 19 28). Wird ein Entgelt
vereinbart, das später ganz oder teilweise uneinbringlich
wird, so ist die (höhere) Bemessungsgrundlage nach der
ausdrücklichen Regelung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG
letztlich nach dem (niedrigeren) verbleibenden Entgelt
auszurichten. Nichts anderes kann aber dann auch im umgekehrten
Fall gelten, wenn die tatsächliche Zahlung bewusst oder
irrtümlich über das vereinbarte Entgelt hinausgeht und
erst nachträglich auf die Höhe des vereinbarten Entgelts
korrigiert wird.
d) Dem Charakter einer tatsächlich
erhaltenen Zahlung als Entgelt steht auch nicht entgegen, dass bei
einer Über- oder Doppelzahlung ein Rückzahlungsanspruch
des Zahlenden aus ungerechtfertigter Bereicherung besteht. Denn
nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen
Gemeinschaften (EuGH) führt die Erteilung einer Gutschrift
erst dann zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage, wenn der
Kunde tatsächlich über die Gutschrift durch Auszahlung
oder anderweitig verfügt hat (EuGH-Urteil vom 29.5.2001
C-86/99, Freemans, Slg. 2001, I-4167, BFH/NV Beilage 2001, 185, UR
2001, 349 = SIS 01 08 78). Dann kann aber vorliegend nichts anderes
gelten, wenn der Steuerpflichtige ein erhöhtes Entgelt
für seine Leistung erhalten hat und eine - aber nicht
realisierte - Rückzahlungsverpflichtung besteht.
e) Schließlich führt die
Rechtsauffassung des Senats auch zu praktikablen Ergebnissen, denn
gerade in Fällen, in denen - wie im Streitfall - auch im
Rahmen einer Betriebsprüfung nicht genau geklärt werden
kann, ob die auf dem Betriebskonto eingegangenen Zahlungen
tatsächlich Über- oder Doppelzahlungen sind oder aus
sonstigen Gründen erfolgt sind, braucht hier für die
Festlegung des Entgelts nicht näher differenziert zu werden,
solange feststeht, dass die Zahlungen im Zusammenhang mit den
Leistungen des Steuerpflichtigen stehen und kein anderer Rechts-
oder Leistungsgrund in Betracht kommt. Auch entfällt - anders
als nach der Rechtsauffassung des FG und des FA - die mit
Rechtsunsicherheit verbundene Festlegung eines Zeitpunktes, in dem
(vor Ablauf der Verjährungsfrist) nicht mehr mit einer
Rückzahlungsforderung gerechnet werden muss.
f) Zwar wendet Birkenfeld (a.a.O., § 117
Rz 42) mit Recht ein, dass bei einer Fehlüberweisung ohne
vorangegangene Leistung kein steuerbarer Vorgang gegeben ist, weil
das Entgelt dann nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit
einer Leistung steht. Anders als bei einer Fehlzahlung ist jedoch
nach Auffassung des Senats bei einer Über- oder Doppelzahlung
der unmittelbare Zusammenhang zwischen Entgeltzahlung und Leistung
noch gegeben, weil der Kunde seine vermeintliche Kaufpreisschuld
tilgen will und die Über- oder Doppelzahlung im Zusammenhang
mit einem tatsächlichen Leistungsaustausch steht; sie beruht
lediglich auf einem Motivirrtum (vgl. Heuermann, Irrtümliche
Doppelzahlungen und nicht in Anspruch genommene Gutschriften
seitens der Versandhandelskunden, UR 1995, 294, 295).
Im Übrigen wäre auch nach dieser
Auffassung die Revision begründet und der Klage stattzugeben.
Denn wenn es sich bei einer Doppel- oder Überzahlung nicht um
einen steuerbaren Vorgang handeln würde, kann es sich bei dem
umgekehrten Fall - der Rückzahlung der Doppel- oder
Überzahlung - nicht um eine Entgeltsminderung nach § 17
UStG handeln.
Da somit das FG im Streitjahr 1994 in der
Ausbuchung der Verbindlichkeit zu Unrecht eine Änderung der
Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG angenommen hat, war die
Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer
antragsgemäß herabzusetzen.