Krankenfahrten eines Taxiunternehmers, Hin- und Rückfahrt: 1. Umsatzsteuerrechtlich liegt eine einheitliche Leistung nicht allein deshalb vor, weil Leistungen aufgrund einer einzigen Vertragsgrundlage erbracht werden. - 2. Die Beförderung eines Fahrgastes von dessen Wohnung zum Bestimmungsort und zurück durch denselben Taxiunternehmer ist umsatzsteuerrechtlich keine einheitliche (einzige) Beförderungsleistung mit einer Gesamtbeförderungsstrecke, sondern ist in zwei getrennte Beförderungsleistungen aufzuteilen, wenn das Taxi nach Durchführung der Hinfahrt zum Bestimmungsort nicht auf den Kunden wartet, sondern der Kunde später - sei es aufgrund vorheriger Vereinbarung über den Abholzeitpunkt oder aufgrund erneuter telefonischer Bestellung - erneut mit einem Taxi am Bestimmungsort abgeholt und zum Ausgangsort zurückbefördert wird (Abgrenzung zum BFH-Beschluss vom 24.10.1990 V B 60/89, BFH/NV 1991, 562). - Urt.; BFH 31.5.2007, V R 18/05; SIS 07 28 50
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) betrieb in den Streitjahren 1996 bis 2000 ein
Taxiunternehmen. Sie unterhält diverse Taxen
(„Kraftdroschken“), für die sie Genehmigungen nach
§ 47 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) hat und
u.a. Krankenfahrten durchführt, deren umsatzsteuerrechtliche
Behandlung streitig ist.
Nach einer „Vereinbarung der
Krankenkassen des Arbeitskreises Gesetzliche Krankenversicherung
X“ und der AOK Y mit dem Gesamtverband Verkehrsgewerke ...
e.V. von 1994 über die Vergütung von Krankenfahrten
zahlten die Krankenkassen den in der Stadt und im Landkreis
zugelassenen Taxiunternehmen, die fachgerechte Krankenfahrten
gewährleisten, fest vereinbarte Vergütungssätze
für Krankenfahrten. Für Fernfahrten waren je Kilometer
1,15 DM (bis zum 30.6.1996) bzw. 1,18 DM (vom 1.7.1996 bis
31.12.1996) bzw. 1,20 DM (ab 1.1.1997) abrechenbar.
Vereinbarungsgemäß wurden Wartezeiten mit 7,50 DM je
angefangene Viertelstunde vergütet. Die Gebühr für
Wartezeiten durfte jedoch insgesamt nicht höher sein als die
abrechenbare Gebühr für eine zweite Fahrt. Hinsichtlich
der Fahrten, in denen das Taxi auf den Patienten wartete, besteht
kein Streit.
Im Anschluss an eine die Streitjahre
umfassende Außenprüfung vertrat der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) die Auffassung,
für Krankenfahrten, bei denen die Klägerin gegenüber
Krankenkassen Fahrten mit einer jeweiligen Gesamtlänge
zwischen 100 km bis 200 km abgerechnet habe, sei der
begünstigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b
Doppelbuchst. bb des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993 bzw. §
12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 1999 nicht anwendbar, weil die
jeweilige Beförderungsstrecke mehr als 50 km betragen habe.
Dabei handelt es sich um folgende Sachverhalte: Die Klägerin
beförderte den Patienten von seiner Wohnung bis zum
Behandlungsort; die einfache Entfernung zwischen Wohnung und
Behandlungsort lag zwischen 25 km und 50 km. Das Taxi wartete nicht
vor Ort, sondern stand anderweitig für den öffentlichen
Personennahverkehr zur Verfügung. Der Patient wurde wieder
abgeholt. Für die jeweiligen Leerfahrten stand der
Klägerin zusätzlich eine Vergütung nach festen
Kilometersätzen zu. Diese - von der Klägerin
gegenüber den Krankenkassen mit der Gesamtstrecke
abgerechneten - Fälle beurteilte das FA als eine einheitliche
Beförderungsleistung, bei denen die Beförderungsleistung
mehr als 50 km betrage. Das FA erfasste in den geänderten
Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre die anhand der
Rechnungskopien ermittelten Entgelte für diese Fahrten mit dem
Regelsteuersatz.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit
der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage, mit der sie im
Wesentlichen geltend machte, die jeweilige Hinfahrt und
Rückfahrt des Patienten sei für sich zu betrachten. Es
handele sich um voneinander unabhängige Einzelleistungen,
schon deshalb, weil grundsätzlich auch die Gefahr bestehe,
dass ein anderer Taxenunternehmer die Rückfahrt
übernehme, für die vom betreffenden Arzt eine gesonderte
Verordnung ausgestellt werde. Diese sog. Krankentransportscheine
seien allerdings mit der jeweiligen Abrechnung an die Krankenkasse
weitergegeben worden und deshalb nicht mehr vorhanden.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Das Urteil ist in DStRE 2005, 971 = SIS 05 29 76
abgedruckt.
Zur Begründung führt das FG im
Wesentlichen aus, entscheidend sei allein, ob zwischen den
Beteiligten des Leistungsaustausches zwei
Beförderungsverträge oder nur ein (einheitlicher)
Beförderungsvertrag geschlossen worden sei. Hierfür sei
unerheblich,
-
|
ob der jeweilige Fahrgast bereits zeitlich
bei Vereinbarung der Fahrt zur Behandlung mit der Klägerin die
Rückfahrt vereinbart habe,
|
|
|
-
|
ob zwecks Kostenübernahme durch die
jeweilige Krankenkasse der behandelnde Arzt die Notwendigkeit der
sog. Krankenfahrt für die Hin- und Rückfahrt auf einem
oder zwei Formularen bescheinigt und wann er die Bescheinigung
ausgestellt habe (vor Beginn der Hinfahrt, während der
Behandlung oder im Nachhinein),
|
|
|
-
|
ob dem jeweiligen Patienten bewusst gewesen
sei, dass er mit der Klägerin ein oder zwei
Beförderungsverträge abgeschlossen habe; deren
Anhörung sei deshalb nicht erforderlich.
|
Entscheidend sei allein, dass in den
streitigen Fällen die Klägerin nach Durchführung der
Hinfahrt zur jeweiligen Behandlung am Behandlungsort nicht auf den
Patienten zu warten hatte, sondern vielmehr die Rückfahrt zum
Firmensitz als Leerfahrt zusätzlich vergütet erhalten
habe und sich später erneut mit einem Taxi am Behandlungsort
habe einfinden müssen, um den Patienten zum jeweiligen Wohnort
zu fahren. Die Beförderung des Patienten zur Behandlung sei
rechtlich und auch wirtschaftlich damit abgeschlossen gewesen und
deshalb sei von einer Beförderungsstrecke von weniger als 50
km auszugehen. Die der Klägerin zusätzlich vergütete
Leerfahrt müsse bei der Frage der maßgeblichen
Beförderungsstrecke unberücksichtigt bleiben, weil
während der Leerfahrt keine Beförderung von Personen
stattfinde.
Hiergegen richtet sich die - vom FG unter
Hinweis auf das insoweit abweichende Urteil des FG
Mecklenburg-Vorpommern vom 25.9.2001 2 K 137/99 (EFG 2001, 1625 =
SIS 02 83 87) zugelassene - Revision des FA.
Das FA trägt hierzu vor, Hin- und
Rückfahrt seien entweder bei Bestellung des Taxis oder bei
Beginn der Hinfahrt vereinbart worden und der Zeitpunkt für
die Rückfahrt sei entweder bereits vereinbart oder telefonisch
nach Behandlung abgesprochen worden. Der Arzt habe nur einen
Krankenbeförderungsschein, der Hin- und Rückfahrt umfasst
habe, ausgestellt und dementsprechend habe die Klägerin auch
einheitlich mit den Kassen abgerechnet. Es sei, weil die
Klägerin Betriebsstätten in L und G unterhalte, nur in L
ein weiteres Taxiunternehmen existiere und häufig dieselben
Patienten befördert worden seien, für die Beteiligten in
gewisser Weise selbstverständlich, dass Hin- und
Rückfahrt bei Fahrtantritt vereinbart worden seien.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt die
Zurückweisung der Revision. Sie hält das angefochtene
Urteil für zutreffend.
II. Die Revision ist unbegründet (§
126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG
1993 ermäßigt sich der Steuersatz u.a. für die
Beförderung von Personen im Kraftdroschkenverkehr
(Doppelbuchst. aa) innerhalb einer Gemeinde oder (Doppelbuchst.
bb), wenn die Beförderungsstrecke nicht mehr als 50 km
beträgt (ab UStG 1999: § 12 Abs. 2 Buchst. b).
Gemeinschaftsrechtliche
„Grundlage“ für diese - bereits vor Erlass
der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) bestehende -
Regelung ist Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG
in der in den Streitjahren geltenden Fassung. Danach können
die Mitgliedstaaten auf die in Anhang H bezeichneten Lieferungen
und Dienstleistungen einen ermäßigten Steuersatz
anwenden. Nach Anhang H Kategorie Nr. 5 gehört dazu auch die
„Beförderung von Personen und des mitgeführten
Gepäcks“.
Mit der Steuerbegünstigung sollen die
Beförderungen im öffentlichen Nahverkehr, zu denen auch
der besonderen Anforderungen unterliegende Betrieb von
„Kraftdroschken“ gehört,
gleichermaßen erfasst werden. Die Regelung ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 11.2.1992 1 BvL 29/87,
BVerfGE 85, 238 = SIS 92 25 05).
a) Bei den streitigen
Beförderungsleistungen handelt es sich um Beförderungen
von Personen im Kraftdroschkenverkehr. Denn die Klägerin
beförderte ihre Kunden mit Kfz, für die ihr die
behördliche Genehmigung zum Verkehr mit Taxen nach § 47
PBefG erteilt war.
b) Die Beförderungsstrecke betrug in den
streitigen Fällen nicht mehr als 50 km.
aa) Ob eine - einheitliche - oder mehrere
Beförderungsleistungen vorliegen, ist nach den allgemein
geltenden Grundsätzen zur Beurteilung von Leistungen, die aus
mehreren Leistungsteilen bestehen, zu entscheiden. Für die
Annahme einer einheitlichen Leistung sind im Wesentlichen folgende
gemeinschaftsrechtlich geklärten Grundsätze zu
berücksichtigen (vgl. z.B. Urteile des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 27.10.2005 C-41/04,
Levob, BFH/NV Beilage 2006, 38 = SIS 06 02 01, und vom 25.2.1999
Rs. C-349/96, Card Protection Plan Ltd., CPP, Slg. 1999, I-973 =
SIS 99 10 25; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9.6.2005 V R
50/02, BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98 = SIS 05 39 64, m.w.N.):
Zum einen ist jede Leistung (Lieferung oder sonstige Leistung) in
der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten, zum
anderen darf eine wirtschaftlich einheitliche Leistung im Interesse
eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich
aufgespalten werden. Daher ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu
ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem
Verbraucher mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine
einheitliche Leistung erbringt. Dabei ist auch auf die Sicht des
Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend ist eine
Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz
erfolgt (z.B. BFH-Urteil in BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98 = SIS 05 39 64, m.w.N.). Deshalb rechtfertigt allein der Umstand, dass
Leistungen aufgrund einer einzigen Vertragsgrundlage erbracht
werden, nicht die Annahme einer einheitlichen Leistung (vgl. z.B.
BFH-Urteile vom 31.7.1987 V R 148/78, BFHE 150, 473, BStBl II 1987,
754 = SIS 87 20 24, und vom 3.3.1988 V R 183/83, BFHE 153, 90,
BStBl II 1989, 205 = SIS 88 12 20). Eine einheitliche Leistung
liegt auch nicht schon deshalb vor, weil mehrere Leistungen
demselben wirtschaftlichen Ziel dienen (z.B. BFH-Urteil in BFHE
150, 473, BStBl II 1987, 754 = SIS 87 20 24). Das FG ist von diesen
Grundsätzen ausgegangen.
bb) Die Würdigung durch das FG, dass im
Streitfall keine einheitliche Beförderungsleistung vorliegt,
ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Werden bei Fahrtantritt Hin- und
Rückfahrt vereinbart, wartet aber das Taxi nach
Durchführung der Hinfahrt zum Bestimmungsort
vereinbarungsgemäß nicht auf den Kunden, sondern holt
der Unternehmer den Kunden später - sei es aufgrund vorheriger
Vereinbarung über den Abholzeitpunkt oder aufgrund erneuter
telefonischer Bestellung - mit einem (ggf. auch anderen) Taxi ab
und befördert ihn zum Ausgangsort zurück, ist mit der
Ablieferung des Kunden die (erste) Beförderung rechtlich und
wirtschaftlich abgeschlossen. Hin- und Rückfahrt dieser Art
können aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers
regelmäßig als zwei getrennte
Beförderungsleistungen und nicht als eine (einheitliche)
Leistung zu beurteilen sein. Im Übrigen kommt die
Finanzverwaltung in Abschn. 174 Abs. 3 Satz 6 der
Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) zu Fahrausweisen bei anderen
Beförderungsmitteln des öffentlichen Nahverkehrs zum
entsprechenden Ergebnis - zu denen auch Taxen gehören
(BVerfG-Entscheidung in BVerfGE 85, 238; BFH-Urteil vom 5.3.1992 V
R 97/88, BFH/NV 1992, 775) - : Danach liegen zwei getrennte
Beförderungsstrecken vor, wenn ein Fahrausweis gegeben wird,
der zur Hin- und Rückfahrt berechtigt.
cc) Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich
aus dem Senatsbeschluss vom 24.10.1990 V B 60/89 (BFH/NV 1991, 562)
nichts anderes, weil sich der diesem Beschluss zugrunde liegende
Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt vom vorliegenden Streitfall
unterscheidet. Dort ging der Senat mit dem FG davon aus, dass eine
einheitliche Beförderungsleistung mit einer
Gesamtbeförderungsstrecke vorliegt, wenn die Beförderung
eines Fahrgastes von dessen Wohnung zum Krankenhaus und zurück
durch denselben Beförderungsunternehmer erfolgt und wenn die
Fahrt während der Krankenhausbehandlung des Fahrgastes zwar
kurz unterbrochen wird, wenn der Fahrer aber
vereinbarungsgemäß auf den Fahrgast wartet und also die
Beförderung „auf einen Zug“ geschuldet wird
(Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 12 UStG Rz 520;
so wohl auch Schumann in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 12
Rz 387). Damit ist der vorliegende Streitfall nicht
vergleichbar.
2. Zu Recht geht das FG auch davon aus, dass
„Beförderungsstrecke“ i.S. von § 12
Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG 1993 bzw. § 12
Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 1999 nicht auch Leerfahrten umfasst,
sondern nur die Strecke ist, auf der der Unternehmer einen Fahrgast
befördert. Diese betrug nach den nicht mit
Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen (§ 118 Abs.
2 FGO) bei den streitigen Beförderungen für die einfache
Fahrt weniger als 50 km.