Taxifahrten, ermäßigter USt-Satz, Verfassungsmäßigkeit der Typisierung: 1. Soweit nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 1993/1999 Taxifahrten unterschiedlich behandelt werden, als Fahrten innerhalb einer Gemeinde unabhängig von der konkreten Fahrtstrecke immer als Nahverkehrsfahrt ermäßigt zu besteuern sind, während dies für Taxifahrten außerhalb einer Gemeinde nur dann gilt, wenn die einzelne Fahrt 50 km nicht überschreitet, ist dies als gesetzgeberische Typisierung verfassungsgemäß. - 2. Hin- und Rückfahrt sind eine (einheitliche) Beförderungsleistung i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 1993/1999, wenn vereinbarungsgemäß die Fahrt nur kurzfristig unterbrochen wird und der Fahrer auf den Fahrgast wartet ("Wartefahrt"). Keine einheitliche Beförderungsleistung liegt jedoch vor, wenn das Taxi nicht auf den Fahrgast wartet, sondern später - sei es aufgrund vorheriger Vereinbarung über den Abholzeitpunkt oder aufgrund erneuter Bestellung - wieder abholt und zum Ausgangspunkt zurückbefördert ("Doppelfahrt"). - 3. Bemessungsgrundlage für diese Taxifahrten ist das für die jeweilige Fahrt vereinbarte Entgelt. Dass dies z.T. unter Berücksichtigung unterschiedlicher Tarife für die "Leerfahrt" berechnet wird, ist umsatzsteuerrechtlich ohne Bedeutung. - Urt.; BFH 19.7.2007, V R 68/05; SIS 07 37 85
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) betrieb ein Taxiunternehmen. Er führte u.a.
Krankenfahrten zu Ärzten und Dialysekliniken im
ländlichen Raum durch, bei denen die einfache Fahrt jeweils
unter 50 km betrug, die Hin– und Rückfahrt jedoch
zusammengerechnet diese Grenze überschritt. Bei kürzeren
Arztbesuchen wartete das Taxi auf den Patienten und fuhr diesen
anschließend wieder zurück, während bei
längeren Behandlungszeiten - wie z.B. bei Dialyseanwendungen -
das Taxi leer zurückfuhr und den Patienten zum vereinbarten
Zeitpunkt aufgrund einer neuen Fahrt wieder abholte. Die
Krankenkasse erstatte die jeweils kostengünstigere
Alternative.
Der Kläger ging in den Streitjahren
(1997 bis 1999) davon aus, dass bei sämtlichen Fahrten der
ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10
Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG) Anwendung
finde, weil die einfache Fahrt die in dieser Vorschrift vorgesehene
50 km-Grenze jeweils nicht überschritten habe. Dagegen vertrat
der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) im
Anschluss an eine Außenprüfung in den
Umsatzsteuerbescheiden für 1997 bis 1999 die Rechtsauffassung,
in sämtlichen Fällen sei der Regelsteuersatz anzuwenden,
weil die Fahrgäste für die Hin- und Rückfahrt einen
einheitlichen Auftrag erteilt hätten. Die Einsprüche
hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) folgte dem FA und
wies die Klage mit den in EFG 2007, 150 = SIS 07 02 37
veröffentlichten Gründen ab. Es führte aus, nicht
nur in den Fällen, in denen das Taxi auf den Patienten
gewartet habe, sondern auch bei gesonderter Abholung nach
längerer Behandlungszeit sei eine einheitliche Leistung
anzunehmen, sodass die Fahrtstrecken zusammenzurechnen und mit dem
Regelsteuersatz zu besteuern seien. Für die Abgrenzung komme
es maßgeblich darauf an, ob die Fahrten aufgrund eines
einheitlichen zivilrechtlichen Beförderungsvertrages
erfolgten. Das FG war nach Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen,
dass die Patienten Hin- und Rückfahrt als Dauerleistung
vereinbart hätten und entgegen der Klägerbehauptung
für die Rückfahrten kein gesonderter
Beförderungsvertrag geschlossen worden sei. Entgegen dem
Klägervorbringen verstoße § 12 Abs. 2 Nr. 10
Buchst. b UStG auch nicht gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG), wenn
Fahrten innerhalb eines (größeren) Gemeindegebietes
unabhängig von der konkreten Fahrtstrecke immer als
Nahverkehrsleistung begünstigt seien, während es bei
Fahrten außerhalb des Gemeindegebietes auf die konkrete
Entfernung (50 km-Grenze) ankomme.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit
der vom FG zugelassenen Revision. Er meint, die Vorentscheidung
stehe im Widerspruch zu einer früheren Entscheidung desselben
Senates des FG (Urteil vom 13.12.2004 16 K 640/03, DStRE 2005, 971
= SIS 05 29 76). Nach dieser Entscheidung komme es für die
Bestimmung einer einheitlichen Beförderungsleistung weder
darauf an, ob Hin- und Rückfahrt bereits bei Fahrtantritt mit
vereinbart worden seien noch darauf, ob der Arzt die Notwendigkeit
der Hin- und Rückfahrt auf einem oder auf zwei
Behandlungsscheinen bestätigt habe, sondern darauf, ob das
Taxi den Patienten auf Grund einer neuen Fahrt wieder abgeholt hat.
Zudem verstoße § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG gegen
Art. 3 GG.
Der Kläger beantragt, das Urteil des
Niedersächsischen FG vom 14.10.2005 16 K 10593/02 aufzuheben
und die Umsatzsteuerbescheide für 1997 bis 1999 vom 13.6.2002
dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 1997 um 15,99
EUR, für 1998 um 670,90 EUR und für 1999 um 3.057,24 EUR
herabgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Für die Annahme einer einheitlichen
Beförderungsleistung kommt es nach seiner Auffassung nicht
entscheidend auf die zivilrechtlichen Vertragsverhältnisse,
sondern auf den wirtschaftlichen Gehalt der Leistung an. Für
den aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers zu bestimmenden
wirtschaftlichen Gehalt sei es unerheblich, ob das Taxi auf den
Patienten warte und die Fahrt nach kurzfristiger Unterbrechung zu
Ende führe oder das Taxi nach längerer Unterbrechung
inzwischen andere Umsätze ausführe und danach zum
Patienten für die Abholfahrt zurückkehre.
II. Die Revision ist begründet und
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und
Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ).
1. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 10
Buchst. b UStG ist der ermäßigte Steuersatz anzuwenden,
wenn die Beförderung „im
Kraftdroschkenverkehr“ innerhalb des Gemeindegebietes
erfolgt oder wenn die Beförderungsstrecke nicht mehr als 50 km
beträgt. Diese Regelung, deren Zweck in der Förderung des
öffentlichen Nahverkehrs besteht, ist entgegen dem
Klägervorbringen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden
(Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 11.2.1992 1
BvL 29/87, BVerfGE 85, 238 = SIS 92 25 05). Eine willkürliche
Ungleichbehandlung liegt auch nicht darin, dass Fahrten innerhalb
eines Gemeindegebietes unabhängig von der konkreten
Fahrtstrecke immer (als Nahverkehrsleistung) ermäßigt
besteuert werden und Fahrten im Übrigen nur dann, wenn sie 50
km nicht überschreiten. Diese Regelung stellt vielmehr eine
zulässige gesetzgeberische Typisierung dar (vgl.
BVerfG-Entscheidung vom 9.11.1988 1 BvL 22/84, 1 BvL 71/86, 1 BvL
9/87, BVerfGE 79, 87, und Beschluss in BVerfGE 85, 238). Der durch
die Typisierung entstehende Gleichheitsverstoß, der entsteht,
wenn der ermäßigte Steuersatz bei einer Taxifahrt von
über 50 km innerhalb einer Gemeinde angewendet wird, ist im
Interesse der Vereinfachung hinzunehmen, da selbst innerhalb des
Gebiets einer Großstadt eine Fahrt von über 50 km nur
sehr selten vorkommen dürfte.
2. Zur Frage, ob bei der Bestimmung der
Beförderungsgrenze von 50 km i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 10
Buchst. b UStG bei gleichzeitiger Vereinbarung von Hin- und
Rückfahrten die Fahrten zusammenzurechnen sind oder nur die
einfache Fahrtstrecke zugrunde zu legen ist, hat der Senat mit dem
zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 31.5.2007 V R 18/05
= SIS 07 28 50 wie folgt differenziert: Eine einheitliche
Beförderungsleistung im Nahverkehr i.S. des § 12 Abs. 2
Nr. 10 Buchst. b UStG ist dann anzunehmen, wenn bei vereinbarter
Hin- und Rückfahrt die Fahrt nur kurzfristig unterbrochen wird
und der Fahrer vereinbarungsgemäß auf den Fahrgast
wartet (so schon Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
24.10.1990 V B 60/89, BFH/NV 1991, 562 zu einer
„Wartefahrt“). Keine einheitliche
Beförderungsleistung liegt jedoch vor, wenn das Taxi nicht auf
den Fahrgast wartet, sondern später - sei es aufgrund
vorheriger Vereinbarung über den Abholzeitpunkt oder aufgrund
erneuter Bestellung - wieder abholt und zum Ausgangspunkt
zurückbefördert („Doppelfahrt“). In
diesem Falle ist mangels Einheitlichkeit der
Beförderungsleistung die Gesamtfahrtstrecke nicht
zusammenzurechnen und die beiden Fahrten sind als
Nahverkehrsleistungen mit dem begünstigten Steuersatz
abzurechnen, wenn die als einheitliche Nahverkehrsleistung zu
wertende Hinfahrt 50 km nicht überschreitet.
Zur Begründung hat der Senat in der o.a.
Entscheidung ausgeführt:
a) Gemeinschaftsrechtliche
„Grundlage“ für die Regelung des § 12
Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG ist Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 3 der
Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) in der in den Streitjahren
geltenden Fassung; danach können die Mitgliedstaaten auf die
in Anhang H bezeichneten Lieferungen und Dienstleistungen einen
ermäßigten Steuersatz anwenden. Nach Anhang H Kategorie
Nr. 5 gehört dazu auch die „Beförderung von
Personen und des mitgeführten Gepäcks“.
b) Derartige Beförderungsleistungen sind
nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG nur begünstigt,
wenn die Beförderungsstrecke nicht mehr als 50 km
beträgt. Hierdurch sollen alle Beförderungen im
öffentlichen Nahverkehr, zu denen auch der besonderen
Anforderungen unterliegende Betrieb von
„Kraftdroschken“ gehört,
gleichermaßen begünstigt werden.
aa) Ob eine - einheitliche - oder mehrere
Beförderungsleistungen vorliegen, ist nach den allgemein
geltenden Grundsätzen zur Beurteilung von Leistungen, die aus
mehreren Leistungen bestehen, zu entscheiden. Für die Annahme
einer einheitlichen Leistung sind im Wesentlichen folgende
gemeinschaftsrechtlich geklärten Grundsätze zu
berücksichtigen (vgl. Urteil des Gerichtshofes der
Europäischen Gemeinschaften vom 25.2.1999 Rs. C-349/96, Card
Protection Plan Ltd. - CPP -, Slg. 1999, I-973 = SIS 99 10 25;
BFH-Urteil vom 9.6.2005 V R 50/02, BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98
= SIS 05 39 64, m.w.N.): Zum einen ist jede Leistung (Lieferung
oder sonstige Leistung) in der Regel als eigene, selbständige
Leistung zu betrachten, zum anderen darf eine wirtschaftlich
einheitliche Leistung im Interesse eines funktionierenden
Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden.
Daher ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um
festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher mehrere
selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung
erbringt. Dabei ist auch auf die Sicht des
Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend ist eine
Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz
erfolgt (z.B. BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98 = SIS 05 39 64,
m.w.N.). Deshalb rechtfertigt allein der Umstand, dass Leistungen
aufgrund einer zivilrechtlichen Vertragsgrundlage erbracht werden,
nicht die Annahme einer einheitlichen Leistung (vgl. z.B.
BFH-Urteile vom 31.7.1987 V R 148/78, BFHE 150, 473, BStBl II 1987,
754 = SIS 87 20 24; vom 3.3.1988 V R 183/83, BFHE 153, 90, BStBl II
1989, 205 = SIS 88 12 20). Eine einheitliche Leistung liegt auch
nicht deshalb vor, weil mehrere Leistungen demselben
wirtschaftlichen Ziel dienen (z.B. BFH in BFHE 150, 473, BStBl II
1987, 754 = SIS 87 20 24).
bb) Werden bei Fahrtantritt Hin- und
Rückfahrt vereinbart, wartet aber das Taxi nach
Durchführung der Hinfahrt zum Bestimmungsort
vereinbarungsgemäß nicht auf den Kunden, sondern holt
der Unternehmer den Kunden später - sei es aufgrund vorheriger
Vereinbarung über den Abholungszeitpunkt oder aufgrund
telefonischer Bestellung - erneut mit einem (ggf. auch anderen)
Taxi ab und befördert ihn zum Ausgangsort zurück, ist aus
der Sicht des Durchschnittsverbrauchers mit der Ablieferung des
Kunden die (erste) Beförderung rechtlich und wirtschaftlich
abgeschlossen. Dass Hin- und Rückfahrt nicht als eine
(einheitliche) Beförderungsleistung zu beurteilen sind,
entspricht im Übrigen der Auffassung der Finanzverwaltung in
Abschn. 174 Abs. 3 Satz 6 der Umsatzsteuer-Richtlinien zu
Fahrausweisen bei anderen Beförderungsmitteln des
öffentlichen Nahverkehrs - zu denen auch Taxen gehören -
(BVerfG in BVerfGE 85, 238; BFH-Urteil vom 5.3.1992 V R 97/88,
BFH/NV 1992, 775); danach liegen zwei getrennte
Beförderungsstrecken vor, wenn ein Fahrausweis gegeben wird,
der zur Hin- und Rückfahrt berechtigt.
cc) Nichts anderes ergibt sich auch aus dem
Senatsbeschluss vom 24.10.1990 V B 60/89 (BFH/NV 1991, 562), weil
sich der dort entschiedene Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt
vom vorliegenden Streitfall unterscheidet. Dort ging der Senat mit
dem FG davon aus, dass eine einheitliche
Gesamtbeförderungsstrecke vorliegt, wenn die Beförderung
eines Fahrgastes von dessen Wohnung zum Krankenhaus und zurück
durch denselben Beförderungsunternehmer erfolgt und wenn die
Fahrt während der Krankenhausbehandlung des Fahrgastes zwar
kurz unterbrochen wird, wenn der Fahrer aber
vereinbarungsgemäß auf den Fahrgast wartet und also die
Beförderung „auf einen Zug“ geschuldet wird
(Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 12 Rz 520; so wohl auch
Kraeusel in Reiss/Kraeusel/Langer, UStG § 12 Rz 387).
3. Für die Bestimmung der Einheitlichkeit
der Leistung nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG kommt es
somit entgegen der Vorentscheidung nicht darauf an, dass Fahrten
aufgrund einer einzigen Vertragsgrundlage erbracht werden.
4. Der Senat kann nicht durcherkennen, da das
FG - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - den Umfang der
mit dem Regelsteuersatz zu besteuernden Fahrten nicht festgestellt
hat.
Bemessungsgrundlage für die
Beförderung der Kunden zum Zielort ist das hierfür
entrichtete Entgelt (§ 10 Abs. 1 UStG). Dass das
Beförderungsentgelt unter Berücksichtigung der von den
Krankenkassen gezahlten unterschiedlichen
„Tarife“ für Besetz- und Leerfahrten
berechnet wird, ist im Rahmen des § 10 UStG unerheblich.