Kindergeld, Mitteilung über Änderung der erheblichen Verhältnisse nicht fristhemmend: Die Mitteilung über Änderungen in den für das Kindergeld erheblichen Verhältnissen, zu welcher der Kindergeldberechtigte nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG verpflichtet ist, ist keine "Anzeige" i.S. von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977, die zu einer Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist für den Anspruch auf Kindergeld führt. - Urt.; BFH 18.5.2006, III R 80/04; SIS 06 41 14
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind (Gesamt-)Rechtsnachfolger des am 28.3.2001
verstorbenen D. Dieser hatte zwei Kinder (Kläger zu 1. und 2.)
aus der ersten Ehe und einen Sohn (Kläger zu 3.) aus der
zweiten Ehe mit der Beigeladenen. In dritter Ehe war er mit der
Klägerin zu 4. verheiratet.
D bezog für den am 11.4.1991 geborenen
Kläger zu 3. bis einschließlich Februar 2001 Kindergeld
in Höhe von zuletzt 138 EUR pro Monat.
Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) erhielt Anfang März 2001 durch einen
Datenabgleich mit der zuständigen Meldestelle Kenntnis von der
Tatsache, dass der Kläger zu 3. nicht bei D, sondern im
Haushalt der Beigeladenen lebte. Dies bestätigte D auf eine
entsprechende Nachfrage der Familienkasse. Nach seinem Tod erfuhr
die Familienkasse, dass der Kläger zu 3. bereits seit
September 1995 ausschließlich bei der Beigeladenen gewohnt
hatte.
Mit Bescheiden vom 25.7.2003, die an die
Kläger zu 1. bis 4. als Rechtsnachfolger des D gerichtet
waren, hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzungen
rückwirkend für die Zeit von Januar 1996 bis Februar 2001
auf und forderte das in diesem Zeitraum für den Kläger zu
3. gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 7.339,18 EUR
zurück.
Die Einsprüche blieben ohne
Erfolg.
In den anschließenden Klageverfahren
brachten die Kläger u.a. vor, die Aufhebungs- und
Rückforderungsbescheide seien rechtswidrig, weil D das an ihn
ausgezahlte Kindergeld an die Beigeladene weitergeleitet habe. Denn
er habe monatlich 1.350 DM Barunterhalt für den Kläger zu
3. geleistet, obwohl er nach der Düsseldorfer Tabelle
eigentlich nur einen monatlichen Betrag in Höhe von 880 DM
hätte zahlen müssen. Die Überzahlung habe das
Kindergeld enthalten.
Nachdem das Finanzgericht (FG) die
Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden
hatte, hob es die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide der
Familienkasse in Höhe von 3.926,64 EUR auf und wies im
Übrigen die Klage ab. Sein Urteil ist in EFG 2005, 559 = SIS 05 14 02 veröffentlicht.
Das FG war der Auffassung, für den
Zeitraum Januar 1996 bis Dezember 1998 sei die Aufhebung der
Kindergeldfestsetzung wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist
rechtswidrig. Entgegen der Ansicht der Familienkasse sei der Anlauf
der Festsetzungsfrist nicht dadurch gehemmt worden, dass D den
Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen trotz seiner Verpflichtung
nach § 68 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) der
Familienkasse nicht mitgeteilt habe. Denn die Mitteilung i.S. des
§ 68 Abs. 1 Satz 1 EStG sei keine Anzeige i.S. von § 170
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Bei Anzeigen im
Sinne dieser Vorschrift handle es sich um einzelgesetzlich
geregelte förmliche Erklärungen. Die allgemeinen und
besonderen Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren nach
§ 90 AO 1977 und § 68 EStG würden davon nicht
erfasst. Die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum von Januar
1999 bis Februar 2001 habe die Familienkasse dagegen zu Recht
aufgehoben.
Mit der Revision rügt die
Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt im
Wesentlichen vor:
Die Mitteilung nach § 68 Abs. 1 Satz 1
EStG sei eine Anzeige i.S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO
1977, deren Unterlassen den Anlauf der Festsetzungsfrist hemme. Der
Bundesfinanzhof (BFH) habe in den Anwendungsbereich dieser
Vorschrift auch Anzeigen einbezogen, für die keine besondere
Form vorgesehen sei, wie z.B. bei der in § 1 Abs. 2 Satz 1 der
Verordnung vom 8.2.1978 zur Durchführung des Gesetzes zur
Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 3.8.1950 -
KraftStGÄndGDV - (Gesetz- und Verordnungsblatt Berlin - GVBl
Bln - 1978, 745) geforderten Anzeige über den Wegfall der
Voraussetzungen für die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer
(z.B. BFH-Urteil vom 15.10.1991 VII R 72/89, VII R 73/89, BFH/NV
1992, 567). Der BFH habe § 1 Abs. 2 Satz 1 KraftStGÄndGDV
als Spezialvorschrift im Verhältnis zu § 153 Abs. 2 AO
1977 angesehen.
Aus der Gesetzesbegründung ergebe
sich, dass die Mitwirkungspflichten in § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG
denen in § 153 Abs. 2 AO 1977 entsprächen. Die Hemmung
des Anlaufs der Festsetzungsfrist bei Verletzung der
Mitwirkungspflichten des § 68 EStG stimme auch mit dem Zweck
der Anlaufhemmung überein, weil sie verhindere, dass durch den
Verstoß des Anspruchsberechtigten gegen seine
Mitwirkungspflichten die der Behörde für die Korrektur
zur Verfügung stehende Zeit verkürzt werde.
Da der Rechtsvorgänger der Kläger
seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen sei, habe die
Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 erst
mit Ablauf des dritten Kalenderjahres begonnen, das auf das Jahr
der Entstehung des Anspruchs auf Kindergeld folge, für das im
Jahr 1996 gezahlte Kindergeld also erst ab dem 1.1.2000. Zum
Zeitpunkt der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung im Juli 2003 sei
die Festsetzungsfrist für den gesamten Aufhebungszeitraum
daher noch nicht abgelaufen gewesen.
Die Familienkasse beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und wird
zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ).
Zu Recht hat das FG die Aufhebungs- und
Rückforderungsbescheide, soweit sie den Zeitraum Januar 1996
bis Dezember 1998 betreffen, aufgehoben.
1. Die Festsetzungsfrist von vier Jahren
für das in den Kalenderjahren 1996 bis 1998 gezahlte
Kindergeld war bei Erlass der Aufhebungsbescheide vom 25.7.2003
bereits abgelaufen, so dass die Aufhebung der
Kindergeldfestsetzungen für diesen Zeitraum nicht mehr
zulässig war.
a) Das Kindergeld wird nach § 31 Satz 3
EStG als Steuervergütung gezahlt. Es gelten daher die
Vorschriften der AO 1977 (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Nach
§ 155 Abs. 4 AO 1977 sind die Vorschriften über die
Steuerfestsetzung (§§ 155 bis 178 AO 1977), also auch die
Vorschriften über die Festsetzungsverjährung
(§§ 169 bis 171 AO 1977), sinngemäß auf die
Festsetzung einer Steuervergütung anzuwenden.
Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 darf die
Festsetzung einer Steuervergütung nach Ablauf der
Festsetzungsfrist nicht mehr aufgehoben werden. Die
Festsetzungsfrist für Steuervergütungen beträgt vier
Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977), bei
Steuerhinterziehung (§ 370 AO 1977) zehn Jahre und bei
leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO 1977) fünf
Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).
b) Die Würdigung des FG, dass keine
Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Steuerhinterziehung
(§ 370 AO 1977) oder eine leichtfertige Steuerverkürzung
(§ 378 AO 1977) vorliegen, die zu einer Verlängerung der
Festsetzungsfrist auf zehn bzw. fünf Jahre führen
würden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und auch
von der Familienkasse nicht angegriffen worden, so dass im
Streitfall eine Festsetzungsfrist von vier Jahren gilt.
c) Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf
des Kalenderjahres, in dem der Anspruch auf die
Steuervergütung entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO 1977).
Das als Steuervergütung ausgestaltete Kindergeld wird auf
Antrag (§ 67 Satz 1 EStG) vom Beginn des Monats an gezahlt, in
dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende
des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen weggefallen sind
(§ 66 Abs. 2 EStG). Der Anspruch auf das Kindergeld entsteht
somit für jeden Monat, in dem die Anspruchsvoraussetzungen zu
irgendeinem Zeitpunkt vorgelegen haben.
Das Kindergeld wird durch Bescheid festgesetzt
und ausgezahlt (§ 70 Abs. 1 Satz 1 EStG). Wird dem Antrag auf
Kindergeld entsprochen, kann von der Erteilung eines schriftlichen
Bescheids abgesehen werden. In diesem Fall liegt in der monatlichen
Auszahlung des Kindergelds die konkludente Festsetzung des
Kindergelds, die nur unter den im EStG und in der AO 1977
geregelten Voraussetzungen geändert oder aufgehoben werden
darf.
Die Festsetzungsfrist für das in den
einzelnen Monaten des jeweiligen Kalenderjahres gezahlte Kindergeld
beginnt somit mit Ablauf dieses Kalenderjahres. Die
Festsetzungsfrist für das in den Kalenderjahren 1996 bis 1998
gezahlte Kindergeld war somit mit Ablauf der Jahre 2000 bzw. 2001
bzw. 2002 abgelaufen, so dass die Familienkasse die
Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum im Juli 2003 nicht
mehr aufheben durfte (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).
2. Nach zutreffender Entscheidung des FG war
der Beginn der Festsetzungsfrist nicht gemäß § 170
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 hinausgeschoben.
a) Ist eine Steuererklärung oder eine
Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten,
beginnt nach dieser Vorschrift die Festsetzungsfrist abweichend von
§ 170 Abs. 1 AO 1977 nicht mit Ablauf des Kalenderjahres, in
dem die Steuer entstanden ist, sondern mit Ablauf des
Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung, die
Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens
jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das
Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (sog.
Anlaufhemmung).
Durch das Hinausschieben des Beginns der
Festsetzungsfrist soll verhindert werden, dass durch die
Nichtabgabe oder späte Einreichung der Steuererklärung
die der Behörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit
verkürzt wird. Entsprechendes gilt für Fälle, in
denen eine Anzeige zu erstatten ist. Damit wird der Tatsache
Rechnung getragen, dass es Steuern gibt, bei denen die Behörde
erst durch die Anzeige von der Entstehung eines Steueranspruchs
erfährt (BTDrucks VI/1982, 151; Ruban in Hübschmann/
Hepp/Spitaler - HHSp -, § 170 AO Rz. 11).
Anzeigen i.S. von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr.
1 AO 1977 sind Mitteilungen des Steuerpflichtigen über
steuerlich erhebliche Vorgänge, die es der Behörde
ermöglichen, eine Steuer festzusetzen. Dazu gehört z.B.
die Anzeige von der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerben
gemäß § 30 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes
(ErbStG) oder von der Grunderwerbsteuer unterliegenden
Rechtsvorgängen gemäß § 19 Abs. 1 des
Grunderwerbsteuergesetzes - GrEStG - (vgl. z.B. Kruse in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 170 AO
Tz. 8; Ruban in HHSp, § 170 AO Rz. 11, 22). Durch die
Anlaufhemmung soll der Behörde eine angemessene Zeit für
die Festsetzung der Steuer verschafft werden. Die Festsetzungsfrist
soll nicht schon zu laufen beginnen, bevor die Behörde von dem
Entstehen und der Höhe des Anspruchs erfahren hat
(Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 170 Rz. 5).
Keine Anzeigen i.S. des § 170 Abs. 2 Satz
1 Nr. 1 AO 1977 sind z.B. die Anzeigen nach § 153 Abs. 1 Nr. 1
AO 1977 über die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit
einer abgegebenen Erklärung. Denn mit Ablauf des Jahres, in
dem der Steuerpflichtige die (unrichtige oder unvollständige)
Steuerklärung abgegeben hat, wurde die Festsetzungsfrist in
Lauf gesetzt (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977). Dadurch,
dass die unrichtige Erklärung später berichtigt wird oder
die Berichtigung unterlassen wird, kann die Festsetzungsfrist nicht
erneut zu laufen beginnen (BFH-Beschluss vom 22.1.1997 II B 40/96,
BFHE 181, 571, BStBl II 1997, 266 = SIS 97 10 77, m.w.N.).
Auch die Anzeigen nach § 153 Abs. 2 AO
1977 über den Wegfall von Voraussetzungen für eine
Steuerbefreiung oder Steuervergünstigung werden im Schrifttum
nicht als Anzeige i.S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977
angesehen, deren Abgabe oder Unterlassen den Anlauf der
Festsetzungsfrist hemmen kann (vgl. Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O.,
§ 170 AO Rz. 8; Ruban in HHSp, § 170 Rz. 23; Balmes in:
Kühn/v. Wedelstädt, 18. Aufl., AO, § 170 Rz. 3).
b) Zu Recht hat das FG angenommen, dass die
Mitteilungen i.S. des § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG keine Anzeigen
i.S. von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 sind (gl.A. Felix,
in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 68 Rdnr. A
12).
aa) Dafür spricht schon die
unterschiedliche Wortwahl in beiden Vorschriften. Denn wer
Kindergeld beantragt oder erhält, hat nach § 68 Abs. 1
Satz 1 EStG die Änderung in den Verhältnissen, die
für die Leistung erheblich sind oder über die im
Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden
sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse
„mitzuteilen“. Hätte der Gesetzgeber mit
dem Unterlassen der Mitteilung eine Hemmung des Anlaufs der
Festsetzungsfrist verknüpfen wollen, ist davon auszugehen,
dass er wie z.B. in § 30 ErbStG oder § 19 GrEStG den
Begriff „anzeigen“ verwendet hätte.
bb) Auch die Gesetzesbegründung
lässt nicht erkennen, dass die Mitteilung als Anzeige i.S. des
§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 konzipiert worden ist. Nach
der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Finanzausschusses zum
Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1996 (BTDrucks 13/1558, 161)
wurde § 68 EStG geschaffen, weil die Pflicht zur Berichtigung
einer durch Zeitablauf unrichtig gewordenen Erklärung in der
AO 1977 nicht geregelt sei.
Aus dem Hinweis in der
Gesetzesbegründung, die Anwendbarkeit des § 153 Abs. 1
und Abs. 2 AO 1977 sei zweifelhaft, lässt sich entgegen der
Auffassung der Familienkasse nicht herleiten, die Mitteilung nach
§ 68 Abs. 1 Satz 1 EStG sei eine dem § 153 Abs. 2 AO 1977
vergleichbare Regelung und damit vom Gesetzgeber als Anzeige i.S.
von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 aufgefasst worden. Denn
ob Anzeigen nach § 153 Abs. 2 AO 1977 anders als Anzeigen nach
§ 153 Abs. 1 AO 1977 zur Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 AO 1977 führen, ist noch nicht geklärt.
Aufgrund der beiläufigen Bemerkung in dem von der
Familienkasse zitierten BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 567, § 1
Abs. 2 Satz 1 KraftStGÄndGDV sei eine Spezialvorschrift zu
§ 153 Abs. 2 AO 1977, kann nicht als entschieden gelten, dass
Anzeigen i.S. des § 153 Abs. 2 AO 1977 zur Hemmung des Anlaufs
der Festsetzungsfrist führen. Im Schrifttum wird - wie oben
dargelegt - die gegenteilige Auffassung vertreten.
cc) Zudem betrifft die Anlaufhemmung nach
§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 nach ihrer Konzeption nur
Fälle, in denen eine Steuer bzw. Steuervergütung noch
nicht festgesetzt ist. Liegt - wie im Streitfall - bereits eine
Festsetzung vor, bleibt der Anlauf der Festsetzungsfrist
unberührt. Es kann sich lediglich die Festsetzungsfrist auf
fünf bzw. zehn Jahre verlängern, wenn das Unterlassen der
Mitteilung den Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung
(§ 378 Abs. 1 AO 1977) oder Steuerhinterziehung (§ 370
Abs. 1 Nr. 2 AO 1977) erfüllt. Hätte der Gesetzgeber es
für den Fall der Verletzung von Mitteilungspflichten nach
Festsetzung der Steuervergütung für erforderlich
gehalten, den Beginn der Festsetzungsfrist hinauszuschieben,
hätte er dies durch Verwendung des für die Anlaufhemmung
einschlägigen Begriffs der Anzeige zum Ausdruck gebracht.
dd) Eine andere Auslegung ist auch nicht
deshalb gerechtfertigt, weil es sich bei der Festsetzung des
Kindergelds um einen Dauerverwaltungsakt handelt, der solange gilt,
bis er bei Änderung der Verhältnisse mit Wirkung vom
Zeitpunkt der Änderung an aufgehoben oder geändert wird
(§ 70 Abs. 2 EStG). Zwar muss der Familienkasse ausreichend
Zeit bleiben, um die Kindergeldfestsetzung an die geänderten
Verhältnisse anzupassen. Ändern sich die
Verhältnisse während des Kalenderjahres, stehen der
Familienkasse aber mit Ablauf des Kalenderjahres vier Jahre, ggf.
auch fünf oder zehn Jahre zur Verfügung, um die
Kindergeldfestsetzung zu ändern oder aufzuheben. Für eine
faktische Verlängerung der Festsetzungsfrist durch
Hinausschieben ihres Beginns gibt es keine zwingenden
Gründe.
ee) Die Familienkasse mag zwar - wie sie
vorträgt - wegen des Charakters der Kindergeldfestsetzung als
Dauerverwaltungsakt auf die ordnungsgemäße Mitwirkung
der Kindergeldberechtigten angewiesen sein. Es ist aber zu
berücksichtigen, dass mit der Stellung eines Antrags auf
Kindergeld zunächst alle wesentlichen Daten über die
Kindergeldberechtigung bekannt sind (z.B. Alter und Wohnsitz des
Kindes und seiner Eltern). Für das Kindergeld erhebliche
Änderungen des Wohnsitzes des Kindes bzw. seiner Eltern werden
der Familienkasse gemäß § 69 EStG in
regelmäßigen Abständen von den Meldebehörden
übermittelt. Die Familienkasse ist daher gerade im Hinblick
auf den Wohnsitzwechsel des Kindes oder seiner Eltern nicht
ausschließlich auf die Mitteilung der Kindergeldberechtigten
angewiesen. Dass die Meldebehörde im Streitfall den
geänderten Wohnsitz des Klägers zu 3. erst so spät
übermittelt hatte, spricht dafür, dass die
Meldebehörde ihre Mitteilungspflicht versäumt hat.
ff) Im Streitfall waren zudem beide
Elternteile für den streitbefangenen Zeitraum dem Grunde nach
kindergeldberechtigt. Das Kindergeld hätte somit in jedem Fall
an einen von beiden ausbezahlt werden müssen, zumindest an die
Beigeladene als vorrangig Berechtigte nach § 64 Abs. 2 Satz 1
EStG. Insoweit kann sich aber die Familienkasse gegenüber der
Beigeladenen hinsichtlich des von ihr geltend gemachten
Kindergeldanspruchs auf den Eintritt der
Festsetzungsverjährung berufen.
c) Der Senat weicht mit seiner Entscheidung
nicht von dem Urteil des VII. Senats in BFH/NV 1992, 567 ab.
Dieses Urteil betraf die Befreiung bestimmter
Kfz in Berlin von der Kraftfahrzeugsteuer. Nach § 1 Abs. 2
Satz 1 KraftStGÄndGDV hatte der Steuerpflichtige dem Finanzamt
unverzüglich „anzuzeigen“, wenn die
Voraussetzungen für die Kraftfahrzeugsteuer wegfielen. Nach
Auffassung des VII. Senats des BFH handelt es sich bei dieser
„Anzeige“ um eine Anzeige i.S. des § 170
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977, die zu einer Anlaufhemmung für
die Frist zur Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer führen
könne.
Die vom VII. Senat entschiedene Rechtsfrage
ist mit der im Streitfall zu entscheidenden Rechtsfrage nicht
vergleichbar. Zum einen wird in § 1 Abs. 2 Satz 1
KraftStGÄndGDV - anders als in § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG -
ausdrücklich der Begriff „anzeigen“
verwendet und zum anderen betrifft § 1 Abs. 2 Satz 1
KraftStGÄndGDV Sachverhalte, in denen noch keine Steuer
festgesetzt worden ist. In diesen Fällen mag es gerechtfertigt
sein, den Anlauf der Festsetzungsfrist hinauszuschieben. Im
Streitfall dagegen geht es um die Aufhebung einer festgesetzten
Steuervergütung.