Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.11.2023 - 8 K 8198/22
= SIS 24 01 06 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Berlin-Brandenburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger), ein eingetragener Verein, verfolgte nach seiner in
den Jahren 2016 und 2017 (Streitjahre) geltenden Satzung
ausschließlich und unmittelbar die „Förderung des
demokratischen Staatswesens“ als
gemeinnützigen Zweck im Sinne der Abgabenordnung (AO).
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Zur Verwirklichung seines Satzungszwecks
unterhielt der Kläger auf seiner Internetseite eine
Online-Plattform, die es den Nutzern ermöglichte,
verschiedenste Anliegen, die auch als
„Petitionen“ oder
„Kampagnen“ bezeichnet wurden, zu
formulieren und zur elektronischen Abstimmung zu stellen, ohne ein
Entgelt hierfür zu entrichten. Mit den Anliegen konnten
grundsätzlich beliebige Forderungen, auch zur
Unterstützung einzelner namentlich genannter Personen, erhoben
und an staatliche und nichtstaatliche Adressaten gerichtet werden.
In den Streitjahren nahm der Kläger bei Anliegen, die er
für erfolgreich oder relevant hielt, direkten Kontakt zu den
Personen auf, die das jeweilige Anliegen gestartet hatten, und bot
ihnen Unterstützung bei der weiteren Durchführung ihrer
„Kampagnen“ an. Neben der
Online-Plattform stellte der Kläger auf seiner Internetseite
Leitfäden, Antworten auf häufig gestellte Fragen und
Schulungsvideos für Nutzer der Plattform zur
Verfügung.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) stellte zunächst die Einhaltung der
satzungsmäßigen Voraussetzungen nach den §§
51, 59, 60 und 61 AO für die Streitjahre fest. In der
Folgezeit erließ das FA allerdings
Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre, in denen
es die Körperschaftsteuer jeweils auf 0 EUR festsetzte und die
Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) versagte, da der Kläger
nach seiner tatsächlichen Geschäftsführung nicht
ausschließlich steuerbegünstigte Zwecke verfolge. Der
Betrieb der Plattform diene dann der Förderung des
demokratischen Staatswesens, wenn er nur Anliegen erfasse, die sich
an staatliche Stellen im Rahmen des Art. 17 des Grundgesetzes (GG)
richteten, nicht aber - wie im Fall des Klägers - auch
Anliegen ermögliche, die sich an nichtstaatliche Stellen
richteten. Die Vermittlung von Wissen zur Durchführung von
„Petitionen“ und
„Kampagnen“ diene zwar der Volks- und
Berufsbildung im Sinne des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AO. Dieser
Zweck sei jedoch in der Satzung in den Streitjahren nicht
genannt.
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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab
das Finanzgericht (FG) mit dem in EFG 2024, 529 = SIS 24 01 06
veröffentlichten Urteil der Klage statt. Die tatsächliche
Geschäftsführung des Klägers sei auf die allgemeine
Förderung des demokratischen Staatswesens gerichtet. Dessen
Förderung verlange ein aktiv werbendes Eintreten für
dessen Grundsätze, erlaube aber auch eine Schwerpunktbildung.
Der Begriff des „demokratischen
Staatswesens“ sei an grundrechtlich
verbürgten Prinzipien, Rechten und Werten auszulegen und
umfasse insbesondere die Ausübung der Grundrechte, wie etwa
der Meinungsfreiheit, und die sich aus dem Demokratieprinzip
ergebende allgemeine demokratische Teilhabe. Da Demokratie ohne
Meinungsfreiheit nicht denkbar sei, fördere der Kläger
das demokratische Staatswesen in seinem Kernbereich, wofür die
Förderung des Einzelnen und dessen Erfahrungen im
demokratischen Prozess - auch ohne messbare Erfolge - genüge.
Die vom FA vorgenommene Beschränkung auf Anliegen, die dem
Anwendungsbereich des Art. 17 GG unterlägen, verenge den
Inhalt des Begriffs des „demokratischen
Staatswesens“ zu sehr und übersehe, dass
der Kläger mit seiner Unterstützung der aktiven Nutzer
der Plattform unmittelbar Meinungsäußerung und
demokratische Teilhabe fördere. Die Tätigkeit des
Klägers gehe über das Vorhalten einer
„üblichen“ Social Media-Plattform
hinaus. Weiter habe der Kläger mit seiner Übersicht der
„Kampagnen“ verdeutlicht, sich die
Inhalte der Anliegen nicht zu eigen zu machen und damit mit der
nötigen geistigen Offenheit tätig zu sein. Ein Konflikt
mit den Vorgaben zur Parteienfinanzierung sei danach nicht
ersichtlich. Unerheblich sei, dass einzelne Anliegen
Einzelinteressen verfolgt hätten, weil sich die Tätigkeit
des Klägers auf die „Vorstufe“ der
Meinungsäußerung zur Zielerreichung beschränke.
Soweit sich durch die Nutzung der Plattform ein Bildungseffekt im
Sinne von „Erfahrung gewinnen“
einstelle, sei dies lediglich eine mittelbare Folge, so dass die
Tätigkeit des Klägers nicht den Tatbestand des § 52
Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AO erfülle.
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Mit seiner hiergegen gerichteten Revision
rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Der Begriff der
„allgemeinen Förderung des demokratischen
Staatswesens“ in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr.
24 AO sei eng auszulegen, wofür auch die territoriale
Begrenzung des Anwendungsbereichs der Vorschrift spreche. Die
einzelnen in § 52 Abs. 2 AO genannten Zwecke müssten
trennscharf voneinander abgegrenzt werden, auch wenn sie sich
eventuell überschnitten. Anderenfalls würde jede
öffentlichkeitswirksame Tätigkeit im Rahmen der
grundgesetzlichen Ordnung den (Auffang-)Tatbestand der allgemeinen
Förderung des demokratischen Staatswesens erfüllen und
die gesondert in § 52 Abs. 2 AO genannten Zwecke wären
überflüssig. Weiter sei der Kläger nicht aktiv
werbend für die demokratischen Grundsätze eingetreten,
sondern stehe ihnen neutral gegenüber, weshalb seiner
Tätigkeit die Unmittelbarkeit fehle. Er habe lediglich die
Plattform und Leitfäden zur Verfügung gestellt, so dass
seine Tätigkeit als Volksbildung nach § 52 Abs. 2 Satz 1
Nr. 7 AO zu verstehen sei. Letztlich entscheide die
„Internet-Community“ über die
gesellschaftspolitische Debatte. Dass der Kläger einzelne
„Kampagnen“ für relevanter halte,
sei ebenfalls im Hinblick auf die erforderliche parteipolitische
Neutralität kritisch zu sehen. Das FG habe ferner zu Unrecht
eine Art Güterabwägung vorgenommen, wenn es bei der
Förderung des demokratischen Staatswesens auf messbare Erfolge
verzichte. Erforderlich sei vielmehr, dass das
„Rechtsgut“ durch eine „messbare
Eigenleistung“ „konkret
berührt“ werde. Zudem erfülle der
Kläger zwar die Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 Satz 1
Nr. 24 AO, soweit es um Anliegen im Sinne des - weit zu
verstehenden - Art. 17 GG gehe. Aus der notwendig engen Auslegung
des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO folge jedoch, dass das
demokratische Staatswesen nicht gefördert werde, soweit
Anliegen an nichtstaatliche Akteure herangetragen würden.
Solche Anliegen dienten nicht der Wahrnehmung der Grundrechte und
genössen daher nicht die staatliche Förderung durch
§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO.
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Das dem Verfahren nach § 122 Abs. 2
Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetretene
Bundesministerium der Finanzen (BMF) trägt vor, der
Kläger habe bei der von ihm angenommenen Relevanz ganz
überwiegend Einzelinteressen ausgewählt, was dem
Grundgedanken des Gemeinnützigkeitsrechts, das eine gesetzlich
vorgesehene Förderung in Form einer Steuerbefreiung sei,
widerspreche. Zudem erfordere die Förderung der
Meinungsfreiheit eine essentielle Förderung, so dass die
bloße Bereitstellung einer Online-Plattform zur Ausübung
der Meinungsfreiheit als untergeordnete Hilfsleistung nicht
gemeinnützig sei. Dies zeige sich auch an der häufigen
Wiederholung des Wortes „Förderung“
in § 52 Abs. 1 und 2 AO. Für den Zweck des § 52 Abs.
2 Satz 1 Nr. 24 AO bedürfe es danach einer erkennbaren
Diskussion und der kritischen Auseinandersetzung mit den jeweiligen
demokratischen Grundwerten in ihrem Kern, also einer umfassenden
Befassung. Nicht ausreichend sei der bloß formale Hinweis auf
die Möglichkeit, die Meinungsfreiheit im digitalen Raum
ausüben zu können. Das FG habe insoweit zu Unrecht auf
die Unterstützung der aktiven Nutzer abgestellt, da dies eine
nicht signifikante Förderung von Einzelfällen gewesen
sei.
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Das FA und das BMF beantragen,
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das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Er, der Kläger, fördere die
Meinungsäußerung sowie die demokratische Teilhabe
unabhängig von dem Adressaten des Anliegens und ohne dies
inhaltlich einzugrenzen. Elementar sei, dass es sich jeweils um ein
Anliegen handele, dem ein Mindestmaß an gesellschaftlicher
Bedeutung innerhalb des verfassungsmäßigen Rahmens
zukomme, so dass die Sphäre des demokratischen
Aushandlungsprozesses in einer Vorstufe der Meinungsbildung
berührt sei. Insoweit seien auch Anliegen, die an
nichtstaatliche Stellen gerichtet seien, erheblich für das
demokratische Staatswesen. Eine Verengung des § 52 Abs. 2 Satz
1 Nr. 24 AO auf das „staatliche
Petitionswesen“ verkenne, dass der
institutionalisierte Teil des Staatswesens ohnehin der Demokratie
verpflichtet sei. Eine derartige Verdichtung ergebe sich auch nicht
aus Art. 20 Abs. 2 GG, der eine Entscheidung für das
demokratische Staatswesen als Strukturprinzip enthalte. Er, der
Kläger, fördere diese Strukturentscheidung, da er die
Voraussetzungen schaffe, um diese Entscheidung des
Verfassungsgebers vollziehen zu können. Er erhöhe mit
seiner Tätigkeit die Mündigkeit des Volkes. Dass er, der
Kläger, sich nicht mit den Inhalten der Anliegen befasse, sei
geradezu eine Voraussetzung für die allgemeine Natur seiner
Handlungen zur Förderung der wirksamen Teilhabe der Nutzer an
den demokratischen Prozessen. Er unterstütze auch
widersprüchliche „Petitionen“,
wobei er im Rahmen seiner begrenzten personellen Ressourcen nach
objektiven Kriterien die Relevanz der Themen auswähle, bei
denen er direkt die Personen kontaktiere, die das Anliegen
gestartet hätten. Die Anforderungen dürften insoweit
nicht überspannt werden, da auch eine trennscharfe Abgrenzung
sich ausschließender Anliegen nicht möglich sei. Das FG
habe dies intensiv geprüft und in seinem Urteil in einer
Gesamtschau bejaht, dass seine, des Klägers, Tätigkeit
offen und parteipolitisch neutral sei. Weiter stelle § 52 Abs.
2 Satz 1 Nr. 24 AO den Begriff des Staatswesens in einen besonderen
Zusammenhang mit der Demokratie und sei daher als
eigenständige Vorschrift notwendig, wobei die territoriale
Begrenzung der Regelung nur aus außenpolitischer
Rücksichtnahme bestehe. Im Übrigen fehle es seiner
Tätigkeit nicht an der Unmittelbarkeit, da er die Nutzer der
Plattform in der Ausübung und Festigung ihrer demokratischen
Beteiligungsmöglichkeiten und damit in ihren demokratischen
Überzeugungen unmittelbar fördere und auch kein -
quantitatives - Mindestmaß an Auswirkungen abverlangt werden
könne.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG
zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das
FG, das zutreffend davon ausgegangen ist, dass der Kläger
trotz der Festsetzung der Körperschaftsteuer auf jeweils 0 EUR
beschwert ist (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
26.05.2021 - V R 31/19, BFHE 272, 335, BStBl II 2021, 835 = SIS 21 14 69, Rz 28), hat bei seiner Entscheidung, ob eine allgemeine
Förderung des demokratischen Staatswesens im Sinne des §
52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO vorliegt, Art. 20 Abs. 2 GG außer
Betracht gelassen. Die Sache ist nicht spruchreif.
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1. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG sind
Körperschaften, Personenvereinigungen und
Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem
Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der
tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich
und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder
kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO), von der
Körperschaftsteuer befreit. Die tatsächliche
Geschäftsführung der Körperschaft muss auf die
ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der
steuerbegünstigten Zwecke gerichtet sein und den Bestimmungen
entsprechen, die die Satzung über die Voraussetzungen für
Steuervergünstigungen enthält (§ 63 Abs. 1 AO). Nach
§ 52 Abs. 1 Satz 1 AO verfolgt eine Körperschaft
gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf
gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder
sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Unter den
Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 AO ist nach § 52 Abs. 2
Satz 1 Nr. 24 Halbsatz 1 AO als Förderung der Allgemeinheit
die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im
Geltungsbereich der Abgabenordnung anzuerkennen. Hierzu
gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen
staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den
kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind (§ 52 Abs. 2
Satz 1 Nr. 24 Halbsatz 2 AO).
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2. § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 Halbsatz 1
AO definiert den Begriff des demokratischen Staatswesens nicht.
Dessen Bedeutungsgehalt ist daher unter Berücksichtigung der
Strukturprinzipien der bundesstaatlichen Verfassung in Art. 20 GG
zu ermitteln. Nach Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik
Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat und
gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG geht alle Staatsgewalt
vom Volke aus, wobei diese vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und
durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt
und der Rechtsprechung ausgeübt wird (Art. 20 Abs. 2 Satz 2
GG). Danach erfordert das in Art. 20 GG verankerte
Demokratieprinzip, dass die Möglichkeit gleichberechtigter
Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der
politischen Willensbildung besteht und sich alle Akte der
Ausübung der Staatsgewalt auf den Willen des Volkes
zurückführen lassen (Urteil des Bundesverfassungsgerichts
- BVerfG - vom 17.01.2017 - 2 BvB 1/13, BVerfGE 144, 20, unter
C.II.1.d aa und bb, juris, Rz 543 bis 545; vgl. BVerfG-Urteil vom
23.01.2024 - 2 BvB 1/19, BVerfGE 168, 193, unter D.I.2.a aa, juris,
Rz 211 und 212).
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Da die Staatsorgane durch den Prozess der
politischen Willensbildung des Volkes, der in die Wahlen
einmündet, erst hervorgebracht werden, muss sich in einem
demokratischen Staatswesen die Willensbildung des Volkes frei,
offen und unreglementiert vollziehen (vgl. BVerfG-Urteil vom
19.07.1966 - 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56, unter C.II.1.a, juris, Rz
115). Das bedeutet, dass es den Staatsorganen grundsätzlich
verwehrt ist, sich in Bezug auf den Prozess der Meinungs- und
Willensbildung des Volkes zu betätigen, so dass dieser Prozess
also grundsätzlich „staatsfrei“
bleiben muss. Art. 5 GG garantiert auch insoweit die freie Bildung
der öffentlichen Meinung. In die öffentliche
Meinungsbildung und damit in die Vorformung der politischen
Willensbildung des Volkes gehen insbesondere die vielfältigen,
sich möglicherweise widersprechenden, ergänzenden,
gegenseitig beeinflussenden Wertungen, Auffassungen und
Äußerungen des Einzelnen, der Gruppen, der politischen
Parteien, Verbände und sonstigen gesellschaftlichen Gebilde
ein (BVerfG-Urteil vom 30.07.1958 - 2 BvF 3/58, BVerfGE 8, 104,
unter B.II.4., juris, Rz 33). Einwirkungen der gesetzgebenden
Körperschaften und von Regierung und Verwaltung auf diesen
Prozess sind nur dann mit dem demokratischen Grundsatz der freien
und offenen Meinungs- und Willensbildung vom Volk zu den
Staatsorganen vereinbar, wenn sie durch einen besonderen, sie
verfassungsrechtlich legitimierenden Grund gerechtfertigt werden
können (BVerfG-Urteil vom 19.07.1966 - 2 BvF 1/65, BVerfGE 20,
56, unter C.II.1.a, juris, Rz 117).
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3. Gehört somit zum demokratischen
Staatswesen im Sinne von § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO die
freie, offene und unreglementierte politische Willensbildung in
Bezug auf die Ausübung der Staatsgewalt, kann dieses
Staatswesen durch die Zurverfügungstellung einer hierfür
eingerichteten Online-Plattform gefördert werden, wenn deren
Betreiber die dort zur Abstimmung gestellten Anliegen - auch
parteipolitisch - neutral und ohne inhaltliche Wertung fördert
und sich dabei innerhalb des allgemeinen Rahmens des
Gemeinnützigkeitsrechts (wie etwa § 51 Abs. 3 AO)
bewegt.
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a) Nach seinem Wortlaut beschränkt §
52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO die Gemeinnützigkeit auf die
allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens und damit
auf Betätigungen, die sich nur in allgemeiner Form für
die freiheitliche demokratische Grundordnung einsetzen, wie etwa
das Eintreten für demokratische Grundwerte (vgl.
Hüttemann, DB 2019, 744, 749).
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Aus dem
„staatsfreien“ Prozess der Meinungs- und
Willensbildung (s. oben II.2.) folgt dabei für die Auslegung
von § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO, dass es mit der hierin
vorgesehenen allgemeinen Förderung des demokratischen
Staatswesens nicht vereinbar ist, die Verbreitung bestimmter
Auffassungen im Rahmen dieser Meinungs- und Willensbildung zu
fördern. Bei der damit verbundenen Ausübung der
Meinungsfreiheit durch Unterstützung bestimmter - etwa
politischer - Meinungen als Ausübung eines Grundrechts handelt
es sich nicht um einen eigenständigen gemeinnützigen
Zweck im Sinne des § 52 AO. Die staatliche Förderung von
Körperschaften durch das Gemeinnützigkeitsrecht erfolgt
nur für die in § 52 Abs. 2 AO genannten Zwecke, die vom
Gesetzgeber als förderungswürdig anerkannt worden sind
(„gegenständlich beschränktes
Tätigwerden“, vgl. BVerfG-Urteil vom
24.07.1979 - 2 BvF 1/78, BVerfGE 52, 63 = SIS 79 03 10, unter
C.III., juris, Rz 98), zu denen die Förderung der
Ausübung von Grundrechten im Sinne eines eigenständigen
Tatbestandes nicht gehört. Hinzu kommt, dass sich die
allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Sinne
des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 Halbsatz 1 AO - entsprechend der
Förderung der Volksbildung im Sinne des § 52 Abs. 2 Satz
1 Nr. 7 AO - in geistiger Offenheit vollziehen muss (vgl. zu dieser
BFH-Urteil vom 10.01.2019 - V R 60/17, BFHE 263, 290, BStBl II
2019, 301 = SIS 19 00 82, Rz 23 und 27; zur geistigen Offenheit
„politischer“ Stiftungen BVerfG-Urteil
vom 22.02.2023 - 2 BvE 3/19, BVerfGE 166, 93, unter C.II.1.a,
juris, Rz 197).
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b) Weiter sind Tätigkeiten von
Körperschaften, die den Zweck des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr.
24 AO verfolgen und dabei den Prozess der Meinungs- und
Willensbildung als solchen fördern, von Tätigkeiten zu
unterscheiden, die - wie bei Parteien - auf die Mitwirkung bei der
politischen Willensbildung des Volkes gerichtet sind (vgl. Art. 21
Abs. 1 Satz 1 GG; vgl. auch BVerfG-Urteil vom 22.02.2023 - 2 BvE
3/19, BVerfGE 166, 93, unter C.I.1.b, juris, Rz 170; vgl. zur
kommunalen Ebene z.B. BVerfG-Beschluss vom 17.04.2008 - 2 BvL 4/05,
BVerfGE 121, 108 = SIS 08 32 52, unter C.I.2.b cc und C.II.1.b, Rz
54, 55 und 63). Insoweit ist eine § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO
entsprechende Förderung des offenen Prozesses der politischen
Willensbildung von der Einflussnahme auf die „politische
Willensbildung“ (§ 2 Abs. 1 des
Parteiengesetzes - PartG - ) und der Einflussnahme auf die
„Gestaltung der öffentlichen
Meinung“ (§ 1 Abs. 2 PartG) abzugrenzen.
Der erkennende Senat berücksichtigt hierzu auch die bei
Parteien bestehenden Offenlegungspflichten im Hinblick auf
Zuwendungen (§§ 23 ff. PartG), die dem
Gemeinnützigkeitsrecht mangels gesetzlicher
Transparenzanforderungen wie etwa Rechenschaftspflichten fremd sind
(vgl. Hüttemann, DB 2019, 744, 752; Musil in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 52 AO Rz 251 und
Weitemeyer, Zeitschrift für das Recht der Non Profit
Organisationen - npoR - 2019, 97, 106) wie auch die
Entstehungsgeschichte des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO, aus
der gleichfalls eine Eigenständigkeit dieser Bereiche folgt
(vgl. auch Weitemeyer, npoR 2019, 97, 101 ff.).
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aa) § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO geht auf
§ 49 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung vom
21.12.1955 (BGBl I 1955, 756) - EStDV 1955 - zurück, der den
seinerzeit neu eingeführten Sonderausgabenabzug für
Ausgaben zur Förderung „staatspolitischer
Zwecke“ (§ 10b des
Einkommensteuergesetzes - EStG - i.d.F. von Art. 1 Nr. 18 Buchst. a
des Gesetzes zur Neuordnung von Steuern vom 16.12.1954, BGBl I
1954, 373) konkretisierte, mit dem „vor allem auch bestimmte
Beiträge und sonstige Zuwendungen an politische Parteien
begünstigt werden“ sollten (BT-Drucks.
2/961, S. 6). Neben dem danach durch § 49 Nr. 1 und 2 EStDV
1955 ermöglichten Abzug von Spenden für politische
Parteien gestattete § 49 Nr. 3 EStDV 1955 den Abzug von
Ausgaben zur Förderung „staatspolitischer
Zwecke“ an juristische Personen, die
ausschließlich allgemeinen staatspolitischen Zwecken dienten
und die durch die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates
bestimmt wurden. § 49 Nr. 3 Satz 2 EStDV 1955 definierte die
„allgemeinen staatspolitischen Zwecke“
als solche, die auf die allgemeine Förderung des
demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich des Grundgesetzes
und in Berlin (West) gerichtet waren, und schloss Bestrebungen, die
nur bestimmte Einzelinteressen staatspolitischer Art verfolgten,
aus. Diese Begünstigung sollte nach einer seinerzeit
vertretenen Auffassung im Schrifttum auch für andere
Einrichtungen gelten, die der Förderung des demokratischen
Staatswesens dienten und die im politischen Leben in Erscheinung
traten (Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl. 1955,
§ 10b EStG Anm. 5a).
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bb) Nachdem das BVerfG unter anderem § 49
Nr. 1 und 2 EStDV 1955 für nichtig erklärt hatte
(BVerfG-Urteil vom 24.06.1958 - 2 BvF 1/57, BVerfGE 8, 51), wurde
§ 49 EStDV insoweit geändert, als diese Vorschrift
Spenden für politische Parteien nunmehr vom
Sonderausgabenabzug ausschloss (§ 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStDV
in der ab 13.03.1959 geltenden Fassung - EStDV 1958 -, BGBl I 1959,
121). § 49 Abs. 1 Satz 2 EStDV 1958 übernahm aus §
49 Nr. 3 Satz 2 EStDV 1955 die Definition der
„allgemeinen“ staatspolitischen Zwecke
und schloss darüber hinaus Bestrebungen, die auf den
kommunalpolitischen Bereich beschränkt waren, von den
staatspolitischen Zwecken aus.
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cc) Die Zuordnung der allgemeinen
Förderung des demokratischen Staatswesens in den Katalog der
gemeinnützigen Zwecke erfolgte erst durch die Übernahme
der in § 49 Abs. 1 Satz 2 EStDV 1958 enthaltenen Formulierung,
die bis dahin - anders als die Steuervergünstigung nach
§§ 51 ff. AO - lediglich einen Spendenabzug
ermöglicht hatte, in den damaligen § 52 Abs. 2 Nr. 3 AO
durch das Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer
Gesetze vom 22.12.1983 (BGBl I 1983, 1577), wobei das Wort
„staatspolitischer“ nach dem Wort
„Einzelinteressen“ im
Gesetzgebungsverfahren ohne Begründung in
„staatsbürgerlicher“ geändert
wurde (BT-Drucks. 10/183, S. 7 und BT-Drucks. 10/684, S. 18). Mit
der Zuordnung zum Gemeinnützigkeitsrecht sollten Spenden an
die in Abschn. 112 der Einkommensteuer-Richtlinien 1981 - EStR 1981
- (BStBl I, Sondernr. 1/1982) genannten Institutionen im Rahmen des
§ 10b Abs. 1 Satz 1 EStG steuerlich begünstigt bleiben
(BT-Drucks. 10/697, S. 11), wobei allerdings § 10b Abs. 1 Satz
1 EStG - neben mildtätigen, kirchlichen, religiösen und
wissenschaftlichen Zwecken - nur Ausgaben zur Förderung der
als besonders förderungswürdig anerkannten
gemeinnützigen Zwecke (Anlage 7 zu Abschn. 111 Abs. 1 EStR
1981, z.B. die Förderung der Volksbildung; § 48 Abs. 4
EStDV 1981 - BGBl I 1982, 700 -, Abschn. 111 Abs. 2 EStR 1981) zum
Abzug zuließ, zu denen die allgemeine Förderung des
demokratischen Staatswesens gerade nicht gehörte.
Demgegenüber wurde - auf Grundlage des Berichtes zur
Neuordnung der Parteienfinanzierung (Beilage zum Bundesanzeiger Nr.
97 vom 26.05.1983, S. 45 f.) - wieder eine prozentuale steuerliche
Abzugsfähigkeit von Spenden an politische Parteien
eingeführt und definierte die Neufassung des § 10b Abs. 2
Satz 1 EStG als Ausgaben zur Förderung staatspolitischer
Zwecke nur noch Mitgliedsbeiträge und Spenden an politische
Parteien im Sinne des § 2 PartG.
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dd) Eine Abzugsfähigkeit von Ausgaben zur
allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens
ermöglichte schließlich das Gesetz zur weiteren
Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements vom
10.10.2007 (BGBl I 2007, 2332), das die Begünstigung von
Zuwendungen in § 10b EStG auf alle steuerbegünstigten
Zwecke im Sinne der §§ 52 bis 54 AO ausdehnte (vgl.
Hüttemann, Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 5.
Aufl., Rz 3.166) und das diesen Zweck nunmehr in § 52 Abs. 2
Satz 1 Nr. 24 AO erfasste.
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c) Die vorstehende Abgrenzung zwischen der
§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO entsprechenden Förderung des
„staatsfreien“ Prozesses der Meinungs-
und Willensbildung einerseits und der damit nicht zu vereinbarenden
Förderung politischer Einzelmeinungen im Rahmen dieses
Prozesses andererseits entspricht der bisherigen Rechtsprechung des
BFH. Danach ist die Einflussnahme „auf die politische
Willensbildung“ durch „Gestaltung der
öffentlichen Meinung“ nicht als
eigenständige Förderung der Allgemeinheit auf
materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet im Sinne von §
52 AO anzusehen (z.B. BFH-Urteil vom 10.01.2019 - V R 60/17, BFHE
263, 290, BStBl II 2019, 301 = SIS 19 00 82, Rz 31). Weder darf ein
„politischer Zweck als alleiniger und ausschließlicher
oder als überwiegender Zweck in der Satzung einer
Körperschaft festgelegt“ sein noch darf
die Vereinigung mit ihrer tatsächlichen
Geschäftsführung ausschließlich oder
überwiegend einen politischen Zweck verfolgen (BFH-Urteil vom
29.08.1984 - I R 203/81, BFHE 142, 51, BStBl II 1984, 844 = SIS 84 23 06, unter 3.b (2)). Hiervon zu unterscheiden ist die
Einflussnahme auf die politische Willensbildung und die
„öffentliche Meinung“ zur
Verfolgung der in § 52 Abs. 2 AO ausdrücklich genannten
Zwecke. Der Gewährung einer Steuervergünstigung steht
nicht entgegen, wenn eine nach § 52 Abs. 2 AO begünstigte
Tätigkeit im Einzelfall zwangsläufig mit einer gewissen
politischen Zielsetzung verbunden ist (BFH-Urteil vom 10.01.2019 -
V R 60/17, BFHE 263, 290, BStBl II 2019, 301 = SIS 19 00 82, Rz 18
und 20; BFH-Beschluss vom 18.08.2021 - V B 25/21 (AdV), BFHE 273,
404, BStBl II 2021, 931 = SIS 21 17 39, Rz 24). Ist es einer
Körperschaft danach möglich, im Rahmen ihres
gemeinnützigen Zwecks insoweit auf die politische
Willensbildung Einfluss zu nehmen, folgt hieraus zugleich, dass
eine allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im
Sinne des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO ausgeschlossen ist,
wenn die Tätigkeit auf die Verbreitung bestimmter politischer
Meinungen oder einer eigenen Meinung gerichtet ist oder ihr die
parteipolitische Neutralität fehlt, was auch dadurch
erfüllt ist, wenn andere Meinungen als eigene übernommen
werden oder Kriterien, die zur Förderung bestimmter Anliegen
führen, die notwendige Offenheit fehlt.
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Im Übrigen kommt es nach dieser
Rechtsprechung entgegen der Ansicht des FA und des BMF nicht in
Betracht, eine besondere Intensität der Tätigkeit zu
fordern. Denn nach § 52 Abs. 1 Satz 1 AO muss die
Tätigkeit der Körperschaft lediglich darauf gerichtet
sein, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem
Gebiet zu fördern. Demgemäß reicht es aus, dass die
Handlungen der Körperschaft ernsthaft auf die Erfüllung
des steuerbegünstigten Zwecks gerichtet und hierzu objektiv
geeignet sind (vgl. BFH-Urteile vom 13.12.1978 - I R 39/78, BFHE
127, 330, BStBl II 1979, 482 = SIS 79 02 40, unter I.4.b und vom
23.07.2003 - I R 29/02, BFHE 203, 251, BStBl II 2003, 930 = SIS 03 51 58, unter 4.d).
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4. Im Streitfall hat das FG zwar im Ergebnis
zutreffend entschieden, dass eine Beschränkung des § 52
Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO auf (nur) von Art. 17 GG umfasste Anliegen
nicht in Betracht kommt, wie sich aus der nach Maßgabe von
Art. 20 Abs. 2 GG gebotenen Auslegung ergibt. Hieraus folgt aber
auch, dass der Betrieb einer Online-Plattform, auf der die Anliegen
Dritter zur Abstimmung gestellt werden, nur dann als Förderung
der Allgemeinheit im Sinne von § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO
anzusehen ist, wenn die dort zur Abstimmung gestellten Anliegen auf
eine öffentliche Meinungsbildung mit Bezug zur Ausübung
von Staatsgewalt Einfluss nehmen sollen. Im Hinblick darauf, dass
Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG die Ausübung von Staatsgewalt durch
„besondere Organe der Gesetzgebung“
erwähnt, kann es sich dabei um ein beliebiges Thema handeln,
das aber - beispielsweise als Verhandlungsgegenstand (vgl. §
75 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom
25.06.1980, BGBl I 1980, 1237, zuletzt geändert
gemäß Bekanntmachung vom 22.02.2024, BGBl I 2024, Nr.
64) - geeignet sein muss, Gegenstand einer parlamentarischen
Befassung zu sein. Daher verlässt der Betreiber einer
Online-Plattform den Bereich der Förderung des demokratischen
Staatswesens, wenn dort Anliegen in Bezug auf Themen zur Abstimmung
gestellt werden, auf die dies - wie etwa auf die in der
mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat
angesprochenen Fälle der Kündigung eines Mietvertrags
über einen bestimmten Kiosk zwischen zwei
Privatrechtssubjekten oder den eines Boykottaufrufs gegenüber
einem Privatrechtssubjekt als inländischem
Grundrechtsträger - nicht zutrifft. Letzteres kann zwar als
freie Meinungsäußerung anzusehen sein (vgl. hierzu z.B.
BVerfG-Urteil vom 15.01.1958 - 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, unter
B.II.3 und B.II.4., juris, Rz 38 und 39; BVerfG-Beschluss vom
26.02.1969 - 1 BvR 619/63, BVerfGE 25, 256, unter II.1., juris, Rz
17 und 18), reicht aber für die Annahme einer Förderung
der Allgemeinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 24 AO
nicht aus. Danach ist das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an
das FG zurückzuverweisen, damit das FG in einem zweiten
Rechtsgang prüft, ob die Tätigkeit des Klägers auch
unter Berücksichtigung der sich aus Art. 20 Abs. 2 GG
ergebenden Einschränkung als Förderung des demokratischen
Staatswesens anzusehen ist.
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5. Für den zweiten Rechtsgang weist der
Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
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a) Soweit die Tätigkeit des Klägers
auch die aktive Beratung bestimmter Anliegen durch den Kläger
umfasste, lässt sich dem Urteil des FG nur entnehmen, dass der
Kläger auf Befragung des FG im Rahmen der mündlichen
Verhandlung erklärt hat, selbst die auf der Plattform
gestarteten „Kampagnen“ täglich zu
sichten und auf Relevanz und voraussichtlichen Erfolg zu
untersuchen. Insoweit habe der Vorstand des Klägers auf die
bereits mit Schriftsatz vom 04.07.2019 im Veranlagungsverfahren
vorgetragenen Auswahlkriterien verwiesen. Bei
„Kampagnen“, die für erfolgreich
oder relevant gehalten worden seien, habe dann ein Mitarbeiter
Kontakt mit dem „Petenten“ aufgenommen
und Unterstützung hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung
angeboten, um eine effektive Meinungsbildung zu ermöglichen.
Außerdem seien jeweils Hinweise zur Verwaltung der
„Kampagne“ gegeben worden. Zudem habe
der Kläger auch die Kontaktaufnahme des
„Petenten“ zu dem relevanten
Entscheidungsträger unterstützt. Im Zweifel
unterstütze der Kläger auch sich inhaltlich
widersprechende „Kampagnen“, da er nur
rechtswidrige „Kampagnen“ nicht zulasse,
sonst aber inhaltlich nicht eingreife (FG-Urteil in EFG 2024, 529 =
SIS 24 01 06, Rz 20). In dem vom FG in Bezug genommenen Schriftsatz
vom 04.07.2019 verweist der Kläger darauf, dass im Streitjahr
2017 insgesamt 8.894 „Petitionen“ auf
die Plattform gestellt worden seien und er in den Streitjahren 188
Anliegen intensiv in direktem Kontakt mit den
„Petenten“ unterstützt habe. Die
Liste der aktiv unterstützten Anliegen zeige, dass auch
insoweit keinerlei Auswahl nach bestimmten Themen oder nach einer
bestimmten politischen Richtung erfolge, sondern nach
gesellschaftlicher Relevanz „usw“.
Einzelinteressen würden so gerade nicht unterstützt.
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Ungeachtet dessen, dass sich das FG insoweit -
in nicht zureichender Weise - allein auf das Klägervorbringen
stützt, kann diesen Feststellungen nicht entnommen werden, ob
der Kläger sich zur Verfolgung des in § 52 Abs. 2 Satz 1
Nr. 24 AO genannten Zwecks auf die Förderung des offenen
Prozesses der politischen Willensbildung beschränkt oder ob er
sich - dem entgegenstehend - durch die aktive Förderung
bestimmter Anliegen bestimmte Meinungen zu eigen gemacht hat und ob
die von ihm angewendeten Kriterien die notwendige geistige
Offenheit gewährleisteten (vgl. BFH-Urteil vom 23.11.1988 - I
R 11/88, BFHE 155, 461, BStBl II 1989, 391 = SIS 89 16 37, unter
II.4.c), damit nicht ausschließlich oder überwiegend
bestimmte politische Zwecke verfolgt wurden (vgl. BFH-Urteil vom
29.08.1984 - I R 203/81, BFHE 142, 51, BStBl II 1984, 844 = SIS 84 23 06, unter 3.b(2)). So hat das FG beispielsweise nicht
festgestellt, nach welchen Kriterien der „kleine Teil der
Gemeinschaft“, dessen Reaktion nach eigenem
Vortrag des Klägers ein entscheidendes Kriterium der aktiven
Beratung des Klägers war, bestimmt war. Ebenso wenig ist
ersichtlich, mit welchem Inhalt die übrigen Kriterien, die
ebenfalls Wertungen unterliegen, ausgefüllt waren. Weiter kann
das FG der Frage nachzugehen haben, ob die vom Kläger
angewendeten Kriterien noch die Offenheit des Prozesses der
politischen Willensbildung fördern, wenn sie - beispielsweise
durch Berücksichtigung quantitativer Elemente - dazu
führen, bestimmte Anliegen deshalb aktiv zu fördern, weil
diese Anliegen mit besonderer Intensität von Dritten verfolgt
werden und eine hieraus erfolgende Verstärkung der Reichweite
dieser Anliegen durch den Kläger somit als nicht mehr neutral,
sondern als parteiergreifend anzusehen wäre. Eine Auswahl, die
dazu führt, dass im Prozess der politischen Willensbildung
jeweils die „lautstärkeste“ Meinung
gefördert würde, könnte dabei einer staatlichen
Förderung durch das Gemeinnützigkeitsrecht
entgegenstehen. Die erforderlichen tatsächlichen
Feststellungen und die tatsächliche Würdigung sind im
zweiten Rechtsgang nachzuholen.
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b) Das FG wird auch prüfen müssen,
nach welchen - die geistige Offenheit gewährleistenden -
Kriterien der Kläger entschieden hat, dass
„Petitionen“ einen offensichtlich
rechtswidrigen Inhalt hatten und deshalb nicht auf die Plattform
zur elektronischen Abstimmung gestellt wurden (vgl. auch zur
erforderlichen Tätigkeit im Rahmen der
verfassungsmäßigen Ordnung z.B. BFH-Urteil vom
29.10.1997 - I R 13/97, BFHE 184, 226, BStBl II 1998, 9 = SIS 98 04 62, unter II.3.b).
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c) Ferner wird das FG - sofern
entscheidungserheblich - sich damit auseinandersetzen müssen,
ob die Beschränkung des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO auf
den Geltungsbereich der Abgabenordnung eine bloß
räumliche Beschränkung der Betätigung des
Klägers bedeutet oder ob damit allein das demokratische
Staatswesen im Inland Gegenstand der Förderung ist (vgl. Musil
in HHSp, § 52 AO Rz 252 und Hüttemann,
Gemeinnützigkeitsrecht und Spendenrecht, 5. Aufl., Rz
3.167).
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d) Sofern das FG zu der Auffassung gelangt,
der Kläger verfolge eine allgemeine Förderung des
demokratischen Staatswesens im Sinne des § 52 Abs. 2 Satz 1
Nr. 24 AO und übe eine wirtschaftliche Tätigkeit aus,
wird es sich damit auseinanderzusetzen haben, ob eine staatliche
Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorliegt, die dem
beihilferechtlichen Durchführungsverbot gemäß Art.
108 Abs. 3 Satz 3 AEUV unterliegt (vgl. hierzu allgemein
BFH-Beschluss vom 13.03.2019 - I R 18/19, BFHE 265, 23 = SIS 19 15 53, Rz 53, 66 f., 69 ff.), oder ob es sich unter
Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (s.
oben unter II.3.b cc) um eine
„bestehende“ Beihilferegelung im Sinne
des Art. 108 Abs. 1 Satz 1 AEUV handeln könnte.
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e) Sollte der Kläger mit den von ihm zur
Abstimmung gestellten Meinungen in Einzelfällen gegen die
gemeinnützigkeitsrechtlichen Anforderungen verstoßen
haben, hat das FG im Übrigen zu entscheiden, ob bei lediglich
vereinzelten Verstößen das
Verhältnismäßigkeitsprinzip und der ihm
innewohnende Bagatellvorbehalt dem Verlust der
Gemeinnützigkeit entgegenstehen kann (vgl. BFH-Urteil vom
12.03.2020 - V R 5/17, BFHE 268, 415, BStBl II 2021, 55 = SIS 20 11 12, Rz 61).
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6. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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