Die Revision des Klägers gegen das Urteil
des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 22.09.2022 - 1 K
17/20 = SIS 23 01 45 wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Kläger zu tragen.
Außergerichtliche Kosten der
Beigeladenen werden nicht erstattet.
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I. Streitig ist, ob die Besteuerung von
Ausschüttungen einer in einem Mitgliedstaat der
Europäischen Union (EU) ansässigen
Beteiligungsgesellschaft an eine deutsche Organgesellschaft bei der
deutschen Organträger-Personengesellschaft gegen die Richtlinie 90/435/EWG des Rates
vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter-
und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten
(Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 1990, Nr.
L 225, 6, Nr. L 266, 20) - Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR) -, neu
gefasst durch Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30.11.2011
über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und
Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Amtsblatt der
Europäischen Union 2011, Nr. L 345, 8)
verstößt.
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Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist ehemaliger Gesellschafter der A GmbH & Co. KG (A
KG), die die finanzgerichtliche Klage erhoben hatte und
während des finanzgerichtlichen Verfahrens vollbeendet wurde.
Bei dieser handelt es sich um die vormalige B GmbH & Co. KG Holding
(B KG), die in 2014 ihre Firma geändert hatte.
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3
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Im Jahr 2009 (Streitjahr) waren an der B KG
die C GmbH ohne kapitalmäßige Beteiligung als
Komplementärin sowie der Kläger zu 96 % und die
Beigeladene zu 4 % als Kommanditisten beteiligt. In 2014 schied die
Beigeladene aus der B KG aus; ihre Anteile gingen im Wege der
Sonderrechtsnachfolge auf den Kläger über. Die C GmbH
änderte ihre Firma in 2015 in D GmbH.
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Mit Kauf- und Übertragungsvertrag vom
17.03.2020 übertrug der Kläger einen Teil seines Anteils
an der A KG im Wege der Sonderrechtsnachfolge auf die E B.V. Nach
der Anmeldung zum Handelsregister vom 03.04.2020 traten zu diesem
Zeitpunkt der Kläger sowie die persönlich haftende
Gesellschafterin D GmbH aus der Gesellschaft aus. Das Geschäft
der A KG wurde ohne Liquidation mit allen Aktiven und Passiven von
der E B.V. übernommen. Am 19.05.2020 erfolgte die
Löschung der A KG aus dem Handelsregister.
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Die C GmbH war im Streitjahr zu 50 % an
einer dänischen Gesellschaft, der F A/S, beteiligt.
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Die B KG hielt im Streitjahr 100 % der
Anteile an der C GmbH (Komplementärin); es lag somit eine
sogenannte Einheits-GmbH & Co. KG vor.
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Der Gesellschaftsvertrag der B KG vom
23.09.2002 enthielt zur Geschäftsführung und Vertretung
folgende Regelungen:
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„§ 8 Geschäftsführung,
Vertretung
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(1) Zur Geschäftsführung und
Vertretung ist der persönlich haftende Gesellschafter allein
berechtigt.
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(2) Der persönlich haftende
Gesellschafter ist von der Beschränkung des § 181 BGB
befreit. Er führt die Geschäfte mit der Sorgfalt eines
ordentlichen Geschäftsmannes.
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(3) Werden die Anteile an einer
Kapitalgesellschaft, die persönlich haftender Gesellschafter
dieser Gesellschaft ist, von der Gesellschaft selbst gehalten (sog.
Einheitsgesellschaft), gilt für die Beschlußfassung,
Geschäftsführung und Vertretung folgendes:
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a) Hinsichtlich der Anteile an dem
persönlich haftenden Gesellschafter, die im Eigentum der
Gesellschaft stehen, sind statt des persönlich haftenden
Gesellschafters die Kommanditisten
geschäftsführungsbefugt. Der persönlich haftende
Gesellschafter verpflichtet sich, insoweit von seiner
Vertretungsbefugnis für die Gesellschaft keinen Gebrauch zu
machen.
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b) Im Rahmen dieser Befugnis ist jeder
Kommanditist allein zur Vertretung der Gesellschaft
berechtigt.
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c) Die Kommanditisten üben ihre
Befugnis in der Weise aus, dass sie in einer
Kommanditistenversammlung entsprechend den Regelungen dieses
Gesellschaftsvertrages über Gesellschafterversammlungen und
Gesellschafterbeschlüsse einen Beschluß fassen und
anschließend der von ihnen bestimmte Kommanditist die
beschlossene Maßnahme namens der Gesellschaft unter
Einhaltung der vorgeschriebenen Form
ausführt.“
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Die B KG war im Streitjahr an einer
Vielzahl von Gesellschaften beteiligt. Außerdem war sie durch
die Erbringung von Dienstleistungen gegenüber
Konzerngesellschaften gewerblich tätig.
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Am 23.04.2009 schloss die B KG als
Organträgerin mit der C GmbH als Organgesellschaft einen
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (GAV), der am
19.05.2009 in das Handelsregister eingetragen wurde. Der GAV wurde
durch Kündigung zum 31.12.2014 beendet. Der Vertrag hatte
folgenden Wortlaut:
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„I. Die GmbH unterstellt sich der
Leitung durch die KG. Die KG ist berechtigt, der
Geschäftsführung der GmbH allgemein oder auf
Einzelfälle bezogene Weisung für die Leitung ihrer
Gesellschaft zu erteilen.
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II. Die GmbH verpflichtet sich, ihren
ganzen Gewinn an die KG abzuführen. Abzuführen ist
vorbehaltlich der Bildung oder Auflösung von Rücklagen
nach Ziff. III der ohne die Gewinnabführung entstehende
Vorjahresüberschuss, vermindert um einen etwaigen
Verlustvortrag aus dem Vorjahr.
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III. Die GmbH kann mit Zustimmung der KG
Beträge aus dem Jahresüberschuss insoweit in andere
Gewinnrücklagen einstellen, wie dies handelsrechtlich
zulässig und bei vernünftiger kaufmännischer
Beurteilung wirtschaftlich begründet ist. Während der
Dauer dieses Vertrages gebildete freie Rücklagen (andere
Gewinnrücklagen nach § 272 Abs. 3 HGB sowie
Kapitalrücklagen auf Zuzahlungen der KG nach § 272 Abs. 2
Nr. 4 HGB) sind auf Verlangen der KG aufzulösen und zum
Ausgleich des Jahresfehlbetrags zu verwenden oder als Gewinn
abzuführen. Die Abführung von Erträgen aus der
Auflösung von anderen vorvertraglichen Rücklagen ist
ausgeschlossen.
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IV. Die KG ist entsprechend den
Vorschriften des § 302 Abs. 1 und 3 des Aktiengesetzes
verpflichtet, jeden während der Vertragsdauer entstehenden
Jahresfehlbetrag der GmbH auszugleichen, soweit dieser nicht
dadurch ausgeglichen wird, dass den freien Rücklagen (anderen
Gewinnrücklagen nach § 272 Abs. 3 HGB sowie
Kapitalrücklagen aus Zuzahlungen der KG nach § 272 Abs. 2
Nr. 4 HGB) Beträge entnommen werden, die während der
Vertragsdauer in sie eingestellt worden sind.
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V. Der Vertrag bedarf der Zustimmung der
Gesellschafterversammlung beider Gesellschaften. Er wird wirksam
mit Eintragung in das Handelsregister der GmbH. Die
Ergebnisabführung erfolgt mit Wirkung zum 1.1.2009. Der
Vertrag wird auf unbestimmte Zeit mindestens aber auf 5 Jahre
geschlossen. Er kann nach Ablauf dieser Mindestdauer mit einer
Frist von 3 Monaten auf das Ende des Geschäftsjahres der GmbH
gekündigt werden. Eine vorherige Kündigung ist nur unter
den Voraussetzungen des § 14 Nr. 4 Satz 2
Körperschaftssteuergesetz möglich. Wenn der Vertrag
endet, hat die KG den Gläubigern der GmbH entsprechend §
303 AktG Sicherheit zu leisten.“
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Während der Laufzeit des GAV fand eine
tatsächliche Verlustübernahme durch die B KG
statt.
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Eine unter anderem für das Streitjahr
bei der B KG und bei der C GmbH durchgeführte steuerliche
Außenprüfung kam zu dem Ergebnis, dass Dividenden der F
A/S fälschlicherweise als steuerfreie Einkünfte behandelt
worden seien. Für Beteiligungserträge, die eine
Organgesellschaft erziele, gelte die sogenannte Bruttomethode,
weswegen über die Freistellung erst auf der Ebene des
Organträgers entschieden werde (§ 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2
des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - in der im Streitjahr
geltenden Fassung). Die Beteiligungserträge, welche durch
Ausschüttungen der F A/S erzielt wurden, seien aufgrund der
bestehenden Organschaft bei der Organgesellschaft
vollumfänglich festzustellen und dann auf Ebene der
Organträgerin anzusetzen. Dort finde sodann das
Teileinkünfteverfahren Anwendung. Nach den Feststellungen des
Außenprüfers ergab sich für das Streitjahr ein der
Organträgerin zuzurechnendes Einkommen der Organgesellschaft
in Höhe von 896.843 EUR, welches bei den Kommanditisten der
Organträgerin unter § 3 Nr. 40 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) falle.
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Auf der Grundlage der
Prüfungsfeststellungen erließ der Beklagte und
Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA - ) am 18.05.2018 einen nach
§ 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid
für 2009 über die gesonderte und einheitliche
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen
(Gewinnfeststellungsbescheid) für die Organträgerin,
welcher mit Wirkung für und gegen alle
Feststellungsbeteiligten erging. Darin wurden für die
Organträgerin unter anderem laufende Gesamthandseinkünfte
in Höhe von rund … EUR festgestellt. Ferner heißt
es in dem Bescheid: „In den vorstehenden Einkünften sind
nicht enthalten: Einkommen/Einkünfte der Organgesellschaft
896.834,00; davon entfallen auf Einkünfte, die unter
§§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG bzw. § 8b Abs. 1 und 2
KStG, § 3c Abs. 1 EStG fallen (100 %)
897.648,60.“
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Der dagegen gerichtete Einspruch der A KG
blieb erfolglos.
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Im nachfolgenden Klageverfahren machte der
Kläger als prozessualer Rechtsnachfolger der vollbeendeten A
KG geltend, dass die Besteuerung der Gewinnausschüttungen der
F A/S nach der sogenannten Bruttomethode gegen Art. 4 Abs. 1 MTR
verstoße. Er beantragte, den - aus nicht das Verfahren
betreffenden Gründen am 28.05.2020 erneut geänderten -
Gewinnfeststellungsbescheid für 2009 dahingehend zu
ändern, dass das Einkommen aus der Organgesellschaft um
896.834 EUR herabgesetzt wird. Mit Urteil vom 22.09.2022 - 1 K
17/20 wies das Niedersächsische Finanzgericht (FG) die Klage
als unbegründet ab.
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15
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Das FA habe zu Recht angenommen, dass bei
der Feststellung des der Organträgerin zuzurechnenden
Organeinkommens die an die Organgesellschaft ausgeschütteten
Dividenden der F A/S nach nationalem Recht als steuerpflichtig zu
behandeln seien. Dies ergebe sich aus der in § 15 Satz 1 Nr. 2
Satz 1 KStG angeordneten Bruttomethode. Die Einbeziehung der
Gewinnausschüttungen nach der Bruttomethode in das der
Organträgerin zuzurechnende Einkommen verstoße auch
nicht gegen Art. 4 Abs. 1 MTR. Die Richtlinie sehe eine
Steuerbefreiung nur für Körperschaften als Empfänger
von Bezügen vor. Bei natürlichen Personen, die - wie
vorliegend - Organträger oder Mitunternehmer des
Organträgers seien, lägen die Voraussetzungen für
eine Steuerbefreiung hingegen nicht vor. Es stelle daher keinen
Verstoß gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie dar, wenn das FA
nach nationalem Recht ein der Organträgerin zuzurechnendes
Einkommen der Organgesellschaft festgestellt und dabei die
Dividenden der F A/S als steuerpflichtig behandelt habe.
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16
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Der Senat sehe von einem
Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen
Union (EuGH) nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise
der Europäischen Union (AEUV) ab. Es bestünden keinerlei
Zweifel an der Vereinbarkeit der Bruttomethode mit dem
Unionsrecht.
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17
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Dagegen richtet sich die Revision des
Klägers, mit der er eine Verletzung materiellen Rechts
rügt.
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18
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Niedersächsischen FG
vom 22.09.2022 - 1 K 17/20 aufzuheben und den Bescheid für
2009 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen vom (zuletzt) 28.05.2020 dahingehend zu
ändern, dass das festgestellte Einkommen der Organgesellschaft
um 897.648,40 EUR herabgesetzt wird.
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19
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Das FA beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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20
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II. Die Revision des Klägers ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG ist zu Recht davon
ausgegangen, dass die Gewinnausschüttung der F A/S auf der
Ebene der B KG unter Berücksichtigung von § 3 Nr. 40,
§ 3c EStG festzustellen ist (§ 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1
KStG).
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21
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Gegenstand des Klage- und Revisionsverfahrens
ist die Feststellung des Einkommens der Organgesellschaft
(„Einkommen/Einkünfte der
Organgesellschaft“) sowie die Feststellung des
Teilbetrags des Einkommens, der unter das
Teileinkünfteverfahren beziehungsweise unter § 8b KStG
fällt („davon entfallen auf Einkünfte, die unter
§§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG bzw. § 8b Abs. 1 und 2
KStG, § 3c Abs. 1 EStG fallen (100 %)“;
dazu 1.). Die Ausschüttung der F A/S ist in voller Höhe -
ohne Anwendung des § 8b KStG - Teil des Einkommens der C GmbH,
das der B KG zugerechnet wird und dort - im Hinblick auf die
Beteiligung natürlicher Personen - dem
Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2
EStG) unterliegt; ein Verstoß gegen die
Mutter-Tochter-Richtlinie ist damit nicht verbunden (dazu 2.).
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22
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1. Gegenstand des Klage- und des
Revisionsverfahrens ist die Feststellung des Einkommens der
Organgesellschaft mit einem Betrag von 896.834 EUR sowie die damit
in Zusammenhang stehende Feststellung der darin enthaltenen
Einkünfte, die unter § 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG
bzw. § 8b Abs. 1 und 2 KStG, § 3c Abs. 1 EStG fallen (100
%), mit einem Betrag von 897.648,40 EUR. Hierbei handelt es sich um
selbständige Feststellungen (zur Selbständigkeit
einzelner Feststellungen vgl. nur Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH
- vom 23.03.2023 - IV R 8/20 (IV R 7/17) = SIS 23 08 16, Rz
22).
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23
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a) Das FA hat in diesem Zusammenhang zu Recht
darauf hingewiesen, dass das Einkommen der Organgesellschaft (hier:
C GmbH) in Höhe von 896.834 EUR nicht im laufenden
Gesamthandsgewinn der B KG enthalten ist, sondern aufgrund der
bestehenden Organschaft (als eigenständige
Besteuerungsgrundlage im Sinne des § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Buchst. a AO) selbständig festzustellen ist.
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24
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Die Feststellung ist unabhängig von der
Veranlagung der Organgesellschaft zur Körperschaftsteuer. Nach
ständiger Rechtsprechung des BFH entfaltet der
Körperschaftsteuerbescheid der Organgesellschaft - bis zur
Neuregelung in § 14 Abs. 5 Satz 1 und 2 KStG - keine
verfahrensrechtliche Bindungswirkung für die Besteuerung des
Organträgers (vgl. nur Urteile vom 28.01.2004 - I R 84/03,
BFHE 205, 1, BStBl II 2004, 539 = SIS 04 21 95, unter II.3.a [Rz
15]; vom 06.03.2008 - IV R 74/05, BFHE 220, 304, BStBl II 2008, 663
= SIS 08 25 79, unter II.b aa [Rz 15]; Rödder/Liekenbrock in
Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 14 Rz 788).
Bei einer Organträger-Personengesellschaft ist im
Feststellungsverfahren das der Mitunternehmerschaft zuzurechnende
Einkommen der Organgesellschaft gesondert vom eigenen Gewinn zu
ermitteln und zu verteilen (BFH-Urteil vom 28.02.2013 - IV R 50/09,
BFHE 240, 270, BStBl II 2013, 494 = SIS 13 11 91, Rz 16).
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25
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b) § 14 Abs. 5 Satz 1 und 2 KStG, wonach
das dem Organträger zuzurechnende Einkommen der
Organgesellschaft und damit zusammenhängende andere
Besteuerungsgrundlagen gegenüber dem Organträger und der
Organgesellschaft gesondert und einheitlich - für die
Besteuerung des Einkommens beider Gesellschaften bindend -
festgestellt werden, gilt im Streitjahr noch nicht. Die Norm ist
mit dem Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der
Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts
(UntSt/RKVereinfG) vom 20.02.2013 (BGBl I 2013, 285)
eingeführt worden und gilt erstmals für
Feststellungszeiträume, die nach dem 31.12.2013 beginnen
(§ 34 Abs. 9 Nr. 9 KStG i.d.F. des UntSt/RKVereinfG; dazu Graw
in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 34 Rz
149). Im Streitfall gelangt sie damit nicht zur Anwendung.
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26
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c) In gleicher Weise stellen die (im Einkommen
der Organgesellschaft enthaltenen) Einkünfte, die unter §
3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG bzw. § 8b Abs. 1 und 2 KStG,
§ 3c Abs. 1 EStG fallen, eine selbständige Feststellung
dar. Diese Feststellung ist ebenfalls Gegenstand der gerichtlichen
Prüfung (vgl. BFH-Urteil vom 25.07.2019 - IV R 47/16, BFHE
265, 273, BStBl II 2020, 142 = SIS 19 13 99, Rz 23 und 25).
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27
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2. Aufgrund der bestehenden Organschaft (dazu
a) ist die Ausschüttung der F A/S in voller Höhe - ohne
Anwendung des § 8b KStG - Teil des Einkommens der C GmbH
(Organgesellschaft); das Einkommen wird der B KG
(Organträgerin) zugerechnet und unterliegt dort - im Hinblick
auf die Beteiligung natürlicher Personen - § 3 Nr. 40,
§ 3c Abs. 2 EStG. Daher sind weder das festgestellte Einkommen
der Organgesellschaft noch die Feststellung der darin enthaltenen
Einkünfte, die unter § 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG
bzw. § 8b Abs. 1 und 2 KStG, § 3c Abs. 1 EStG fallen, zu
beanstanden (dazu b). Aus der Mutter-Tochter-Richtlinie folgt
nichts anderes (dazu c). Einer Vorlage an den EuGH bedarf es nicht
(dazu d).
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a) Das FG ist in Übereinstimmung mit den
Beteiligten davon ausgegangen, dass im Streitjahr eine
körperschaftsteuerliche Organschaft zwischen der B KG und der
C GmbH bestand. Dagegen gibt es nichts zu erinnern.
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29
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aa) Verpflichtet sich eine Europäische
Gesellschaft, AG oder KGaA mit Geschäftsleitung im Inland und
Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Vertragsstaat des
Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum
(Organgesellschaft) durch einen GAV im Sinne des § 291 Abs. 1
des Aktiengesetzes (AktG), ihren ganzen Gewinn an ein einziges
anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, ist das Einkommen
der Organgesellschaft, soweit sich aus § 16 KStG nichts
anderes ergibt, dem Träger des Unternehmens (Organträger)
zuzurechnen, wenn die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG
aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind (zur
Anwendbarkeit dieser Gesetzesfassung im Streitjahr vgl. § 34
Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des AIFM-Steuer-Anpassungsgesetzes -
AIFM-StAnpG - vom 18.12.2013, BGBl I 2013, 4318; dazu Graw in
Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 34 Rz 148).
Das Einkommen der Organgesellschaft ist dem Organträger
erstmals für das Kalenderjahr zuzurechnen, in dem das
Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft endet, in dem der GAV wirksam
wird (§ 14 Abs. 1 Satz 2 KStG).
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30
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Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 KStG
gelten die §§ 14 bis 16 KStG entsprechend, wenn eine
andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG bezeichnete
Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in
einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Vertragsstaat des
Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sich
wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes
Unternehmen im Sinne des § 14 KStG abzuführen (zur
Anwendbarkeit dieser Gesetzesfassung im Streitjahr vgl. wiederum
§ 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG i.d.F. des AIFM-StAnpG). Weitere
Voraussetzung ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 KStG,
dass eine Gewinnabführung den in § 301 AktG genannten
Betrag nicht überschreitet (Nr. 1) und eine
Verlustübernahme durch Verweis auf die Vorschriften des §
302 AktG in seiner jeweils gültigen Fassung vereinbart wird
(Nr. 2). Für die Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
KStG gilt - auch soweit das Streitjahr betroffen ist (s. dazu
nachfolgende Ausführungen) - § 34 Abs. 10b KStG i.d.F.
des Art. 12 AIFM-StAnpG entsprechend fort (§ 17 Abs. 2
KStG).
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31
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Nach § 34 Abs. 10b Satz 1 KStG i.d.F. des
UntSt/RKVereinfG ist § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG i.d.F. des Art. 2
UntSt/RKVereinfG erstmals auf GAV anzuwenden, die nach dem Tag des
Inkrafttretens dieses Gesetzes abgeschlossen oder geändert
werden. Enthält ein GAV, der vor diesem Zeitpunkt wirksam
abgeschlossen wurde, keinen den Anforderungen des § 17 Satz 2
Nr. 2 KStG i.d.F. der Bekanntmachung vom 15.10.2002 (BGBl I 2002,
4144), der zuletzt durch Art. 4 des EU-Beitreibungsgesetzes vom
07.12.2011 (BGBl I 2011, 2592) geändert worden ist,
entsprechenden Verweis auf § 302 AktG, steht dies der
Anwendung der §§ 14 bis 16 KStG für
Veranlagungszeiträume, die vor dem 31.12.2014 enden, nicht
entgegen, wenn eine Verlustübernahme entsprechend § 302
AktG tatsächlich erfolgt ist und eine Verlustübernahme
entsprechend § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG i.d.F. des Art. 2
UntSt/RKVereinfG bis zum Ablauf des 31.12.2014 wirksam vereinbart
wird (§ 34 Abs. 10b Satz 2 KStG i.d.F. des UntSt/RKVereinfG).
Für die Anwendung des § 34 Abs. 10b Satz 2 KStG i.d.F.
des UntSt/RKVereinfG ist die Vereinbarung einer
Verlustübernahme entsprechend § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG
i.d.F. des Art. 2 UntSt/RKVereinfG nicht erforderlich, wenn die
steuerliche Organschaft vor dem 01.01.2015 beendet wurde (§ 34
Abs. 10b Satz 3 KStG i.d.F. des UntSt/RKVereinfG; vgl. dazu Graw in
Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 34 Rz 156
ff.).
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32
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bb) Im Streitjahr bestand eine wirksame
körperschaftsteuerliche Organschaft zwischen der B KG als
Organträgerin und der C GmbH als Organgesellschaft.
Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist insbesondere die
Annahme des FG, dass es sich bei der originär gewerblich
tätigen B KG als Personengesellschaft um eine taugliche
Organträgerin im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz
2 KStG gehandelt hat.
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33
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cc) Gleichermaßen ist die Vorinstanz zu
Recht davon ausgegangen, dass die C GmbH eine taugliche
Organgesellschaft im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 KStG
darstellt. Es handelt sich um eine Kapitalgesellschaft mit
Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der
EU (Bundesrepublik Deutschland - Deutschland - ).
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34
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Dem steht auch nicht entgegen, dass die B KG
als sogenannte Einheitsgesellschaft (vgl. BFH-Urteil vom 13.07.2017
- IV R 42/14, BFHE 259, 82, BStBl II 2017, 1126 = SIS 17 15 94, Rz
22) zu qualifizieren ist. Das FG hat in diesem Zusammenhang
maßgebend auf die fehlende vermögensmäßige
Beteiligung der C GmbH an der Klägerin (und die damit
einhergehende fehlende „Teilhabe“ am
abgeführten Gewinn) hingewiesen. Der erkennende Senat teilt
die Erwägungen der Vorinstanz (ebenso Müller in
Müller/Detmering/Saecker, Die Organschaft, 13. Aufl., Rz 449;
Walter in Bott/Walter, KStG, § 14 Rz 55; Neumann in Gosch,
KStG, 4. Aufl., § 14 Rz 61; anderer Ansicht - allerdings nur
für den (hier nicht einschlägigen) Fall wechselseitiger
Beteiligungen - Frotscher in Frotscher/Drüen,
KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 168; Dötsch/Pung in
Dötsch/Pung/Möhlenbrock - D/P/M -, Die
Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz 76). Hinzu kommt, dass die C GmbH
(Komplementär-GmbH) zumindest insoweit von der
Geschäftsführung ausgeschlossen war, als sie nicht
über ihre eigenen Belange (mit)entscheiden durfte (vgl.
dazu auch Fatouros/Berka in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns,
Handbuch GmbH & Co. KG, 23. Aufl., Rz 6.619). Auch darauf hat die
Vorinstanz zu Recht hingewiesen. Die (anderslautende)
Rechtsprechung des BFH zur umsatzsteuerlichen Organschaft (vgl. nur
Urteil vom 14.12.1978 - V R 85/74, BFHE 127, 75, BStBl II 1979, 288
= SIS 79 01 46 - allerdings war die GmbH & Co. KG dort nicht an der
Komplementär-GmbH beteiligt; anders hingegen Amtliche
Umsatzsteuer-Handausgabe 2008, Abschn. 21 Abs. 4 Satz 5) ist
für den Streitfall nicht von Bedeutung.
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35
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dd) Zudem bestand eine finanzielle
Eingliederung der C GmbH in die B KG im Sinne des § 14 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 Satz 3 KStG. Da dies zwischen den Beteiligten
nicht streitig und von der Vorinstanz zutreffend beurteilt worden
ist, sieht der erkennende Senat von einer weitergehenden
Begründung ab.
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36
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ee) Des Weiteren sind das FG und die
Beteiligten zu Recht davon ausgegangen, dass der zwischen der B KG
und der C GmbH abgeschlossene GAV den gesetzlichen Anforderungen
des - im Streitfall weiterhin anwendbaren (vgl. § 34 Abs. 10b
Satz 1 KStG) - § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG i.d.F. der
Bekanntmachung vom 15.10.2002 genügt. Dabei erweist sich die
fehlende Bezugnahme der den Verlustausgleich betreffenden Regelung
des GAV (unter IV.) auf § 302 Abs. 4 AktG als
unschädlich, da die Voraussetzungen des § 34 Abs. 10b
Satz 3 KStG i.d.F. des UntSt/RKVereinfG erfüllt sind. Im
Rahmen der vor dem 01.01.2015 beendeten Organschaft zwischen der C
GmbH und der B KG ist eine tatsächliche Verlustübernahme
durch die B KG erfolgt. Angesichts der von § 34 Abs. 10b Satz
3 KStG i.d.F. des UntSt/RKVereinfG ausgehenden umfassenden
Heilungswirkung (vgl. BFH-Urteil vom 24.07.2013 - I R 40/12, BFHE
242, 139, BStBl II 2014, 272 = SIS 13 23 39, Rz 31; Graw, Die
Unternehmensbesteuerung 2013, 373, 374) kann dahinstehen, ob
einzelne Modalitäten der salvierten Verlustausgleichsregelung,
etwa die Möglichkeit zum Ausgleich des Verlustes durch
Entnahmen aus den Kapitalrücklagen, bei isolierter Betrachtung
in Widerspruch zu § 302 AktG stehen (dazu Rickermann, Steuern
und Bilanzen - StuB - 2023, 613, 614; Witt in Prinz/Witt,
Steuerliche Organschaft, 3. Aufl., Rz 7.183; vgl. allgemein zur
Abführung rückgeführter Kapitalrücklagen
BFH-Urteil vom 08.08.2001 - I R 25/00, BFHE 196, 485, BStBl II
2003, 923 = SIS 02 05 29, sowie zur Verlustübernahme nach
Auflösung der Kapitalrücklage FG Düsseldorf, Urteil
vom 17.04.2018 - 6 K 2507/17 K = SIS 18 13 46). Da alle Beteiligten
von einer wirksamen körperschaftsteuerlichen Organschaft
ausgehen, verzichtet der erkennende Senat auch insoweit auf eine
weitergehende Begründung.
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37
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b) Im Hinblick auf das bestehende
Organschaftsverhältnis ist die Ausschüttung der F A/S in
voller Höhe in dem der B KG zuzurechnenden Einkommen der C
GmbH enthalten und dort unter Anwendung von § 3 Nr. 40, §
3c Abs. 2 EStG festzustellen.
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aa) Die Ausschüttung der F A/S
gehört zu den gewerblichen Einkünften der nach § 1
Abs. 1 Nr. 1 KStG unbeschränkt
körperschaftsteuerpflichtigen C GmbH (§ 8 Abs. 2, Abs. 1
KStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 8 EStG).
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bb) Wenngleich es sich bei der
Beteiligungsgesellschaft F A/S um eine (ausländische)
Kapitalgesellschaft handelt, gelangt das sogenannte (nationale)
Schachtelprivileg des § 8b Abs. 1 KStG bei der Ermittlung des
Einkommens der C GmbH gemäß § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz
1 KStG nicht zur Anwendung (zur Anwendbarkeit des § 8b Abs. 1
KStG auf Bezüge von ausländischen Kapitalgesellschaften
vgl. BFH-Beschluss vom 22.09.2016 - I R 29/15 = SIS 17 02 01, Rz
8).
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aaa) Nach § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG
sind § 8b Abs. 1 bis 6 KStG sowie § 4 Abs. 6 und §
12 Abs. 2 Satz 1 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) bei der
Organgesellschaft nicht anzuwenden. Sind in dem dem
Organträger zugerechneten Einkommen Bezüge, Gewinne oder
Gewinnminderungen im Sinne des § 8b Abs. 1 bis 3 KStG oder mit
solchen Beträgen zusammenhängende Ausgaben im Sinne des
§ 3c Abs. 2 EStG, ein Übernahmeverlust im Sinne des
§ 4 Abs. 6 UmwStG oder ein Gewinn oder Verlust im Sinne des
§ 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG enthalten, sind § 8b KStG,
§ 4 Abs. 6 und § 12 Abs. 2 UmwStG sowie § 3 Nr. 40
und § 3c Abs. 2 EStG bei der Ermittlung des Einkommens des
Organträgers anzuwenden; in den Fällen des § 12 Abs.
2 Satz 2 UmwStG sind neben § 8b KStG auch § 3 Nr. 40 und
§ 3c Abs. 2 EStG entsprechend anzuwenden (§ 15 Satz 1 Nr.
2 Satz 2 KStG).
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Dementsprechend ist das Einkommen der C GmbH
ohne Anwendung des § 8b Abs. 1 und 5 KStG zu ermitteln. Die
von der F A/S bezogene Dividende geht - ungeachtet des Umstands,
dass die F A/S nach dem Rechtstypenvergleich einer deutschen
Kapitalgesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG (AG)
gleichsteht (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom
24.12.1999, BStBl I 1999, 1076 = SIS 00 04 71, Tabelle 1) und die
von der F A/S bezogenen Kapitalerträge die sachlichen
Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 9 EStG
erfüllen (vgl. dazu Gosch in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 8b
Rz 115) - in voller Höhe (ungekürzt) in das Einkommen der
C GmbH als Organgesellschaft ein. Dieses Einkommen ist der B KG als
Organträgerin zuzurechnen. Dort ist § 8b KStG
beziehungsweise sind § 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG - je
nach beteiligtem Mitunternehmer - anzuwenden. Da an der B KG nur
natürliche Personen (der Kläger und die Beigeladene)
beteiligt waren, gelangt das Teileinkünfteverfahren zur
Anwendung, das heißt, die Dividende unterliegt zu 60 % der
Besteuerung.
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bbb) Bei der gesonderten und einheitlichen
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 Buchst. a AO sind § 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG
anzuwenden, so dass die Einkünfte nach Anwendung dieser
Vorschriften grundsätzlich „netto“
festzustellen sind. Zulässig ist aber auch, die § 3 Nr.
40, § 3c Abs. 2 EStG unterliegenden laufenden Einkünfte
oder Veräußerungsgewinne zusätzlich
„brutto“ festzustellen, soweit aus den
weiteren Feststellungen für einen verständigen
Empfänger erkennbar ist, dass zur Ermittlung der
steuerpflichtigen Einkünfte ein weiterer Rechenschritt
erforderlich ist (BFH-Urteil vom 25.07.2019 - IV R 47/16, BFHE 265,
273, BStBl II 2020, 142 = SIS 19 13 99).
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In den Fällen der organschaftlichen
Einkommenszurechnung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG an eine
Organträger-Personengesellschaft gilt im Ergebnis nichts
anderes. Die Dividendenerträge der Organgesellschaft, die in
voller Höhe in dem der Organträger-Personengesellschaft
zugerechneten Einkommen enthalten sind, können
„netto“ oder
„brutto“ festgestellt werden. Im
Streitfall hat das FA eine
„Brutto-Feststellung“ vorgenommen, indem
es die „Einkünfte, die unter §§ 3 Nr. 40, 3c
Abs. 2 EStG bzw. § 8b Abs. 1 und 2 KStG, § 3c Abs. 1 EStG
fallen (100 %)“, in voller Höhe - ohne 40
%igen Abzug - festgestellt, aber deutlich gemacht hat, dass diese
Einkünfte in den Folgebescheiden nur zu 60 % anzusetzen sind.
Dies ist nicht zu beanstanden.
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c) Entgegen der Ansicht des Klägers
verstößt die in § 15 Satz 1 Nr. 2 KStG geregelte
Bruttomethode nicht gegen Art. 4 MTR.
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aa) Im Streitfall gelangt die Richtlinie
90/435/EWG in der zuletzt geltenden Fassung zur Anwendung (vgl.
Richtlinie 2011/96/EU, Anhang II, Teil A). Die Richtlinie
2011/96/EU ist erst am 18.01.2012 in Kraft getreten (Art. 10 der
Richtlinie 2011/96/EU) und daher auf das Streitjahr noch nicht
anwendbar (vgl. EuGH-Urteil Brussels Securities vom 19.12.2019 -
C-389/18, EU:C:2019:1132 = SIS 19 20 52, Rz 5).
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46
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bb) Gemäß Art. 1 Abs. 1 MTR wendet
jeder Mitgliedstaat die Mutter-Tochter-Richtlinie unter anderem an
auf Gewinnausschüttungen, die Gesellschaften dieses Staates
von Tochtergesellschaften eines anderen Mitgliedstaats
zufließen (1. Spiegelstrich). Dabei steht die
Mutter-Tochter-Richtlinie der Anwendung einzelstaatlicher oder
vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von
Steuerhinterziehungen und Missbräuchen nicht entgegen (Art. 1
Abs. 2 MTR).
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Fließen einer Muttergesellschaft oder
ihrer Betriebstätte aufgrund ihrer Beteiligung an der
Tochtergesellschaft Gewinne zu, die nicht anlässlich der
Liquidation der Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden, so
besteuern der Staat der Muttergesellschaft und der Staat der
Betriebstätte diese Gewinne entweder nicht (Art. 4 Abs. 1 1.
Spiegelstrich MTR) oder lassen im Falle einer Besteuerung zu, dass
die Muttergesellschaft und die Betriebstätte auf die
geschuldete Steuer den Steuerteilbetrag, den die
Tochtergesellschaft und jegliche Enkelgesellschaft für diesen
Gewinn entrichtet, bis zur Höhe der entsprechenden
Steuerschuld anrechnen können, vorausgesetzt, dass die
Gesellschaft und die ihr nachgeordnete Gesellschaft auf jeder Stufe
die Bedingungen gemäß Art. 2 und 3 MTR erfüllen
(Art. 4 Abs. 1 2. Spiegelstrich MTR). Diese - unbedingte und
hinreichend genaue - Regelung kann vor den nationalen Gerichten
geltend gemacht werden (EuGH-Urteil Cobelfret vom 12.02.2009 -
C-138/07, EU:C:2009:82 = SIS 09 08 61, Rz 65).
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cc) Vorliegend ist der (persönliche)
Anwendungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie nach Art. 1 Abs. 1
1. Spiegelstrich MTR eröffnet. Bei der C GmbH handelt es sich
um eine Gesellschaft eines Mitgliedstaats im Sinne des Art. 2 Abs.
1 MTR; die unter Buchst. a bis c aufgeführten Voraussetzungen
sind im Grundsatz erfüllt. Zugleich gilt sie aufgrund der
Beteiligung an der F A/S von 50 % als Muttergesellschaft im Sinne
des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a MTR. Die F A/S qualifiziert (ebenfalls)
als Gesellschaft eines (anderen) Mitgliedstaats sowie als
Tochtergesellschaft im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b MTR. Auch
die weiteren (sachlichen) Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 MTR
sind erfüllt: Der C GmbH sind aufgrund ihrer Beteiligung an
der dänischen Tochtergesellschaft Gewinne
(Gewinnausschüttungen) zugeflossen, bei denen es sich nicht um
Liquidationsgewinne handelt.
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Daher sieht Art. 4 Abs. 1 MTR als Rechtsfolge
die Freistellung der Gewinne oder die Steueranrechnung vor.
Deutschland hat sich mit § 8b Abs. 1 KStG für die
Freistellung entschieden (vgl. Kempf/Gelsdorf, IStR 2011, 173,
179). Die Regelung über die pauschale Hinzurechnung nicht
abziehbarer Betriebsausgaben in § 8b Abs. 5 KStG entspricht
dabei Art. 4 Abs. 2 Satz 2 MTR (vgl. Kofler in
Schaumburg/Englisch/Dobratz, Europäisches Steuerrecht, 3.
Aufl., Rz 14.90; Rickermann, StuB 2023, 613, 616;
Mögele/Steiner/Ullmann, IStR 2023, 377, 379).
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50
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dd) Den Vorgaben der Mutter-Tochter-Richtlinie
widerspricht es nicht, wenn § 15 Satz 1 Nr. 2 KStG
vorschreibt, dass die Regeln des § 8b KStG beziehungsweise des
Teileinkünfteverfahrens erst auf der Ebene der
Organträgerin zur Anwendung gelangen (gleicher Ansicht
Dötsch/Pung in D/P/M, Die Körperschaftsteuer, § 15
KStG Rz 20; Brandis/Heuermann/Rengers, § 8b KStG Rz 169;
Schober in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2.
Aufl., § 15 KStG Rz 31; Rickermann, StuB 2023, 613, 616;
anderer Ansicht Kempf/Gelsdorf, IStR 2011, 173, 177 ff.;
Schnitger/Fehrenbacher, KStG, 2. Aufl., § 15 Rz 134; Kofler in
Schaumburg/Englisch/Dobratz, Europäisches Steuerrecht, 3.
Aufl., Rz 14.90). Zwar hat die Steuerbefreiung im Grundsatz bei der
Muttergesellschaft (Organgesellschaft) als Empfängerin der
Gewinnausschüttungen zu erfolgen. Wird deren Einkommen indes
einem anderen Rechtsträger (Organträger) im Rahmen einer
körperschaftsteuerlichen Organschaft zugerechnet und von
diesem (oder seinen Gesellschaftern) versteuert, ist es angesichts
der Systematik der (deutschen) Organschaftsbesteuerung
folgerichtig, die Befreiung der Dividendenerträge erst auf der
Ebene der Organträger-Personengesellschaft zur Anwendung zu
bringen. Hierin liegt - entgegen der Ansicht des Klägers -
keine „Nichtanwendung“ der
Mutter-Tochter-Richtlinie.
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51
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aaa) Zwar handelt es sich bei der C GmbH als
Organgesellschaft um eine (deutsche) Kapitalgesellschaft (Art. 2
Abs. 1 Buchst. a MTR i.V.m. dem Anhang, Buchst. f), die ohne
Wahlmöglichkeit der Körperschaftsteuer als einer der in
Art. 2 Abs. 1 Buchst. c (3. Spiegelstrich) MTR aufgeführten
Steuern unterliegt, ohne davon befreit zu sein. Denn die
Organgesellschaft ist trotz der Einkommenszurechnung an den
Organträger selbständiges Steuerrechtssubjekt und nach
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG unbeschränkt
körperschaftsteuerpflichtig. Sie ist auch nicht von der
Körperschaftsteuer befreit (vgl. auch Kempf/Gelsdorf, IStR
2011, 173, 178; Kofler, Mutter-Tochter-Richtlinie, Kommentar, Art.
2 Rz 32). Ihr - selbständig zu ermittelndes - Einkommen wird
jedoch nicht auf ihrer Ebene der Körperschaftsteuer
unterworfen, sondern der (transparent besteuerten)
Organträger-Personengesellschaft zugerechnet, um auf deren
Ebene festgestellt zu werden; erst dort erfolgt die steuerliche
Qualifikation der Beteiligungserträge, die dann auf der Ebene
der beteiligten Gesellschafter (gemindert) der
Körperschaftsteuer oder Einkommensteuer unterworfen werden.
Dementsprechend „unterliegen“ die
Dividendeneinkünfte bei der Muttergesellschaft nicht der
Körperschaftsteuer (ebenso Rickermann, StuB 2023, 613, 616;
anderer Ansicht Kofler, Mutter-Tochter-Richtlinie, Kommentar, Art.
2 Rz 32; Kofler in Schaumburg/Englisch/Dobratz, Europäisches
Steuerrecht, 3. Aufl., Rz 14.22, mit Hinweisen zur
österreichischen Verwaltungspraxis).
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Insofern ähnelt die Situation der Lage
bei einer Muttergesellschaft, die der Körperschaftsteuer zum
„Nullsatz“ unterliegt, sofern sie ihre
Gewinne vollständig an ihre Anteilseigner ausschüttet:
Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt Art. 2 Buchst. c MTR nicht
nur voraus, dass die Gesellschaft in den Anwendungsbereich der
betreffenden Steuer fällt, sondern schließt die
Fälle aus, in denen die Gesellschaft, obwohl sie der Steuer
unterliegt, nicht tatsächlich deren Entrichtung schuldet
(EuGH-Urteil Wereldhave Belgium u.a. vom 08.03.2017 - C-448/15,
EU:C:2017:180 = SIS 17 03 99, Rz 32).
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In Übereinstimmung damit ist auch keine
Doppelbesteuerung der Gewinnausschüttung auf der Ebene der
Tochtergesellschaft und auf der Ebene der Muttergesellschaft
(Organgesellschaft) zu besorgen. Vielmehr wird der betreffende
Gewinn auf der Ebene der Tochtergesellschaft in voller Höhe
mit (dänischer) Körperschaftsteuer belegt und auf der
Ebene der Gesellschafter der mit der Muttergesellschaft
organschaftlich verbundenen Personengesellschaft von der
Körperschaftsteuer befreit (Kapitalgesellschaft als
Mitunternehmerin; § 8b Abs. 1 KStG) beziehungsweise nur zu 60
% der Einkommensteuer unterworfen (natürliche Person als
Mitunternehmerin; § 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG). In der
im Rahmen der ertragsteuerlichen Organschaft anzustellenden
Gesamtschau kommt es damit nicht zu einer (wirtschaftlichen)
Doppelbesteuerung (Rickermann, StuB 2023, 613, 617). Die
Regelungssysteme der §§ 3 Nr. 40, 3c EStG, § 8b KStG
sowie der Mutter-Tochter-Richtlinie verfolgen dasselbe Ziel. Auch
die Mutter-Tochter-Richtlinie verbietet nicht, dass die
Dividendenerträge bei einer natürlichen Person als
„letzter Besteuerungsebene“ (erneut) der
Besteuerung unterworfen werden (Rickermann, StuB 2023, 613, 618).
Vielmehr will sie allein vermeiden, dass die ausgeschütteten
Gewinne ein erstes Mal bei der Tochter(kapital)gesellschaft und ein
zweites Mal bei der Mutter(kapital)gesellschaft erfasst werden
(EuGH-Urteile Brussels Securities vom 19.12.2019 - C-389/18,
EU:C:2019:1132 = SIS 19 20 52, Rz 36; Argenta Spaarbank vom
26.10.2017 - C-39/16, EU:C:2017:813 = SIS 17 20 48, Rz 48;
Cobelfret vom 12.02.2009 - C-138/07, EU:C:2009:82 = SIS 09 08 61,
Rz 29).
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Damit unterscheidet sich der Streitfall auch
von der Situation, die dem EuGH-Urteil AFEP u.a. vom 17.05.2017 -
C-365/16, EU:C:2017:378 = SIS 17 10 10 zugrunde liegt. Danach ist
Art. 4 Abs. 1 Buchst. a MTR dahin auszulegen, dass er einer vom
Mitgliedstaat einer Muttergesellschaft vorgesehenen steuerlichen
Maßnahme entgegensteht, die die Erhebung einer Steuer
anlässlich der Ausschüttung von Dividenden durch die
Muttergesellschaft vorsieht, wobei die Bemessungsgrundlage der
Steuer in den Beträgen der ausgeschütteten Dividenden
einschließlich der von den gebietsfremden
Tochtergesellschaften dieser Gesellschaft stammenden Dividenden
besteht. Vorliegend kommt es jedoch nicht - auch nicht indirekt
(vgl. dazu EuGH-Urteil Cobelfret vom 12.02.2009 - C-138/07,
EU:C:2009:82 = SIS 09 08 61, Rz 40) - zu einer Besteuerung der
Muttergesellschaft (C GmbH) im Zuge der Weiterausschüttung der
Dividenden, sondern zu einer Besteuerung der Gesellschafter der
Organträgerin (B KG).
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bbb) Darüber hinaus schreibt Art. 4 Abs.
1 1. Spiegelstrich MTR den Mitgliedstaaten, die sich für ein
Befreiungssystem entschieden haben, gerade nicht vor, wie sie
dieses System umzusetzen haben. Dementsprechend können die
Mitgliedstaaten im Hinblick auf Art. 249 Abs. 3 des Vertrags zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft unter
Berücksichtigung der Erfordernisse ihrer innerstaatlichen
Rechtsordnung frei darüber bestimmen, wie das in Art. 4 Abs. 1
1. Spiegelstrich MTR vorgeschriebene Ergebnis erreicht werden soll
(vgl. EuGH-Beschluss KBC Bank und Beleggen, Risicokapitaal, Beheer
vom 04.06.2009 - C-439/07 und C-499/07, EU:C:2009:339 = SIS 09 26 01, Rz 50; EuGH-Urteil Allianz Benelux vom 20.10.2022 - C-295/21,
EU:C:2022:812 = SIS 22 18 76, Rz 37). Vor diesem Hintergrund ist
Deutschland nicht gehindert, den Erfordernissen seines
Organschaftsregimes bei der Implementierung eines Befreiungssystems
nach Maßgabe der Mutter-Tochter-Richtlinie Rechnung zu
tragen. Gäbe es in Deutschland - wie in Österreich - nur
Organkreise mit Körperschaften als Organträger, wäre
die Regelung des § 15 Satz 1 Nr. 2 KStG entbehrlich
(Dötsch in Unternehmensbesteuerung, Festschrift für
Norbert Herzig zum 65. Geburtstag, 243, 246; Dötsch/Pung in
D/P/M, Die Körperschaftsteuer, § 15 KStG Rz 20).
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56
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ee) Die dagegen gerichteten Einwendungen des
Klägers greifen nicht durch. § 15 Satz 1 Nr. 2 KStG
stellt insbesondere keine über die Kriterien der
Mutter-Tochter-Richtlinie hinausgehenden - unzulässigen -
Voraussetzungen für die Freistellung von
Beteiligungserträgen auf (vgl. dazu EuGH-Urteil Cobelfret vom
12.02.2009 - C-138/07, EU:C:2009:82 = SIS 09 08 61, Rz 33;
EuGH-Beschluss KBC Bank und Beleggen, Risicokapitaal, Beheer vom
04.06.2009 - C-439/07 und C-499/07, EU:C:2009:339 = SIS 09 26 01,
Rz 36; Kofler in Schaumburg/Englisch/Dobratz, Europäisches
Steuerrecht, 3. Aufl., Rz 14.60). Vielmehr handelt es sich bei der
Bruttomethode allein um eine Regelungstechnik zur
Gewährleistung der (teilweisen) Steuerfreistellung von
Dividendenerträgen im Organkreis. Der Gesetzgeber hat mit
§ 15 Satz 1 Nr. 2 KStG keine (materielle) Regelung getroffen,
welche die von der Mutter-Tochter-Richtlinie vorgegebene
Freistellung oder Anrechnung vereitelt. Vielmehr bleibt es im Fall
der (ausschließlichen) Beteiligung von Kapitalgesellschaften
bei der Körperschaftsteuerfreistellung des Einkommens (auf der
Ebene der Organträgerin). Verlassen die Dividenden hingegen
die Körperschaftsteuersphäre, indem sie jedenfalls
mittelbar den hinter der Organträger-Personengesellschaft
stehenden natürlichen Personen zugerechnet werden, unterliegen
sie - ohne dass die allein Kapitalgesellschaften begünstigende
Mutter-Tochter-Richtlinie etwas anderes verlangen würde - dem
Teileinkünfteverfahren. Das Schachtelprivileg der
Mutter-Tochter-Richtlinie kann nicht mithilfe der Organschaft an
natürliche Personen „durchgereicht“
werden (vgl. zum Schachtelprivileg nach Doppelbesteuerungsabkommen
und § 15 Satz 2 KStG Herlinghaus in Herrmann/Heuer/Raupach,
§ 15 KStG Rz 94). Von einer „einseitig restriktiven
Maßnahme“ des Mitgliedstaats
(EuGH-Urteil Cobelfret vom 12.02.2009 - C-138/07, EU:C:2009:82 =
SIS 09 08 61, Rz 36) kann nicht die Rede sein.
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d) Der erkennende Senat ist - anders als der
Kläger meint - nicht verpflichtet, die Rechtsfrage, ob §
15 Satz 1 Nr. 2 KStG gegen Art. 4 Abs. 1 1. Spiegelstrich MTR
verstößt, dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 267
Abs. 3 AEUV vorzulegen.
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aa) Nach der Rechtsprechung des EuGH muss ein
nationales letztinstanzliches Gericht wie der BFH seiner
Vorlagepflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV nachkommen, wenn sich in
einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts
stellt (vgl. EuGH-Urteile Consorzio Italian Management e Catania
Multiservizi vom 06.10.2021 - C-561/19, EU:C:2021:799, Rz 26 ff.;
Intermodal Transports vom 15.09.2005 - C-495/03, EU:C:2005:552 =
SIS 05 46 18, Rz 28; CILFIT vom 06.10.1982 - C-283/81,
EU:C:1982:335, Rz 21; BFH-Urteil vom 06.06.2024 - IV R 15/21, BStBl
II 2024, 759 = SIS 24 13 42, Rz 54).
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59
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Keine Vorlagepflicht besteht hingegen, wenn
das Gericht festgestellt hat, dass die gestellte Frage nicht
entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche
Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war
(„acte éclairé“; vgl.
hierzu z.B. BFH-Urteile vom 20.06.2023 - VII K 1/22 = SIS 23 17 33,
Rz 20; vom 13.07.2016 - VIII K 1/16, BFHE 254, 481, BStBl II 2017,
198 = SIS 16 22 88, Rz 35; Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV,
6. Aufl., Art. 267 AEUV Rz 33; Karpenstein in
Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union,
Art. 267 AEUV Rz 59) oder dass die richtige Anwendung des
Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen
vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt („acte
clair“; vgl. hierzu Wegener in
Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl., Art. 267 AEUV Rz 33, m.w.N.).
Ob ein solcher Fall gegeben ist, ist unter Berücksichtigung
der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten
seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender
Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union zu beurteilen (z.B.
BFH-Urteile vom 20.06.2023 - VII K 1/22 = SIS 23 17 33, Rz 20; vom
06.06.2024 - IV R 15/21, BStBl II 2024, 759 = SIS 24 13 42, Rz
55).
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bb) Art. 4 Abs. 1 1. Spiegelstrich MTR war -
wie dargelegt - bereits Gegenstand der Auslegung durch den EuGH.
Zudem ist in einer Fallkonstellation wie der des Streitfalls die
Anwendung des Unionsrechts aus Sicht des erkennenden Senats derart
offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel (vgl. zu
diesem Maßstab auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19 = SIS 21 05 21, Rz 55) kein Raum
bleibt. Dies ergibt sich insbesondere aus der Zwecksetzung der
unionsrechtlichen Bestimmung.
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61
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Die Mutter-Tochter-Richtlinie begünstigt
Ausschüttungen zwischen Kapitalgesellschaften. Sie zielt
darauf ab, (grenzüberschreitende) Dividendenzahlungen und
andere Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften an ihre
Muttergesellschaften von Quellensteuern zu befreien und die
Doppelbesteuerung derartiger Einkünfte auf Ebene der
Muttergesellschaft zu beseitigen (2. Erwägungsgrund zur
Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22.12.2003 zur Änderung
der Richtlinie 90/435/EWG über das gemeinsame Steuersystem der
Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten,
ABlEG 2003 Nr. L 7, 41; vgl. EuGH-Urteile Schneider Electric u.a.
vom 12.05.2022 - C-556/20, EU:C:2022:378 = SIS 22 08 53, Rz 43;
Cobelfret vom 12.02.2009 - C-138/07, EU:C:2009:82 = SIS 09 08 61,
Rz 29; EuGH-Beschluss KBC Bank und Beleggen, Risicokapitaal, Beheer
vom 04.06.2009 - C-439/07 und C-499/07, EU:C:2009:339 = SIS 09 26 01, Rz 42; Mögele/Steiner/Ullmann, IStR 2023, 377). Die
Gewinnausschüttungen sollen steuerlich neutral sein
(EuGH-Urteile Schneider Electric u.a. vom 12.05.2022 - C-556/20,
EU:C:2022:378 = SIS 22 08 53, Rz 44; Brussels Securities vom
19.12.2019 - C-389/18, EU:C:2019:1132 = SIS 19 20 52, Rz 35;
Argenta Spaarbank vom 26.10.2017 - C-39/16, EU:C:2017:813 = SIS 17 20 48, Rz 47; Wereldhave Belgium u.a. vom 08.03.2017 - C-448/15,
EU:C:2017:180 = SIS 17 03 99, Rz 25).
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Der Zweck der Mutter-Tochter-Richtlinie liegt
indes nicht darin, dass die hinter der (transparent besteuerten)
Organträgerin der Muttergesellschaft stehenden
natürlichen Personen die Ausschüttungen der
Tochtergesellschaft - systemwidrig - steuerfrei vereinnahmen
können. Genau dies würde passieren, wenn das Einkommen
der Muttergesellschaft (Organgesellschaft), das diese nicht der
Körperschaftsteuer zu unterwerfen hat, unter Anwendung von
§ 8b Abs. 1 KStG ermittelt und der Organträgerin
zugerechnet werden würde. Dies ginge offensichtlich über
das zur Erreichung der bezweckten Steuerneutralität der
Ausschüttung zwischen Tochter und Mutter (und der Vermeidung
einer Doppelbesteuerung im Fall der Weiterausschüttung durch
die Mutter; vgl. EuGH-Urteil Schneider Electric u.a. vom 12.05.2022
- C-556/20, EU:C:2022:378 = SIS 22 08 53, Rz 85) erforderliche
Maß hinaus (vgl. EuGH-Urteil Argenta Spaarbank vom 26.10.2017
- C-39/16, EU:C:2017:813 = SIS 17 20 48, Rz 55, wenngleich die
Ausnahmeregel des Art. 4 Abs. 2 MTR betreffend).
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In gleicher Weise bezweckt die
Mutter-Tochter-Richtlinie, Zusammenschlüsse von Gesellschaften
verschiedener Mitgliedstaaten, die zur Schaffung von
Unternehmensgruppen führen können, nicht durch besondere
Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen
aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten zu
behindern (1. und 2. Erwägungsgrund zur
Mutter-Tochter-Richtlinie). Im Streitfall haben sich die
beteiligten Gesellschaften zusammengeschlossen und eine
Unternehmensgruppe gebildet. Dabei haben sie sich durch Abschluss
eines GAV bewusst für die Anwendung der Organschaftsregeln
entschieden. In der bloßen Verlagerung des
Befreiungsmechanismus für Gewinnausschüttungen von der
Ebene der Muttergesellschaft (Organgesellschaft) auf die Ebene der
Organträgerin vermag der Senat keine Behinderung aufgrund
steuerlicher Vorschriften zu erkennen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2, § 139 Abs. 4 FGO. Etwaige außergerichtliche
Kosten der Beigeladenen sind nicht aus Billigkeitsgründen zu
erstatten, da sie keine Sachanträge gestellt oder das
Verfahren anderweitig wesentlich gefördert hat.
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