Grundlagenbescheid gegenüber Organgesellschaft, Wirkung gegenüber Organträger: Ein Gewinnfeststellungsbescheid für die Tochterpersonengesellschaft einer Organgesellschaft entfaltet verfahrensrechtlich gegenüber dem Organträger nicht die Wirkung eines Grundlagenbescheids. - Urt.; BFH 6.3.2008, IV R 74/05; SIS 08 25 79
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine
Konzernobergesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG
und Organträgerin zahlreicher Kapitalgesellschaften. In den
Jahren 1993 und 1994 hielt die Klägerin u.a. sämtliche
Anteile an der A-Markt GmbH (Organgesellschaft - OG - ), mit der
ein Organschaftsverhältnis i.S. des § 14 des
Körperschaftsteuergesetzes damaliger Fassung (KStG) bestand.
Die OG war ihrerseits zu 50 % an der B-oHG (oHG) beteiligt. Die
Klägerin und die OG erstellten ihre Jahresabschlüsse auf
den 28. Februar, während die oHG ein dem Kalenderjahr
entsprechendes Wirtschaftsjahr hatte.
Nach einer Außenprüfung bei der
oHG erging im März 2002 ein geänderter
Gewinnfeststellungsbescheid 1993 für die oHG, mit dem der
Gewinnanteil der OG um 7.400.154 DM erhöht wurde. Im Mai 2002
erließ daraufhin der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) einen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der
Abgabenordnung (AO) geänderten Körperschaftsteuerbescheid
1994 für die OG, mit dem allerdings wegen des
Organschaftsverhältnisses die Steuer weiterhin auf 0 DM
festgesetzt wurde. Die Veranlagungsstelle für die OG fertigte
darüber eine Mitteilung an die für die Klägerin
zuständige Veranlagungsstelle.
Für die Klägerin waren zuvor
schon zwei Gewinnfeststellungsbescheide 1994 erlassen worden. Nach
Abgabe der Feststellungserklärung im Jahr 1996 war der erste
Bescheid im Oktober 1996 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
ergangen. Nach einer Außenprüfung wurden unter
Änderung nach § 164 Abs. 2 AO und Aufhebung des
Vorbehalts Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 260.774.592 DM
festgestellt. Hiergegen hatte die Klägerin im Hinblick auf ein
Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu § 32c des
Einkommensteuergesetzes (EStG) a.F. Einspruch eingelegt und das
Ruhen des Verfahrens beantragt.
Im Hinblick auf die Mitteilung über
den geänderten Gewinnanteil der OG erließ das FA nun am
25.6.2002 für die Klägerin einen geänderten
Gewinnfeststellungsbescheid und stellte die Einkünfte aus
Gewerbebetrieb um 7.400.154 DM höher auf 268.174.746 DM fest.
Die Änderung stützte das FA auf § 173 Abs. 1 Nr. 1
AO. Es wies darauf hin, dass sich der gegen den vorangegangenen
Bescheid erhobene Einspruch nicht erledigt habe.
Gleichwohl erhob die Klägerin
Einspruch und machte geltend, eine Änderung sei wegen
erhöhter Bestandskraft nach § 173 Abs. 2 Satz 1 AO
ausgeschlossen. Das FA war allerdings der Meinung, der Bescheid
könne jedenfalls auf § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt
werden. Es verwarf den zweiten Einspruch als unzulässig und
wies den ersten (fortwirkenden) zurück, erklärte den
Bescheid vom 25.6.2002 allerdings im Einvernehmen mit der
Klägerin hinsichtlich der Anwendung von § 32c EStG a.F.
für vorläufig (alles in der Einspruchsentscheidung vom
26.8.2003).
Die daraufhin erhobene Klage wies das
Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Die
Entscheidungsgründe sind in EFG 2005, 1223 = SIS 05 28 06
veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragt, das angefochtene Urteil, die
Einspruchsentscheidung vom 26.8.2003 und den geänderten
Gewinnfeststellungsbescheid 1994 vom 25.6.2002 aufzuheben, soweit
nicht der Bescheid hinsichtlich der Anwendung des § 32c EStG
a.F. für vorläufig erklärt wurde.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen
Bescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die
Nebenbestimmung über die Vorläufigkeit ist von der
Aufhebung nicht betroffen.
Das FA durfte keinen geänderten
Gewinnfeststellungsbescheid erlassen. Die verfahrensrechtlichen
Voraussetzungen für den Erlass eines geänderten
Gewinnfeststellungsbescheids waren nicht gegeben.
a) Die Voraussetzungen für eine
Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 181 Abs. 1
Satz 1 AO, auf den sich der Bescheid ursprünglich
stützte, lagen nicht vor. Denn nach § 173 Abs. 2 AO
können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer
Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder
geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine
leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt.
Der zuvor ergangene Bescheid war aufgrund
einer Außenprüfung bei der Klägerin ergangen. Zwar
war er wegen des erhobenen Einspruchs noch nicht
bestandskräftig (vgl. von Groll in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vor §§ 172-177 AO Rz 66).
Im Einspruchsverfahren hätte eine Erhöhung der als Gewinn
aus Gewerbebetrieb der Klägerin bezeichneten
Besteuerungsgrundlage aber gegen den Willen der Klägerin nicht
vorgenommen werden können. Das FA hätte auf die drohende
Verböserung nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO hinweisen
müssen, welcher die Klägerin durch Rücknahme des
Einspruchs (§ 362 Abs. 1 Satz 1 AO) hätte entgehen
können. Dementsprechend trat die Änderungssperre (sog.
erhöhte Bestandskraft) nach § 173 Abs. 2 Satz 1 AO in
Bezug auf steuererhöhende Tatsachen gemäß §
173 Abs. 1 Nr. 1 AO bereits vor der formellen Bestandskraft des
Bescheids auf Grund der Außenprüfung ein.
b) Das FA konnte sich auch nicht auf §
175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO stützen. Ein Steuerbescheid bzw.
nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO ein Bescheid über die
gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen kann danach
geändert werden, soweit ein Grundlagenbescheid i.S. des §
171 Abs. 10 AO, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid
zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird.
Grundlagenbescheid ist nach der Legaldefinition des § 171 Abs.
10 Satz 1 AO ein Feststellungsbescheid, ein Steuermessbescheid oder
ein anderer Verwaltungsakt, soweit er für die Festsetzung
einer Steuer bindend ist.
aa) Als Grundlagenbescheid ist nicht der
geänderte Körperschaftsteuerbescheid der OG anzusehen.
Denn ein solcher Bescheid entfaltet nach dem Urteil des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28.1.2004 I R 84/03 (BFHE 205, 1, BStBl
II 2004, 539 = SIS 04 21 95) keine verfahrensrechtliche
Bindungswirkung für die Besteuerung des Organträgers.
bb) Grundlagenbescheid ist auch nicht der
geänderte Bescheid über die gesonderte und einheitliche
Feststellung der Einkünfte (Gewinnfeststellungsbescheid) 1993
für die oHG. Mit diesem Bescheid wurden höhere
Einkünfte aus Gewerbebetrieb der oHG und damit verbunden
höhere auf die OG entfallende Einkünfte aus
Gewerbebetrieb festgestellt.
Ein Gewinnfeststellungsbescheid entfaltet
Bindungswirkung gegenüber demjenigen Steuerpflichtigen, dem
der Gegenstand der Feststellung zuzurechnen ist (§ 179 Abs. 2
Satz 1 AO). Eine gesonderte und einheitliche Feststellung der
Einkünfte wird nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO
durchgeführt, wenn an den Einkünften mehrere Personen
beteiligt und diesen die Einkünfte zuzurechnen sind. Die
Bindungswirkung des Feststellungsbescheids erstreckt sich danach
auf die Personen, denen die Einkünfte steuerlich zuzurechnen
sind, also die Mitunternehmer i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 Satz 1 EStG.
Danach entfaltet der
Gewinnfeststellungsbescheid für die oHG nur Bindungswirkung
für die OG, denn diese ist ungeachtet des
Organschaftsverhältnisses selbst und alleine Mitunternehmerin
ihrer Tochterpersonengesellschaft.
cc) Eine Erstreckung der Wirkungen des
Feststellungsbescheids auf die Klägerin ist nach Auffassung
des Senats nicht möglich. Rechtsgrundlage dafür
könnte nur § 14 KStG (jetzt § 14 Abs. 1 KStG n.F.)
sein, der eine Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft beim
Organträger regelt. Zwar können einkommen- bzw.
körperschaftsteuerliche Rechtsfolgen aus der Beteiligung der
Organgesellschaft an einer Mitunternehmerschaft wegen der
Zurechnung nach § 14 KStG im Ergebnis nur bei dem
Organträger eintreten. Dies ist indessen keine unmittelbare
Folge der Bindungswirkung des Feststellungsbescheids nach §
179 Abs. 2 Satz 1 AO. Diese Wirkung erstreckt sich nur auf den an
der oHG Beteiligten, also die OG. Lediglich über § 14
KStG kann der Feststellungsbescheid Wirkungen auch gegenüber
der Klägerin entfalten. Da § 14 KStG aber nach dem
BFH-Urteil in BFHE 205, 1, BStBl II 2004, 539 = SIS 04 21 95
bereits dem Körperschaftsteuerbescheid der OG
verfahrensrechtlich nicht die Wirkung eines Grundlagenbescheids
für die Besteuerung des Organträgers verleiht, muss
Gleiches erst recht für den Gewinnfeststellungsbescheid einer
Beteiligungsgesellschaft der OG gelten (a.A. Kolbe in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz 48; Witt/Dötsch in
Dötsch/Jost/Pung/Witt, Kommentar zum KStG und EStG, § 14
KStG n.F., Rz 267).
Im Ergebnis können danach aus dem
Gewinnfeststellungsbescheid für eine
Tochterpersonengesellschaft einer OG keine Folgen innerhalb des
Organkreises gezogen werden. Der Senat hält dies zwar für
nicht sachgerecht, sieht sich wegen des Fehlens einer
gesetzgeberischen Verfahrensentscheidung über die Erstreckung
der Bindungswirkung auf den Organträger aber nicht zu einer
anderen Entscheidung in der Lage.