Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate
Freiburg, vom 31.08.2020 - 2 K 835/19 = SIS 20 17 90 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Kläger zu tragen.
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I. Im Streit steht, ob in Folge des Umzugs
des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) von der
Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) in die Schweiz die
sogenannte Wegzugsteuer gemäß § 6 des
Außensteuergesetzes in der für das Jahr 2011
(Streitjahr) geltenden Fassung (AStG) festgesetzt werden
darf.
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Der Kläger ist deutscher
Staatsangehöriger und seit 2008 Geschäftsführer der
… GmbH (GmbH) mit Sitz in der Schweiz. An dieser GmbH ist er
seit Gründung der Gesellschaft (im Juli 2007) mit einer
Stammkapitaleinlage von … CHF (damit zu 50 %) beteiligt. Im
Streitjahr war der Kläger zwar verheiratet, beantragte aber
eine getrennte Veranlagung zur Einkommensteuer.
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Im März 2011 verzog er in die Schweiz,
wo er seitdem wohnhaft ist. Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) informierte den Kläger, dass es in Folge
des Umzugs einen steuerpflichtigen fiktiven Gewinn gemäß
§ 6 Abs. 1 AStG in Höhe von … EUR ansetzen werde.
Der Kläger wies darauf hin, dass eine Besteuerung nicht mit
dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen
Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom
21.06.1999 (BGBl II 2001, 811) - Freizügigkeitsabkommen (FZA)
-, in Kraft getreten am 01.06.2002 (BGBl II 2002, 1692), in
Einklang stehe. Die Besteuerung nicht realisierter stiller Reserven
sei geeignet, eine Person vom Wegzug in die Schweiz abzuhalten.
Deutschland habe es versäumt, für den Bereich des FZA
eine der Stundungsregelung des § 6 Abs. 5 AStG entsprechende
Regelung vorzusehen. Daher finde die Wegzugsbesteuerung keine
Anwendung.
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Mit Bescheid vom 18.11.2014 setzte das FA
gegenüber dem Kläger die Einkommensteuer für 2011 in
Höhe von … EUR fest. Bei den Besteuerungsgrundlagen
berücksichtigte es unter anderem Einkünfte aus
Gewerbebetrieb im Sinne des § 6 AStG i.V.m. § 17 des
Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden
Fassung (EStG) in Höhe von … EUR. Mit seinem dagegen
erhobenen Einspruch machte der Kläger unter anderem geltend,
dass das Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1
Buchst. c EStG) fehlerhaft nicht angewendet worden sei.
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Das FA erließ einen
Änderungsbescheid, mit dem die Einkommensteuer in Höhe
von … EUR festgesetzt wurde. Die Einkünfte des
Klägers gemäß § 6 AStG i.V.m. § 17 EStG
reduzierte das FA auf … EUR (= 60 % von … EUR). Am
30.01.2015 erging erneut ein Änderungsbescheid mit einer
reduzierten Einkommensteuerfestsetzung. Den fiktiven
Veräußerungsgewinn berücksichtigte das FA nunmehr
mit … EUR.
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Mit der Einspruchsentscheidung reduzierte
das FA die Einkommensteuer aus nicht im Streit stehenden
Gründen erneut auf nunmehr … EUR. Im Übrigen wies
das FA den Rechtsbehelf als unbegründet zurück. Der
Kläger zahlte die Wegzugsteuer während des Verfahrens
„vorläufig“ und hat keine Stundung
mehr beantragt.
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Im Rahmen des Klageverfahrens richtete das
Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg ein
Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen
Union (EuGH), über das dieser mit Urteil Wächtler vom
26.02.2019 - C-581/17 (EU:C:2019:138, IStR 2019, 260 = SIS 19 01 95; im Folgenden: EuGH-Urteil Wächtler) entschieden
hat.
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Das FG gab der Klage mit Urteil vom
31.08.2020 - 2 K 835/19 statt (EFG 2021, 20 = SIS 20 17 90).
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Mit seiner Revision macht das FA geltend,
dass die Festsetzung der Wegzugsteuer gemäß § 6
AStG zulässig sei. Über die Frage, ob diese Steuer aus
Gründen übernationalen Rechts gestundet werden
müsse, sei nicht im Steuerfestsetzungs-, sondern im
Steuererhebungsverfahren zu entscheiden.
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Das FA beantragt, das Urteil der Vorinstanz
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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Das dem Revisionsverfahren gemäß
§ 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat keinen Antrag
gestellt. In der Sache unterstützt es das Anliegen des
FA.
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II. Die Revision des FA ist begründet und
führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Auch wenn auf der Grundlage
des im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens ergangenen
EuGH-Urteils Wächtler § 6 AStG geltungserhaltend mit der
Maßgabe anzuwenden ist, dass die Wegzugsteuer im Rahmen des
Steuererhebungsverfahrens dauerhaft und zinslos von Amts wegen zu
stunden ist, kann sie im (hier angegriffenen)
Einkommensteuerbescheid festgesetzt werden.
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1. Nach Maßgabe des nationalen Rechts
(§ 6 AStG) ist die Wegzugsteuer im Streitfall durch
Einkommensteuerbescheid festzusetzen und nicht zu stunden.
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Im Streitfall sind die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG erfüllt. Die
unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers, der er mehr als
zehn Jahre lang im Inland unterlag, endete durch die mit dem Umzug
in die Schweiz einhergehende Aufgabe des inländischen
Wohnsitzes. Deshalb ist auf die von ihm gehaltene Beteiligung an
der GmbH auch ohne Veräußerung § 17 Abs. 1 Satz 1
EStG anzuwenden, was zum Ansatz eines fiktiven
Veräußerungsgewinns führt. Eine dauerhafte Stundung
der Wegzugsteuer sieht § 6 AStG nicht vor. Die in § 6
Abs. 4 AStG zugestandene zeitlich befristete Teil-Stundung hat der
Kläger ausdrücklich nicht (mehr) beantragt; vielmehr hat
er die festgesetzte Wegzugsteuer entrichtet, ohne sich auf die in
§ 6 Abs. 4 AStG tatbestandlich vorausgesetzte
„erhebliche Härte“ zu berufen. Im
Übrigen kommt eine Stundung nach § 6 Abs. 5 AStG nur bei
einem Wegzug in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union
oder einen Vertragsstaat des Abkommens über den
Europäischen Wirtschaftsraum in Betracht und ist daher im
Streitfall (Schweiz) nicht einschlägig. Da über diese
Rechtsgrundsätze nach Maßgabe des nationalen Rechts
zwischen den Beteiligten im Übrigen kein Streit besteht, sieht
der Senat von näheren Ausführungen ab.
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2. Die Vorinstanz hat entschieden, dass das
FZA der Festsetzung der Wegzugsteuer im angegriffenen
Einkommensteuerbescheid entgegenstehe. Auf der Grundlage der im
Klageverfahren eingeholten Vorabentscheidung des EuGH (EuGH-Urteil
Wächtler) sei der Kläger Selbständiger im Sinne des
FZA, womit der persönliche Anwendungsbereich eröffnet
sei. Durch die Wegzugsbesteuerung ohne Aufschub der Zahlung der
geschuldeten Einkommensteuer werde der Kläger in seinem dort
verbrieften Recht auf Gleichbehandlung und damit seinem
Niederlassungsrecht (Anh. I Art. 15 i.V.m. Art. 9 FZA) verletzt. Im
Streitfall sei nicht erst das Leistungsgebot im angegriffenen
Steuerbescheid rechtswidrig, sondern bereits die Steuerfestsetzung.
Dies folge aus dem Tenor des EuGH-Urteils Wächtler, der das
„Steuersystem“ bestehend aus Komponenten
der Steuerfestsetzung und -erhebung betreffe. Das nationale Recht
kenne aber kein System, das die Feststellung der Steuerhöhe im
Wegzugszeitpunkt bei gleichzeitiger dauerhafter Stundung der
festgesetzten Steuer vorsehe. Es sei auch nicht möglich, die
vom EuGH formulierten übernationalen Vorgaben im Wege der
sogenannten geltungserhaltenden Reduktion in die bestehenden
nationalen Vorschriften hineinzulesen.
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3. Dieser Auffassung des FG ist nicht
uneingeschränkt zu folgen.
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a) Rechtsfehlerfrei hat das FG
berücksichtigt, dass es im Rahmen der zu treffenden
Sachentscheidung selbst - wie im Übrigen darüber hinaus
auch die konkret am vorliegenden Rechtsstreit Beteiligten und auch
der Bundesfinanzhof (BFH) als Revisionsgericht (s. insoweit
allgemein BFH-Urteil vom 11.02.2003 - VII R 1/01, BFH/NV 2003, 1100
= SIS 03 33 65) - an die im Vorabentscheidungsverfahren ergangene
Entscheidung des EuGH gebunden ist. Dabei ist der Tenor des
EuGH-Urteils Wächtler im Lichte der ihm zugeordneten
Entscheidungsgründe auszulegen (s. allgemein EuGH-Urteile
Bosch/Hauptzollamt Hildesheim vom 16.03.1978 - Rs. 135/77,
EU:C:1978:75; Kommission/Italien vom 19.01.1993 - C-101/91,
EU:C:1993:16, Rz 14, HFR 1995, 105; s.a. Ehricke in Streinz,
EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 267 AEUV Rz 68; Schönfeld/Erdem,
Steuer und Wirtschaft - StuW - 2022, 70; Cordewener in Drüen/Hey/Mellinghoff
[Hrsg.], 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland 1918-2018,
Festschrift für den Bundesfinanzhof, 2018, S. 895, 906).
Für diese Auslegung kommt es nicht darauf an, ob der EuGH in
früher ergangenen oder späteren Entscheidungen zu
vergleichbaren Sachumständen nach denselben Maßgaben
erkannt hat.
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b) Gemessen daran kann kein Zweifel bestehen,
dass der EuGH in seinem Urteil Wächtler das deutsche, aus
Regelungen für die Steuerfestsetzung und Regelungen für
die Steuererhebung bestehende und insbesondere in § 6 Abs. 1,
4 und 5 AStG kodifizierte „System“ der
Wegzugsbesteuerung bei Wegzügen in die Schweiz verworfen hat,
weil es das FZA-Niederlassungsrecht der betroffenen
Steuerpflichtigen verletzt. Mithin ist, wie vom FG richtig erkannt,
eine dauerhafte und zinslose Stundung des gesamten Betrags der
festgesetzten Wegzugsteuer geboten (gleicher Auffassung z.B.
Häck, Internationale Steuer-Rundschau - ISR - 2020, 17;
Häck/Kahlenberg, IStR 2019, 253; Häck in Hummel/Kaminski
[Hrsg.], Neue Herausforderungen im Internationalen Steuerrecht,
2022, S. 1, 6 f.; Hörnicke, ISR 2021, 97, 98 f.;
Hohenwarter-Mayr, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
2019, 129; Oellerich, EFG 2021, 25; Schlücke, IStR 2019, 264;
Weiss, Ertrag-Steuerberater 2019, 117; s.a. Schönfeld/Erdem,
StuW 2022, 70, 77 ff.; FG Köln, Beschluss vom 11.05.2021 - 2 V
1929/20, juris = SIS 21 11 89; a.A. BMF-Schreiben vom 13.11.2019,
BStBl I 2019, 1212 = SIS 19 16 55).
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aa) Nach dem Tenor des EuGH-Urteils
Wächtler sind „Die Bestimmungen des … [FZA] dahin
auszulegen, dass sie einem Steuersystem eines Mitgliedstaats
entgegenstehen, das in einer Situation, in der ein Angehöriger
eines Mitgliedstaats, also eine natürliche Person, der im
Hoheitsgebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft eine
Erwerbstätigkeit ausübt, seinen Wohnsitz von dem
Mitgliedstaat, dessen Steuersystem in Frage steht, in die Schweiz
verlegt, vorsieht, dass die für die latenten Wertzuwächse
von Gesellschaftsanteilen dieses Staatsangehörigen geschuldete
Steuer im Zeitpunkt dieser Wohnsitzverlegung erhoben wird,
während im Fall der Beibehaltung des Wohnsitzes im selben
Mitgliedstaat die Erhebung erst im Zeitpunkt der Realisierung der
Wertzuwächse, d.h. bei der Veräußerung der
betreffenden Gesellschaftsanteile,
erfolgt.“
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bb) Nach den zur Auslegung heranzuziehenden
Entscheidungsgründen stellt der EuGH mit Blick auf die der
Rechtsprüfung des EuGH unterliegenden nationalen Vorschriften
zur Wegzugsbesteuerung (§ 6 Abs. 1, 4 und 5 AStG - s. dort Rz
25) den Umstand einer Ungleichbehandlung fest (dort Rz 56 f.). Denn
der Kläger, der sein Niederlassungsrecht ausgeübt habe,
erleide einen steuerlichen Nachteil gegenüber
Steuerpflichtigen, die ihren Wohnsitz in Deutschland beibehalten
hätten. Denn Letztere müssten die Steuer für latente
Wertzuwächse von Gesellschaftsanteilen erst zahlen, wenn diese
Wertzuwächse realisiert würden, das heißt bei der
Veräußerung der Gesellschaftsanteile, während ein
Staatsangehöriger wie der Kläger die fragliche Steuer
für die latenten Wertzuwächse solcher
Gesellschaftsanteile im Zeitpunkt der Verlegung seines Wohnsitzes
in die Schweiz zahlen müsse, ohne einen Zahlungsaufschub bis
zur Veräußerung der Anteile erhalten zu können.
Diese Ungleichbehandlung, die einen Liquiditätsnachteil
darstelle, sei geeignet, den Kläger davon abzuhalten, von
seinem Niederlassungsrecht gemäß dem FZA
tatsächlich Gebrauch zu machen. Und Rz 60 ist zu entnehmen,
dass der EuGH im Hinblick auf das von § 6 AStG verfolgte Ziel
die Vergleichbarkeit zwischen einer Person, die ihren
inländischen Wohnsitz beibehält, und einer Person, die
von Deutschland in die Schweiz verzieht, bejaht.
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Dass die Ungleichbehandlung durch zwingende
Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein könne, wird
vom EuGH ausgeschlossen (Rz 67). Dazu stellt der EuGH in Rz 64
zunächst fest, dass die Bestimmung der Höhe der
fraglichen Steuer im Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes in die
Schweiz zwar eine geeignete Maßnahme sei, um die Erreichung
des Ziels in Bezug auf die Wahrung der Aufteilung der
Besteuerungsbefugnis zwischen der Schweiz und Deutschland
sicherzustellen. Dieses Ziel sei jedoch keine Rechtfertigung
dafür, dass eine Stundung dieser Steuer unmöglich sei.
Denn eine solche Stundung bedeute nicht, dass Deutschland zugunsten
der Schweiz auf ihre Befugnis zur Besteuerung der
Wertzuwächse, die während des Zeitraums der
unbeschränkten Steuerpflicht des Inhabers der
Gesellschaftsanteile in Deutschland entstanden seien, verzichte. Da
aufgrund des bestehenden Informationsaustauschs Deutschland
Auskünfte über eine etwaige Veräußerung der
Gesellschaftsanteile erhalten könne, sei die fehlende
Möglichkeit der Stundung der Wegzugsteuer eine Maßnahme,
die über das hinausgehe, was zur Erreichung des Ziels der
Wirksamkeit der steuerlichen Kontrollen erforderlich sei (Rz
65).
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In Rz 66 qualifiziert der EuGH die alsbaldige
Einziehung der Wegzugsteuer im Zeitpunkt der Wohnsitzverlegung zwar
als geeignete Maßnahme, um eine wirksame Steuererhebung zu
gewährleisten. Allerdings sei die Maßnahme
unverhältnismäßig. Denn im Falle des Fehlens von
Mechanismen der gegenseitigen Unterstützung bei der
Beitreibung von Steuerforderungen sei zwar ein Risiko der
Nichteinziehung der geschuldeten Steuer gegeben. Jedoch könne
in diesem Falle der Aufschub der Einziehung dieser Steuer von der
Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden.
Schließlich geht der EuGH in Rz 68 auf eine nationale
Steuerregelung ein, bei der es sich offenkundig um § 6 Abs. 4
AStG handelt. Die dort vorgesehene Möglichkeit der Zahlung der
Wegzugsteuer in Teilbeträgen stehe der in Rz 67 getroffenen
Feststellung, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende
Steuersystem eine ungerechtfertigte Beschränkung des vom FZA
vorgesehenen Niederlassungsrechts darstellt, nicht entgegen. Denn
die Maßnahme der Ratenzahlung sei jedenfalls nicht geeignet,
den Liquiditätsnachteil aufzuheben, der mit der Verpflichtung
zur Zahlung eines Teils der Wegzugsteuer im Wegzugszeitpunkt
einhergehe. Außerdem bleibe diese Maßnahme
kostspieliger als eine Maßnahme, die die Stundung der
geschuldeten Steuer bis zur Veräußerung der Anteile
vorsähe.
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cc) Der Senat erachtet diese Aussagen des EuGH
im Urteil Wächtler als klar und eindeutig. Auch wenn der EuGH
in anderen Entscheidungen, die das beigetretene BMF zur
Begründung seiner abweichenden Rechtsauffassung heranzieht,
die aber zu anderen Lebenssachverhalten und anderen
nationalrechtlichen Bestimmungen ergangen sind, abweichende
fallspezifische Rechtsausführungen gemacht haben sollte,
stellt das EuGH-Urteil Wächtler die den Senat „bindende
Momentaufnahme“ (so allgemein Cordewener in
Drüen/Hey/Mellinghoff [Hrsg.], 100 Jahre Steuerrechtsprechung
in Deutschland 1918-2018, Festschrift für den Bundesfinanzhof,
2018, S. 895, 910) hinsichtlich der Anforderungen an die
Rechtmäßigkeit der Wegzugsbesteuerung natürlicher
Personen im Anwendungsbereich des FZA dar. Es besteht wegen der
Bindungswirkung (siehe zu a) auch weder Grund noch Anlass für
eine (für diesen Rechtsstreit: erneute) Vorlage einer
Rechtsfrage an den EuGH.
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dd) Damit ist, um dem Kläger die
Ausübung seines Rechts, sich in der Schweiz niederzulassen, zu
ermöglichen, eine bis zum Veräußerungszeitpunkt
andauernde Stundung der - im Wegzugszeitpunkt zulässigerweise
festzusetzenden - gesamten Wegzugsteuer geboten. Diese Stundung
darf gegebenenfalls von einer Sicherheitsleistung abhängig
gemacht werden (EuGH-Urteil Wächtler, Rz 66; s.a. Häck,
ISR 2020, 17), nicht aber mit einer Verzinsung einhergehen, weil
dies zu einem Liquiditätsnachteil gegenüber einem im
Inland verbleibenden Steuerpflichtigen führt, der bis zu einer
Veräußerung der Anteile keinen Zahlungspflichten
unterliegt (z.B. Oellerich, EFG 2021, 25; s.a.
Häck/Kahlenberg, IStR 2019, 253; Schlücke, IStR 2019,
264; a.A. BMF-Schreiben vom 13.11.2019, BStBl I 2019, 1212 = SIS 19 16 55). Auch insoweit erachtet der Senat die Aussagen in Rz 57 und
68 des EuGH-Urteils Wächtler für eindeutig und
nachvollziehbar. In Rz 68 wird zwar speziell das -
nationalrechtlich allerdings mit einer Verzinsung einhergehende -
Teilbetragszahlungskonzept des § 6 Abs. 4 AStG in den Blick
genommen. Allerdings geht mit einer gegebenenfalls viele Jahre
andauernden Zinszahlungsverpflichtung ebenfalls ein ganz
erheblicher Liquiditätsnachteil einher. Eine verzinsliche
Stundung ist im Sinne der Ausführungen unter Rz 68 des
EuGH-Urteils Wächtler zweifellos auch deutlich kostspieliger
als eine Maßnahme, die schlicht die Stundung der geschuldeten
Steuer bis zur Veräußerung der Gesellschaftsanteile
vorsieht.
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c) Nicht anschließen kann sich der Senat
allerdings der Meinung des FG, dass das unter Beachtung der
FZA-Maßgaben Gebotene (dauerhafte, unverzinsliche Stundung)
nicht in die nationalen Rechtsvorschriften hineingelesen werden
könne, was damit die Rechtswidrigkeit der Festsetzung der
Wegzugsteuer zur Folge habe. Vielmehr führt auch die
Verwendung des Begriffs „Steuersystem“
im Tenor des EuGH-Urteils Wächtler nicht dazu, dass die
Festsetzung der Wegzugsteuer - wie das FG meint - unzulässig
ist.
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aa) Das FG hat die Reichweite der in
ständiger Rechtsprechung bei Unionsrechtsverstößen
zugelassenen sogenannten geltungserhaltenden Reduktion des
nationalen Rechts zu eng bestimmt. Denn es geht insoweit um eine
Gesetzesanwendung, die den Anwendungsvorrang des unmittelbar
geltenden Unionsrechts unter größtmöglicher Wahrung
des national-rechtlichen Gesetzesbefehls sicherstellt (vgl. auch
Cordewener in Drüen/Hey/Mellinghoff [Hrsg.], 100 Jahre
Steuerrechtsprechung in Deutschland 1918-2018, Festschrift für
den Bundesfinanzhof, 2018, S. 895, 911 ff.). Die
Unionsrechtswidrigkeit führt danach gerade nicht zu einer
vollständigen Unanwendbarkeit oder Nichtigkeit der nationalen
Vorschrift. Vielmehr ist dem Anwendungsvorrang des
Primärrechts vor nationalem Recht durch das
„Hineinlesen“ der vom EuGH verbindlich
formulierten unionsrechtlichen Erfordernisse in die betroffene Norm
Rechnung zu tragen (z.B. Senatsurteile vom 03.02.2010 - I R 21/06,
BFHE 228, 259, BStBl II 2010, 692 = SIS 10 12 82; vom 15.01.2015 -
I R 69/12, BFHE 249, 99 = SIS 15 11 53, m.w.N.). Infolgedessen kann
es geboten sein, ein „europarechtswidriges
Tatbestandsmerkmal“ nicht zu beachten
(BFH-Urteile vom 17.07.2008 - X R 62/04, BFHE 222, 428, BStBl II
2008, 976 = SIS 08 37 64; vom 21.10.2008 - X R 15/08, BFH/NV 2009,
559 = SIS 09 08 92) oder einen im nationalen Gesetz nicht
vorgesehenen Gegenbeweis zuzulassen (z.B. Senatsurteile vom
21.10.2009 - I R 114/08, BFHE 227, 64, BStBl II 2010, 774 = SIS 10 00 34; vom 03.02.2010 - I R 21/06, BFHE 228, 259, BStBl II 2010,
692 = SIS 10 12 82), im Übrigen aber die Vorschrift in ihrem
Bestand zu erhalten.
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bb) Nach diesen allgemeinen
Maßstäben, die im Schrifttum Zustimmung erfahren haben
(z.B. Hey, StuW 2010, 301; Kokott/Henze in
Mellinghoff/Schön/Viskorf [Hrsg.], Steuerrecht im Rechtsstaat,
Festschrift für Wolfgang Spindler, 2011, S. 279, 293 ff.) und
auch im Bereich der Anwendung der FZA-Maßgaben Anwendung
finden, um eine materiell-rechtliche Besserstellung der dortigen
Regelungsadressaten im Vergleich zu Unionsrechtsbürgern bei
Anwendung der Grundfreiheiten des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union zu verhindern, ist es
zulässig, im Zeitpunkt des Wegzugs in die Schweiz die
Wegzugsteuer gemäß § 6 Abs. 1 AStG festzusetzen
(a.A. Hörnicke, ISR 2021, 97, 101 und 103; wohl auch
Schönfeld/Erdem, StuW 2022, 70, 93). Damit wird auch
ermöglicht, auf den Zeitpunkt des Wegzugs festzuhalten, auf
welchen Anteil des Steuersubstrats das Besteuerungsrecht des
Wegzugsstaates entfällt (so FG Köln, Beschluss vom
11.05.2021 - 2 V 1929/20, juris = SIS 21 11 89, Rz 33). Zugleich
ist aber den vom EuGH verbindlich formulierten Vorgaben dadurch
Rechnung zu tragen, dass die im nationalen Gesetz nicht vorgesehene
zinslose und bis zur Anteilsveräußerung andauernde
Stundung von Amts wegen zu gewähren ist, um dem
Steuerpflichtigen die Ausübung seines Rechts, sich in der
Schweiz niederzulassen, zu ermöglichen.
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4. Die hiernach vom FZA geforderte Stundung
wird im Streitfall nicht durch die Zahlung der Wegzugsteuer durch
den Kläger ausgeschlossen.
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Nach der Rechtsprechung des BFH geht eine nach
Entrichtung der Steuer ausgesprochene Stundung nicht „ins
Leere“. Eine Stundung kann vielmehr auch
für bereits vergangene Zeiträume und auch für
bereits gezahlte Steuern gewährt werden (BFH-Urteile vom
22.04.1988 - III R 269/84, BFH/NV 1989, 428; vom 08.07.2004 - VII R
55/03, BFHE 206, 309, BStBl II 2005, 7 = SIS 04 35 06).
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Im Übrigen ist über die mit dem
Stundungsanspruch verbundenen Fragen nicht im vorliegenden - allein
die Steuerfestsetzung betreffenden - Verfahren, sondern gesondert
im Rahmen des Erhebungsverfahrens zu entscheiden.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
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