Auf die Revision des Klägers wird das
Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 18.03.2019 - 5 K
907/18 aufgehoben.
Die Sache wird an das Sächsische
Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Die Beteiligten streiten über die
Frage, ob die Verjährung einer Haftungsschuld auch dann durch
eine Sachpfändung unterbrochen werden kann, wenn diese im
Rahmen eines Arrestverfahrens bereits vor Fälligkeit der
Haftungsschuld vorgenommen worden ist.
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Am 28.08.1996 ordnete das Finanzamt Y den
dinglichen Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen
des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) an, und
zwar wegen der von der Firma X (GmbH) hinterzogenen Umsatzsteuern
für 1995 in Höhe von … DM und für 1996 in
Höhe von … DM. In der Begründung der
Arrestanordnung wurde ausgeführt, der Kläger hafte als
faktischer Geschäftsführer für die Umsatzsteuer der
GmbH gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO), hilfsweise
gemäß § 69 i.V.m. § 34 AO.
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Am 30.08.1996 pfändete das Finanzamt Q
in Vollziehung der Arrestanordnung in der Wohnung des Klägers
eine Armbanduhr der Marke Rolex (Schätzwert: … DM) und
ein mit Steinen besetztes Goldarmband (Schätzwert: …
DM). Der Kläger war bei der Pfändung anwesend und wurde
anschließend von der Polizei verhaftet.
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Das Goldarmband wurde am 12.09.1998 zum
Meistgebot von … DM versteigert.
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Am 24.06.1998 erließ das Finanzamt Y
gegen den Kläger einen auf § 71 AO gestützten
Haftungsbescheid wegen Umsatzsteuer der GmbH für 1996 in
Höhe von … DM.
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Die Pfändung der Armbanduhr wurde auf
die Klage der Sicherungseigentümerin hin durch Urteil des
Landgerichts W (LG) vom 04.06.1999 für unzulässig
erklärt und am 06.07.1999 aufgehoben.
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Jeweils am 14.07.2004, am 15.10.2009 und am
14.02.2014 erfolgten weitere Vollstreckungsversuche.
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Am 20.04.2017 erließ der Beklagte und
Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA - ) einen Abrechnungsbescheid,
demzufolge der Kläger aufgrund des Haftungsbescheids vom
24.06.1998 aus der Umsatzsteuer für 1996 noch einen
verbleibenden Betrag von … EUR schuldete (entsprechend
… DM).
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Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, der angefochtene
Abrechnungsbescheid sei rechtmäßig; insbesondere sei die
streitige Haftungsschuld nicht verjährt. Der Anspruch aus dem
Haftungsbescheid vom 24.06.1998 sei nach § 229 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. § 220 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 AO erstmals am
27.07.1998 fällig geworden. Eine Unterbrechung der
Zahlungsverjährung sei aber bereits am 30.08.1996 durch die
Sachpfändung in der Wohnung des Klägers in Höhe der
beigetriebenen Umsatzsteuerforderung von … DM eingetreten
und habe bis zur Freigabe der gepfändeten Armbanduhr durch das
LG am 04.06.1999 fortgedauert. Unschädlich sei, dass die
Sachpfändung bereits im Rahmen des Arrestverfahrens und damit
vor Fälligkeit der Haftungsschuld erfolgt sei; denn da das
Arrestverfahren als vorläufiges Sicherungsverfahren in das
Beitreibungsverfahren übergeleitet werde, unterbreche die auf
der Grundlage der Arrestanordnung durchgeführte
Vollstreckungsmaßnahme die Verjährung in derselben Weise
wie eine auf der Grundlage eines später erlassenen, die
nämliche Steuerschuld betreffenden Steuerbescheids
durchgeführte Vollstreckungsmaßnahme. Die
fünfjährige Verjährungsfrist des § 228 AO habe
demnach mit Ablauf des Jahres 1999 begonnen und hätte mit
Ablauf des Jahres 2004 geendet, sei aber durch den
Vollstreckungsversuch am 14.07.2004 erneut unterbrochen
worden.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit der
Revision. Er trägt vor, anders als das FG habe der
Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass die Verjährung eines
Anspruchs nur durch ein Ereignis unterbrochen werden könne,
das nach Beginn der Verjährungsfrist eingetreten sei (Hinweis
auf Senatsurteil vom 08.01.1980 - VII R 81/77, BFHE 129, 534, BStBl
II 1980, 306 = SIS 80 01 67). Die mit Ablauf des Jahres 1998
angelaufene fünfjährige Frist zur Zahlungsverjährung
sei daher mangels Unterbrechungshandlung am 31.12.2003
abgelaufen.
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Hilfsweise, wenn man der Auffassung des FG
folgte, sei zu berücksichtigen, dass eine Sicherheitsleistung
die Verjährung nur in Höhe der geleisteten Sicherheit
unterbreche (Hinweis auf BFH-Urteil vom 09.10.2002 - V R 29/01,
BFH/NV 2003, 143 = SIS 03 08 01). Dadurch solle vermieden werden,
dass durch die Pfändung geringfügiger Werte der Anlauf
der Verjährungsfrist in Bezug auf die gesamte Steuerschuld
für die Dauer der Pfändung gehemmt werde. Daher werde
auch bei Überleitung des Arrestverfahrens in das
Vollstreckungsverfahren, also nach Beginn der Verjährung, die
Verjährung nur in Höhe der Sicherheit unterbrochen. Zu
Beginn der Verjährungsfrist Ende 1998 habe sich nur noch die
Uhr im Wert von … EUR (entsprechend … DM) im
Gewahrsam des Finanzamts Q befunden. Nur in dieser Höhe sei
daher die Verjährungsfrist gegebenenfalls noch bis zum
31.12.2004 gelaufen.
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Der Kläger beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben und den
Abrechnungsbescheid vom 20.04.2017 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 25.05.2018 dahingehend zu ändern,
dass eine verbleibende Haftungsschuld von 0 EUR ausgewiesen
wird,
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hilfsweise, die Vorentscheidung aufzuheben
und den Abrechnungsbescheid vom 20.04.2017 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 25.05.2018 dahingehend zu ändern,
dass eine verbleibende Haftungsschuld von … EUR ausgewiesen
wird.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Zur Begründung trägt das FA im
Wesentlichen vor, das von dem Kläger zitierte Senatsurteil (in
BFHE 129, 534, BStBl II 1980, 306 = SIS 80 01 67) sei noch zur
Reichsabgabenordnung (RAO) ergangen und könne nicht ohne
weiteres auf die Regelungen der AO übertragen werden. Der
Unterbrechungstatbestand einer erlangten Sicherheit im
Arrestverfahren wirke gemäß § 231 Abs. 2 Satz 1 AO
nicht punktuell, sondern sei auf Dauer angelegt. Er bewirke,
solange er andauere, die Unterbrechung jeder in dieser Zeit
laufenden Verjährungsfrist auch dann, wenn diese erst in
dieser Zeit, für eine logische Sekunde bis zum Eintritt der
Unterbrechung, zu laufen beginne (Hinweis auf Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen - OVG
NRW - vom 06.01.2015 - 14 B 198/14, Kommunale Steuer-Zeitschrift -
KStZ - 2015, 90, Rz 49).
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Im Rahmen der mündlichen Verhandlung
haben beide Beteiligte übereinstimmend vorgetragen, dass am
25.05.2019 ein weiterer Vollstreckungsversuch unternommen
wurde.
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II. Die Revision des Klägers ist
begründet. Die Vorentscheidung beruht auf einer Verletzung von
Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz der Finanzgerichtsordnung - FGO
- ) und ist daher aufzuheben. Das FG hat seiner Entscheidung eine
unzutreffende Auslegung von § 231 AO zugrunde gelegt.
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Der erkennende Senat kann allerdings mangels
ausreichender Feststellungen nicht selbst abschließend
darüber entscheiden, ob die streitige Haftungsschuld
tatsächlich verjährt ist. Die Sache ist daher zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
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1. Der Haftungsanspruch gehört
gemäß § 37 Abs. 1 AO zu den Ansprüchen aus dem
Steuerschuldverhältnis und verjährt gemäß
§ 228 Satz 2 AO nach fünf Jahren.
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a) Die Zahlungsverjährung beginnt mit
Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig
geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO). Ist ein
Haftungsbescheid ohne Zahlungsaufforderung ergangen, so beginnt die
Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der
Haftungsbescheid wirksam geworden ist (§ 229 Abs. 2 AO).
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20
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Durch die Verjährung erlöschen der
Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis und die von ihm
abhängenden Zinsen (§ 232 AO).
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b) Die Verjährung eines Anspruchs wird
gemäß § 231 Abs. 1 AO durch die dort genannten
Maßnahmen unterbrochen, entweder punktuell oder aber
gemäß § 231 Abs. 2 AO für die dort bestimmte
Dauer.
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aa)
„Unterbrochen“ i.S. von §
231 Abs. 1 AO bedeutet, dass der nach § 229 Abs. 1 Satz 1 AO
in Gang gesetzte Fristenlauf abgebrochen wird und mit Ablauf des
Kalenderjahrs, in dem die Unterbrechung endet, eine neue
Verjährungsfrist beginnt (§ 231 Abs. 3 AO, Prinzip der
Kalenderverjährung). Die bereits verstrichene Zeit bleibt
somit unberücksichtigt (vgl. auch Loose in Tipke/Kruse, §
231 AO Tz 1; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 231 AO Rz
2).
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bb) Zu unterscheiden ist die Unterbrechung
einer Frist von ihrer Hemmung. Letztere bewirkt nur ein Ruhen oder
einen Stillstand des Fristlaufs. Im Fall der Anlaufhemmung wird der
Beginn der Verjährungsfrist auf einen späteren Zeitpunkt
hinausgeschoben; im Fall der Ablaufhemmung wird der
planmäßige Eintritt der Verjährung hinausgeschoben
(s. Banniza in HHSp,
Vorbemerkung zu §§ 169 bis 171 AO Rz 31; Loose in
Tipke/Kruse, § 231 AO Tz 1).
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Für die Zahlungsverjährung ist eine
Anlaufhemmung in § 229 Abs. 1 Satz 2 AO geregelt, demzufolge
der Beginn der Verjährungsfrist in den dort genannten
Fällen hinausgeschoben wird (vgl. Loose in Tipke/Kruse, § 229 AO
Tz 6; Kögel in Gosch, AO § 229 Rz 9).
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Eine Ablaufhemmung enthält § 230 AO,
nach dem die Zahlungsverjährung gehemmt ist, solange der
Anspruch wegen höherer Gewalt innerhalb der letzten sechs
Monate der Verjährungsfrist nicht verfolgt werden kann.
Hemmung bedeutet hier, dass der Zeitraum, währenddessen die
Hemmung besteht, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet
wird, dass aber nach dem Wegfall der Hemmung die bereits begonnene
„alte“ Verjährungsfrist
weiterläuft (vgl. Loose in Tipke/Kruse, § 230 AO Tz 1;
Heuermann in HHSp,
§ 230 AO Rz 3; Kögel in Gosch, AO § 230 Rz 2).
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26
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cc) Schon aus dem Begriff der Unterbrechung
und der Systematik der §§ 228 ff. AO folgt somit, dass
eine Verjährungsfrist nur dann unterbrochen werden kann, wenn
sie bereits in Gang gesetzt worden ist und noch läuft. Mithin
kann die Verjährung eines Anspruchs auch nur durch ein
Ereignis unterbrochen werden, das nach dem Beginn der
Verjährungsfrist eingetreten ist.
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Dies hat der Senat in Bezug auf § 147 RAO
bereits entschieden (Senatsurteil in BFHE 129, 534, BStBl II 1980,
306 = SIS 80 01 67). Das gilt aber aufgrund der dargelegten
Systematik der §§ 228 ff. AO und der rechtssystematischen
Unterscheidung zwischen der Unterbrechung und der Hemmung einer
Frist ebenso für § 231 AO (gleicher Ansicht: FG Hamburg,
Urteil vom 24.10.1989 - II 117/86, EFG 1990, 458 = SIS 90 22 56,
unter 3.c bb der Entscheidungsgründe; Heuermann in HHSp,
§ 231 AO Rz 3; Loose in Tipke/Kruse, § 231 AO Tz 2 und
21; Koenig/Klüger, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 231 Rz 2;
Kögel in Gosch, AO § 231 Rz 1 und 19; Kordt in
Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 231 AO Rz 43; BeckOK AO/Oosterkamp,
21. Ed. 01.07.2022, AO § 231 Rz 1 und 15; Baum in eKomm Ab
29.12.2020, § 231 AO, Rz 1 und 18 (Aktualisierung v.
06.04.2022); offengelassen im BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 143 = SIS 03 08 01, unter II.2.b; anderer Ansicht: Klein/Rüsken, AO, 15.
Aufl., § 231 Rz 15).
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Dies entspricht im Übrigen auch der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Begriff der
Unterbrechung der Verjährung im § 217 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in der Fassung vom 01.01.1964
bzw. dem diesen ersetzenden Begriff des Neubeginns der
Verjährung in § 212 BGB. Danach setzt ein Neubeginn der
Verjährung „denknotwendig voraus, dass die
Verjährung schon in Gang gesetzt worden ist, und kann damit
frühestens ab dem eigentlichen Verjährungsbeginn
einsetzen“ (s. BGH-Beschluss vom
08.01.2013 - VIII ZR 344/12, NJW 2013, 1430, Rz 6, m.w.N.; ebenso:
Staudinger/Peters/Jacoby (2019) BGB § 212 Rz 32;
MüKoBGB/Grothe, 9. Aufl., § 212 Rz 1; BeckOK BGB/Henrich,
63. Ed. 01.08.2022, BGB § 212 Rz 15).
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dd) Eine Ausdehnung der
Verjährungsunterbrechung auf den Fall einer Pfändung im
Arrestverfahren (§ 324 AO), die noch vor Beginn der
Verjährungsfrist vorgenommen worden ist, ist vom Sinn und
Zweck des § 231 AO nicht gedeckt.
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(1) Der Sinn und Zweck der Regelungen zur
Hemmung und zur Unterbrechung der Verjährung erschließen
sich aus dem allgemeinen Sinn und Zweck der Regelungen über
die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche (s.
dazu Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. 1, 1991, § 9 V 1.,
m.w.N.). Diese dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit.
Sie ist eine „durch die Zweckmäßigkeit gebotene
Einrichtung“ (so bereits Otto Mayer,
Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 1924, S. 331); denn sie
zwingt den Gläubiger, seine Ansprüche zügig geltend
zu machen.
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31
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Damit berücksichtigen die
Verjährungsvorschriften einerseits, dass die Erweisbarkeit von
Ansprüchen oder auch ihre Abweisung umso schwieriger wird, je
älter die Ansprüche werden (vgl. etwa Senatsurteil vom
31.01.1989 - VII R 77/86, BFHE 156, 30, BStBl II 1989, 442 = SIS 89 10 50; s.a. Drüen in Tipke/Kruse, Vorbemerkungen zu
§§ 169 bis 171 AO Tz 5, und Banniza in HHSp, Vorbemerkung
zu §§ 169 bis 171 AO Rz 6, jeweils m.w.N.). Sie haben
zudem die Aufgabe, einen gegenwärtigen zeitnahen Steuervollzug
zu gewährleisten (s. Haug, Die Verjährung im Steuerrecht,
Dissertation 2012, S. 46 ff., 78 ff., m.w.N.).
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Für den Steuerpflichtigen bedeuten sie
andererseits, dass er nach Eintritt der Verjährung nicht mehr
damit zu rechnen braucht, für die betreffenden Steuern in
Anspruch genommen zu werden (s. Frotscher in Schwarz/Pahlke,
a.a.O., § 169 AO Rz 1; Banniza in HHSp, Vorbemerkung zu
§§ 169 bis 171 AO Rz 6). In diesem Sinne soll das
Institut der Zahlungsverjährung dafür sorgen, dass nach
Ablauf einer angemessenen Frist endgültig Rechtssicherheit
darüber einkehrt, was der Steuerpflichtige aufgrund der
Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung anzurechnender
Vorauszahlungen und Abzugssteuern noch zu zahlen hat bzw. was ihm
zu erstatten ist (Senatsurteile vom 27.10.2009 - VII R 51/08, BFHE
227, 327, BStBl II 2010, 382 = SIS 10 00 36, Rz 34, und vom
12.02.2008 - VII R 33/06, BFHE 220, 225, BStBl II 2008, 504 = SIS 08 16 98; Heuermann in HHSp, § 228 AO Rz 17; Kögel in
Gosch, AO § 228 Rz 5).
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33
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Die Verjährungsvorschriften schaffen
somit einen Ausgleich zwischen Fiskalinteresse und Rechtssicherheit
(s. Drüen in Tipke/Kruse, Vorbemerkungen zu §§ 169
bis 171 AO Tz 6).
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(2) Vor diesem Hintergrund sind die
Bestimmungen zur Hemmung und zur Unterbrechung der
Zahlungsverjährung in den §§ 229 ff. AO als
Ausnahmeregelungen zu verstehen. Sie eröffnen dem Fiskus die
Möglichkeit, über die Frist der fünfjährigen
Regelverjährung hinaus den staatlichen Steueranspruch
durchzusetzen. Das Bedürfnis des Steuerpflichtigen nach
Rechtssicherheit muss in dem gesetzlich geregelten Umfang hinter
dem Fiskalinteresse zurücktreten (kritisch zur Reichweite,
insbesondere der Regelungen in § 231 AO: Drüen in
Tipke/Kruse, Vorbemerkungen zu §§ 169 bis 171 AO Tz
5).
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Daraus folgt, dass die Regelverjährung
nur in den Fällen gehemmt oder unterbrochen wird, die
ausdrücklich im Gesetz geregelt sind. Das Gesetz enthält
insbesondere in § 231 AO eine abschließende
Aufzählung der Unterbrechungstatbestände (Senatsurteile
vom 21.12.2021 - VII R 21/19, BFHE 274, 409, BStBl II 2022, 295 =
SIS 22 04 74, Rz 30, und vom 24.09.1996 - VII R 31/96, BFHE 181,
259, BStBl II 1997, 8 = SIS 97 03 66, unter 2.a;
Senatsbeschlüsse vom 17.09.2014 - VII R 8/13, BFH/NV 2015, 4 =
SIS 14 32 47, Rz 9, und vom 10.11.2003 - VII B 342/02, BFH/NV 2004,
315 = SIS 04 09 43; BFH-Urteil vom 26.04.1990 - V R 90/87, BFHE
160, 348, BStBl II 1990, 802 = SIS 90 16 51, unter II.2.; Seer in
Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Rz 21.345; Loose in
Tipke/Kruse, § 231 AO Tz 8; Klein/Rüsken, a.a.O., §
231 Rz 8; Heuermann in HHSp, § 231 AO Rz 12; Kögel in
Gosch, AO § 228 Rz 13).
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36
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Das schließt eine extensive Auslegung
des § 231 AO zur Erfassung einer Sachpfändung, die im
Rahmen eines Arrestverfahrens bereits vor Fälligkeit der
Haftungsschuld vorgenommen worden ist, aus; denn eine solche
Erweiterung des Anwendungsbereichs der Regelungen zur
Verjährungsunterbrechung würde den gesetzlich
vorgesehenen Ausgleich zwischen Fiskalinteresse und
Rechtssicherheit durchbrechen.
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(3) Dass das Arrestverfahren mit dem Ergehen
des Haftungsbescheids in das Vollstreckungsverfahren
übergeleitet und als solches fortgesetzt wird, rechtfertigt
kein anderes Ergebnis.
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38
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Sobald über den Anspruch aus dem
Steuerschuldverhältnis, zu dessen Sicherung der Arrest
angeordnet worden ist, ein Steuerbescheid oder - wie im Streitfall
- ein Haftungsbescheid ergangen ist, der die
Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 254 AO erfüllt,
bedarf es der Arrestanordnung nicht mehr. Das Arrestverfahren wird
in das normale Vollstreckungsverfahren übergeleitet und als
solches fortgesetzt; die durch den Arrestvollzug erlangten
Sicherheiten bleiben bestehen und behalten ihren Rang (vgl.
Senatsurteil vom 07.07.1987 - VII R 167/84, BFH/NV 1987, 702 = SIS 87 25 13, unter 2.a, m.w.N.; Senatsbeschluss vom 20.09.2000 - VII B
33/00, BFH/NV 2001, 458 = SIS 01 58 49, unter 1.; s.a. Loose in
Tipke/Kruse, § 324 AO Tz 85, und Hohrmann in HHSp, § 324
AO Rz 83f.). Damit stellt aber die Überleitung des
Arrestverfahrens in das Vollstreckungsverfahren keine
eigenständige Vollstreckungsmaßnahme dar, die den
Tatbestand des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO erfüllen
würde.
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39
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(4) Die Ausführungen des OVG NRW in dem
vom FA zur Begründung seiner Rechtsauffassung in Bezug
genommenen Beschluss in KStZ 2015, 90, Rz 51, nach denen ein auf
Dauer angelegter Unterbrechungstatbestand, solange er andauere, die
Unterbrechung jeder in dieser Zeit laufenden Verjährungsfrist
bewirke, auch einer solchen, die erst in dieser Zeit
„für eine logische Sekunde bis zum Eintritt der
Unterbrechungswirkung“ zu laufen beginne,
widersprechen nicht nur dem Begriff des Unterbrechens, sondern
heben auch die systematische Unterscheidung zwischen der
Unterbrechung und der Hemmung einer Verjährungsfrist auf und
stehen damit im Widerspruch zur teleologischen Bedeutung der
Verjährungsunterbrechung. Denn im Ergebnis liefe dies darauf
hinaus, dass man entweder den auf Dauer angelegten
Unterbrechungstatbeständen - auch - die Wirkung einer
Anlaufhemmung zusprechen oder aber für den Fall einer
Überleitung des Arrestverfahrens in das
Vollstreckungsverfahren § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3
AO analog anwenden würde. Aus den dargelegten Gründen
kommt eine solche Rechtsanwendung nicht in Betracht.
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40
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Auch auf § 231 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3
AO lässt sich ein solches Ergebnis nicht stützen. Das OVG
NRW legt hierzu dar (Beschluss in KStZ 2015, 90, Rz 49), aus §
231 Abs. 2 Satz 1 AO ergebe sich, dass die Unterbrechung bis zu
einem bestimmten Zeitpunkt fortdauere, etwa bis zum Ablauf der
Aussetzung der Vollziehung oder Stundung oder bis zum
Erlöschen der Sicherheit. Diese Argumentation verkennt, dass
§ 231 Abs. 2 AO die Dauer der Unterbrechung regelt und nur
dann von Bedeutung ist, wenn bereits einer der in § 231 Abs. 1
AO genannten Unterbrechungstatbestände verwirklicht worden
ist.
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2. Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen
wäre die gegen den Kläger mit Bescheid vom 24.06.1998
festgesetzte Haftungsschuld nach den bisherigen Feststellungen des
FG verjährt.
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42
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Die Zahlungsverjährung begann mit Ablauf
des Jahres 1998 zu laufen und endete demzufolge mit Ablauf des
Jahres 2003. Die Pfändung der Armbanduhr am 30.08.1996 konnte
die Verjährung nicht nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO
unterbrechen, weil die Pfändung erfolgt war, bevor die
Zahlungsverjährung begonnen hatte. Der Umstand, dass die
Pfändung erst am 06.07.1999 aufgehoben wurde, ist insoweit
ohne Bedeutung. Die weiteren, in den Jahren 2004, 2009 und 2014 -
sowie gegebenenfalls 2019 - vorgenommenen Vollstreckungsversuche
hätten die bereits abgelaufene Verjährungsfrist nicht
erneut in Gang setzen können.
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3. Allerdings geht aus den dem erkennenden
Senat vorliegenden Vollstreckungsakten hervor, dass im Jahr 1999
zunächst ein weiterer Termin zur Versteigerung der
gepfändeten Uhr für den 20.03.1999 angesetzt wurde, der
dann aber nicht - oder jedenfalls nicht zur Versteigerung der
gepfändeten Uhr - durchgeführt wurde (s. Schriftsatz des
Rechtsanwalts der Sicherungsgläubigerin vom 27.02.1999, Bl. 69
der Vollstreckungsakten des Finanzamts Y, Bd. 2, und Schriftsatz
des Finanzamts Q vom 02.03.1999, Bl. 70 der Vollstreckungsakten des
Finanzamts Y, Bd. 2).
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Abschnitt 51 Abs. 4 Satz 1 der Allgemeinen
Verwaltungsvorschrift für Vollziehungsbeamte der
Finanzverwaltung (Vollziehungsanweisung) vom 29.04.1980 (BStBl I
1980, 194) sieht für diesen Fall eine Benachrichtigung des
Vollstreckungsschuldners vor.
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Im Fall des für den 12.09.1998
angesetzten - ersten - Versteigerungstermins ist der Kläger
auch entsprechend durch das Finanzamt Q benachrichtigt worden (s.
Bl. 32 der Vollstreckungsakten des Finanzamts Y, Bd. 2). Dem dabei
verwendeten Vordruck „Bekanntgabe des
Versteigerungstermins“ zufolge enthielt
die Benachrichtigung zudem den Hinweis, dass der Kläger die
Versteigerung abwenden könne, wenn er „bis zum obigen
Versteigerungstermin dem Finanzamt die Zahlung der folgenden, noch
offenen Beträge, für die gepfändet
worden“ sei, nachweisen würde. Dem
Hinweis folgte der Zusatz „s. Anlage
Haftungsbescheid“ und die Benennung des
damals noch offenen Betrags von … DM.
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46
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Sollte sich feststellen lassen, dass im
Zusammenhang mit dem für den 20.03.1999 vorgesehenen
Versteigerungstermin ein entsprechendes Schreiben des Finanzamts Q
an den Kläger gerichtet wurde - was sich aus den dem
erkennenden Senat vorliegenden Vollstreckungsakten des FA und des
Finanzamts Y nicht ersehen lässt -, so hätte die damit
verbundene schriftliche Geltendmachung des Haftungsanspruchs
gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AO eine
Unterbrechung der mit Ablauf des Jahres 1998 angelaufenen
Verjährungsfrist bewirkt. Mit Ablauf des Jahres 1999
hätte demzufolge gemäß § 231 Abs. 3 AO eine
neue Verjährungsfrist begonnen, die durch die weiteren
Vollstreckungsversuche in den Jahren 2004, 2009 und 2014 - sowie
gegebenenfalls im Jahr 2019 - erneut unterbrochen worden
wäre.
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Ob dies der Fall ist, wird das FG im zweiten
Rechtsgang aufzuklären und zu prüfen haben.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung
beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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