Es wird festgestellt, dass sich der
Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein gemäß
§ 1 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 5 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) von der
Körperschaftsteuer befreiter Berufsverband. Sie unterhält
neben dem steuerbefreiten Bereich einen wirtschaftlichen
Geschäftsbetrieb, aus dem sie in den Streitjahren (2007 und
2008) einen Gewinn in Höhe von 38.620,12 EUR bzw. 8.880,65 EUR
erzielte.
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Zum 31.12.2006 war für den
wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ein verbleibender
Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer in Höhe von 396.341
EUR gesondert festgestellt worden. Nach Verrechnung der in den
Streitjahren erzielten Gewinne mit den Verlusten der jeweiligen
Vorjahre wurde die Körperschaftsteuer für die Streitjahre
auf jeweils 0 EUR festgesetzt. Der Bestand des steuerlichen
Einlagekontos gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG wurde
zum 31.12. der Streitjahre auf jeweils 0 EUR gesondert
festgestellt.
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Die Klägerin reichte nach Aufforderung
durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) am
23.04.2010 Kapitalertragsteueranmeldungen für die Streitjahre
ein, in denen sie Kapitalerträge gemäß § 20
Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes in der für
die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) in Höhe von jeweils 0
EUR angab.
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Am 08.03.2012 erließ das FA einen
Haftungsbescheid, mit dem es die Klägerin gemäß
§ 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) wegen nicht
abgeführter Kapitalertragsteuer in Höhe von 3.862 EUR
(2007) bzw. 888 EUR (2008) nebst Solidaritätszuschlag in
Anspruch nahm. Die in den Streitjahren erzielten Gewinne seien
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b i.V.m. § 43
Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c und § 43a Abs. 1 Nr. 6 EStG einer
10%-igen Kapitalertragsteuer zu unterwerfen, da die Gewinne nicht
einer gesonderten, betrieblich notwendigen Gewinnrücklage
zugeführt worden seien. Die Inanspruchnahme im Wege der
Haftung richte sich gegen die Klägerin als
Abzugsverpflichtete, da sie der Verpflichtung zur Einbehaltung,
Anmeldung und Abführung der Kapitalertragsteuer nicht
nachgekommen sei.
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Die nach erfolglosem Einspruch erhobene
Klage wies das Finanzgericht (FG) mit in EFG 2018, 850
veröffentlichtem Urteil ab.
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Mit der Revision hat die Klägerin
zunächst beantragt, das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom
22.11.2017 - 8 K 4148/13 = SIS 18 04 43 und den Haftungsbescheid
vom 08.03.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.06.2013
aufzuheben.
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Am 22.12.2020 hat das FA den
Haftungsbescheid vom 08.03.2012 aufgehoben und zugleich einen auf
§ 167 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG
gestützten Nachforderungsbescheid gegenüber der
Klägerin erlassen. Die Klägerin hat daraufhin den
Rechtsstreit für erledigt erklärt. Das FA hat der
Erledigungserklärung widersprochen.
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Die Klägerin macht geltend, der
Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020 sei nicht gemäß
§ 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des
Revisionsverfahrens geworden. Der Haftungsbescheid vom 08.03.2012
und der Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020 gehörten
unterschiedlichen Kategorien an. Der Haftungsbescheid sei kein
Steuerbescheid, da der Haftungsschuldner für eine fremde
Steuerschuld in Anspruch genommen werde. Demgegenüber richte
sich der Nachforderungsbescheid an sie, die Klägerin, erstmals
in ihrer Eigenschaft als Steuerschuldnerin.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß,
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die Erledigung der Hauptsache
festzustellen, hilfsweise den Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020
aufzuheben.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Das FA ist der Auffassung, dass der
Nachforderungsbescheid gemäß § 68 Satz 1 FGO an die
Stelle des aufgehobenen Haftungsbescheids getreten und das
Revisionsverfahren insoweit fortzuführen sei. Die materiellen
Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin
durch Nachforderungsbescheid gemäß § 44 Abs. 5 Satz
2 EStG seien erfüllt.
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II. Der Rechtsstreit hat sich in der
Hauptsache erledigt, weil der dem angefochtenen Urteil zugrunde
liegende Haftungsbescheid vom 08.03.2012 während des
Revisionsverfahrens aufgehoben wurde und der an seiner Stelle
erlassene Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020 nicht Gegenstand
des Revisionsverfahrens geworden ist. Das angefochtene Urteil ist
damit gegenstandslos (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
24.10.1984 - II R 30/81, BFHE 142, 357, BStBl II 1985, 218 = SIS 85 03 39).
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1. Erklärt der Kläger den
Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und schließt
sich der Beklagte dieser Erklärung nicht an, ist der
Rechtsstreit als Streit über die Erledigung fortzuführen.
Mit der einseitigen Erledigungserklärung, die auch im
Revisionsverfahren zulässig ist, nimmt der Kläger von
seinem bisherigen Klagebegehren Abstand und beantragt stattdessen
die Feststellung, dass die Hauptsache erledigt ist (BFH-Urteil vom
30.07.1997 - I R 8/95, BFH/NV 1998, 187 = SIS 98 07 93, m.w.N.).
Tritt die Erledigung der Hauptsache erst im Revisionsverfahren ein
und wird die Entscheidung der Vorinstanz dadurch gegenstandslos,
spricht der BFH dies im Urteil aus, da diese Rechtsfolge, anders
als bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen, nicht
unmittelbar kraft Gesetzes eintritt (BFH-Urteile in BFHE 142, 357,
BStBl II 1985, 218 = SIS 85 03 39, und vom 05.03.1991 - VIII R
6/88, BFHE 164, 319, BStBl II 1991, 744 = SIS 91 16 01). Ein
Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, wenn nach
Rechtshängigkeit ein Ergebnis eingetreten ist, durch das das
gesamte im Klageantrag zum Ausdruck kommende, in dem Verfahren
streitige Klagebegehren objektiv gegenstandslos geworden ist
(BFH-Urteil vom 17.04.1996 - I R 82/95, BFHE 180, 365, BStBl II
1996, 608 = SIS 96 19 51). Es genügt nicht, dass der
Kläger an der Fortführung des Rechtsstreits kein
Interesse mehr hat (BFH-Urteil vom 22.05.2001 - VII R 71/99, BFHE
195, 19, BStBl II 2001, 683 = SIS 01 11 64).
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2. Danach war im Streitfall entsprechend dem
Antrag der Klägerin die Erledigung des Rechtsstreits in der
Hauptsache festzustellen.
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a) Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom
26.01.2021 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt
erklärt, nachdem das FA den Haftungsbescheid vom 08.03.2012
aufgehoben und damit ihrem mit der Klage und der Revision
ursprünglich verfolgten Begehren entsprochen hat. Das FA hat
sich der Erledigungserklärung der Klägerin nicht
angeschlossen, weil der Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020 an
die Stelle des Haftungsbescheids vom 08.03.2012 getreten und das
Revisionsverfahren insoweit fortzuführen sei.
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b) Der Rechtsstreit ist auch objektiv in der
Hauptsache erledigt. Das Klagebegehren ist dadurch gegenstandslos
geworden, dass das FA den Haftungsbescheid vom 08.03.2012
aufgehoben hat. Auch das Revisionsverfahren hat sich erledigt, weil
der Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020 nicht nach § 121
i.V.m. § 68 Satz 1 FGO an die Stelle des Haftungsbescheids vom
08.03.2012 getreten ist.
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GO wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des
Verfahrens, wenn der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe
der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt wird. Im
Hinblick auf den Zweck der Vorschrift, nach Möglichkeit ein
erneutes Verfahren zu vermeiden, sind die Begriffe
„Änderung“ und
„Ersetzung“ grundsätzlich weit auszulegen;
sie umfassen daher auch den Fall, dass der neue Bescheid unter
partiell-inhaltlicher Umgestaltung den ursprünglichen Bescheid
in seinem Regelungsgehalt mit aufnimmt (BFH-Beschluss vom
08.02.2017 - III B 66/16, BFH/NV 2017, 743 = SIS 17 08 00).
Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass beide Bescheide
„dieselbe Steuersache“, d.h. denselben
Besteuerungsgegenstand und dieselben Beteiligten betreffen. Die
beiden Verwaltungsakte müssen einen zumindest teilweise
identischen Regelungsbereich haben, damit es zu einem Austausch des
Verfahrensgegenstands kommen kann (BFH-Urteil vom 12.05.2016 - II R
17/14, BFHE 253, 505, BStBl II 2016, 822 = SIS 16 15 37;
BFH-Beschluss vom 16.12.2014 - X B 113/14, BFH/NV 2015, 510 = SIS 15 05 53).
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bb) Die vorgenannten Voraussetzungen für
eine „Änderung“ oder
„Ersetzung“ i.S. von § 121 i.V.m. § 68
Satz 1 FGO sind im Streitfall nicht erfüllt.
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aaa) Zum einen betreffen der
Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020 und der Haftungsbescheid vom
08.03.2012 nicht denselben Besteuerungsgegenstand. Der
Nachforderungsbescheid dient als Steuerbescheid gemäß
§ 155 Abs. 1 Satz 1 AO der Festsetzung einer Steuerschuld
gegenüber dem Steuerschuldner, während durch den
Haftungsbescheid der Haftungsschuldner für die Steuerschuld
eines anderen in Anspruch genommen wird (z.B. BFH-Urteil vom
07.12.1984 - VI R 72/82, BFHE 142, 494, BStBl II 1985, 170 = SIS 85 05 35; vgl. auch BFH-Urteil vom 23.06.2020 - VII R 56/18, BFH/NV
2021, 217 = SIS 20 19 12). Es fehlt daher an dem für einen
Austausch des Verfahrensgegenstands erforderlichen zumindest
teilweise identischen Regelungsgegenstand beider Bescheide. Ein
solcher könnte nur angenommen werden, wenn der
Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020 als Nacherhebungsbescheid
i.S. des § 167 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 AO auszulegen
wäre, denn die Steuerfestsetzung nach § 167 Abs. 1 Satz 1
Alternative 2 AO erfasst denjenigen, der die Steueranmeldung als
Entrichtungsschuldner nicht ordnungsgemäß abgibt, gerade
in seiner Funktion als Haftungsschuldner, so dass es sich
materiell-rechtlich um die Geltendmachung eines Haftungsanspruchs
handelt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13.09.2000 - I R 61/99, BFHE
193, 286, BStBl II 2001, 67 = SIS 01 02 45, und vom 20.08.2008 - I
R 29/07, BFHE 222, 500, BStBl II 2010, 142 = SIS 08 40 96). Eine
solche Auslegung scheidet hier jedoch bereits deswegen aus, weil
das FA den auf § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG gestützten
Haftungsbescheid vom 08.03.2012 aufgehoben und damit zum Ausdruck
gebracht hat, es wolle die Klägerin nicht mehr im Wege der
Haftung in Anspruch nehmen. Überdies fehlt es im Streitfall an
einer Rechtsgrundlage, aufgrund derer die Klägerin als
Haftungsschuldnerin für die Kapitalertragsteuer in Anspruch
genommen werden könnte. Insbesondere kommt hierfür auch
nicht § 44 Abs. 6 Satz 5 EStG in Betracht. Denn die Vorschrift
sieht eine Haftung des Schuldners der Kapitalerträge für
die Kapitalertragsteuer vor, soweit sie auf - hier nicht
vorliegende - verdeckte Gewinnausschüttungen (vgl. § 20
Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 2 EStG) oder
Veräußerungen i.S. des § 22 Abs. 4 des
Umwandlungssteuergesetzes in der in den Streitjahren anzuwendenden
Fassung entfällt. Eine Haftung bei Nichterfüllung der
Einbehaltungs- und Abführungspflicht, soweit die
Kapitalertragsteuer auf laufende Gewinne eines wirtschaftlichen
Geschäftsbetriebs entfällt, kann aus der Norm nicht
hergeleitet werden.
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bbb) Eine „Änderung“
oder „Ersetzung“ i.S. von § 121 i.V.m.
§ 68 Satz 1 FGO scheitert zum anderen daran, dass sich der
Nachforderungsbescheid nach § 44 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 6
Satz 1 EStG an die Trägerkörperschaft als
Gläubigerin der Kapitalerträge richtet, während der
Haftungsbescheid nach § 44 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 1
EStG auf die Inanspruchnahme des wirtschaftlichen
Geschäftsbetriebs als Schuldner der Kapitalerträge
abzielt. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die
Trägerkörperschaft in beiden Fällen rechtliche
Adressatin der Bescheide ist. Denn dies ist dem Umstand geschuldet,
dass die Trägerkörperschaft bezüglich der für
den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb geregelten
Entrichtungsschuld lediglich deswegen als Steuersubjekt anzusehen
ist, weil dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb eine
rechtliche Organisationsform fehlt, die nach den Vorschriften der
AO handlungsfähig ist (vgl. BFH-Urteil vom 30.01.2018 - VIII R
75/13, BFHE 260, 450, BStBl II 2019, 91 = SIS 18 06 65).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
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4. Die Entscheidung ergeht im
Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
gemäß § 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO.
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