Auf die Revision des Klägers wird das
Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 30.08.2018 - 9 K
9099/16 = SIS 18 21 80 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Berlin-Brandenburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) betrieb in den Jahren 2009 bis 2011 einen Handel mit
Kraftfahrzeugen, insbesondere mit Gebrauchtwagen. Seinen Gewinn
ermittelte er durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs.
1, § 5 des Einkommensteuergesetzes). Für die von ihm
angekauften Fahrzeuge erstellte der Kläger in der Regel sog.
PC-Ankaufscheine. Ausnahmsweise fertigte er sie auch
handschriftlich aus.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) ordnete am 04.11.2015 die Durchführung
einer Außenprüfung für diese Jahre an. Im Rahmen
der Außenprüfung richtete die Prüferin des FA
mehrere Anfragen an das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Dabei stellte
sich heraus, dass in einer Reihe von Fällen die Verkäufer
der Fahrzeuge nicht deren letzte Halter gewesen waren. Die
Prüferin konnte deshalb anhand der vom Kläger
übergebenen Unterlagen die Lieferketten zwischen dem letzten
Halter und dem Verkäufer nicht nachvollziehen. Fahrzeugbriefe
waren nach dem Weiterverkauf der Fahrzeuge im Betrieb des
Klägers nicht mehr vorhanden.
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Da die Prüferin bestimmte Umsätze
des Klägers mit Gebrauchtfahrzeugen als auffällig ansah,
hielt sie es für nötig, die letzten Halter um weitere
Auskünfte zu bitten. Sie ging dabei davon aus, dass diese
Halter dem Kläger unbekannt seien und meinte infolgedessen,
eine vorherige Anfrage beim Kläger könne unterbleiben. In
letztlich 21 Fällen fertigte sie deshalb Auskunftsersuchen an
die Halter als Dritte, um die Lieferbeziehungen in Bezug auf
Fahrzeuge aufzuklären. Im Anschluss sollten die benannten
Käufer der Fahrzeuge um weitere Auskunft gebeten
werden.
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Die Prüferin konzentrierte sich bei
der Auswahl der aufzuklärenden Ankäufe auf diejenigen mit
handgeschriebenen Ankaufscheinen, da diese nicht der Regelfall
gewesen seien. Weitere PC-Ankaufscheine kamen hinzu, soweit sie
Auffälligkeiten auswiesen, etwa einen abweichenden
Kilometerstand oder Verkäufe durch Frau F, die Ehefrau des
Autohändlers G. Die Auskunftsersuchen enthielten den Namen des
Klägers, den Hinweis auf seine steuerlichen Angelegenheiten
sowie die Angabe, dass eine Auskunftspflicht bestehe, wenn die
Sachverhaltsaufklärung durch den Kläger nicht zum Ziel
führe oder keinen Erfolg verspreche.
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In den hiergegen gerichteten
Einspruchsverfahren wurden dem Kläger auf seine Bitte hin
Aufstellungen übersandt, aus denen hervorging, an wen sich die
21 Auskunftsersuchen gerichtet hatten, um welche Fahrzeuge es sich
gehandelt habe, wann der Ankauf durch den Kläger erfolgt sei
und von wem er zu welchem Preis das Fahrzeug angekauft habe.
Gleichzeitig wurde er um Mitwirkung bei der
Sachverhaltsaufklärung gebeten. Er möge insbesondere
erklären, ob und wie die Geschäfte tatsächlich
abgewickelt worden seien.
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Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte,
dass die Dritten im Hinblick auf den Erwerb der Fahrzeuge durch ihn
keine Auskunft geben könnten und er deshalb der Ansicht sei,
die Auskunftsersuchen seien für seine Besteuerung ohne
Bedeutung, wies das FA die Einsprüche als unbegründet
zurück. Die Auskunftsersuchen hätten der Ermittlung
steuerlich erheblicher Tatsachen gedient. In den Jahren 2008 bis
2011 habe der Kläger in erheblichem Umfang gebrauchte
Kraftfahrzeuge angekauft und weiterveräußert. Seine
Gewinnmarge unterliege der Einkommensteuer und, da er die
Differenzbesteuerung nach § 25a des Umsatzsteuergesetzes
(UStG) anwende, auch der Umsatzsteuer. Folglich habe das FA im
Rahmen der Außenprüfung die Richtigkeit der Besteuerung
dieser Marge zu überprüfen. Die Kette zwischen dem
letzten Fahrzeughalter und dem Kläger müsse
vollständig aufgeklärt werden, um feststellen zu
können, ob der in den Ankaufscheinen ausgewiesene Preis dem
wirklichen Kaufpreis entspreche. Die Auskunftsersuchen, die sich
zunächst an die letzten Halter der angekauften Fahrzeuge
gewendet hätten, seien geeignet gewesen, diesen Sachverhalt
aufzuklären. Sie seien anschließend in der Verkaufskette
fortzusetzen. Die Inanspruchnahme der letzten Halter sei
erforderlich, da die Verkaufskette nicht anhand der Fahrzeugbriefe
aufgeklärt werden könne. Auch seien die
Zwischenhändler nicht als Halter in die Fahrzeugbriefe
eingetragen worden.
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Der Subsidiaritätsklausel des §
93 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO) sei entsprochen worden, da
eine Sachverhaltsaufklärung durch den Kläger keinen
Erfolg verspreche. Sie scheitere voraussichtlich aus
persönlichen und sachlichen Gründen. Der Kläger habe
aller Wahrscheinlichkeit nach keine Kenntnis über den
relevanten Sachverhalt und könne deshalb die gewünschten
Auskünfte nicht erteilen. Dies habe sich im Laufe des
Einspruchsverfahrens bestätigt. Auch liege kein
Auskunftsersuchen ohne begründeten Anlass vor. Vielmehr habe
das FA aufgrund der Antworten des KBA und der festgestellten
Auffälligkeiten bei den Ankaufsbelegen weitere
Ermittlungsmaßnahmen für erforderlich gehalten.
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Das Finanzgericht (FG) wies die
Fortsetzungsfeststellungsklage aus den in EFG 2019, 313 = SIS 18 21 80 veröffentlichten Gründen ab.
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Der Kläger macht im Rahmen seiner
Revision die Verletzung materiellen Rechts und
Verfahrensmängel geltend. Das FG verkenne die inhaltlichen
Schranken für ein Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 AO
und erwecke den Eindruck, dem FA sei jedes aus seiner Sicht
für sachdienlich gehaltene Auskunftsersuchen erlaubt.
Steuererheblich könne lediglich die Überprüfung der
als Betriebsausgaben geltend gemachten Einkaufspreise sein. Das FG
stelle dagegen auf die Fahrzeugbewegungen in der Kette an sich ab
und erbitte deshalb nicht nur von den unmittelbaren
Geschäftspartnern des Klägers Auskunft. Unklar bleibe die
Erheblichkeit der Ermittlungen in dieser sog.
„Lieferkette“. Sie stellten nicht erlaubte Ermittlungen
„ins Blaue hinein“ dar. Zweifel, dass die vom FA
genannten Zwischenhändler nicht Vertragspartner und
Zahlungsempfänger des Klägers gewesen seien, hätten
sich nicht bestätigt. Die vom FA angenommenen
Auffälligkeiten hätten im Übrigen zunächst vom
Kläger aufgeklärt werden müssen. Feststellungen des
FG zur unterstellten Gefährdung des Ermittlungszwecks fehlten
und könnten auch nicht durch den Hinweis auf das unterlassene
Auskunftsersuchen an einen Mitarbeiter des Klägers ersetzt
werden. Vielmehr habe der Kläger stets und umfassend an der
Sachverhaltsaufklärung mitgewirkt.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und
der Einspruchsentscheidung vom 28.04.2016 festzustellen, dass die
im Rahmen der Außenprüfung gemäß
Prüfungsanordnung vom 04.11.2015 verbleibenden
Auskunftsersuchen an insgesamt 21 Personen rechtswidrig gewesen
sind.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Soweit der Kläger das Unterbleiben
einer weitergehenden Sachverhaltsaufklärung des FG rüge,
fehle es bereits an einem substantiierten Vortrag. Das FG-Urteil
enthalte ausreichende Feststellungen und leide auch ansonsten nicht
an einem Verfahrensmangel. Zutreffend habe das FG im Rahmen seiner
Prüfungskompetenz nach § 102 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) ein ermessensfehlerfreies Handeln des
FA angenommen. Erhebliche Tatsache in Bezug auf das
Auskunftsersuchen sei der Ankaufspreis des jeweiligen Fahrzeugs
gewesen. Dieser habe Einfluss auf die Höhe der
Betriebsausgaben, auf die zu versteuernde Gewinnmarge und auf die
Bemessungsgrundlage für die Differenzbesteuerung
gemäß § 25a UStG. Insoweit sei es erforderlich
gewesen, mögliche zum Schein eingebundene Zwischenhändler
als sog. „Hochpreiser“ zu ermitteln und die Richtigkeit
der Ankaufspreise des Klägers aufzuklären. Wirtschaftlich
nicht zu erklärende Preissprünge in der Lieferkette mit
Bezug zum Kläger seien zu berücksichtigen.
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Es liege ein atypischer Fall i.S. des
§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO vor, weil die
Sachverhaltsaufklärung durch den Steuerpflichtigen nicht zum
Ziele führe und keinen Erfolg verspreche. Der Kläger habe
aller Wahrscheinlichkeit nach keine Kenntnisse davon, an wen und zu
welchen Konditionen die letzten Halter die Fahrzeuge am Beginn der
Lieferkette veräußert hätten. Auch könne eine
Befragung der in § 200 Abs. 1 Satz 3 AO genannten weiteren
Personen aus dem Umfeld des Klägers keinen Erfolg haben. Die
Anfragen bei den letzten Haltern seien nötig gewesen, da
unzweifelhaft festgestanden habe, dass diese Personen
tatsächlich Teile der Lieferkette gewesen seien. Da es Ziel
des FA gewesen sei, die Fahrzeugbewegungen in der Lieferkette
wirtschaftlich vollständig aufzuklären, sei beabsichtigt
gewesen, zu einem späteren Zeitpunkt auch die Lieferanten des
Klägers um Auskunft zu bitten. Eine Aufdeckung der
Händlermargen seiner Lieferanten sei bislang nicht zu
befürchten gewesen, da sich die fraglichen Auskunftsersuchen
an Personen gerichtet hätten, die die Fahrzeuge zur
längerfristigen privaten oder eigenbetrieblichen Nutzung
erworben hätten. Eine vorherige Information des Klägers
hätte den dargelegten Ermittlungszweck gefährdet.
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II. Die Revision des Klägers hat Erfolg.
Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
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1. Das FG hat zutreffend die Zulässigkeit
der Klage bejaht.
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Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse
an der Feststellung, die streitigen Auskunftsersuchen des FA -
anfechtbare Verwaltungsakte gemäß § 118 Satz 1 AO
(so schon Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 05.04.1984 - IV R
244/83, BFHE 140, 518, BStBl II 1984, 790 = SIS 84 13 36, m.w.N.) -
seien rechtswidrig gewesen.
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Das besondere Feststellungsinteresse ist
bereits deshalb gegeben, weil der Kläger durch die
Auskunftsersuchen in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen ist
und deshalb ein Interesse an seiner Rehabilitation geltend machen
kann. Ein erheblicher Eingriff in die
Persönlichkeitssphäre liegt nicht nur vor, wenn der
erledigte Verwaltungsakt als Vorwurf der Steuerhinterziehung
verstanden werden kann (vgl. insoweit BFH-Urteil vom 04.12.2012 -
VIII R 5/10, BFHE 239, 19, BStBl II 2014, 220 = SIS 13 02 77, Rz
20, m.w.N.). Aufgrund des in § 93 Abs. 1 Satz 3 AO verankerten
Subsidiaritätsprinzips (vgl. insoweit nur Senatsurteil vom
29.07.2015 - X R 4/14, BFHE 251, 112, BStBl II 2016, 135 = SIS 15 28 17, Rz 42, m.w.N.), welches insbesondere auch dem Schutz des
Steuerpflichtigen in Bezug auf sein Recht auf informationelle
Selbstbestimmung dient (Senatsurteil in BFHE 251, 112, BStBl II
2016, 135 = SIS 15 28 17, Rz 51, m.w.N.), besteht die Gefahr, dass
der geschäftliche Ruf des Klägers durch ein solches
Auskunftsersuchen Schaden nehmen kann. Denn, wie auch im
vorliegenden Fall, beinhalten diese Auskunftsersuchen den
impliziten Vorwurf, die Auskunft durch die andere Person sei
aufgrund einer fehlenden Mitwirkung des Steuerpflichtigen an seinem
Besteuerungsverfahren nötig geworden. Damit könnten
Zweifel an seiner Zuverlässigkeit im gewerblichen Verkehr
entstehen, sofern dem Kläger nicht im Wege einer
Fortsetzungsfeststellungsklage eine
Überprüfungsmöglichkeit des streitigen, aber
erledigten Verwaltungsakts, verbunden mit seiner Rehabilitation,
eröffnet wird.
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Im Übrigen besteht auch eine hinreichend
konkrete Wiederholungsabsicht des FA, da dieses angekündigt
hat, weitere Auskunftsersuchen an Verkäufer der vom
Kläger erworbenen Gebrauchtwagen innerhalb der Lieferketten zu
richten. Das erforderliche Feststellungsinteresse liegt deshalb vor
(vgl. nur Senatsurteil vom 22.08.2012 - X R 36/09, BFHE 239, 203,
BStBl II 2014, 109 = SIS 13 02 19, unter II.1.b).
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2. Die Revision des Klägers ist
begründet. Das finanzgerichtliche Urteil verletzt Bundesrecht,
weil notwendige Feststellungen des FG im Rahmen seiner Prüfung
der Rechtmäßigkeit der streitigen Auskunftsersuchen dazu
fehlen, ob das FA vor deren Erlass bei seiner Prognose hinreichend
erwogen hat, inwieweit die beabsichtigte
Sachverhaltsaufklärung durch den Kläger (offenkundig)
keinen Erfolg versprechen würde. Dazu hätte das FG
ermitteln müssen, welches Ziel das FA im Hinblick auf den aus
seiner Sicht für die Besteuerung des Klägers erheblichen
Sachverhalt verfolgt hat und inwieweit dieses hierfür
erforderlich gewesen ist. Die in diesem Bereich gegebenen
Unzulänglichkeiten führen nach Auffassung des Senats
derzeit indes nicht zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des
Auskunftsersuchens, sondern zur Notwendigkeit weiterer Ermittlungen
des FG.
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a) Die Beteiligten und andere Personen haben
gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AO der Finanzbehörde
die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen
Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Nach §
93 Abs. 1 Satz 3 AO sollen andere Personen als die Beteiligten erst
dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die
Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel
führt oder keinen Erfolg verspricht. Dies unterscheidet die
Befugnisse des FA von denen der Steuerfahndung, bei der die
Subsidiaritätsklausel des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO
ausdrücklich gemäß § 208 Abs. 1 Satz 3
Halbsatz 1 AO nicht gilt (so Senatsurteil in BFHE 251, 112, BStBl
II 2016, 135 = SIS 15 28 17, Rz 43, m.w.N.). Auch wird nur so das
FA dem doppelten Zweck des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO gerecht,
wonach zum einen vermieden werden soll, dass Nichtbeteiligte
Einblick in die steuerlich relevanten Verhältnisse der
Beteiligten erhalten, und zum anderen den Dritten die mit der
Auskunft verbundenen Mühen erspart werden sollen (Senatsurteil
in BFHE 251, 112, BStBl II 2016, 135 = SIS 15 28 17, Rz 44,
m.w.N.).
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„Soll“-Vorschriften wie
§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO sind im Regelfall für die mit ihrer
Durchführung betraute Behörde rechtlich zwingend und
verpflichten sie, grundsätzlich so zu verfahren, wie es die
Vorschrift mit der Soll-Rechtsfolge vorgibt. Im Regelfall bedeutet
das „Soll“ ein „Muss“. Nur
bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch
erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im
Gesetz vorgesehen und den atypischen Fall nach
pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Dieses Ermessen
beschränkt sich also auf die Frage, was im Ausnahmefall zu
geschehen hat. Ob ein atypischer Fall vorliegt, der eine solche
Ermessensentscheidung ermöglicht und gebietet, ist als
Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu
überprüfen und zu entscheiden (vgl. nur Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 10.09.1992 - 5 C 80/88, juris, Rz 16
und 18, m.w.N.).
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Bei Auskunftsersuchen, die sich an andere
Personen als die Beteiligten richten, müssen
grundsätzlich die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des
§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO erfüllt sein, d.h. die
Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten darf nicht zum
Ziel führen oder keinen Erfolg versprechen. Liegt ein
atypischer Fall vor - so dass das „Soll“ seinen
Charakter als „Muss“ verliert -, kann die
Finanzbehörde sich jedoch nach pflichtgemäßem
Ermessen (§ 5 AO) ausnahmsweise auch dann an andere Personen
als die Beteiligten wenden, wenn die gesetzlichen
Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.
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b) Vorliegend bejahen sowohl das FA als auch
das FG die Tatbestandsvoraussetzung, dass die
Sachverhaltsaufklärung durch den Kläger keinen Erfolg
verspricht. Darüber hinaus sind sie der Ansicht, es sei ein
atypischer Fall gegeben, so dass dem Subsidiaritätsprinzip des
§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO Genüge getan worden sei.
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Aus Sicht des Senats bleibt aber schon mangels
entsprechender Feststellungen des FG unklar, was genau das Ziel der
geplanten Sachaufklärung des FA gewesen sein soll und
inwieweit diese im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung erheblich
für die Besteuerung des Klägers war.
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aa) Steht nicht fest, dass der Beteiligte
nicht mitwirken wird, darf die Finanzbehörde auf Grundlage des
§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO eine Auskunft bei Dritten ohne einen
entsprechenden Versuch beim Beteiligten nur einholen, wenn die
Erfolglosigkeit seiner Mitwirkung anzunehmen ist. Darauf kann eine
Finanzbehörde aufgrund des bisherigen Verhaltens des
Beteiligten bei konkret nachweisbaren Tatsachen im Rahmen einer
vorweggenommenen Beweiswürdigung schließen. Eine solche
Erfolglosigkeit ist erst anzunehmen, wenn das FA bei seiner
Prognoseentscheidung sicher und damit offenkundig zu dem Schluss
kommen darf, dass eine Mitwirkung des Beteiligten, der eigentlich
zunächst zu fragen wäre, keinen Erfolg haben wird.
Demgegenüber ist es nicht ausreichend, eine solche
Beweiswürdigung schon dann als vertretbar anzusehen, wenn sie
(nur) nicht willkürlich erfolgt ist (vgl. Senatsurteil in BFHE
251, 112, BStBl II 2016, 135 = SIS 15 28 17, Rz 50).
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Um eine solche Prognose zu den
Erfolgsaussichten sachgerecht vornehmen zu können, bedarf es
eines klar umrissenen und für die Besteuerung des
Steuerpflichtigen erheblichen Sachverhalts. Denn nur so kann das
Mitwirkungsverhalten und -ergebnis des Steuerpflichtigen
eingeschätzt werden. Ermittlungen „ins Blaue
hinein“ sind unzulässig (so schon BFH-Urteil vom
04.10.2006 - VIII R 53/04, BFHE 215, 12, BStBl II 2007, 227 = SIS 06 47 45, Rz 47, m.w.N.). Trotz des insoweit weiten
Beurteilungsspielraums der Finanzverwaltung bedarf es einer
Steuererheblichkeit der mitzuteilenden
„Tatsachen“ (weiterführend Senatsurteil in
BFHE 251, 112, BStBl II 2016, 135 = SIS 15 28 17, Rz 41, m.w.N.).
Auf eine solche Steuererheblichkeit hat die Erfolgsprognose im
Hinblick auf die Sachverhaltsaufklärung durch den
Steuerpflichtigen aufzubauen. Dazu muss zumindest klar sein, was
Ziel der Sachaufklärung der Finanzbehörde sein soll.
Folglich hat die Finanzbehörde den Ermittlungszweck wie das
potentielle Ermittlungsergebnis im Rahmen seiner Prognose, die vor
dem Erlass des Auskunftsersuchens vorzunehmen ist, so zu
umreißen, dass die Erfolgsaussichten für eine Mitwirkung
des Beteiligten eingeschätzt werden können. Andernfalls
fehlt es bereits an der diese Prognose tragenden
Tatsachengrundlage.
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bb) Vorliegend ist die Prognoseentscheidung
des FA, soweit sie überhaupt vom FG festgestellt worden ist,
nicht eindeutig. Ihre Überprüfung und Würdigung
durch das FG fehlen, ebenso weitergehende Feststellungen zum
Ermittlungszweck der Sachaufklärung des FA im Zusammenhang mit
den streitigen Auskunftsersuchen.
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(1) Im Vermerk vom 09.02.2016 bzw. vom
10.02.2016, der im Tatbestand des FG-Urteils im Wesentlichen
wörtlich wiedergegeben worden ist, stellt das FA zwar dar,
dass der Verkäufer, von dem der Kläger den PKW erworben
habe, nicht in jedem Fall der letzte Halter gewesen sei. Es bleibt
jedoch unklar, ob die sich daraus ergebende weitergehende
Sachverhaltsaufklärung den Kläger und/oder alle
Zwischenhändler in der Lieferkette betreffen sollte. Sollten
die Auskunftsersuchen aufgrund der dargelegten Anmerkungen erstellt
worden sein, bleibt insbesondere unklar - da im Vermerk nicht
erläutert -, warum der Kläger zu den einzelnen dort
genannten Punkten nicht vorab befragt werden konnte.
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Eher formelmäßig ist die weitere
Aussage des FA, es erfolgten keine rasterfahndungsähnlichen
flächendeckenden Prüfungen ohne konkreten Anlass
(„ins Blaue hinein“). Auch insoweit wird allein
auf das Kriterium zur Auswahl der einzelnen Ankaufvorgänge
hingewiesen, ohne dass hinreichend klar wird, welchem
Ermittlungszweck die weitere Sachverhaltsaufklärung dienen
soll und in welchem Zusammenhang sie zu den aufgezeigten
Auffälligkeiten stehen könnte.
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Im Rahmen des Einspruchsverfahrens nach
Ergehen der streitigen Auskunftsersuchen führt das FA zwar
noch aus, diese Sachaufklärung sei nötig gewesen, um
festzustellen, ob und wie die Geschäfte tatsächlich
gelaufen seien; das FA geht zudem erstmals auf die aus seiner Sicht
steuerlich erheblichen Tatsachen ein, nämlich die Prüfung
der Gewinnmarge und der Richtigkeit der Differenzbesteuerung nach
§ 25a UStG. Es fehlt aber weiterhin eine Erläuterung,
warum eine Befragung des Klägers unterblieben ist.
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(2) Feststellungen des FG, das annimmt, die
Ermittlung der „Lieferketten“ dienten dazu, die
vom Kläger angegebenen Ankaufspreise zu widerlegen, fehlen in
Bezug auf den Vermerk des FA. Vielmehr geht das FG von seinen
eigenen allgemeinen Erfahrungen aus, die Anlass für eine
nähere Überprüfung gewesen sein könnten.
Lediglich exemplarisch und damit kursorisch bezieht sich das FG auf
die im Vermerk dargelegten Ungereimtheiten. Eine Verbindung
zwischen diesen Auffälligkeiten und den deshalb notwendigen
einzelnen Auskunftsersuchen wird nicht hergestellt. Vielmehr
verweist das FG nur darauf, es sei lebensnah, wenn eine
Behörde bei vorgeschobenen Zwischenhändlern nicht
erwarte, dass der Steuerpflichtige diese Manipulationen auf
bloße Nachfrage des Betriebsprüfers freimütig
zugebe.
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(3) Für den Senat wird mangels
weitergehender Feststellungen schon nicht klar, wieso das FG
zugunsten des FA davon ausgehen konnte, aufgrund der aufzeigten
Auffälligkeiten dürfe angenommen werden, dass die
Zwischenhändler nicht existierten. Darüber hinaus
erschließt es sich trotz der Ausführungen des FG nicht,
wieso die ausgesuchten Fälle eine Überprüfung der
Lieferkette im konkreten Einzelfall nötig machen sollten. Auch
insoweit fehlt es an hinreichenden Feststellungen des FG, die
diesen Schluss zulassen. Dasselbe gilt für die Annahme des FA
und des FG, der Versuch einer Sachverhaltsaufklärung durch den
Kläger verspreche keinen Erfolg.
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3. Mangels geeigneter Feststellungen des FG
ist das Urteil deshalb aufzuheben und die Sache gemäß
§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zur anderweitigen Verhandlung
und Entscheidung zurückzuweisen.
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4. Ausgehend davon, dass jedes
Auskunftsersuchen ein anfechtbarer Verwaltungsakt i.S. des §
118 Satz 1 AO ist (Senatsurteil in BFHE 251, 112, BStBl II 2016,
135 = SIS 15 28 17, Rz 26, m.w.N.), wird das FG im zweiten
Rechtsgang feststellen müssen, ob und wenn ja welchen
konkreten Ermittlungszweck das FA in jedem Einzelfall verfolgte, so
dass es im Rahmen seiner Prognose vor dem Erlass jedes
Auskunftsersuchens von einer Erfolglosigkeit der
Sachaufklärung durch den Kläger ausgehen durfte. Kann
dies nicht angenommen werden, wird das FG darüber hinaus
überprüfen müssen, ob in diesem Einzelfall bereits
ein atypischer Fall vorliegt, der es erlaubt, den ersten Halter als
andere Person um Auskunft zu ersuchen. Dabei ist die
Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu beachten
(weiterführend Senatsurteil in BFHE 251, 112, BStBl II 2016,
135 = SIS 15 28 17, Rz 51, m.w.N.).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 2 FGO.
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6. Der Senat entscheidet mit
Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
(§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).
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