Das Bundesministerium der Finanzen wird
aufgefordert, dem Verfahren IX R 11/19 beizutreten.
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I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) wurden als Eheleute im Streitjahr (2013) zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Streitig ist, in welchem Umfang von der
Klägerin an ihren Vater (V) geleistete lebenslange monatliche
Zahlungen als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus
Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen sind.
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Mit notariell beurkundetem
Grundstücksübertragungsvertrag vom 05.10.2011
übertrug der im Jahr 1939 geborene V ein in seinem Eigentum
stehendes vermietetes Mehrfamilienhaus auf seine Tochter, die
Klägerin. Nach § 4 des
Grundstücksübertragungsvertrages erfolgte die
Übertragung „unentgeltlich im Wege der Schenkung“;
zugunsten des V war jedoch eine lebenslange, wiederkehrende, nicht
wertgesicherte Leistung von monatlich 2.000 EUR zu erbringen. Zur
Absicherung des Leistungsanspruchs bewilligten und beantragten die
Beteiligten die Eintragung einer Reallast zugunsten des V. In
§ 1 des Grundstücksübertragungsvertrages
verpflichtete sich die Klägerin, V von der Mithaft für
alle im Grundbuch eingetragenen dinglichen Belastungen
freizustellen; ferner verpflichtete sie sich, über den
übertragenen Grundbesitz nur mit Zustimmung des
Übertragenden zu verfügen, insbesondere diesen zu
verkaufen oder zu belasten.
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Nachdem eine Grundpfandgläubigerin die
in § 1 des Grundstücksübertragungsvertrages
vorgesehene Schuldübernahme nicht genehmigt hatte, löste
V die noch offenen Darlehensvaluten ab. Vor diesem Hintergrund
verpflichtete sich die Klägerin in einem unter dem 22.12.2011
geschlossenen geänderten
Grundstücksübertragungsvertrag, dem V den für die
Ablösung der Darlehensvaluten aufgewendeten Betrag in
Höhe von 50.544,28 EUR zu ersetzen und ihm eine lebenslange,
wiederkehrende, nicht wertgesicherte Leistung von monatlich 2.500
EUR zu bezahlen.
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In ihrer Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr berücksichtigte die Klägerin die
vertraglich vereinbarten wiederkehrenden Leistungen an V in
Höhe von (2.500 EUR × 12 Monate =) 30.000 EUR als
Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und
Verpachtung aus dem vermieteten Mehrfamilienhaus. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) bewertete die Zahlungen
der Klägerin als Leibrente i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und
berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr vom 29.07.2015 lediglich den sich aus § 22 Nr. 1
Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG ergebenden Ertragsanteil in
Höhe von 3.900 EUR jährlich (13 % von 30.000 EUR) als
Werbungskosten. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Kläger
hatte keinen Erfolg.
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Mit ihrer Klage machten die Kläger
geltend, die Abzugsbeschränkung gemäß § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG sei verfassungswidrig; sie
verstoße gegen das objektive Nettoprinzip. Bei der
Klägerin komme es aufgrund der Rentenzahlungen zu einem
Liquiditätsabfluss in Höhe von 30.000 EUR pro Jahr. Bei
wirtschaftlicher Betrachtung minderten diese Zahlungen das sog.
Markteinkommen der Klägerin. Die Beschränkung der
Abzugsfähigkeit für Leibrenten auf den Ertragsanteil der
Rente berücksichtige dies nicht und durchbreche die Systematik
des Zu- und Abflussprinzips gemäß § 11
EStG.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als
unbegründet ab. Es vertrat die Auffassung, die
Leibrentenzahlungen der Klägerin stünden nicht i.S. des
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 EStG in wirtschaftlichem
Zusammenhang mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung
der Klägerin und seien daher nicht als Werbungskosten
abziehbar. Ein Übergabevertrag, mit dem ein Grundstück
unter Vorwegnahme der Erbfolge auf einen Abkömmling gegen
Gewährung einer Versorgungsleistung übertragen werde, sei
steuerrechtlich nicht als entgeltliches
Veräußerungsgeschäft zu betrachten; vielmehr
handele es sich um eine unentgeltliche Übertragung unter
Vorbehalt eines Teils der Erträge - vergleichbar einem
Nießbrauchsvorbehalt. In derartigen Fällen stellten die
wiederkehrenden Versorgungsleistungen weder ein
Veräußerungsentgelt des Übergebers noch
Anschaffungskosten des Übernehmers dar, sondern seien
spezialgesetzlich den Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG
a.F.; wortgleich mit: § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG n.F.) und
wiederkehrenden Bezügen (§ 22 Nr. 1 Satz 1 EStG)
zugeordnet. An dieser grundsätzlichen Zuordnung ändere
auch der Umstand nichts, dass Versorgungsleistungen im Zusammenhang
mit der Übertragung eines Mietwohngrundstücks seit der
Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. durch das
Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20.12.2007 (BGBl I 2007,
3150) nicht (mehr) zum Sonderausgabenabzug zugelassen seien. Die
Beschränkung des Sonderausgabenabzugs auf wiederkehrende
Leistungen im Zusammenhang mit bestimmten
Vermögensübertragungen sei auch nicht von Verfassungs
wegen zu beanstanden. Zwar führe der von der Klägerin an
V gezahlte Einmalbetrag in Höhe von 50.544,28 EUR
grundsätzlich zu Anschaffungskosten, die im Wege der
Absetzungen für Abnutzung (AfA) zu berücksichtigen seien;
im Streitfall läge ein möglicher AfA-Betrag jedoch nicht
über dem - nach Auffassung des FG zu Unrecht - im Zuge der
Veranlagung vom FA gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1
Satz 2 EStG berücksichtigten Leibrentenbetrag.
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Hiergegen wenden sich die Kläger mit
der Revision. Sie vertreten die Auffassung, dass die
Übertragung von Vermögen gegen wiederkehrende Leistungen
in Fällen, in denen die Voraussetzungen eines
Sonderausgabenabzuges nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG n.F. nicht
vorlägen, als (teil-)entgeltliche Rechtsgeschäfte zu
behandeln seien. Vor diesem Hintergrund könnten die
Rentenzahlungen der Klägerin nicht dem privaten Bereich und
der Einkommensverwendung zugeordnet werden, sondern seien, wie von
der Klägerin erklärt, als Werbungskosten zu
berücksichtigen. Die spezielle Abzugsbeschränkung in
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG sei
verfassungswidrig.
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Die Kläger beantragen, das
angefochtene Urteil des FG vom 25.10.2018 - 1 K 165/17 (3)
aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2013 vom
15.09.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.09.2017 mit
der Maßgabe zu ändern, dass die von der Klägerin
geleisteten Rentenzahlungen in Höhe von 30.000 EUR in voller
Höhe als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus
Vermietung und Verpachtung berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen. Es vertritt die Auffassung,
dass die von der Klägerin geleisteten wiederkehrenden
Leibrentenzahlungen nach Maßgabe der einschlägigen
rechtlichen Bestimmungen nur in Höhe des Zinsanteils
(Ertragsanteil) in Höhe von jährlich 3.900 EUR bei den
Einkünften aus Vermietung und Verpachtung steuermindernd in
Abzug zu bringen seien; dies verstoße nicht gegen das
objektive Nettoprinzip.
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II. Der Senat nimmt das Revisionsverfahren zum
Anlass, sich grundlegend mit der Rechtsfrage zu befassen, ob
wiederkehrende Leistungen im Zusammenhang mit einer
Übertragung von nicht nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2
Buchst. a bis c EStG n.F. begünstigtem Vermögen
grundsätzlich als Entgelt (bzw. im Ausnahmefall als
Unterhaltsleistung) anzusehen sind (so die Auffassung im Schreiben
des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 11.03.2010, BStBl I
2010, 227 = SIS 10 02 79 Tz 57 und 65) oder gleichwohl als nicht
begünstigte (d.h. nicht zum Sonderausgabenabzug
berechtigende), aber dem Grunde nach unentgeltliche
„Vermögensübergabe gegen
Versorgungsleistungen“ gelten können. Die
Rechtsfrage ist - so auch im Streitfall - u.a. von Bedeutung, wenn
die Entgeltlichkeit einer Vermögensübertragung, welche
die Voraussetzungen eines Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs.
1a Nr. 2 Satz 2 EStG n.F. nicht erfüllt,
Tatbestandsvoraussetzung für die Berücksichtigung
steuerlichen Aufwands bildet. Vor diesem Hintergrund hält es
der Senat für angezeigt, das BMF an diesem Revisionsverfahren
zu beteiligen und zum Beitritt aufzufordern (§ 122 Abs. 2 Satz
3 der Finanzgerichtsordnung).
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Zur weiteren Förderung des Verfahrens
weist der Senat auf Folgendes hin:
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Bei der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a
Satz 1 EStG durch das JStG 2008 (nunmehr § 10 Abs. 1a Nr. 2
Satz 1 EStG n.F.) hat der Gesetzgeber den Begriff der
Versorgungsleistungen und die hierzu von der
höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 10 Abs. 1 Nr. 1a
EStG in der vor dem 01.01.2008 geltenden a.F. entwickelten
Rechtsgrundsätze übernommen (zu den
Rechtsgrundsätzen s. Beschlüsse des Großen Senats
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 05.07.1990 - GrS 4-6/89, BFHE 161,
317, BStBl II 1990, 847 = SIS 90 21 04, und vom 15.07.1991 - GrS
1/90, BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78 = SIS 91 22 01; zur
Übernahme der Begriffsdefinition s. Kulosa in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 10 EStG Rz 244; Schulze zur Wiesche,
BB 2007, 2379). In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber des JStG
2008 erkennbar den Wunsch nach Beibehaltung der Unentgeltlichkeit
der Vermögensübergabe in seinen gesetzgeberischen
Reformwillen aufgenommen (s. BTDrucks 16/6290, 53). Motiviert durch
Überlegungen zur Förderung von
Vermögensübergängen im Zuge vorweggenommener
Erbfolge und zum Erhalt vorhandener Arbeitsplätze (s.
BTDrucks. 16/6290, 53) hat der Gesetzgeber ferner die
überkommene, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung
geprägte Struktur des Rechtsinstituts der unentgeltlichen
Vermögensübergabe in die neue Gesetzesregelung des §
10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 2008 aufgenommen und
lediglich die Grenzen des Anwendungsbereiches - d.h. die Reichweite
des Sonderausgabenabzugs bei der Vereinbarung von
Versorgungsleistungen - in Satz 2 der Regelung neu definiert
(Hecht, Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen,
2012, 187).
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Die Bestimmungen des § 10 Abs. 1a Nr. 2
EStG n.F. sind ihrem Wortlaut getreu auszulegen; eine teleologische
Extension des Gesetzeswortlauts kommt vor dem Hintergrund der
Gesetzeshistorie grundsätzlich nicht in Betracht (BFH-Urteil
vom 20.03.2017 - X R 35/16, BFHE 258, 283, BStBl II 2017, 985 = SIS 17 14 49, zu § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 Buchst. c EStG; s.a.
BFH-Urteile vom 25.06.2014 - X R 16/13, BFHE 246, 172, BStBl II
2014, 889 = SIS 14 22 36, Rz 18; vom 12.07.2017 - VI R 59/15, BFHE
258, 444, BStBl II 2018, 461 = SIS 17 16 43, Rz 23, jeweils zum
Abzug von Leistungen des Nutzungsberechtigten als Sonderausgaben
beim Wirtschaftsüberlassungsvertrag). Denn der Gesetzgeber
wollte das Rechtsinstitut der Vermögensübergabe gegen
Versorgungsleistungen mit den durch das JStG 2008 eingeführten
Änderungen auf seinen Kernbereich zurückführen und
Mitnahmeeffekte und missbräuchliche Gestaltungen verhindern
(BTDrucks 16/6290, 53). In diesem Zusammenhang wird der Senat zu
prüfen haben, ob der Auffassung im BMF-Schreiben in BStBl I
2010, 227 = SIS 10 02 79 Tz 57 und 65, wonach regelmäßig
von einer (teil-)entgeltlichen Vermögensübertragung gegen
wiederkehrende Leistungen auszugehen sei, wenn kein
begünstigtes Vermögen i.S. des § 10 Abs. 1a Nr. 2
Satz 2 EStG n.F. übertragen wird und mithin der
Sonderausgabenabzug für die wiederkehrenden Leistungen nicht
eröffnet ist, vor dem Hintergrund des Wortlauts der Norm
gefolgt werden kann.
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