Auf die Revision der Klägerin wird das
Urteil des Finanzgerichts Münster vom 24.11.2016 - 3 K 1627/15
Erb aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die
Klägerin zu tragen.
Die Kosten des Finanzgerichtsverfahrens tragen
die Klägerin zu 80 % und der Beklagte zu 20 %.
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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) reichte zusammen mit ihrem
Ehemann am 25.3.2010 eine Selbstanzeige beim Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) ein. Darin erklärte sie
die schenkweise Übertragung zweier Konten bei Schweizer Banken
auf sich und ihren Ehemann nach, die ihre Mutter zum Stichtag
17.04.2007 bzw. 19.12.2007 auf die Ehegatten umgeschrieben hatte.
Zudem erklärte sie die ebenfalls schenkweise Übertragung
eines schweizerischen Grundstücks von ihrer Mutter auf sich am
17.07.2008 nach. Am 11.04.2013 erließ das FA gegenüber
der Klägerin für die Schenkungen vom 19.12.2007 (unter
Berücksichtigung der Vorschenkung vom 17.04.2007) und vom
17.07.2008 (unter Berücksichtigung der Vorschenkungen vom
17.04.2007 und 19.12.2007) zwei Schenkungsteuerbescheide.
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Mit Bescheiden vom 14.11.2013 für die
Schenkung vom 17.07.2008 und vom 20.01.2014 für die Schenkung
vom 19.12.2007 setzte das FA Hinterziehungszinsen gemäß
§ 235 der Abgabenordnung (AO) wegen hinterzogener
Schenkungsteuer fest. Den Zinslauf berechnete es für die
Schenkung vom 19.12.2007 ab dem 19.06.2008 und für die
Schenkung vom 17.07.2008 ab dem 18.01.2009.
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Nach erfolglosen Einspruchsverfahren, die
die Klägerin wegen des nach ihrer Ansicht zu frühen
Beginns des Zinslaufs führte, erhob sie Klage vor dem
Finanzgericht (FG). Im finanzgerichtlichen Verfahren ermittelte das
FA anhand eines internen Controllingberichts eine Bearbeitungsdauer
von Schenkungsteuerfestsetzungen beim FA im Jahr 2008 von
durchschnittlich 7,1 Monaten. Es änderte daraufhin mit
Bescheiden vom 18.05.2016 den Beginn des Zinslaufs auf elf Monate
nach dem jeweiligen Stichtag der Schenkung (Zinslaufbeginn für
die Schenkung vom 19.12.2007 am 20.11.2008 und für die
Schenkung vom 17.07.2008 am 18.06.2009). Dabei ging es von einer
Anzeigefrist nach § 30 Abs. 1 des Erbschaft- und
Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) von drei Monaten sowie einer auf
acht Monate aufgerundeten Bearbeitungszeit aus.
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Das FG kam zu dem Ergebnis, dass der
Zinslauf einen weiteren Monat später beginne. Im Übrigen
sei die Klage unbegründet. Da anders als bei
Veranlagungssteuern für die Schenkungsteuer mangels eines
kontinuierlichen abschnittsbezogenen Veranlagungsverfahrens kein
allgemeiner Veranlagungsschluss festgestellt werden könne, sei
zur Anzeigefrist von drei Monaten und der Frist zur Abgabe der
Steuererklärung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2
ErbStG von mindestens einem Monat die durchschnittliche
Bearbeitungsdauer des Finanzamts, das die Festsetzung der
Schenkungsteuer durchzuführen habe, für die Berechnung
des Zinslaufbeginns hinzu zu addieren. Ab diesem Zeitpunkt sei die
Verkürzung oder Erlangung des Steuervorteils nach § 235
Abs. 2 Satz 1 AO eingetreten. Das Urteil ist in EFG 2017, 628 = SIS 17 04 60 veröffentlicht.
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Das FA hat am 24.01.2017 geänderte
Zinsbescheide erlassen, mit denen es das Urteil des FG umgesetzt
hat (Zinslaufbeginn für die Schenkung vom 19.12.2007 am
20.12.2008 und für die Schenkung vom 17.07.2008 am
18.07.2009). Ferner hat es mit Zinsbescheiden vom 23.08.2019 einen
Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der
Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes von
0,5 % pro Monat hinzugefügt.
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Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin eine Verletzung von § 235 Abs. 2 Satz 1 AO.
Diese Norm stelle wie § 370 Abs. 1 AO auf den Eintritt der
Steuerverkürzung als Vollendung der Tat ab. Beim
Unterlassungsdelikt müsse dabei auf einen fiktiven Moment
abgestellt werden. Die Frage der Tatvollendung (Eintritt der
Steuerverkürzung) sei anlassbezogen zu beantworten.
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Es führe zu einer Ungleichbehandlung
zwischen der aktiven Tat und der Unterlassungstat, beim Zinsbeginn
einer durch Unterlassen begangenen Schenkungsteuerhinterziehung auf
die durchschnittliche Festsetzungsdauer statt auf die
tatsächliche Bearbeitungsdauer abzustellen. Denn hätte
die Klägerin - anders als im Streitfall - eine fehlerhafte
Steuererklärung abgegeben und hätte das FA die
Schenkungsteuerfestsetzung erst nach mehr als drei Jahren
durchgeführt, wäre der Taterfolg erst mit Bekanntgabe der
Steuerfestsetzung eingetreten und wären erst ab diesem
Zeitpunkt Hinterziehungszinsen angefallen. Ebenso liege eine nicht
zu rechtfertigende Ungleichbehandlung in Bezug auf die
Unterscheidung des Zinslaufs für Hinterziehungszinsen bei
laufend veranlagten Steuern und nur einmal festzusetzenden Steuern
vor. Während bei ersteren fast unstreitig auf den Abschluss
der wesentlichen Veranlagungsarbeiten abgestellt werde, solle es im
Rahmen der anlassbezogenen Steuern für die Vollendung auf die
durchschnittliche Festsetzungsdauer ankommen. Aus den
Controllingdaten der Finanzverwaltung könne zwar ermittelt
werden, in welcher Zeit etwa 95 % der Schenkungsteuerfälle
abgearbeitet würden. Die pauschale Berücksichtigung einer
durchschnittlichen Bearbeitungsdauer bei einer Tatbegehung durch
Unterlassen sei aber keine sachgerechte Pauschalierung, da bei
einem Einmalereignis wie der Schenkungsteuer mit der konkreten
Bearbeitungsdauer ein transparenter Vergleichsmaßstab zur
Verfügung stehe.
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Zudem sei die Festlegung der
durchschnittlichen Bearbeitungsdauer für den Zinsbeginn auch
rechtssystematisch nicht haltbar. § 235 AO setze eine
vollendete Steuerhinterziehung voraus. Die Feststellungslast
dafür trage das FA. Der Grundsatz in dubio pro reo sei zu
beachten.
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Die Klägerin beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und den Bescheid vom 23.08.2019
über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen für die
Schenkung vom 19.12.2007 dahin zu ändern, dass als Beginn des
Zinslaufs der 05.04.2011 berücksichtigt wird, sowie den
Bescheid vom 23.08.2019 über die Festsetzung von
Hinterziehungszinsen für die Schenkung vom 17.07.2008 dahin zu
ändern, dass als Beginn des Zinslaufs der 03.11.2011
berücksichtigt wird.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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Ein Rückgriff auf die
tatsächliche Bearbeitungszeit sei nicht vertretbar. Die
Klägerin habe die aufgrund des Strafverfahrens
außergewöhnlich lange Bearbeitungsdauer der
Veranlagungsarbeiten selbst beeinflusst. Bei pünktlicher und
korrekter Erklärungsabgabe wäre die Durchlaufzeit - ohne
Strafverfahren - mit großer Wahrscheinlichkeit sehr viel
kürzer ausgefallen und hätte der durchschnittlichen
Bearbeitungszeit entsprochen.
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II. Das Urteil des FG war aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich
während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand,
über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden
hatte, geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). An die Stelle der Zinsbescheide vom 18.05.2016, über
die das FG entschieden hat, sind während des
Revisionsverfahrens zuletzt die Bescheide vom 23.08.2019 getreten.
Diese sind nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO
Gegenstand des Verfahrens geworden. Das angefochtene Urteil ist
daher gegenstandslos und aufzuheben (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14.11.2018 - II R 34/15, BFHE 263,
273, BStBl II 2019, 674 = SIS 19 02 12, Rz 12, m.w.N.).
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Einer Zurückverweisung der Sache an das
FG nach § 127 FGO bedarf es jedoch nicht, da sich aufgrund der
Änderungsbescheide an den zwischen den Beteiligten streitigen
Punkten im Übrigen nichts geändert hat (vgl. BFH-Urteil
in BFHE 263, 273, BStBl II 2019, 674 = SIS 19 02 12, Rz 13). Im
Streitfall führen die Änderungsbescheide lediglich zu
einer Reduzierung des Streitstoffs. Die vom FG getroffenen
tatsächlichen Feststellungen bilden nach wie vor die Grundlage
für die Entscheidung des BFH; sie fallen durch die Aufhebung
des finanzgerichtlichen Urteils nicht weg, da das
finanzgerichtliche Urteil nicht an einem Verfahrensmangel leidet
(vgl. BFH-Urteil vom 26.06.2019 - II R 58/15, BFH/NV 2019, 1222 =
SIS 19 13 85, Rz 11, m.w.N.).
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III. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist
unbegründet und war daher abzuweisen. Die Bescheide über
die Festsetzung von Hinterziehungszinsen vom 23.08.2019 sind
rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in
ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FA und das FG
sind zutreffend davon ausgegangen, dass der Zinslauf jedenfalls
nicht später als am 20.12.2008 hinsichtlich der Schenkung vom
19.12.2007 und nicht später als am 18.07.2009 hinsichtlich der
Schenkung vom 17.07.2008 begonnen hat.
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1. Gemäß § 235 Abs. 1 Satz 1
AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. § 235 AO soll dem
Nutznießer einer Steuerhinterziehung den durch die Tat
erlangten Vorteil, dass er die gesetzlich entstandene Steuer erst
zu einem späteren Zeitpunkt zahlen muss, wieder entziehen und
die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherstellen (vgl.
BFH-Urteil vom 01.08.2001 - II R 48/00, BFH/NV 2002, 155 = SIS 02 51 02, unter II.3.).
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§ 235 AO ist auch bei einer
steuerbefreienden Selbstanzeige anwendbar. Denn die wirksame
Selbstanzeige beseitigt als persönlicher Strafaufhebungsgrund
nur die Straf- und damit Verfolgbarkeit der Tat (vgl. BFH-Urteil
vom 29.04.2008 - VIII R 5/06, BFHE 222, 1, BStBl II 2008, 844 = SIS 08 35 54, unter II.2. b bb (2); Loose in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 235 AO Rz 5).
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a) Voraussetzung des Zinsanspruchs ist eine
vollendete Steuerhinterziehung. Der objektive und der subjektive
Tatbestand des § 370 AO müssen erfüllt sein. Der
Steuerschuldner muss eine der in § 370 Abs. 1 AO beschriebenen
Tathandlungen mit Vorsatz begangen und dadurch Steuern
verkürzt haben (BFH-Urteil vom 12.07.2016 - II R 42/14, BFHE
254, 105, BStBl II 2016, 868 = SIS 16 18 60, Rz 12). Eine
Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO
begeht, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über
steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und
dadurch Steuern verkürzt. Steuern sind namentlich dann
verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht
rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1
AO).
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18
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Über die tatsächlichen
Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung hat das FG nach
Maßgabe des § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO nach
freier Überzeugung zu entscheiden. Die Feststellungslast
trägt das FA, da es sich um steuerbegründende Tatsachen
handelt. Der BFH ist nach den Grundsätzen des § 118 Abs.
2 FGO an die tatsächlichen Feststellungen gebunden (vgl. im
Einzelnen BFH-Urteil in BFHE 254, 105, BStBl II 2016, 868 = SIS 16 18 60, Rz 13 bis 16, m.w.N.).
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b) Der Lauf der Hinterziehungszinsen beginnt
grundsätzlich u.a. mit dem Eintritt der Verkürzung
(§ 235 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 AO), also mit der
Tatvollendung.
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aa) Ergeht bei einer Steuerhinterziehung durch
Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) kein Steuerbescheid, ist
die Tat nach herrschender Meinung bei kontinuierlich
abschnittsweise zu veranlagenden Steuern wie der Einkommensteuer
erst vollendet und mithin die Steuer verkürzt, wenn das
zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für den
betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat.
Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, zu dem bei
ordnungsgemäßer Abgabe der Steuererklärung auch der
unterlassende Täter spätestens veranlagt worden wäre
(vgl. Beschlüsse des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 28.10.1998
- 5 StR 500/98, HFR 1999, 669, m.w.N.; vom 13.05.2009 - 1 StR
704/08, juris, und vom 02.11.2010 - 1 StR 544/09, Neue Zeitschrift
für Strafrecht 2011, 294, Rz 77; BFH-Urteil vom 12.04.2016 -
VIII R 24/13, BFH/NV 2016, 1537 = SIS 16 21 41, Rz 27; Rolletschke,
Steuerstrafrecht, 4. Aufl., Rz 138; Meyer in Gosch, AO § 370
Rz 189; Ransiek in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO, Rz
413, jeweils m.w.N.; differenzierend die - in erster Linie den
Zeitpunkt der Beendigung der Tat betreffenden - BGH-Beschlüsse
vom 07.11.2001 - 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138, BStBl II 2002, 259 =
SIS 02 03 25, unter II.1.a aa, und vom 19.01.2011 - 1 StR 640/10,
Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht - wistra -
2012, 484, Rz 8, 9).
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bb) Im Falle einer Steuer, deren Festsetzung
nicht kontinuierlich abschnittsbezogen nach
Veranlagungszeiträumen, sondern anlassbezogen wie bei der
Schenkungsteuer erfolgt, kann nicht festgestellt werden, wann im
Wesentlichen die Bearbeitung der Steuererklärungen und
-festsetzungen abgeschlossen ist (vgl. BGH-Beschlüsse vom
25.07.2011 - 1 StR 631/10, BGHSt 56, 298, Rz 41, und vom 08.07.2014
- 1 StR 240/14, HFR 2015, 408, Rz 3; Rolletschke, Steuerstrafrecht,
4. Aufl., Rz 157; Wiese in Wannemacher, Steuerstrafrecht, 6. Aufl.,
S. 214 Rz 519; Simon in Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, 4. Aufl.,
S. 457; Ebner, Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht, S.
241; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und
Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 900 AO, § 370 Rz 487 und §
376, Rz 48; Klein/Jäger, AO, 14. Aufl., § 376 Rz 23a;
Krumm in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 370 AO Rz 96; Weigell in
Kuhn/Weigell/Görlich, Steuerstrafrecht, 3. Aufl., S. 67, Rz
218; Esskandari/Bick, Erbschaft-Steuerberater 2012, 108, 112;
Einemann, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge
- ZEV - 2017, 316, 319).
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22
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Zwar ermöglicht die umfangreiche
Datenerfassung der Finanzverwaltung die Feststellung, wann
Erklärungen für derartige Steuern, die z.B. in einem
konkreten Jahr eingegangen sind, weitgehend bearbeitet wurden. Dies
entspricht aber nicht dem allgemeinen Veranlagungsschluss bei
periodischen Steuern. Denn abschnittsbezogene Steuern entstehen in
der Regel mit Ablauf des Veranlagungszeitraums (z.B. § 36 Abs.
1 des Einkommensteuergesetzes) und haben zudem eine weitgehend
einheitliche Abgabefrist, durch die auf den Abschluss der
Veranlagungsarbeiten für einen Veranlagungszeitraum hingewirkt
wird. Bei der Schenkungsteuer ist hingegen gemäß §
9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ein konkreter Moment, der Zeitpunkt der
Ausführung der Schenkung, für die Entstehung der Steuer
maßgeblich, mit der Folge, dass die Schenkungsteuer je nach
Fallgestaltung zu unterschiedlichen Zeitpunkten entsteht. Insoweit
gibt es keinen allgemeinen Veranlagungsschluss wie bei periodisch
festzusetzenden Steuern (vgl. Rolletschke, Neue Zeitschrift
für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht - NZWiSt
- 2018, 37 f.).
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cc) Für den Eintritt der
Steuerverkürzung ist bei der Schenkungsteuer als
stichtagsbezogener Steuer der Zeitpunkt maßgebend, zu dem das
FA bei ordnungsgemäßer Anzeige und Abgabe der
Steuererklärung die Steuer festgesetzt hätte (vgl.
BGH-Beschlüsse in HFR 2015, 408, Rz 3, und vom 14.10.2015 - 1
StR 521/14, wistra 2016, 74, Rz 21, jeweils zur Tabaksteuer;
Rolletschke, Steuerstrafrecht, 4. Aufl., Rz 157; Rolletschke in
Graf/ Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2.
Aufl., 900 AO, § 370 Rz 487 f.; Rolletschke, NZWiSt 2018, 37,
38; Hilgers-Klautsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO,
Rz 1523, anders aber Rz 1518; Krumm in Tipke/Kruse, a.a.O., §
370 AO Rz 96; Einemann, ZEV 2017, 316, 319). Wann dies der Fall
ist, ist eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige
Tatfrage. Dabei kann der Zeitpunkt für den Beginn des
Zinslaufs unter Berücksichtigung der beim zuständigen FA
durchschnittlich erforderlichen Zeit für die Bearbeitung
eingegangener Schenkungsteuererklärungen bestimmt werden.
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(1) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist
bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nicht auf die
tatsächliche Dauer der Festsetzung der hinterzogenen
Schenkungsteuer abzustellen, insbesondere wenn diese durch
steuerstrafrechtliche Untersuchungen oder andere
hinterziehungsbedingte Umstände beeinflusst ist.
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So kann aufgrund der
Ermittlungsmaßnahmen oder der Überprüfung der
Selbstanzeige eine Veranlagung zunächst zurückzustellen
sein. Dementsprechend hieß es auch im Streitfall auf einer
Mitteilung des Finanzamts für Steuerstrafsachen an das FA
über die Einleitung eines Strafverfahrens gegen die
Klägerin handschriftlich „auf Bericht
warten“; die Wörter „ggfs. bevorzugte
Bearbeitung“ waren durchgestrichen. Dass die Veranlagung
bei rechtzeitiger Anzeige und Erklärung ebenso lange gedauert
hätte wie im Fall einer verspäteten Anzeige, ist
Spekulation und nicht anhand von Tatsachen
überprüfbar.
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(2) Anders als von der Klägerin und
teilweise der Literatur (Joecks in Joecks/Jäger/ Randt,
Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370, Rz 337, krit. hingegen in
§ 376, Rz 44 f.; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, 3. Aufl.,
S. 210 f. zur Beendigung; Hilgers-Klautsch in Kohlmann,
Steuerstrafrecht, § 370 AO, Rz 1518; nur mit Ausführungen
zu kontinuierlich veranlagten Steuern Wiese in Wannemacher,
Steuerstrafrecht, 6. Aufl., S. 212 ff., Rz 516 ff.) ausgeführt
wird, kann auch nicht nach dem Grundsatz „in dubio pro
reo“ auf den spätesten Zeitpunkt für den
Zinsbeginn abgestellt werden.
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Dieser Grundsatz setzt Zweifel des Tatrichters
über tatsächliche Gegebenheiten voraus (vgl.
BGH-Beschluss in BGHSt 47, 138, BStBl II 2002, 259 = SIS 02 03 25,
unter II.1.b bb; ebenso Klein/ Jäger, AO, 14. Aufl., §
370 Rz 201; Rolletschke, NZWiSt 2018, 37, 38; Ebner,
Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht, S. 241). Die
Unsicherheit hinsichtlich des Zeitpunkts der Vollendung der durch
Unterlassen begangenen Tat betrifft aber nicht den
tatsächlichen, sondern einen fiktiven Geschehensablauf. Die
Festsetzung von Hinterziehungszinsen setzt zwar eine vollendete
Steuerhinterziehung voraus, und dies verlangt die Erfüllung
der einzelnen Tatbestandsmerkmale. Der Taterfolg bei Begehung einer
Hinterziehung von Schenkungsteuer durch Unterlassen der Anzeige
lässt sich aber nicht an einen konkreten Umstand, der auf die
Tatvollendung hindeutet, anknüpfen. Somit muss die
Tatvollendung anhand der im Einzelfall gegebenen Tatsachen
beurteilt werden. Bestehen hinsichtlich dieser Tatsachen keine
Zweifel, ist für die Anwendung des Grundsatzes „im
Zweifel für den Angeklagten“ kein Raum. Zu Annahmen,
für deren Vorliegen es an hinreichenden Anhaltspunkten fehlt,
besteht kein Anlass (vgl. BGH-Beschluss in wistra 2012, 484, Rz 9,
m.w.N.). Maßgebend für den Beginn des Zinslaufs ist
danach der Zeitpunkt, zu dem nach Überzeugung des
Tatsachengerichts bei ordnungsgemäßer Anzeige und Abgabe
der Steuererklärung die Schenkungsteuer gegen den
unterlassenden Täter festgesetzt worden wäre.
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(3) Der BGH selbst hat bei der Frage, wann die
Hinterziehung von Schenkungsteuer beendet ist, auf den Zeitpunkt
der frühestmöglichen Bekanntgabe des
Schenkungsteuerbescheids abgestellt und kam so auf eine Frist von
vier Monaten nach der Schenkung. Er führte zur
Bearbeitungsdauer bei den Finanzbehörden aus, sie sei bei
dieser fiktiven Steuerfestsetzung mit einem Monat anzusetzen, denn
das Finanzamt könne gemäß § 31 Abs. 1 und Abs.
7 ErbStG die Abgabe einer Steuererklärung binnen eines Monats
verlangen, in welcher der Steuerpflichtige die Steuer selbst zu
berechnen habe (BGH-Beschluss in BGHSt 56, 298, Rz 41; ähnlich
Simon in Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, 4. Aufl., S. 457; krit.
Krumm in Tipke/Kruse, a.a.O., § 370 AO Rz 96; Ebner,
Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht, S. 245).
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29
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(4) Soweit die Klägerin auf die
Rechtsprechung zur aktiven Tatbegehung verweist, nach der eine
vollendete Hinterziehung von Einkommensteuer erst vorliegt, wenn
der unzutreffende Bescheid dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben
wird (BFH-Urteil in BFHE 222, 1, BStBl II 2008, 844 = SIS 08 35 54,
m.w.N.), führt dies zu keiner anderen Bewertung. Ein
Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes liegt nicht
vor. Denn die Sachverhalte beider Begehungsarten sind nicht
vergleichbar. Durch die Bekanntgabe des Steuerbescheids aufgrund
einer rechtzeitigen, aber unrichtigen Erklärung ist
feststellbar, wann die nicht erklärten Tatsachen bei der
Steuerfestsetzung berücksichtigt worden wären. Bei einer
Tat durch Nichtabgabe irgendeiner Anzeige bzw. Erklärung fehlt
dieser Anhaltspunkt.
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c) Wer für eine verspätete
Festsetzung von Steuern verantwortlich ist, ist unerheblich (vgl.
BFH-Urteil vom 31.07.1996 - XI R 82/95, BFHE 180, 533, BStBl II
1996, 354 = SIS 96 24 37, unter II.2.e). Denn § 235 AO soll
den steuerlichen Vorteil beim Nutznießer der
Steuerhinterziehung abschöpfen. Hinterziehungszinsen stellen
keine Strafe dar (vgl. BFH-Beschluss vom 30.10.2001 - X B 147/01,
BFH/NV 2002, 505 = SIS 02 58 40, unter 4.a, 4. Spiegelstrich,
m.w.N. zu § 233a AO).
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31
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2. Nach diesen Maßstäben hat das FA
im Anschluss an die Entscheidung des FG den Beginn des Zinslaufs
bei beiden Schenkungen jedenfalls nicht auf ein zu frühes
Datum festgelegt.
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32
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a) Die Feststellungen, die das FG zur Annahme
des objektiven und subjektiven Hinterziehungstatbestandes
veranlasst haben, sind ausreichend und von der Klägerin nicht
angegriffen worden. Nach Überzeugung des FG bewirkte die
Klägerin, dass die geschuldete Schenkungsteuer (zunächst)
nicht festgesetzt und dadurch verkürzt wurde, indem sie es
entgegen § 30 Abs. 1 ErbStG pflichtwidrig unterließ, die
im Jahr 2007 und 2008 erhaltenen Schenkungen dem zuständigen
Finanzamt anzuzeigen, und dieses in Folge des Unterlassens keine
Steuererklärungen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 ErbStG
anforderte.
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33
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b) Ferner ist das FG rechtsfehlerfrei zu dem
Ergebnis gekommen, dass der Zinslauf jedenfalls nicht später
als zwölf Monate nach der jeweiligen Schenkung begonnen
hat.
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34
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aa) Für seine Berechnung hat das FG die
Anzeigefrist beim FA gemäß § 30 Abs. 1 ErbStG von
drei Monaten, eine - nach § 31 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 7 ErbStG
mindestens vom FA zu gewährende - Erklärungsfrist von
einem Monat sowie die durchschnittliche Bearbeitungsdauer beim
beklagten FA herangezogen. Gegen die der Vorentscheidung zugrunde
gelegte durchschnittliche Bearbeitungsdauer beim FA hat die
Klägerin keine Einwände erhoben. Das FG konnte auf dieser
Grundlage seine Entscheidung treffen.
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35
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bb) Besondere Umstände des Einzelfalls,
die dafür sprächen, dass auch bei
ordnungsgemäßer Anzeige und Erklärung der
Schenkungen die Festsetzungen der Schenkungsteuer nicht innerhalb
der durchschnittlichen Bearbeitungsdauer durchgeführt worden
wären, hat die Klägerin nicht vorgebracht. Vielmehr trug
sie im Einspruchsverfahren vor, die Schenkungen und deren
steuerliche Behandlung wiesen keine erhöhten
tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten auf. Das FA
verwies auf die Selbstanzeige, bei der eine Festsetzung in der
Regel im Rahmen der Durchschnittszeiten erfolge. Die Klägerin
habe die aufgrund des Strafverfahrens außergewöhnlich
lange Bearbeitungsdauer der Veranlagungsarbeiten selbst
beeinflusst.
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36
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cc) Das FG ist auf dieser Grundlage zu der
Überzeugung gelangt, dass das FA die Schenkungsteuer bei
ordnungsgemäßer Anzeige innerhalb der durchschnittlichen
Bearbeitungsdauer festgesetzt hätte. Zugleich hat es
festgestellt, dass die Bearbeitungsdauer bei aufgerundet acht
Monaten gelegen hat. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden. Nach Hinzurechnung der Fristen des § 30 Abs. 1
ErbStG sowie des § 31 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 7 ErbStG hat
es damit seiner Entscheidung jedenfalls keine zu frühen
Zeitpunkte für den Zinslauf zugrunde gelegt. Soweit der BGH
weitergehend für den Zeitpunkt der Beendigung bei nicht
angezeigter Schenkung auf die frühestmögliche Bekanntgabe
abgestellt hat (BGH-Beschluss in BGHSt 56, 298) kommt es hierauf im
Streitfall aufgrund des Verböserungsverbots nach §§
96 Abs. 1 Satz 2, 121 Satz 1 FGO (vgl. BFH-Urteil vom 03.04.2019 -
VI R 15/17, BFHE 264, 24, BStBl II 2019, 446 = SIS 19 06 41, Rz 25,
m.w.N.) nicht mehr an.
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3. Die Kostenentscheidung folgt für das
finanzgerichtliche Verfahren aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO und
für das Revisionsverfahren aus § 135 Abs. 2 FGO (vgl.
BFH-Urteile vom 15.03.2017 - II R 10/15, BFH/NV 2017, 1153 = SIS 17 13 99, Rz 24, und in BFHE 264, 24, BStBl II 2019, 446 = SIS 19 06 41, Rz 26).
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