Selbstanzeige, Strafverfahren, Verjährung: 1. Nach dem das Strafverfahren beherrschenden Legalitätsprinzip sind die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, nach Eingang einer Selbstanzeige ein Strafverfahren zum Zwecke der Prüfung der Straffreiheit gemäß § 371 Abs. 1 und 3 AO einzuleiten. Eine derartige Strafverfahrenseinleitung hemmt den Anlauf der Frist zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO. - 2. Ausnahmsweise hemmt aber eine Strafverfahrenseinleitung, die sich nach den für die Strafverfolgungsbehörden zum Zeitpunkt der Einleitung bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen als greifbar rechtswidrig darstellt, den Anlauf der Festsetzungsfrist nicht. - Urt.; BFH 29.4.2008, VIII R 5/06; SIS 08 35 54
I. Streitig ist, ob der Beginn der Frist
zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen durch ein eingeleitetes
Strafverfahren gehemmt wurde.
Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) wandte sich mit Schreiben vom 14.9.1998 an den
Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt - FA - ), um seine
Einkommensteuererklärungen der Jahre 1987 bis 1996 zu
berichtigen. Er gab bislang nicht erfasste Einkünfte aus
Kapitalvermögen an und legte berichtigte Anlagen KSO sowie
Bankbescheinigungen vor.
Das FA behandelte das Schreiben vom
14.9.1998 als Selbstanzeige und gab es am nächsten Tag
urschriftlich an die zuständige Steuerfahndungsstelle (Steufa)
mit der Bitte um Kenntnisnahme und weitere Veranlassung weiter. Mit
Ermittlungsauftrag vom 30.9.1998 begann die Steufa, die
steuerlichen Verhältnisse des Klägers im Rahmen seiner
Selbstanzeige zu prüfen. Die Steufa ihrerseits unterrichtete
die Straf- und Bußgeldsachenstelle (Strabu) am 8.10.1998
über die Selbstanzeige und fügte eine Kopie derselben
bei. Die Strabu verfügte daraufhin am 13.10.1998 die
Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Kläger wegen des
Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung ab 1987.
Die Steufa hielt in einem Aktenvermerk vom
5.1.1999 fest, dass die gemachten Angaben ohne nennenswerte
Beanstandungen überprüft worden seien. Die Selbstanzeige
sei ihres Erachtens wirksam. Von ihrer Seite habe man kein
Verfahren eingeleitet. Die Strabu wurde von der Steufa entsprechend
unterrichtet. Jene stellte mit Verfügung vom 24.3.1999 das
Verfahren wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung 1989
bis 1992 mit der Begründung ein, dass eine wirksame
Selbstanzeige vorliege.
Noch während der Prüfung durch
die Steufa hatte das FA mit Bescheiden vom 12.10.1998 die
Einkommensteuerfestsetzungen 1987 bis 1996 auf der Grundlage der
Angaben des Klägers geändert, der die Bescheide
bestandskräftig werden ließ und die Mehrsteuern
bezahlte. Die von der Steufa für die Jahre 1989 bis 1992
vorgenommenen Korrekturen berücksichtigte das FA durch eine
nochmalige Bescheidänderung.
Mit Bescheid vom 31.3.2000 setzte das FA
Hinterziehungszinsen in Höhe von 33.332 DM fest.
Berechnungsgrundlage der Festsetzung waren die in den
Einkommensteueränderungsbescheiden vom 12.10.1998
festgesetzten Mehrsteuern. Den Beginn des Zinslaufs bestimmte das
FA dergestalt, dass es - abgesehen von der hinterzogenen
Einkommensteuer 1989 - jeweils auf das Datum des Erlasses des
Erstbescheids abstellte.
Mit Einspruch und Klage, die jeweils
erfolglos blieben, wandte sich der Kläger gegen die
Zinsfestsetzung. Zur Begründung führte er an, dass das FA
im März 2000 keine Zinsen mehr habe festsetzen dürfen,
weil die einjährige Zinsfestsetzungsfrist bereits abgelaufen
gewesen sei. Zu einer Anlaufhemmung gemäß § 239
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) sei es nicht gekommen,
weil kein Strafverfahren im Sinne dieser Vorschrift eingeleitet
worden sei.
Das Finanzgericht (FG) wies mit in EFG
2006, 474 = SIS 06 13 69 veröffentlichtem Urteil die Klage
ab.
Mit der vom FG zugelassenen Revision
rügt der Kläger eine Verletzung des § 239 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 AO. Weder die förmliche Verfügung der
Verfahrenseinleitung noch die Prüfungshandlungen der Steufa
seien das Strafverfahren einleitende Maßnahmen
gewesen.
Bei den Prüfungshandlungen der Steufa
habe es sich allenfalls um Vorfeldermittlungen zur Prüfung der
Frage gehandelt, ob die Strafverfahrenseinleitung gerechtfertigt
sei. Allgemeine Vorermittlungen oder die bloße
Überprüfung einer Selbstanzeige seien keine einleitenden
Maßnahmen, wenn - wie vorliegend - kein ernstlicher
Anhaltspunkt für die Unwirksamkeit der Selbstanzeige gegeben
sei. Dass der zuständige Fahndungsprüfer noch zweimal mit
seinem Steuerberater habe telefonieren müssen, sei
unschädlich. Denn die Selbstanzeige müsse nur soviel
Material enthalten, dass das FA ohne Weiteres in der Lage sei, sich
durch geringfügige eigene Aufklärungsarbeit Klarheit zu
verschaffen.
Die förmliche Verfügung der
Strabu vom 13.10.1998 könne nur als Scheinmaßnahme
qualifiziert werden, die nicht das Ziel gehabt habe, gegen jemanden
wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen. Die rein
formale Handlungsweise komme bereits darin zum Ausdruck, dass zwar
ein Verfahren für die Zeiträume ab 1987 eingeleitet, die
Einstellungsverfügung sich aber nur auf die Jahre 1989 bis
1992 bezogen habe. Mehr als das Ausfüllen eines
Formularvordrucks sei nicht geschehen, eigene
Prüfungshandlungen der Strabu seien nicht ersichtlich. Die
Einleitung sei im Übrigen rechtswidrig gewesen, weil die
Selbstanzeige Straffreiheit begründet habe. Die Strabu sei
deshalb gehalten gewesen, die Selbstanzeige vor förmlicher
Einleitung des Strafverfahrens zunächst einer Vorprüfung
zu unterziehen. Verzichte sie auf die gebotene Vorprüfung,
dann handele sie - auch nach der vom FG Düsseldorf (Urteil vom
24.2.1994 10 K 468/89) vertretenen Auffassung - ermessens- und
rechtswidrig.
Der Kläger beantragt, das Urteil des
FG Baden-Württemberg vom 13.12.2005 sowie den
Hinterziehungszinsbescheid vom 31.3.2000 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 7.7.2003 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Die Prüfungen der Steufa seien, selbst
wenn es sich um Vorfeldermittlungen gehandelt haben würde,
Handlungen strafprozessualer Natur und damit ein Vorgehen i.S. des
§ 397 Abs. 1 AO.
Da die Selbstanzeige des Klägers
zunächst noch nicht wirksam gewesen sei, habe die Strabu mit
der förmlichen Einleitung des Strafverfahrens nicht
rechtswidrig gehandelt. Denn die Selbstanzeige habe zum einen noch
der Überprüfung bedurft, zum anderen seien die
hinterzogenen Steuern zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung noch
nicht entrichtet gewesen. Letzteres sei erst am 10.11.1998
geschehen. Der Sachverhalt sei vorliegend also wesentlich anders
gelagert als in dem wiederholt vom Kläger zitierten Fall des
FG Düsseldorf. Dort seien die nachgemeldeten
Steuerbeträge bereits vor Einleitung des Strafverfahrens
bezahlt gewesen.
II. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur teilweisen
Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur
Einkommensteuer 1992 bis 1996 war dem Grunde nach
rechtmäßig, weil die Festsetzungsfrist noch nicht
abgelaufen war. Allerdings hat das FA den Beginn des Zinslaufs
unzutreffend bestimmt und dadurch die Hinterziehungszinsen -
geringfügig - zu hoch angesetzt (nachfolgend unter II.2. der
Gründe dieses Urteils).
Dahingegen waren die Ansprüche auf
Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1987 bis 1991 zum
Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen
Zinsbescheids bereits verjährt. Das 1998 eingeleitete
Strafverfahren führte nicht zur Anlaufhemmung gemäß
§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, weil die
Einleitungsverfügung der Strabu vom 13.10.1998 greifbar
rechtswidrig war, soweit sie auch die strafrechtlich bereits
verjährten Vergehen der Einkommensteuerhinterziehung 1987 bis
1991 erfasste (hierzu nachfolgend unter II.3. der Gründe
dieses Urteils).
1. Gemäß § 235 Abs. 1 Satz 1
AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Auf die Zinsen sind die
für die Steuern geltenden Vorschriften entsprechend
anzuwenden, jedoch beträgt die Festsetzungsfrist nur ein Jahr
(§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO). Folge dieser Verweisung auf die
steuerlichen Vorschriften ist, dass die Festsetzung von Zinsen
nicht mehr zulässig ist, wenn die einjährige
Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO).
Die Zinsfestsetzungsfrist beginnt nach §
239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem
die Festsetzung der hinterzogenen Steuern unanfechtbar geworden
ist, jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein
eingeleitetes Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen
worden ist. Aus dem Wortlaut und dem Zweck dieser den Anlauf der
Festsetzungsfrist hemmenden Bestimmung folgt, dass das
Strafverfahren bereits in demjenigen Jahr eingeleitet worden sein
muss, in dem die Festsetzung der hinterzogenen Steuern unanfechtbar
geworden ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24.8.2001 VI
R 42/94, BFHE 196, 26, BStBl II 2001, 782 = SIS 01 14 44).
Ein Strafverfahren ist dann eingeleitet,
sobald die Finanzbehörde, die Polizei, die Staatsanwaltschaft,
eine ihrer Ermittlungspersonen oder der Strafrichter eine
Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden
wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen (§ 397
Abs. 1 AO). Die förmliche Einleitung des Strafverfahrens ist
der Regelfall einer einleitenden Maßnahme. Für das
Steuerstrafrecht gelten diesbezüglich keine anderen
Grundsätze als im allgemeinen Strafverfahren. Somit ist auch
die förmliche Einleitungsverfügung der Staatsanwaltschaft
- als solche - eine einleitende erkennbare Maßnahme i.S. des
§ 397 Abs. 1 AO (BFH-Beschluss vom 13.12.1995 X B 50/95,
BFH/NV 1996, 451, m.w.N.; a.A. Wannemacher/Seipl in Beermann/Gosch,
AO, § 397 Rz 35).
Für die förmliche
Einleitungsverfügung der Finanzbehörde gilt nichts
anderes (vgl. Scheurmann-Kettner in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl.,
§ 397 Rz 6; Rolletschke, Zeitschrift für Wirtschafts- und
Steuerstrafrecht - wistra - 2007, 89). Denn führt die
Finanzbehörde das Ermittlungsverfahren aufgrund des § 386
Abs. 2 AO selbstständig durch, so nimmt sie die Rechte und
Pflichten wahr, die der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren
zustehen (§ 399 Abs. 1 AO). Von den gesetzlich bestimmten
Ausnahmen (vgl. § 386 Abs. 2 AO i.V.m. §§ 400, 401
AO) abgesehen, hat die Finanzbehörde im Ermittlungsverfahren
eine Stellung inne, die sich von der der Staatsanwaltschaft nicht
unterscheidet. Sie ist, solange das Verfahren nicht an die
Staatsanwaltschaft abgegeben oder von dieser an sich gezogen wurde
(§ 386 Abs. 4 AO), das allein zuständige
Strafverfolgungsorgan und als solches Herrin des
Ermittlungsverfahrens (vgl. Klein/Gast-de Haan, AO, 9. Aufl.,
§ 386 Rz 2). Maßnahmen der zur selbstständigen
Erforschung des Sachverhalts berufenen Finanzbehörde haben
damit kein minderes rechtliches Gewicht als strafprozessuale
Maßnahmen der Staatsanwaltschaft.
Ein eingeleitetes Steuerstrafverfahren ist
dann i.S. von § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO abgeschlossen, wenn
der förmliche Verfahrensabschluss, sei es durch Erlass eines
rechtskräftigen Strafurteils oder eines Strafbefehls, sei es
durch Einstellungsverfügung der Strafverfolgungsbehörde
oder gerichtlichen Einstellungsbeschluss gemäß
§§ 170 Abs. 2, 153 ff. der Strafprozessordnung - StPO -,
erfolgt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 11.7.2000 VIII B 102/99,
juris).
2. Zur Rechtmäßigkeit der
Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1992 bis
1996
a) Gemessen an den vorstehend dargestellten
Maßstäben war die einjährige Frist zur Festsetzung
der rechtlich selbstständigen Ansprüche auf
Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1992 bis 1996 noch nicht
abgelaufen. Denn die Strabu des FA X hatte am 13.10.1998 unter
Bezugnahme auf die Selbstanzeige des Klägers förmlich die
Einleitung des Strafverfahrens wegen des Verdachts der
Einkommensteuerhinterziehung ab 1987 verfügt. Mit dieser
Maßnahme war im Hinblick auf die fünf Vergehen der
Einkommensteuerhinterziehung 1992 bis 1996 in
rechtmäßiger Weise ein Strafverfahren im Sinne des
§ 397 Abs. 1 AO eingeleitet worden, was den Anlauf der Frist
zur Festsetzung der Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1992
bis 1996 hemmte. Da das Strafverfahren erst im folgenden Jahr durch
Einstellungsverfügung gemäß § 170 Abs. 2 StPO
abgeschlossen wurde, begann die einjährige Festsetzungsfrist
mit Ablauf des Jahres 1999. Der Hinterziehungszinsbescheid vom
31.3.2000 erging damit in offener Festsetzungsfrist.
Dass die Einstellungsverfügung
ausweislich ihres Tenors - möglicherweise in Folge eines
Versehens - lediglich die Einkommensteuerhinterziehungen 1989 bis
1992 erfasste, hat in Bezug auf die Festsetzungsverjährung
keine für den Kläger günstigen Auswirkungen. Denn
der Lauf der einjährigen Festsetzungsfrist begann jedenfalls
nicht Ende 1998, weil zu diesem Zeitpunkt das wirksam eingeleitete
Strafverfahren noch lief. Durch den unvollständigen
Verfahrensabschluss im März 1999 wurde der Fristbeginn
allenfalls noch weiter hinausgeschoben.
b) Die Angriffe der Revision gegen diese
rechtliche Beurteilung gehen fehl.
Die Einleitung des Strafverfahrens war im
Hinblick auf die Vergehen der Einkommensteuerhinterziehung 1992 bis
1996 rechtmäßig. Es war insbesondere zulässig, das
Strafverfahren allein zur Prüfung der Frage einzuleiten, ob
der Kläger mit Abgabe seiner Berichtigungserklärungen
Straffreiheit gemäß § 371 AO erlangen konnte. Auch
in einem solchen Fall tritt eine Anlaufhemmung i.S. des § 239
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO ein (a.A. Krieger, DStR 2002, 750; Heuermann
in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 235 AO Rz 50;
vgl. auch Urteil des FG Düsseldorf vom 24.2.1994 10 K 468/89,
juris).
aa) Das Vorbringen des Klägers, bei der
Einleitung des Strafverfahrens habe es sich um eine
Scheinmaßnahme gehandelt, geht an den Feststellungen des FG
vorbei. Welche Vorstellung der Kläger auch immer mit dem
Begriff „Scheinmaßnahme“ verbindet, so ist
im Streitfall doch zu konstatieren, dass die Einleitung
tatsächlich erfolgt ist und es vom Einleitungszeitpunkt
an ein Strafverfahren in der Rechtswirklichkeit gab, das seine
Wirkung auf den Lauf der Festsetzungsfrist zu entfalten
vermochte.
bb) Das FA war entgegen einer in Literatur und
Rechtsprechung vertretenen Auffassung (vgl. Rüping in HHSp,
§ 371 AO Rz 114; Hübner in HHSp, § 397 AO Rz 22;
Klein/Gast-de Haan, a.a.O., § 371 Rz 9 und 16; Krieger, DStR
2002, 750; vgl. auch Urteil des FG Düsseldorf vom 24.2.1994 10
K 468/89, juris) nicht gehalten, die Wirksamkeit der Selbstanzeige
außerhalb des regulären Ermittlungsverfahrens einer Art
Vorprüfung zu unterziehen und zunächst die Einleitung des
Strafverfahrens zurückzustellen. Eine solche Verfahrensweise
wäre mit dem das Strafverfahren beherrschenden
Legalitätsprinzip nicht zu vereinbaren.
(1) Nach dem in § 385 Abs. 1 AO i.V.m.
§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO niedergelegten
Legalitätsprinzip sind die Strafverfolgungsbehörden
verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten,
sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen (sog.
Anfangsverdacht). Erhält das Strafverfolgungsorgan Kenntnis
von dem Anfangsverdacht einer Straftat, dann hat es den Sachverhalt
zu erforschen, also zu ermitteln. Es besteht - abgesehen von den in
§§ 153 ff. StPO geregelten Fällen des
Opportunitätsprinzips - kein Ermessen, ob eingeschritten
werden soll oder nicht.
Es steht auch nicht im Belieben des
Strafverfolgungsorgans, bloße Vor-Ermittlungen anzustellen.
Denn diese im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten, aber
zulässigen Maßnahmen dienen in der
Strafverfolgungspraxis der Klärung der Frage, ob ein
Anfangsverdacht vorliegt oder nicht (vgl. Wache in Karlsruher
Kommentar, Strafprozessordnung, 5. Aufl., § 158 Rz 1 und
§ 160 Rz 11; Schoreit in Karlsruher Kommentar, a.a.O., §
152 Rz 3; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 50. Aufl.,
§ 152 Rz 4a). Ist ein solcher aber unzweifelhaft gegeben, so
ist kein Raum für Vor-Ermittlungen. Vielmehr sind die
Ermittlungen i.S. des § 160 StPO aufzunehmen und es ist ein
„reguläres“ Ermittlungsverfahren
einzuleiten.
Mit dem Merkmal der verfolgbaren Straftat
zeigt das Gesetz allerdings auf, dass die
Strafverfolgungsbehörden nur dann zum Einschreiten aufgerufen
sind, wenn zwingende Verfahrenshindernisse nicht gegeben sind. Mit
anderen Worten: Die Einleitung des Strafverfahrens darf nicht
erfolgen, wenn von vornherein feststellbar ist, dass ein nicht
ausräumbares Verfahrenshindernis, z.B. bereits eingetretene
Strafverfolgungsverjährung, besteht (Wache in Karlsruher
Kommentar, a.a.O., § 160 Rz 16; Jäger in
Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Aufl., § 397 Rz 55;
Dumke in Schwarz, AO, § 371 Rz 15).
(2) Im vorliegenden Fall erlangte die Strabu
durch die Selbstanzeige Kenntnis von zureichenden
tatsächlichen Anhaltspunkten für verfolgbare
Steuerstraftaten. Die Strabu war daher zum Einschreiten berechtigt
und auch verpflichtet (Urteil des Landgerichts Hamburg vom 4.3.1987
(50) 187/86 Ns, wistra 1988, 317; Blesinger, wistra 1994, 48;
Rolletschke, wistra 2007, 89; Dumke in Schwarz, a.a.O., § 371
Rz 11, 12; Jäger in Franzen/Gast/Joecks, a.a.O., § 397 Rz
48).
Die Kenntniserlangung von zureichenden
tatsächlichen Anhaltspunkten ergibt sich schon daraus, dass
alle beteiligten Dienststellen - und auch das FG - wie
selbstverständlich die beim Veranlagungsteilbezirk
eingegangenen Berichtigungserklärungen als Selbstanzeige
bewertet und bezeichnet haben. Eine Eingabe im
Besteuerungsverfahren als Selbstanzeige zu bewerten, zu bezeichnen
und sie sodann gerade an die Steufa oder die Strabu abzugeben, ist
nichts anderes als die Schöpfung des Anfangsverdachts, dass in
der Vergangenheit Steuerstraftaten begangen wurden (vgl. Dumke in
Schwarz, a.a.O., § 371 Rz 5, 6 und 11; Jäger in
Franzen/Gast/Joecks, a.a.O., § 397 Rz 48).
Die Verfolgbarkeit der Tat war zum Zeitpunkt
der Einleitung des Strafverfahrens in Bezug auf die rechtlich
selbstständigen Vergehen der Einkommensteuerhinterziehung 1992
bis 1996 gegeben. Denn die Selbstanzeige beseitigt als
persönlicher Strafaufhebungsgrund die Straf- und damit
Verfolgbarkeit der Tat erst dann, wenn sie sich - nach
gegebenenfalls intensiver Überprüfung - als wirksam
erwiesen hat und die hinterzogenen Beträge gemäß
§ 371 Abs. 3 AO entrichtet wurden (allgemeine Meinung vgl.
Hoyer in Beermann/Gosch, a.a.O., § 371 Rz 52, m.w.N.). Liegen
die Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige
einschließlich der Zahlung der hinterzogenen Beträge in
atypischen Fällen bereits im Zeitpunkt der Schöpfung des
Anfangsverdachts erkennbar vor, dann hat die Einleitung des
Strafverfahrens zu unterbleiben (vgl. Dumke in Schwarz, a.a.O.,
§ 371 Rz 15; Rolletschke, wistra 2007, 89). Da nach den
Feststellungen des FG zum Zeitpunkt der Einleitung des
Ermittlungsverfahrens weder die inhaltliche Überprüfung
der Selbstanzeige abgeschlossen noch die Nachzahlung der
hinterzogenen Beträge erfolgt war, handelte die Strabu unter
diesem Gesichtspunkt im Rahmen der Gesetze.
cc) Abgesehen davon, dass das Gesetz eine
Ausnahme vom Verfolgungszwang im Falle der Erstattung von
Selbstanzeigen nicht kennt, ist auch im Übrigen kein Grund
ersichtlich, die stets gebotene Überprüfung einer
Selbstanzeige irgendwo außerhalb eines regulären
Strafverfahrens anzusiedeln und hierdurch eine Grauzone zwischen
Besteuerungs- und Strafverfahren zu schaffen. Das von Teilen der
Literatur ins Feld geführte Argument, es widerspreche dem
fiskalischen Zweck des § 371 AO, im Falle von Selbstanzeigen
sogleich ein Strafverfahren einzuleiten (vgl. Klein/Gast-de Haan,
a.a.O., § 371 Rz 9 und 16), vermag nicht zu überzeugen.
Dem fiskalischen Zweck wird bereits dadurch hinreichend
entsprochen, dass der Steuerstraftäter im Falle einer
wirksamen Selbstanzeige vollständige Straffreiheit erlangt,
eine im deutschen Strafrecht ohnehin einmalige Privilegierung der
tätigen Reue. Ihn darüber hinaus noch dadurch zu
begünstigen, dass schon kein Ermittlungsverfahren eingeleitet
wird, ist weder geboten noch sachgerecht. Denn nach ständiger
Rechtsprechung von BFH und Bundesgerichtshof (BGH) ist die
Selbstanzeige - nicht zuletzt aufgrund der systematischen Stellung
des § 371 AO im Abschnitt Strafvorschriften des achten Teils
der AO - als ein rein strafrechtliches Institut zu bewerten
(BFH-Urteil vom 17.12.1981 IV R 94/77, BFHE 135, 145, BStBl II
1982, 352 = SIS 82 17 36, zur Rechtsnatur der Frist
gemäß § 371 Abs. 3 AO; BGH-Urteil vom 5.5.2004 5
StR 548/03, BGHSt 49, 136, BFH/NV 2004, Beilage 4, 380 = SIS 04 37 87, zum persönlichen Strafaufhebungsgrund gemäß
§ 371 Abs. 1 AO). Die Ermittlungen zur Überprüfung
der Frage, ob die Selbstanzeige Straffreiheit verschafft, sind
damit strafrechtlicher Natur. Das reguläre Strafverfahren ist
nach alledem als das adäquate Verfahren zur Prüfung einer
Selbstanzeige zu betrachten.
dd) Dass sich dieses Strafverfahren in der
Praxis häufig darin erschöpft, zunächst nur die
Wirksamkeit der Selbstanzeige zu überprüfen, macht die
Einleitung nicht zu einem rein formalen Akt, der für die
Anwendung des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nicht genügen
würde (a.A. Krieger, DStR 2002, 750; Heuermann in HHSp, §
235 AO Rz 50).
Der Gegenauffassung liegt die gedankliche
Unterscheidung zwischen einem bloß formal wirksam
eingeleiteten und einem „materiellen“
Strafverfahren zugrunde. Eine solche Differenzierung zwischen
verschiedenen Formen von Strafverfahren kennt das Gesetz aber
nicht. Das Eingreifen der Anlaufhemmung gemäß § 239
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO davon abhängig zu machen, dass das
Strafverfahren auch in einem „materiellen“ Sinne
eingeleitet sein müsse, also die bloß formale
Strafverfahrenseinleitung zum Zwecke der Überprüfung
einer Selbstanzeige als ungenügend zu betrachten sei, ist der
Rechtssicherheit, der gerade im Verjährungsrecht besondere
Bedeutung zukommt, abträglich. Denn es muss zum Zeitpunkt der
Einleitung des Strafverfahrens feststehen, ob die
Strafverfahrenseinleitung Einfluss auf den Beginn der
Festsetzungsverjährung nimmt oder nicht. Die Gegenauffassung
führt zu Rechtsunsicherheit, wenn sich bei der
Überprüfung der Selbstanzeige im Rahmen eines bloß
formal eingeleiteten Strafverfahrens nach einigen Wochen oder
Monaten herausstellen sollte, dass die Selbstanzeige unwirksam ist
oder dem Anzeigenden schlicht die Geldmittel fehlen, um
sämtliche hinterzogene Steuern zu bezahlen. Auch nach der
Gegenauffassung müsste das bloß formal eingeleitete
Strafverfahren spätestens zu diesem Zeitpunkt in ein
„echtes“ Strafverfahren übergeleitet
werden. Von derartigen künftigen, nicht vorhersehbaren
Entwicklungen darf die Frage aber nicht abhängen, ob die
einjährige Frist zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen
wegen der zunächst bloß „formalen“
Strafverfahrenseinleitung bereits zu laufen begonnen hat oder
nicht.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass
die in § 397 Abs. 1 AO enthaltene Formulierung, es müsse
gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat vorgegangen werden, nicht
in dem Sinne interpretiert werden darf, dass stets ein aktives auf
die Bestrafung des Beschuldigten ausgerichtetes Verhalten der
Strafverfolgungsbehörden zu fordern sei, woran es bei der
bloßen Überprüfung der Wirksamkeit einer
Selbstanzeige fehle. Wird ein Anfangsverdacht geschöpft, dann
besteht das Ziel der daraufhin eingeleiteten strafrechtlichen
Ermittlungen darin, den Sachverhalt umfassend zugunsten wie
zuungunsten des Beschuldigten zu erforschen, um den
Strafverfolgungsorganen die Entschließung darüber zu
ermöglichen, ob die Erhebung der öffentlichen Klage
geboten erscheint oder das Verfahren einzustellen ist (vgl.
§ 160 Abs. 1 und 2 StPO; Meyer-Goßner, a.a.O., §
160 Rz 11). Maßnahme i.S. des § 397 Abs. 1 AO ist damit
jede Handlung, die geeignet ist, dem Ziel der Bestrafung des
Verdächtigen oder der Beseitigung des Verdachts
näherzukommen (Jäger in Franzen/Gast/Joecks, a.a.O.,
§ 397 Rz 67). Dementsprechend sind Ermittlungen zur
Prüfung der Frage, ob der Verdächtige durch eine
Selbstanzeige Straffreiheit erlangen kann oder nicht, erkennbar
strafrechtliche Maßnahmen.
Weil auch Strafverfahren generell
zielgerichtet, effektiv und verhältnismäßig zu
führen sind, ist es auch nicht zu beanstanden, dass sich in
der Praxis die strafrechtlichen Ermittlungen zunächst auf die
Überprüfung der Wirksamkeit der Selbstanzeige
konzentrieren (vgl. Dumke in Schwarz, a.a.O., § 371 Rz 13).
Denn „unnötige“ Ermittlungen, etwa zur
Frage des Vorsatzes, können selbstverständlich
zurückgestellt werden, wenn im Raume steht, dass die
erstattete Selbstanzeige zur Straflosigkeit der Tat führen
wird (vgl. Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 der - vornehmlich für den
Staatsanwalt bestimmten - Richtlinien für das Strafverfahren
und das Bußgeldverfahren - RiStBV - : „Die
Ermittlungen sind zunächst nicht weiter auszudehnen, als
nötig ist, um eine schnelle Entscheidung über die
Erhebung der öffentlichen Klage oder die Einstellung des
Verfahrens zu ermöglichen“).
ee) Schließlich ist eine
Einschränkung des in § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO
enthaltenen Hemmungstatbestands im speziellen Falle der
strafrechtlichen Überprüfung einer Selbstanzeige gerade
auch nach dem Sinn und Zweck dieser Verjährungsregelung nicht
geboten. Der Zweck der Anlaufhemmung besteht darin, dem FA die
Berücksichtigung der im Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse
bei der Festsetzung der Hinterziehungszinsen zu ermöglichen
(Entwurf einer Abgabenordnung [AO 1974], BTDrucks VI/1982, S. 173;
BFH-Urteil vom 13.7.1994 XI R 21/93, BFHE 175, 13, BStBl II 1994,
885 = SIS 94 20 78). Dieser Zweck kommt auch bei Strafverfahren zur
Geltung, die nach Eingang von Selbstanzeigen eingeleitet werden.
Denn der strafrechtlichen Überprüfung der
Berichtigungserklärung auf Vollständigkeit und
Richtigkeit (zeitliche Zuordnung, subjektive Zurechnung, Höhe
der bislang verschwiegenen Einnahmen) kann ohne Weiteres Bedeutung
für die Festsetzung der Hinterziehungszinsen zukommen.
c) Der angegriffene Bescheid konnte in Bezug
auf die Höhe der Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1992
bis 1996 keinen Bestand haben als dieser von einem zu frühen
Beginn des Zinslaufs ausgeht.
aa) Nach § 235 Abs. 2 Satz 1 AO beginnt
der Zinslauf mit dem Eintritt der Verkürzung oder der
Erlangung des Steuervorteils, es sei denn, dass die hinterzogenen
Beträge ohne die Steuerhinterziehung erst später
fällig geworden wären. In diesem Fall ist der
spätere Zeitpunkt maßgebend (§ 235 Abs. 2 Satz 2
AO).
bb) Diesen gesetzlichen Vorgaben wird der
Zinsbescheid vom 31.3.2003 nicht gerecht. Denn das FA hat zur
Bestimmung des Beginns des Zinslaufs jeweils auf die Daten des
Erlasses der einzelnen Steuerbescheide abgestellt, die aufgrund der
unrichtigen Steuererklärungen des Klägers ergingen. Mit
dieser rechtlichen Beurteilung wird jedoch zum einen außer
Acht gelassen, dass eine vollendete Steuerhinterziehung und damit
ein Hinterzogensein der Einkommensteuerbeträge erst dann
vorliegt, wenn der „falsche“ Bescheid dem
Steuerpflichtigen - ggf. i.S. des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO -
bekannt gegeben wird (vgl. Klein/Rüsken, a.a.O., § 235 Rz
22; Kögel in Beermann/Gosch, a.a.O., § 235 Rz 31 f.). Zum
anderen verschiebt sich der Beginn des Zinslaufs zeitlich dann noch
weiter nach vorne, wenn die Steuerbeträge ohne die
Hinterziehung erst später fällig geworden wären
(hierzu Kögel in Beermann/Gosch, a.a.O., § 235 Rz 35). So
liegt der Fall hier. Der Kläger hätte bei
wahrheitsgemäßer Angabe seiner Kapitaleinkünfte
jeweils Abschlusszahlungen zu leisten gehabt, die nach § 36
Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erst einen Monat
nach Bekanntgabe der Bescheide fällig gewesen wären.
Hieraus folgt etwa für die hinterzogene Einkommensteuer 1992,
dass der Beginn des Zinslaufs nicht, wie im Zinsbescheid angegeben,
auf den 17.12.1993, sondern auf den 20.1.1994 fällt
(Bescheiddatum: 17.12.1993; Bekanntgabe gemäß § 122
Abs. 2 Nr. 1 AO: 20.12.1993; Fälligkeit der Abschlusszahlung
gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG: 20.1.1994). Der
Zinszeitraum ist daher für die Steuerabschnitte 1992 bis 1996
jeweils um einen Monat zu verringern. Die betragsmäßigen
Auswirkungen des kürzeren Zinszeitraumes summieren sich auf
998 DM.
cc) Im Wege der Saldierung war ein weiterer
Fehler, der sich in Höhe von 108,50 DM zugunsten des
Klägers ausgewirkt hat, mit den soeben dargestellten
Änderungen zu verrechnen. Daraus folgt, dass gegenüber
dem Ansatz im Zinsbescheid im Ergebnis ein um 889,50 DM
verringerter Gesamtbetrag der Hinterziehungszinsen zur
Einkommensteuer 1992 bis 1996 anzusetzen ist.
Für das Jahr 1992 ist nach den
Ermittlungen der Steufa von einem Hinterziehungsbetrag von 33.500
DM auszugehen. Zudem ist ein verlängerter Zinslauf in Rechnung
zu stellen, weil die vollständige Bezahlung der hinterzogenen
Steuern erst 1999 erfolgt war (vgl. § 235 Abs. 3 Satz 1 AO).
Die Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1992 sind daher um
396,50 DM zu erhöhen, was unter Einbeziehung der
gemäß § 235 Abs. 4 AO anzurechnenden
Nachzahlungszinsen von 288 DM, zu einem verbleibenden Betrag von
108,50 DM führt.
3. Zur Rechtmäßigkeit der
Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1987 bis
1991
a) Die Einleitung des Strafverfahrens war in
Bezug auf die Vergehen der Einkommensteuerhinterziehung 1987 bis
1991 greifbar rechtswidrig und vermochte das Hinausschieben des
Beginns der Frist zur Festsetzung der
Hinterziehungszinsansprüche 1987 bis 1991, die wegen ihrer
rechtlichen Selbstständigkeit einer gesonderten
Verjährungsprüfung unterzogen werden müssen, nicht
zu bewirken.
Damit beantwortet der Senat die vom BFH
bislang offen gelassene Frage, ob nur eine rechtmäßige
Einleitung des Strafverfahrens geeignet ist, den Beginn der Frist
zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen hinauszuschieben (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 196, 26, BStBl II 2001, 782 = SIS 01 14 44),
dahingehend, dass eine Strafverfahrenseinleitung, die sich nach den
für die Strafverfolgungsbehörden zum Zeitpunkt der
Einleitung bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen
(ex ante Betrachtung) als greifbar rechtswidrig darstellt, nicht
geeignet ist, Einfluss auf die Frist zur Festsetzung von
Hinterziehungszinsen zu nehmen. Die bloße Wirksamkeit der
Strafverfahrenseinleitung genügt damit nicht, um den
Hemmungstatbestand auszulösen.
aa) Aus dem Wortlaut des § 239 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 AO geht nicht klar hervor, ob mit der dort
erwähnten Einleitung des Strafverfahrens eine bloß
wirksame oder weitergehend auch eine rechtmäßige
Maßnahme gefordert wird.
bb) Die an Sinn und Zweck des § 239 Abs.
1 Satz 2 Nr. 3 AO (hierzu oben unter II.2.b ee der Gründe
dieses Urteils) orientierte Auslegung zeigt, dass ein zwar
wirksames, aber greifbar rechtswidriges Strafverfahren nicht
genügend ist, um den Fristbeginn hinauszuschieben. Denn ein
Strafverfahren, das nach den bereits zum Einleitungszeitpunkt
deutlich erkennbaren Umständen niemals hätte eingeleitet
werden dürfen und daher umgehend gemäß § 170
Abs. 2 StPO wieder einzustellen ist, kann typischerweise nicht dazu
führen, dass die Strafverfolgungsbehörden bei ihren
Ermittlungen Erkenntnisse - etwa zum subjektiven Tatbestand der
Steuerhinterziehung - zu Tage fördern, die von der zur
Festsetzung der Hinterziehungszinsen berufenen Finanzbehörde
sinnvoll verwertet werden können.
cc) Die zu anderen den An- oder den Ablauf der
Verjährung hemmenden Regelungen der AO ergangene
Rechtsprechung und Literatur, die davon ausgehen, dass es
grundsätzlich, soweit der Erlass von Verwaltungsakten oder die
Vornahme von Verfahrenshandlungen Bedeutung für den Beginn
oder den Ablauf von Verjährungsfristen haben, nur auf die
Wirksamkeit, nicht aber die Rechtmäßigkeit des
Verwaltungsakts oder der Verfahrenshandlung ankommt (vgl.
BFH-Urteile vom 21.4.1993 X R 112/91, BFHE 171, 15, BStBl II 1993,
649 = SIS 93 17 04; vom 16.4.1997 XI R 61/94, BFHE 183, 13, BStBl
II 1997, 595 = SIS 97 21 79; vom 14.1.1997 VII R 66/96, BFHE 182,
262 = SIS 97 12 34, zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung
gemäß § 231 AO; Hartmann in Beermann/Gosch, a.a.O.,
§ 171, Rz 2; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 4 und Rz 81a;
Pahlke/Koenig/ Fritsch, Abgabenordnung, § 231 Rz 9), sind auf
§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nicht übertragbar.
Nach der Rechtsprechung des BFH hemmt eine
Außenprüfung, die auf einer unwirksamen
Prüfungsanordnung fußt, den Ablauf der Festsetzungsfrist
nach § 171 Abs. 4 AO nicht. Die gleichen Folgen treten ein,
wenn eine wirksame, aber rechtswidrige Prüfungsanordnung
erfolgreich angefochten und aufgehoben wird. Denn mit der Aufhebung
des Verwaltungsakts entfallen die an seine Wirksamkeit
geknüpften Rechtsfolgen, einschließlich der Wirkung, die
Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 4 AO
herbeizuführen (BFH-Urteil in BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649
= SIS 93 17 04). Die tatsächlich begonnene und dem
Steuerpflichtigen erkennbar gewordene Steuerfahndungsprüfung
erfüllt den Tatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO. Die
gegenüber einem Handlungsunfähigen vorgenommene
Steuerfahndungsprüfung ist dahingegen unwirksam und vermag
deshalb keine Ablaufhemmung herbeizuführen (BFH-Urteil in BFHE
183, 13, BStBl II 1997, 595 = SIS 97 21 79). Dieser
BFH-Rechtsprechung liegt jeweils die Vorstellung zugrunde, dass der
Steuerpflichtige entweder förmliche
Rechtsschutzmöglichkeiten besitzt, um die Rechtswidrigkeit des
Verwaltungshandelns geltend zu machen, dass ihm die Maßnahme
bekannt wird und er sich gegen sie in sonstiger Weise wehren kann
oder dass seiner „Wehrlosigkeit“ im Fall der
Handlungsunfähigkeit Rechnung getragen wird. Nur wenn der
Steuerpflichtige es versäumt, den rechtswidrigen
Verwaltungsakt anzufechten, muss er zum Schutz des Rechtsinstituts
der Bestandskraft den rechtswidrigen Verwaltungsakt und seine
verjährungsrechtlichen Folgen hinnehmen.
Der Steuerpflichtige, der sich mit einem
Hinterziehungszinsanspruch konfrontiert sieht, befindet sich
demgegenüber in einer anderen, und zwar deutlich
ungünstigeren Lage. Es fehlt sowohl an
Anfechtungsmöglichkeiten als auch an der Erkennbarkeit der
eingetretenen Hemmung. Ihm ist daher die Berufung auf die greifbare
Rechtswidrigkeit der - wirksamen - Einleitungsmaßnahme zu
gestatten.
Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass die
Einleitung des Ermittlungsverfahrens nicht angefochten werden kann.
Denn Rechtsschutz gegen die Einleitung und Durchführung eines
Ermittlungsverfahrens stellt die Rechtsordnung nicht zur
Verfügung (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG
- vom 19.12.1983 2 BvR 1731/82, NJW 1984, 1676; Beschluss der 3.
Kammer des Zweiten Senats des BVerfG vom 2.10.2003 2 BvR 660/03,
BVerfGK 2, 27; Jäger in Franzen/Gast/Joecks, a.a.O., §
397 Rz 7; Dumke in Schwarz, a.a.O., § 397 Rz 13). Der durch
die Strafverfahrenseinleitung zum Beschuldigten gewordene
Steuerpflichtige hat damit im Unterschied zum Adressaten einer
Prüfungsanordnung oder eines anderen
„verjährungsrelevanten“ Verwaltungsakts
keine Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit der strafrechtlichen
Ermittlungen in einem förmlichen Verfahren geltend zu machen
und deren Aufhebung zu erreichen. Zum anderen ist er in vielen
Fällen noch nicht einmal in der Lage, rein faktisch auf den
Gang des Strafverfahrens Einfluss zu nehmen, wenn er, wie auch im
Streitfall geschehen, von der erfolgten Einleitung zunächst
nicht - oder auch nie - Kenntnis erlangt. Im Unterschied zu den
Hemmungstatbeständen des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO, der eine
dem Steuerpflichtigen erkennbare Steuerfahndungsprüfung
voraussetzt (BFH-Urteil in BFHE 183, 13, BStBl II 1997, 595 = SIS 97 21 79), des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO, der die Bekanntgabe der
Einleitung des Strafverfahrens vorsieht, und des § 171 Abs. 4
AO, der eine wirksam bekannt gegebene Prüfungsanordnung
fordert, muss dem Schuldner von Hinterziehungszinsen die Einleitung
des Strafverfahrens und damit der Eintritt der Anlaufhemmung nicht
bekannt gegeben oder sonst erkennbar geworden sein. Wäre er
jedoch in einer dem § 171 Abs. 4 und 5 AO entsprechenden Weise
ins Bild zu setzen, so könnte er sich wenigstens dergestalt
gegen das Ermittlungsverfahren und seine
verjährungsrechtlichen Folgen zur Wehr setzen, indem er etwa
die evidente Verjährung der Straftaten geltend macht und
formlos die sofortige Einstellung des Ermittlungsverfahrens
beantragt. Einem derartigen „Antrag“ hätte
die an Recht und Gesetz gebundene Strafverfolgungsbehörde
umgehend zu entsprechen.
b) Die Einleitung des Strafverfahrens war in
Bezug auf die Vergehen der Einkommensteuerhinterziehung 1987 bis
1991 greifbar rechtswidrig. Eine Anlaufhemmung ist daher nicht
eingetreten.
aa) Zureichende tatsächliche
Anhaltspunkte für Vergehen der Einkommensteuerhinterziehung
1987 bis 1991 ergaben sich aus der Selbstanzeige des Klägers.
Bei der Prüfung des Anfangsverdachts sind der Strabu keine
Fehler unterlaufen, zumal ihr diesbezüglich ein
Beurteilungsspielraum zustand (Meyer-Goßner, a.a.O., §
152 Rz 4, m.w.N.; Jäger in Franzen/Gast/Joecks, a.a.O., §
397 Rz 63, m.w.N.), den sie nicht überschritten hat.
bb) Die Taten der Einkommensteuerhinterziehung
1987 bis 1991 waren aber verjährt und deshalb nicht mehr
verfolgbar. Das Vorliegen dieses Verfahrenshindernisses war bereits
im Zeitpunkt der Kenntniserlangung von zureichenden
tatsächlichen Anhaltspunkten leicht und eindeutig
feststellbar.
Die Verjährungsfrist beträgt bei
Steuerhinterziehung gemäß § 369 Abs. 2 AO i.V.m.
§ 78 Abs. 3 Nr. 5 des Strafgesetzbuchs (StGB) fünf Jahre.
Die Frist beginnt mit Bekanntgabe des „falschen“
Einkommensteuerbescheids an den Steuerpflichtigen (§ 78a StGB;
BFH-Urteil vom 7.10.1997 VIII R 52/94, BFH/NV 1998, 1059 = SIS 98 15 70). Übertragen auf die dem Zinsbescheid zugrundeliegenden
Straftaten bedeutet dies für die Einkommensteuerhinterziehung
1991, dass Strafverfolgungsverjährung mit Ablauf des
17.12.1997 eintrat, weil die Bekanntgabe des
„falschen“ Einkommensteuerbescheids 1991 auf den
18.12.1992 datiert. Die noch älteren Taten waren ohnehin
verjährt. Die Einkommensteuerhinterziehung 1992 war dahingegen
im Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens im Oktober 1998
noch verfolgbar, weil der „falsche“ Bescheid am
20.12.1993 bekannt gegeben worden war und die Straftat folglich
erst im Dezember 1998 verjährte.