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I. Der
Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist neben seinem
unter Betreuung stehenden Bruder (B) Miterbe seines am 5.1.2014
verstorbenen Vaters (V).
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Zum Nachlass
gehörte ein von V bis zu seinem Ableben vollständig
selbst genutztes Zweifamilienhaus mit einer Wohnfläche von ca.
120 qm. Gemäß dem gemeinschaftlichen Testament des V und
seiner vorverstorbenen Ehefrau sollte der Kläger
Alleineigentümer des Hauses werden. Mit notariell beurkundetem
Vermächtniserfüllungsvertrag vom 20.2.2015 hoben der
Kläger und B die Erbengemeinschaft an dem Grundbesitz in der
Weise auf, dass der Kläger Alleineigentum erhielt. Der Vertrag
bedurfte der Genehmigung durch die Ergänzungsbetreuerin und
das Betreuungsgericht. Die Eintragung des Klägers als
Alleineigentümer im Grundbuch erfolgte am
2.9.2015.
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Angebote von
Handwerkern für eine Renovierung des Hauses holte der
Kläger ab April 2016 ein. Die Bauarbeiten im Haus begannen im
Juni 2016.
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Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) setzte mit Bescheid vom
27.6.2014 Erbschaftsteuer in Höhe von 77.835 EUR fest. Der
Grundbesitzwert des Zweifamilienhauses wurde
geschätzt.
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Mit seinem
Einspruch beantragte der Kläger die Steuerbefreiung nach
§ 13 Abs. 1 Nr. 4c des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) für den Erwerb der Immobilie.
Er gab an, das Haus renovieren und - zunächst als
Zweitwohnsitz, nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses als
Hauptwohnsitz - selbst nutzen zu wollen.
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Nachdem der
Grundbesitzwert niedriger festgestellt wurde, änderte das FA
die ursprünglich festgesetzte Erbschaftsteuer mit Bescheid vom
17.9.2015 entsprechend ab. Den Einspruch wies es mit der
Begründung zurück, der Kläger habe das Haus nicht
unverzüglich zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke
bestimmt.
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Die Klage blieb
erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gestand dem Kläger in
Hinblick auf die unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung in
zeitlicher Hinsicht zu, zunächst seine Eigentümerposition
mit B, dem diesen unterstützenden Sozialamt, der
Ergänzungsbetreuerin und dem Betreuungsgericht klären zu
müssen. Seit der Eintragung als Alleineigentümer im
Grundbuch seien aber mehr als sechs Monate verstrichen, ohne dass
der Kläger Maßnahmen ergriffen habe, die auf eine
unverzügliche Bestimmung des Hauses zur Selbstnutzung
schließen lassen würden. Das Urteil des FG ist in EFG
2016, 2079 = SIS 16 26 58 veröffentlicht.
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Mit der Revision
rügt der Kläger die Verletzung des § 13 Abs. 1 Nr.
4c ErbStG.
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In einem
während des Revisionsverfahrens ergangenen
Änderungsbescheid vom 10.1.2017 setzte das FA die
Erbschaftsteuer wegen einer Änderung des Grundbesitzwerts auf
71.745 EUR herab.
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Der Kläger
beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und
den Erbschaftsteuerbescheid vom 10.1.2017 dahingehend zu
ändern, dass die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c
ErbStG gewährt wird.
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Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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II. Die Revision
führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der
Vorentscheidung, weil sich während des Revisionsverfahrens der
Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit
das FG zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). An die Stelle des im
Klageverfahren angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids vom
17.9.2015, über den das FG entschieden hat, ist während
des Revisionsverfahrens der Bescheid vom 10.1.2017 getreten und
nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des
Verfahrens geworden. Das angefochtene Urteil ist daher
gegenstandslos und aufzuheben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 14.11.2018 - II R 34/15, BFHE 263, 273 = SIS 19 02 12, Rz
12, m.w.N.).
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Einer
Zurückverweisung der Sache an das FG nach § 127 FGO
bedarf es jedoch nicht, da sich aufgrund des
Änderungsbescheids an dem zwischen den Beteiligten streitigen
Punkt nichts geändert hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 263, 273 =
SIS 19 02 12, Rz 13). Die vom FG getroffenen tatsächlichen
Feststellungen bilden nach wie vor die Grundlage für die
Entscheidung des BFH; sie fallen durch die Aufhebung des
finanzgerichtlichen Urteils nicht weg, da das finanzgerichtliche
Urteil nicht an einem Verfahrensmangel leidet (vgl. BFH-Urteil in
BFHE 263, 273 = SIS 19 02 12, Rz 13, m.w.N.).
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III. Die Sache ist
spruchreif. Die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen.
Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid ist rechtmäßig
und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Erwerb
des Zweifamilienhauses ist nicht nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c
ErbStG steuerbefreit.
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1. Steuerfrei ist
nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG u.a. der Erwerb von
Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland
belegenen bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1
bis 5 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der ab 2009 geltenden
Fassung durch Kinder i.S. der Steuerklasse I Nr. 2, soweit der
Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken
genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer
Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim
Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken
bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der
Wohnung 200 qm nicht übersteigt. Als Erwerb von Todes wegen
gilt nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG u.a. der Erwerb durch
Erbanfall (§ 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - )
oder durch Vermächtnis (§§ 2147 ff. BGB).
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2. Nach ihrem
Wortlaut erfasst die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c
ErbStG eine auf einem bebauten Grundstück i.S. des § 181
Abs. 1 Nr. 1 BewG gelegene Wohnung, wenn die Wohnung beim Erwerber
unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt
ist (Familienheim).
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a) Eine Wohnung ist
zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt, wenn der
Erwerber die Absicht hat, die Wohnung selbst zu eigenen Wohnzwecken
zu nutzen, und diese Absicht auch tatsächlich umsetzt. Die
Absicht des Erwerbers zur Selbstnutzung der Wohnung lässt sich
als eine innere Tatsache nur anhand äußerer
Umstände feststellen. Dies erfordert, dass der Erwerber in die
Wohnung einzieht und sie als Familienheim für eigene
Wohnzwecke nutzt. Die bloße Widmung zur Selbstnutzung -
beispielsweise durch Angabe in der Erbschaftsteuererklärung -
reicht nicht aus (BFH-Urteil vom 5.10.2016 - II R 32/15, BFHE 256,
359, BStBl II 2017, 130 = SIS 16 25 07, Rz 10).
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Der Begriff des
Familienheims setzt zudem voraus, dass der Erwerber dort den
Mittelpunkt seines Lebensinteresses hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE
256, 359, BStBl II 2017, 130 = SIS 16 25 07, Rz 10). Nicht
begünstigt sind deshalb Zweit- oder Ferienwohnungen (vgl.
BFH-Urteil vom 18.7.2013 - II R 35/11, BFHE 242, 153, BStBl II
2013, 1051 = SIS 13 30 02, Rz 9). Unschädlich ist es, wenn das
Kind, z.B. als Berufspendler, mehrere Wohnsitze hat, solange das
Familienheim seinen Lebensmittelpunkt bildet (vgl. BTDrucks
16/11107, S. 8 f.).
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b) Der Erwerber muss
die Wohnung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern
(vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) zur Selbstnutzung für
eigene Wohnzwecke bestimmen.
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aa)
Unverzüglich erfolgt eine Handlung nur, wenn sie innerhalb
einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden
Prüfungs- und Überlegungszeit vorgenommen wird. Dies
bedeutet, dass ein Erwerber zur Erlangung der Steuerbefreiung
für ein Familienheim innerhalb einer angemessenen Zeit nach
dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung des Hauses fassen und
tatsächlich umsetzen muss (BFH-Urteil vom 23.6.2015 - II R
39/13, BFHE 250, 207, BStBl II 2016, 225 = SIS 15 20 51, Rz
24).
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bb) Angemessen ist
regelmäßig ein Zeitraum von sechs Monaten nach dem
Erbfall. Zieht der Erwerber innerhalb dieses Zeitraums in die
Wohnung ein, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass eine
unverzügliche Bestimmung der Wohnung zur Selbstnutzung als
Familienheim vorliegt. Den durch § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1
ErbStG begünstigten Erwerbern ist eine gewisse Zeit
einzuräumen, damit sie prüfen können, ob sie in die
Wohnung einziehen. Hat der Erwerber nach der ihm zuzubilligenden
Bedenkzeit den Entschluss zum Einzug gefasst, benötigt er
weitere Zeit für eine eventuelle Renovierung bzw. Gestaltung
der Wohnung für eigene Wohnzwecke sowie für die
notwendige Durchführung des Umzugs. Unter
Berücksichtigung dieser gesamten Umstände erscheint ein
Zeitraum von bis zu sechs Monaten nach dem Erbfall als erforderlich
(BFH-Urteil in BFHE 250, 207, BStBl II 2016, 225 = SIS 15 20 51, Rz
25).
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cc) Wird die
Selbstnutzung der Wohnung erst nach Ablauf von sechs Monaten
aufgenommen, kann ebenfalls eine unverzügliche Bestimmung zur
Selbstnutzung vorliegen. Allerdings muss der Erwerber in diesem
Fall darlegen und glaubhaft machen, zu welchem Zeitpunkt er sich
zur Selbstnutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke
entschlossen hat, aus welchen Gründen ein tatsächlicher
Einzug in die Wohnung nicht früher möglich war und warum
er diese Gründe nicht zu vertreten hat. Solche Gründe
können z.B. vorliegen, wenn sich der Einzug wegen einer
Erbauseinandersetzung zwischen Miterben oder wegen der Klärung
von Fragen zum Erbanfall und zu den begünstigten Erwerbern
über den Sechsmonatszeitraum hinaus um einige weitere Monate
verzögert. Umstände im Einflussbereich des
begünstigten Erwerbers, die nach Ablauf des
Sechsmonatszeitraums zu einer längeren Verzögerung des
Einzugs führen (wie z.B. eine Renovierung der Wohnung), sind
nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten.
Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich die Renovierung
deshalb länger hinzieht, weil nach Beginn der
Renovierungsarbeiten ein gravierender Mangel der Wohnung entdeckt
wird, der vor dem Einzug beseitigt werden muss. Je
größer der zeitliche Abstand zwischen dem Erbfall und
dem tatsächlichen Einzug des Erwerbers in die Wohnung ist,
umso höhere Anforderungen sind an die Darlegung des Erwerbers
und seine Gründe für die verzögerte Nutzung der
Wohnung für eigene Wohnzwecke zu stellen (BFH-Urteil in BFHE
250, 207, BStBl II 2016, 225 = SIS 15 20 51, Rz 26).
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3. Eine eng am
Wortlaut vorgenommene Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1
ErbStG ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten
(vgl. BFH-Urteile in BFHE 256, 359, BStBl II 2017, 130 = SIS 16 25 07, Rz 17, zu § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG, und vom 29.11.2017 -
II R 14/16, BFHE 260, 372, BStBl II 2018, 362 = SIS 18 02 90, Rz
27, zu § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG).
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4. Im Streitfall ist
die Würdigung des FG, der Kläger habe das
Zweifamilienhaus nicht unverzüglich zur Selbstnutzung zu
eigenen Wohnzwecken bestimmt, revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden. V ist am 5.1.2014 verstorben. Es kann dahinstehen,
inwieweit das Zuwarten auf das Wirksamwerden des
Vermächtniserfüllungsvertrags oder auch auf die
Eintragung des Klägers im Grundbuch einer unverzüglichen
Bestimmung des Hauses zur Selbstnutzung als Familienheim nicht
entgegenstanden. Jedenfalls hat der Kläger auch nach
Eintragung im Grundbuch nicht unverzüglich das Haus des V zu
eigenen Wohnzwecken bestimmt. Erst im April 2016, mehr als zwei
Jahre nach dem Todesfall und mehr als sechs Monate nach der
Eintragung im Grundbuch, hat der Kläger Angebote von
Handwerkern eingeholt und damit überhaupt erst mit der
Renovierung begonnen. Die Arbeiten am Haus haben erst im Juni 2016
begonnen. Der Kläger hat nicht dargelegt und glaubhaft
gemacht, dass er diese Verzögerung nicht zu vertreten hat.
Schließlich war der Kläger am Tag der mündlichen
Verhandlung vor dem FG, dem 28.9.2016, - mithin zwei Jahre und acht
Monate nach dem Erbfall - noch immer nicht in das geerbte Haus
eingezogen.
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5. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf § 121 Satz 1
i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO.
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