Auf die Revision des Klägers wird das
Urteil des Finanzgerichts Münster vom 24.10.2019 - 3 K 3184/17
Erb = SIS 19 20 72 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens
übertragen.
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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist Alleinerbe seines am ....10.2013 verstorbenen
Vaters (V). Zum Nachlass gehörte eine von V bis zu seinem Tod
selbst genutzte Doppelhaushälfte (Doppelhaushälfte 1).
Der Kläger bewohnt seit ... eine hieran direkt angrenzende
Doppelhaushälfte (Doppelhaushälfte 2).
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Nach dem Abschluss von Renovierungs- und
Sanierungsarbeiten nutzt der Kläger seit August 2016 die -
nunmehr zu einer Wohnung verbundenen - Doppelhaushälften 1 und
2 selbst.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) erließ für den Erwerb des
Klägers nach dem Tod von V mehrere Erbschaftsteuerbescheide
und lehnte mit Änderungsbescheid vom ...2016 sowie
Einspruchsentscheidung vom ...2017 den Antrag des Klägers auf
Gewährung der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c des
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) für den
Erwerb der Doppelhaushälfte 1 ab.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage
ebenfalls ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen
aus, die gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG
erforderliche unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung zu
eigenen Wohnzwecken liege nicht vor. Es bestehe zwar kein Zweifel
daran, dass der Kläger von Anfang an die Doppelhaushälfte
1 zu eigenen Wohnzwecken habe nutzen wollen. Es fehle indes die
erforderliche unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung. Bei
den Renovierungsmaßnahmen habe es sich nur um
Vorbereitungsmaßnahmen für den Einzug gehandelt. Die
Verzögerung durch die Beseitigung des Feuchtigkeitsschadens
habe letztlich der Kläger zu vertreten. Er habe im
Übrigen die Doppelhaushälfte 1 auch erst bis zum Herbst
2014 und damit nach Ablauf von sechs Monaten nach dem Tod des V
entrümpelt. Das Urteil des FG ist in EFG 2020, 214 = SIS 19 20 72 veröffentlicht.
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Mit seiner Revision macht der Kläger
eine Verletzung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG geltend. Das FG
habe die Umstände des Einzelfalls verkannt. Das bisher in der
Rechtsprechung aufgestellte Kriterium des „Einzugs“ in
die Wohnung könne für den Streitfall nicht angewendet
werden. Ein klassischer Einzug/Umzug habe nicht stattgefunden,
sodass es auf den „Einzug“ allein nicht ankommen
könne. Vielmehr habe er - der Kläger -, nachdem er schon
seit vielen Jahren die Doppelhaushälfte 2 bewohnt habe, durch
die anfängliche Mitbenutzung des Gartens und einiger
Räumlichkeiten der Doppelhaushälfte 1 als Lagerräume
sukzessive die Selbstnutzung der Doppelhaushälfte 1
aufgenommen und dadurch seine Bestimmung zur Selbstnutzung zum
Ausdruck gebracht. Der Wille zur Selbstnutzung sei von Anfang an zu
Tage getreten. Es sei eine frühzeitige Kontaktaufnahme zu
Handwerkerfirmen für die Planung der Sanierungsarbeiten
erfolgt. Hierbei habe es sich nicht um bloße
Vorbereitungshandlungen gehandelt. Das FG habe die Anforderungen an
die „Unverzüglichkeit“ der Selbstnutzung
überspannt. Es habe zwar zunächst fehlerfrei
festgestellt, dass ihm - dem Kläger - die bautechnischen
Schwierigkeiten und dadurch eingetretenen Verzögerungen nicht
anzulasten seien. Es habe ihm aber zum Vorwurf gemacht, dass es
für die Trocknung der Doppelhaushälfte 1 bautechnisch
schnellere Maßnahmen gegeben habe, er jedoch solche, der
Beschleunigung dienende Maßnahmen weder angefragt noch
angewendet habe. Das FG habe keine Feststellungen dazu getroffen,
dass er diese alternativen Maßnahmen gekannt habe oder
hätte kennen und auf sie zurückgreifen
müssen.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß,
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die Vorentscheidung aufzuheben und den
Erbschaftsteuerbescheid vom ...2016 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom ...2017 dahingehend zu ändern, dass
für den Erwerb der Doppelhaushälfte 1 die Steuerbefreiung
nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG gewährt wird.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Der Kläger habe die
Doppelhaushälfte 1 erst ca. 34 Monate nach dem Erbfall selbst
genutzt. Er habe nicht überzeugend dargelegt, dass er die
Verzögerung nicht zu vertreten habe. Bei den
Sanierungsmaßnahmen in der Wohnung müssten solche der
Gebäudeinstandhaltung und solche der
Gebäudemodernisierung unterschieden werden. Im Streitfall
hätten Letztere (z.B. Solaranlagen, Netzwerktechnik,
Entfernung Glasbausteine) einen wesentlichen Anteil daran gehabt,
dass der Kläger erst mit großer Verzögerung nach
dem Erbfall in die Doppelhaushälfte 1 eingezogen sei. Diese
Maßnahmen seien seinem Einflussbereich zuzurechnen.
Schließlich habe der Kläger zu viel Zeit für die
Beseitigung des Wasserschadens benötigt.
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Die Beteiligten haben auf die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung
verzichtet.
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II. Die Revision ist begründet. Das
angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs.
3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Der Senat
vermag auf Grundlage der Feststellungen des FG nicht
abschließend zu entscheiden, ob der Kläger die Wohnung
unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt
hat.
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1. Steuerfrei ist nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c
Satz 1 ErbStG u.a. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder
Miteigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück
i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes
(BewG) durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2, soweit der
Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken
genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer
Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim
Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken
bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der
Wohnung 200 qm nicht übersteigt. Als Erwerb von Todes wegen
gilt nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG u.a. der Erwerb durch
Erbanfall (§ 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -
).
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2. Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1
Nr. 4c ErbStG kann auch den Erwerb einer auf einem bebauten
Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 BewG gelegenen Wohnung
umfassen, wenn diese räumlich an die vom Erwerber bereits
selbst genutzte Wohnung angrenzt und nach dem Erwerb beide
Wohnungen zu einer einheitlichen selbst genutzten Wohnung verbunden
werden. Hinsichtlich der Wohnflächenbegrenzung kommt es allein
darauf an, dass die Größe der hinzuerworbenen Wohnung
200 qm nicht übersteigt. Ob die Gesamtwohnfläche der nach
Verbindung entstandenen Wohnung mehr als 200 qm beträgt, ist
nicht ausschlaggebend. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des §
13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG, der allein auf die Größe
des erworbenen Familienheims abstellt.
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3. Die (hinzuerworbene) Wohnung muss beim
Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken
bestimmt sein (Familienheim).
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a) Eine Wohnung ist zur Selbstnutzung zu
eigenen Wohnzwecken bestimmt, wenn der Erwerber die Absicht hat,
die Wohnung selbst zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen, und diese
Absicht auch tatsächlich umsetzt.
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aa) Die Absicht des Erwerbers zur
Selbstnutzung der Wohnung lässt sich als eine innere Tatsache
nur anhand äußerer Umstände feststellen.
Erforderlich ist deshalb, dass der Erwerber in die Wohnung einzieht
und sie als Familienheim für eigene Wohnzwecke nutzt. Die
bloße Widmung zur Selbstnutzung - beispielsweise durch Angabe
in der Erbschaftsteuererklärung - reicht nicht aus, wenn kein
tatsächlicher Einzug erfolgt (Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 28.05.2019 - II R 37/16,
BFHE 264, 512, BStBl II 2019, 678 = SIS 19 10 09, Rz 16 f.). Dasselbe gilt, wenn der
Erwerber durch Äußerungen gegenüber Dritten seine
Absicht zum Einzug lediglich bekundet.
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bb) Der Erwerber zieht nicht tatsächlich
in die Wohnung ein, wenn er sie nur als Lagerraum nutzt oder sich
z.B. gelegentlich im Garten, auf dem Balkon, im Keller oder auf dem
Dachboden aufhält. Der Begriff des Familienheims erfordert,
dass der Erwerber dort den Mittelpunkt seines Lebensinteresses hat
(vgl. BFH-Urteil in BFHE 264, 512, BStBl II 2019, 678 = SIS 19 10 09, Rz 18). Dafür bedarf es einer Nutzung zu eigentlichen
Wohnzwecken.
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b) Der Erwerber muss die Wohnung
„unverzüglich“, d.h. ohne schuldhaftes
Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), zur Selbstnutzung
für eigene Wohnzwecke bestimmen.
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aa) Unverzüglich erfolgt eine Handlung
nur, wenn sie innerhalb einer nach den Umständen des
Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungszeit
vorgenommen wird. Dies bedeutet, dass ein Erwerber zur Erlangung
der Steuerbefreiung für ein Familienheim innerhalb einer
angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung
des Hauses fassen und tatsächlich umsetzen muss. Angemessen
ist regelmäßig ein Zeitraum von sechs Monaten nach dem
Erbfall. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Erwerber in der Regel
prüfen, ob er einziehen will, entsprechende
Renovierungsarbeiten vornehmen und den Umzug durchführen (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 264, 512, BStBl II 2019, 678 = SIS 19 10 09, Rz
20 f.).
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bb) Wird die Selbstnutzung der Wohnung erst
nach Ablauf von sechs Monaten aufgenommen, kann ebenfalls eine
unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung vorliegen.
Allerdings muss der Erwerber in diesem Fall darlegen und glaubhaft
machen, zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung der Wohnung
für eigene Wohnzwecke entschlossen hat, aus welchen
Gründen ein tatsächlicher Einzug in die Wohnung nicht
früher möglich war und warum er diese Gründe nicht
zu vertreten hat. Umstände im Einflussbereich des
begünstigten Erwerbers, die nach Ablauf des
Sechsmonatszeitraums zu einer längeren Verzögerung des
Einzugs führen (wie z.B. eine Renovierung der Wohnung), sind
nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten.
Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich die Renovierung
deshalb länger hinzieht, weil nach Beginn der
Renovierungsarbeiten ein gravierender Mangel der Wohnung entdeckt
wird, der vor dem Einzug beseitigt werden muss (BFH-Urteil in BFHE
264, 512, BStBl II 2019, 678 = SIS 19 10 09, Rz 22).
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cc) Es obliegt dem Erwerber, die
Renovierungsarbeiten und die Beseitigung etwaiger Mängel
zeitlich so zu fördern, dass es nicht zu Verzögerungen
kommt, die nach der Verkehrsanschauung als unangemessen anzusehen
sind. Ein unverhältnismäßiger Aufwand zur
zeitlichen Beschleunigung ist jedoch nicht erforderlich. Vielmehr
reicht es aus, wenn der Erwerber alle ihm zumutbaren
Maßnahmen ergreift.
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Eine zeitliche Verzögerung des Einzugs
aufgrund von Renovierungsarbeiten ist dem Erwerber nicht
anzulasten, wenn er die Arbeiten unverzüglich in Auftrag gibt,
die beauftragten Handwerker sie aber aus Gründen, die der
Erwerber nicht zu vertreten hat, z.B. wegen einer hohen
Auftragslage, nicht rechtzeitig ausführen können.
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dd) Ein weiteres Indiz für die
unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung ist die zeitnahe
Räumung bzw. Entrümpelung der erworbenen Wohnung.
Verzögert sich der Einzug hingegen deshalb, weil zunächst
ein gravierender Mangel beseitigt werden muss, ist eine
spätere Entrümpelung der Wohnung unschädlich, wenn
sie nicht ihrerseits zu einem verzögerten Einzug
führt.
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c) Der Erwerber trägt die objektive
Beweislast (Feststellungslast) für die Merkmale der
Steuerbefreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG (vgl.
Hessisches FG, Urteil vom 20.07.2015 - 1 K 392/15, Zeitschrift
für Erbrecht und Vermögensnachfolge - ZEV - 2016, 55 =
SIS 15 27 25, Rz 26, und FG Nürnberg, Urteil vom 04.04.2018 -
4 K 476/16, ZEV 2018, 428 = SIS 18 09 24, Rz 32). Hinsichtlich der
unverzüglichen Bestimmung zur Selbstnutzung sind die
Anforderungen an die Darlegung des Erwerbers und seine Gründe
für die verzögerte Nutzung der Wohnung für eigene
Wohnzwecke umso höher, je größer der zeitliche
Abstand zwischen dem Erbfall und dem tatsächlichen Einzug des
Erwerbers in die Wohnung ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 264, 512,
BStBl II 2019, 678 = SIS 19 10 09, Rz 22).
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4. Das FG ist von anderen Maßstäben
ausgegangen. Nach seiner Auffassung wäre ein Steuerpflichtiger
nur dann berechtigt, die Steuerbefreiung gemäß § 13
Abs. 1 Nr. 4c ErbStG in Anspruch zu nehmen, wenn er bestimmte,
beschleunigende und möglicherweise kostenintensivere
Maßnahmen zur Renovierung und Schadensbeseitigung ergreift.
Dieser Maßstab ist zu streng. Die Entscheidung des FG war
daher aufzuheben.
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Die Sache ist nicht spruchreif. Der BFH kann
aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht abschließend
entscheiden, ob dem Kläger die Steuerbefreiung zu
gewähren ist. Das FG ist davon ausgegangen, dass die
Steuerbefreiung bereits deshalb zu versagen ist, weil der
Kläger nicht alles technisch Denkbare (Trocknungsgeräte)
unternommen hat, um so schnell wie möglich in die
Selbstnutzung einzutreten. Es kann jedoch lediglich vom Erwerber
der Aufwand gefordert werden, der nach der Verkehrsanschauung als
angemessene Förderung des Baufortschritts zu qualifizieren
ist.
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Das FG erhält die Gelegenheit, im zweiten
Rechtsgang die Verhältnisse des vorliegend zu beurteilenden
Einzelfalls nach diesem Kriterium erneut zu würdigen. Sollte
danach die erworbene Doppelhaushälfte 1 dem Grunde nach
steuerbegünstigt sein, wird auch zu klären sein, welche
Wohnfläche sie aufwies. Sollte sie 200 qm überstiegen
haben, wäre die Begünstigung
verhältnismäßig zu kürzen (vgl. auch H E 13.4,
Steuerbefreiung, Beispiel 2 der Hinweise zu den
Erbschaftsteuer-Richtlinien 2019 vom 16.12.2019).
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5. Die Übertragung der Kostenentscheidung
beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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6. Der Senat entscheidet im
Einverständnis der Beteiligten nach § 121 Satz 1 FGO
i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
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