Auf die Beschwerde der Kläger wird der
Beschluss des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom
17.6.2016 6 K 277/10 aufgehoben.
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I. Die Kläger und
Beschwerdeführer (Kläger) erwarben 1999 eine vom
Bauträger noch zu errichtende Eigentumswohnung im Dachgeschoss
eines Mehrfamilienhauses. Das Grundstück befindet sich in
einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet. Die Wohnung
wurde im September 2000 fertiggestellt.
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Im Dezember 2000 bescheinigte die
zuständige Behörde gegenüber dem Bauträger
für das Gesamtgrundstück die Durchführung von
Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. von §
177 des Baugesetzbuchs (BauGB) sowie die bis zur Antragstellung
dafür angefallenen Aufwendungen. Der Beklagte und
Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA - ) erließ 2002 einen
Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von
Grundlagen für die Einkommensbesteuerung 2000 bis 2010
für das Gesamtobjekt. Zu der von den Klägern erworbenen
Wohnung enthielt der Bescheid erklärungsgemäß
folgende Feststellungen:
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Anschaffungskosten gesamt
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515.202 DM
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Grund und Boden
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62.165 DM
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Altbau
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121.375 DM
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Modernisierung
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331.662 DM
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Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung.
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In den Jahren 2005 bis 2007 fand bei dem
Bauträger eine Außenprüfung für das Objekt
statt. Nach Auffassung der Prüferin handelte es sich bei der
von den Klägern erworbenen Wohnung um einen bautechnischen
Neubau, für den die Förderung nach § 7h des
Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht in Betracht komme. Das FA
änderte daraufhin den Feststellungsbescheid und stellte zu
Lasten der Kläger die „Anschaffungskosten für nach
Kaufvertragsabschluss durchgeführte Modernisierungs- bzw.
Baumaßnahmen“ mit 0 DM fest.
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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren haben
die Kläger Klage erhoben, über die das Finanzgericht (FG)
noch nicht entschieden hat. Das Verfahren ruhte zunächst mit
Zustimmung beider Beteiligter bis zur Entscheidung des
Bundesfinanzhofs (BFH) in dem Revisionsverfahren X R 15/13.
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Nachdem das BFH-Urteil vom 22.10.2014 X R
15/13 (BFHE 247, 562, BStBl II 2015, 367 = SIS 15 00 62)
veröffentlicht war, haben die Kläger eine objektbezogene
Bescheinigung der zuständigen Behörde beigebracht, in der
auf die Wohnung der Kläger entfallende anteilige
Modernisierungsaufwendungen von 160.860 EUR bescheinigt sind
(Bescheinigung vom 11.6.2015).
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Gegen diese Bescheinigung hat das FA bei
der zuständigen Behörde remonstriert und die Aussetzung
des Klageverfahrens beantragt. Am 16.11.2015 hat die
zuständige Behörde dem FA mitgeteilt, es bestehe kein
Grund, die erteilte Bescheinigung in Zweifel zu ziehen. Die vom FA
vorgelegten Unterlagen könnten nicht bestätigt werden.
Die Bauakten seien bereits vernichtet worden.
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Durch Beschluss vom 17.6.2016 hat das FG
nach Anhörung der Kläger das Verfahren bis zur
Entscheidung der zuständigen Behörde über das vom FA
eingeleitete Remonstrationsverfahren gegen die Bescheinigung vom
11.6.2015 ausgesetzt. Dagegen wenden sich die Kläger mit der
Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat.
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II. Die Beschwerde ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
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1. Nach § 74 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung u.a.
anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum
Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines
Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines
anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer
Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Liegen diese
Voraussetzungen vor, kann das Gericht die Verhandlung (das
Verfahren) u.a. bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde
aussetzen.
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2. Die Voraussetzungen des § 74 FGO
liegen im Streitfall nicht vor.
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a) Zwar ist das FA an die Bescheinigung
gemäß § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG gebunden, soweit sie
sich auf die in § 7h Abs. 1 EStG genannten Merkmale bezieht.
Dies schließt die Entscheidung der zuständigen
Behörde darüber ein, ob ein Neubau in bautechnischem
Sinne vorliegt (vgl. nur BFH-Urteil in BFHE 247, 562, BStBl II
2015, 367 = SIS 15 00 62). Der Inhalt des mit der Klage
angefochtenen Feststellungsbescheids ist insofern vom Ausgang des
Verwaltungsverfahrens abhängig, in dem die zuständige
Behörde über diese Frage entscheidet. Eine Aussetzung des
Verfahrens kommt aber nicht mehr in Betracht, wenn das
Verwaltungsverfahren abgeschlossen ist. Das ergibt sich im
Umkehrschluss daraus, dass die Aussetzung längstens bis zur
Entscheidung der Verwaltungsbehörde anzuordnen ist. Im
Streitfall hat die zuständige Behörde die Bescheinigung
gemäß § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG erteilt. Der Bescheid
ist auch bestandskräftig geworden; das Verwaltungsverfahren
ist damit abgeschlossen.
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b) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus,
dass das FA die zuständige Behörde darum gebeten hat,
ihre Entscheidung zu überdenken und zu ändern. Dabei
handelt es sich weder um eine förmliche Fortsetzung des
ursprünglichen Verwaltungsverfahrens noch um ein
eigenständiges Verfahren, welches durch eine förmliche
Entscheidung abgeschlossen werden muss. Insofern kommt es nicht
darauf an, ob die zuständige Behörde das Begehren des FA
bereits endgültig zurückgewiesen hat, worüber die
Beteiligten streiten, oder ob noch eine Entscheidung (z.B. der
vorgesetzten Behörde) in der Sache zu erwarten steht. Ist die
Entscheidung, von deren Ausgang der Rechtsstreit abhängt,
bereits ergangen, steht mithin nicht deren Erlass, sondern deren
Vollziehung in Streit, kommt eine Aussetzung grundsätzlich
nicht in Betracht, wenn lediglich die Möglichkeit besteht,
dass die bindende Entscheidung noch beseitigt werden kann (im
Ergebnis ebenso: Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO § 94
Rz 22).
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c) Aber selbst wenn man dies anders sehen
wollte, hätte die Beschwerde Erfolg. Über die Aussetzung
des Verfahrens entscheidet das FG nach seinem Ermessen. Bei der
Überprüfung der Ermessensentscheidung hat der BFH sein
eigenes Ermessen auszuüben (BFH-Beschluss vom 27.11.1992 III B
133/91, BFHE 169, 498, BStBl II 1993, 240 = SIS 93 06 52). Der
beschließende Senat sieht keine hinreichende Aussicht
dafür, dass die zuständige Behörde ihre
Bescheinigung zurücknehmen oder ändern wird. Die
Behörde hat dies abgelehnt und u.a. darauf verwiesen, dass die
Akten bereits vernichtet seien, so dass der Sachverhalt nicht mehr
neu beurteilt werden könne. Im Übrigen geht es in der
Sache um eine inhaltliche Differenz. Das FA meint, die am
Dachgeschoss ausgeführten Baumaßnahmen führten zu
einem bautechnischen Neubau, denn es seien die Wände, der
Fußboden und der Dachstuhl neu in das Gebäude
eingefügt worden. Die zuständige Behörde
argumentiert dagegen, das Gebäude sei im Krieg beschädigt
und mit einem Notdach versehen worden. Zu Beginn der Sanierung
seien noch Teile des alten Daches vorhanden gewesen und genutzt
worden. Deshalb habe es sich um eine Sanierung und nicht um einen
Neubau gehandelt. Der Bauträger habe die Auflage gehabt, die
Kriegsschäden zu beseitigen und den ursprünglich
vorhandenen Zustand (Traufhöhe und Kubatur des Dachstuhls)
wiederherzustellen. Dies zugrunde gelegt, hat die zuständige
Behörde in Anwendung von § 177 BauGB darüber
entschieden, dass die von den Klägern erworbene Wohnung kein
(bautechnischer) Neubau ist. Das FA wird diese Entscheidung infolge
der Bindungswirkung hinnehmen müssen, auch wenn es sie
für unzutreffend hält.
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d) Für das weitere, noch nicht
abgeschlossene Verfahren in der Hauptsache weist der erkennende
Senat, dem nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH die
ausschließliche Zuständigkeit für
Rechtsstreitigkeiten über die maßgebliche Vorschrift
zufällt, darauf hin, dass nach seiner langjährigen und
ständigen Rechtsprechung die zuständige
Gemeindebehörde mit der Bescheinigung nach § 7h Abs. 2
EStG für die Finanzbehörden bindend über die in Abs.
1 der Vorschrift genannten Tatbestandsmerkmale entscheidet (s.
BFH-Urteile vom 21.8.2001 IX R 20/99, BFHE 196, 191, BStBl II 2003,
910 = SIS 01 13 79; vom 22.9.2005 IX R 13/04, BFHE 215, 158, BStBl
II 2007, 373 = SIS 06 44 45; vom 6.5.2014 IX R 15/13, BFHE 246, 61,
BStBl II 2015, 581 = SIS 14 24 97; IX R 16/13, BFH/NV 2014, 1729 =
SIS 14 27 08; IX R 17/13, BFH/NV 2014, 1731 = SIS 14 27 09; s.
ferner BFH-Urteil vom 17.12.1996 IX R 91/94, BFHE 182, 175, BStBl
II 1997, 398 = SIS 97 11 24, zur Vorgängervorschrift des
§ 82g Abs. 1 Satz 3 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1986). Nach diesen
Grundsätzen prüft allein die Gemeinde, ob
Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des §
177 BauGB durchgeführt wurden; nach den Wertungen des
Baugesetzbuchs muss entschieden werden, wie die Begriffe
„Modernisierung“ und
„Instandsetzung“ zu verstehen sind und ob
darunter auch ein Neubau in bautechnischem Sinne zu subsumieren ist
(s. nur BFH-Urteil in BFHE 215, 158, BStBl II 2007, 373 = SIS 06 44 45).
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Auch wenn der X. Senat des BFH in
verschiedenen, mit dem Streitfall nicht sachverhaltsidentischen
Einzelfällen - auch zu den vorliegend nicht einschlägigen
Sonderregelungen für Baudenkmale (§§ 7i, 10f EStG) -
eine hiervon differenzierte Auffassung vertreten hat (s.
BFH-Urteile vom 2.9.2008 X R 7/07, BFHE 224, 484, BStBl II 2009,
596 = SIS 09 19 40; vom 24.6.2009 X R 8/08, BFHE 225, 431, BStBl II
2009, 960 = SIS 09 26 28), stellt die Neuausrichtung der
Rechtsprechung dieses Senats mit der Entscheidung in BFHE 247, 562,
BStBl II 2015, 367 = SIS 15 00 62 - entgegen der Auffassung des FA
- keine Abkehr von der bisherigen BFH-Rechtsprechung, sondern im
Gegenteil eine Bestätigung der ständigen Rechtsprechung
des erkennenden Senats dar (insoweit missverständlich
Stellungnahme des Bundesrates vom 23.9.2016, BRDrucks 406/16 (B),
S. 14).
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Nach diesen Grundsätzen, von denen im
Übrigen auch die Finanzverwaltung ausgeht (s. R 7h Abs. 4 Satz
2 der Einkommensteuer-Richtlinien), unterliegt die Bescheinigung
mit Blick auf die bescheinigten Tatbestandsmerkmale des § 7h
Abs. 1 EStG weder in rechtlicher noch in tatsächlicher
Hinsicht der Nachprüfung durch die Finanzbehörden;
vielmehr handelt es sich hierbei um einen Verwaltungsakt in Form
eines Grundlagenbescheides, an den die Finanzbehörden im
Rahmen des gesetzlich vorgegebenen Umfangs gebunden sind (§
175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Das FG wird im anstehenden
Hauptsacheverfahren diese Rechtsgrundsätze zu
berücksichtigen haben.
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3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu
treffen, da es sich bei der Aussetzung des Verfahrens um eine
unselbständige Nebenentscheidung handelt. Das gilt auch
für die erfolgreiche Beschwerde über die
Aussetzung/Nichtaussetzung des Verfahrens (vgl.
Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 143
Rz 9 „Aussetzung des Klageverfahrens“).
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