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Korrektur aufgrund der neuen Erkenntnisse aus einem Benennungsverlangen

Korrektur aufgrund der neuen Erkenntnisse aus einem Benennungsverlangen: 1. Weder ein Benennungsverlangen i.S. des § 160 AO noch die (fehlende) Antwort hierauf begründet die Tatbestandsvoraussetzungen einer selbständigen Änderungsvorschrift. - 2. Nur wenn aufgrund des Benennungsverlangens nachträglich neue Tatsachen i.S. von § 173 AO bekannt werden, ist die Änderung einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung nach dieser Vorschrift möglich. - Urt.; BFH 9.3.2016, X R 9/13; SIS 16 15 16

Kapitel:
Verschiedenes > Aufhebung, Änderung, Berichtigung
Fundstellen
  1. BFH 09.03.2016, X R 9/13
    BStBl 2016 II S. 815

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 13.10.2016
    Ch. Hildebrand in BB 39/2016 S. 2344
    J. Förster in BFH/PR 10/2016 S. 323
Normen
[FGO] § 96 Abs. 1 Satz 1
[AO 1977] § 88 Abs. 1 Satz 1, § 143, § 160 Abs. 1 Satz 1, § 162 Abs. 2 Satz 2, § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: Niedersächsisches FG, 16.01.2013, SIS 13 27 09, Änderung, Neue Tatsache, Empfängerbenennung, Bestandskraft
Zitiert in... / geändert durch...
  • Niedersächsisches FG 6.9.2022, SIS 22 20 52, Veranlassungszusammenhang bei Grundschuldbestellungen: 1. Werden an den Grundstücken eines Steuerpflichti...
  • FG Köln 1.10.2020, SIS 21 08 57, Nichtberücksichtigung von Betriebsausgaben wegen fehlender Empfängerbenennung: 1. Das Finanzamt kann eine...
  • BFH 17.6.2020, SIS 20 20 39, Gewerbliche Händlertätigkeit bei planmäßigem An- und Verkauf im Rahmen eines Internethandels: Ein gewerbl...
  • Niedersächsisches FG 25.2.2020, SIS 20 05 86, Keine steuerliche Anerkennung von Werbungskostenüberschüssen bei von vorn herein geplanter kurzfristiger ...
  • BFH 12.2.2020, SIS 20 12 79, Aufzeichnungspflicht bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG; Vorlage auf Datenträgern: 1. Die Datenanf...
  • BFH 21.8.2019, SIS 19 19 17, Nachträgliche Wahl der Antragsveranlagung nach § 32 d Abs. 4 EStG, Nichtigkeit eines Schätzungsbescheids:...
  • BFH 16.7.2019, SIS 19 11 97, Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Unterbleiben notwendiger Beweiserhebungen: 1. Das FG verletzt...
  • FG München 18.1.2018, SIS 18 03 96, Reichweite der Verpflichtung zur Vorlage von elektronischen Aufzeichnungen bei Gewinnermittlung nach § 4 ...
  • FG Hamburg 15.2.2017, SIS 17 07 19, Grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei Beauftragung von verschiedenen Steuerberatern i...
  • BFH 19.1.2017, SIS 17 08 58, Korrektur bestandskräftiger Bescheide aufgrund neuer Erkenntnisse aus einem Benennungsverlangen: 1. Weder...

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 16.1.2013 4 K 212/11 = SIS 13 27 09, soweit es die Einkommensteuerfestsetzung 2006 betrifft, aufgehoben.
Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

 

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihr Ehemann (E) wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

 

 

2

E erzielte gewerbliche Einkünfte aus dem An- und Verkauf von Schrott und Altmetall. Er zeichnete sowohl seine Einnahmen wie auch seine Ausgaben in Umsatzsteuerheften auf. Diese reichten die Eheleute im Streitjahr - wie in den Vorjahren - als Anlage zu ihrer Einkommensteuererklärung ein. Die Kosten des Wareneinkaufs betrugen in der Regel zwischen 2.000 EUR und 4.000 EUR, in 20 % der Fälle zwischen 4.000 EUR und 26.000 EUR.

 

 

3

Die Einkünfte des E wurden ausgehend von diesen Umsatzsteuerheften an Amtsstelle ermittelt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) erließ anschließend u.a. für das Streitjahr 2006 einen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid.

 

 

4

Für die Jahre 2007 bis 2009 reichten die Klägerin und E mit den Steuererklärungen Einnahmen-Überschussrechnungen ein, die von einem Steuerberater erstellt worden waren. Das FA setzte für diese Veranlagungszeiträume die Einkommensteuern im Wesentlichen erklärungsgemäß unter dem Vorhalt der Nachprüfung fest.

 

 

5

Im Rahmen der für das Streitjahr und die Folgejahre 2007 bis 2009 durchgeführten Außenprüfung verlangte der Prüfer die Benennung der Zahlungsempfänger, bei denen E Schrott eingekauft hatte. Diesem Benennungsverlangen kam E nicht nach. Der Prüfer schätzte deshalb 45 % dieses Wareneinkaufs als von steuerpflichtigen Unternehmen bezogen. Die auf diesen Teil des Wareneinkaufs entfallenden Kosten ließ er nicht zum Betriebsausgabenabzug zu.

 

 

6

Die entsprechenden Änderungsbescheide ergingen für die Jahre 2007 bis 2009 gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO), für das Streitjahr 2006 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Die Einsprüche gegen die Änderungsbescheide blieben erfolglos.

 

 

7

Im Klageverfahren reichte E Auflistungen ein, die belegen sollten, dass er Metallschrott, Kupfer und VA-Platten bei drei Unternehmen im Streitjahr und den Jahren 2007 bis 2008 eingekauft habe. Der Abnehmer dieser Waren, den er genau bezeichnete, habe in diesen Jahren Container bei den entsprechenden Unternehmen aufgestellt und diese nach seinen Weisungen abgeholt. Nach der anschließenden Abrechnung mit ihm habe er seine Lieferanten bezahlt.

 

 

8

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Klägerin und E für das Streitjahr 2006 als begründet angesehen, weil die ursprünglich nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Steuerfestsetzung nicht änderbar sei. Tatsache i.S. des § 173 AO sei der Umstand, dass E dem Benennungsverlangen des FA nicht nachgekommen sei. Die Benennung sei allerdings erst nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides verweigert worden und somit keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache.

 

 

9

Mit der Revision macht das FA die Verletzung materiellen Rechts geltend, soweit das FG-Urteil die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres betrifft.

 

 

10

Auch eine bestandskräftige Steuerfestsetzung sei nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bei nachträglichen Zweifeln an der Identität der Zahlungsempfänger und Kenntnisnahme von unzureichenden Belegen änderbar. Sowohl die später eingetretenen Zweifel wie auch das Wissen um die Beleglage seien die insoweit relevanten neuen Tatsachen.

 

 

11

In jedem Stadium des Verwaltungsverfahrens sei das FA deshalb berechtigt, einen Steuerpflichtigen gemäß § 160 Abs. 1 Satz 1 AO zur Ergänzung seiner Abrechnungspapiere aufzufordern, um den Empfänger bestimmter Ausgaben genau zu bezeichnen. Dies betreffe auch eine später durchgeführte Betriebsprüfung. Es sei die Eigenart des steuerrechtlichen Ermittlungs- und Prüfungsverfahrens, dass Geschäftsvorfälle durch die Finanzämter nachträglich, bei Betrieben, die der Außenprüfung unterlägen, unter Umständen erst nach Ablauf mehrerer Jahre aufgegriffen würden.

 

 

12

Das Benennungsverlangen führe deshalb nicht zu einer nachträglich entstandenen Tatsache, sondern zur Aufdeckung einer neuen Tatsache. Denn die Verweigerung der Empfängerbenennung nach erstmaliger Aufforderung während einer Betriebsprüfung habe seine Ursache in der fehlenden Beweisvorsorge zum jeweiligen Zahlungszeitpunkt. Insoweit gleiche diese Situation der nachträglich bekannt gewordenen oder festgestellten Schätzungsunterlage, bei deren rechtzeitiger Bekanntgabe das FA die Schätzung in anderer Weise vorgenommen hätte.

 

 

13

Das FA beantragt sinngemäß, das FG-Urteil, soweit es die Einkommensteuerfestsetzung 2006 betrifft, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

 

14

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

 

 

15

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit der Einkommensteuerbescheid des Streitjahres 2006 betroffen ist. Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).

 

 

16

Das FG ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass der Umstand, dass E dem Benennungsverlangen des FA nicht nachgekommen ist, keine Änderung der Steuerfestsetzung des Jahres 2006 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ermöglicht (unten 1.). Eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO könnte indes in Betracht kommen, wenn dem FA das Fehlen eines ordnungsgemäß geführten Wareneingangs erst nachträglich bekannt geworden wäre (unten 2.). Mangels entsprechender Feststellungen des FG ist die Sache zurückzuverweisen.

 

 

17

1. Voraussetzung für die Änderungsmöglichkeit ist eine nachträglich bekannt gewordene, nicht dagegen eine nachträglich entstandene Tatsache. Eine erst nachträglich entstandene Tatsache ist das Benennungsverlangen des FA - wie das FG zu Recht entschieden hat - . Denn das FA hat die Benennung der Empfänger erst zu einem Zeitpunkt vom Kläger verlangt, als die Bescheide des Jahres 2006 bereits bestandskräftig gewesen sind. Auch die Verweigerung der Auskunft auf ein solches Benennungsverlangen geschieht erst nach Erlass des zu ändernden Bescheides und kann für sich genommen schon deshalb keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S. des § 173 AO darstellen.

 

 

18

2. Als nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kommt jedoch die nicht ordnungsgemäße Aufzeichnung des Wareneinkaufs und damit des Wareneingangs in Betracht.

 

 

19

a) Die Art und Weise, in der der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen geführt hat, insbesondere die nicht den Vorschriften des § 143 AO entsprechende Aufzeichnung, ist eine Tatsache.

 

 

20

aa) Eine Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann. Dies meint Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (so etwa Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6.8.1997 II R 33/95, BFH/NV 1998, 12 = SIS 98 03 25). Keine Tatsachen i.S. des § 173 AO sind Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen (BFH-Urteil vom 24.7.1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785 = SIS 84 21 39, m.w.N.).

 

 

21

bb) Etwas anderes gilt auch nicht, wenn - wie hier behauptet - der Steuerpflichtige (hier: E), obwohl als Gewerbetreibender tätig, nicht des Lesens und/oder Schreibens mächtig ist.

 

 

22

§ 143 Abs. 1 AO sieht bereits von seinem Wortlaut her keine Ausnahme vor. Vielmehr verlangt die Norm die Aufzeichnung des Wareneingangs von allen gewerblichen Unternehmern. Ausgehend vom Sinn und Zweck der Vorschrift, es gerade der Finanzbehörde zu ermöglichen, das Betriebsergebnis zu überprüfen und Daten für eine Nachkalkulation bereitzustellen (vgl. nur Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 143 AO Rz 1, m.w.N.), ist allein auf die Tätigkeit des Steuerpflichtigen und nicht auf seine Kenntnisse und persönlichen Fähigkeiten abzustellen. Sollte der Gewerbetreibende selbst nicht in der Lage sein, den Aufzeichnungspflichten nachzukommen, hat er sich anderer Personen zu bedienen. Diese Hilfe sachgerecht zu organisieren, gehört zu seinen Pflichten als gewerblich Tätiger.

 

 

23

b) Die Tatsache, dass der Wareneingang nicht ordnungsgemäß aufgezeichnet worden ist, muss nachträglich bekannt geworden sein.

 

 

24

aa) Eine Tatsache wird nachträglich bekannt, wenn sie das FA im Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens für den Erlass des ursprünglichen Steuerbescheids noch nicht kannte (BFH-Urteil vom 18.3.1987 II R 226/84, BFHE 149, 141, BStBl II 1987, 416 = SIS 87 13 53). Maßgebend hierfür ist die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle (BFH-Urteil vom 23.3.1983 I R 182/82, BFHE 138, 313, BStBl II 1983, 548 = SIS 83 14 43). Bekannt ist der zuständigen Dienststelle der Inhalt der dort geführten Akten, ohne dass insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters abzustellen ist (BFH-Urteil vom 20.6.1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492 = SIS 85 18 44).

 

 

25

Im vorliegenden Fall ist es mangels geeigneter Feststellungen des FG dem Senat nicht möglich zu beurteilen, ob der Veranlagungssachbearbeiter, der an Amtsstelle für die Klägerin und E die Einkünfte aus Gewerbebetrieb des Streitjahres ermittelte, die fehlende Ordnungsmäßigkeit des aufgezeichneten Wareneingangs kannte. Folglich wird das FG im zweiten Rechtszug feststellen müssen, ob bei der Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb an Amtsstelle im Streitjahr bekannt war, dass der Wareneingang von E nicht ordnungsgemäß aufgezeichnet worden war. Soweit die Klägerin behauptet, ihr Ehemann habe dies dem FA mitgeteilt, hat sie substantiiert vorzutragen, wann und wie er welchen Veranlagungssachbearbeiter darüber informiert hatte. Zu beachten ist insoweit, dass die Klägerin bereits mehrere Sachbearbeiter in ihrem Schriftsatz vom 4.10.2011 benannt hat.

 

 

26

Allein aus dem Umstand, dass E zum Zwecke der Gewinnermittlung (nur) die Umsatzsteuerhefte im FA vorgelegt hatte, lässt sich jedenfalls noch nicht schließen, dass das FA die unzureichende Erfüllung der Aufzeichnungspflichten kannte. Auch wenn diese Hefte trotz der darin enthaltenen Angaben zu Ausgaben und damit zum Wareneinkauf noch nicht den Vorgaben des § 143 AO entsprechen, bedeutet das nicht, dass E die nach § 143 AO gebotenen Aufzeichnungen nicht daneben in anderer Form geführt haben könnte und der Veranlagungssachbearbeiter deshalb wusste, dass es daran fehlte.

 

 

27

bb) Kannte das FA die mangelhafte Erfüllung der Aufzeichnungspflicht nicht, hat es also tatsächlich erst nachträglich Kenntnis erlangt, so könnte lediglich der Grundsatz von Treu und Glauben die Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO einschränken. Dies setzt voraus, dass einerseits dem FA die Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre, dass andererseits der Steuerpflichtige entweder seiner Mitwirkungspflicht in vollem Umfang genügt hat (BFH-Urteil vom 13.11.1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241 = SIS 86 06 49), oder aber sich aus der Abwägung der beiderseitigen Pflichtverletzungen ergibt, dass die Verletzung der Ermittlungspflicht im konkreten Einzelfall die Verletzung der Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt (BFH-Urteil vom 11.11.1987 I R 108/85, BFHE 151, 333, BStBl II 1988, 115 = SIS 88 05 48, unter II.2.; Senatsurteil vom 18.5.2010 X R 49/08, BFH/NV 2010, 2225 = SIS 10 35 46, unter II.2.a). In der Regel aber trifft bei beidseitigen Versäumnissen den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (BFH-Urteile vom 20.12.1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585 = SIS 89 16 44, unter II.6.; vom 28.6.2006 XI R 58/05, BFHE 214, 319, BStBl II 2006, 835 = SIS 06 37 73, unter II.1.a).

 

 

28

3. Die Sache ist zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das FG zurückzuverweisen. Sollte danach die nicht ordnungsgemäße Aufzeichnung des Wareneingangs eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO darstellen und einer Änderung des Einkommensteuerbescheids 2006 auch der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegenstehen, sind die zutreffenden rechtlichen Folgerungen über die Höhe der Betriebsausgaben zu ziehen.

 

 

29

a) Zunächst ermöglicht die Erkenntnis über die fehlende Ordnungsmäßigkeit der Buchführung die zu einer höheren Steuer führende Schätzung der Höhe der Betriebsausgaben nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO. Die Schätzung nach § 162 AO ist grundsätzlich unabhängig von der Prüfung eines Abzugsverbots nach § 160 AO durchzuführen (vgl. BFH-Urteil vom 24.6.1997 VIII R 9/96, BFHE 183, 358, BStBl II 1998, 51 = SIS 98 03 32, unter 2. der Entscheidungsgründe). Diese Befugnis stünde zunächst dem FA, im Gerichtsverfahren innerhalb der Grenzen des Verböserungsverbots nach § 96 Abs. 1 Satz 1, 2 FGO dem FG zu.

 

 

30

b) Aber auch die Erkenntnisse des FA aus den Ermittlungsmaßnahmen der Betriebsprüfung einschließlich des Benennungsverlangens können im Rahmen der Prüfung der Höhe der Betriebsausgaben verwertbar sein.

 

 

31

Die Berücksichtigung des in der Betriebsprüfung gewonnenen Wissens in diesem Sinne beruht nicht auf § 160 AO und ist unabhängig von den Voraussetzungen und Rechtsfolgen dieser Vorschrift möglich und geboten. Es handelte sich um Sachverhaltsermittlungen, die bereits durch § 88 Abs. 1 Satz 1 AO gerechtfertigt sind. § 160 Abs. 1 Satz 1 AO sperrt diese nicht, was § 160 Abs. 1 Satz 2 AO ausdrücklich klarstellt. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen können im Rahmen des Festsetzungsverfahrens auch nach Bestandskraft eines Bescheids verarbeitet werden, wenn und soweit dies durch die entsprechenden Änderungsvorschriften gedeckt ist. Allein der Umstand, dass die entsprechenden Nachfragen ihrerseits auch als Benennungsverlangen nach § 160 AO qualifiziert werden können, ändert hieran nichts.

 

 

32

c) Es ist jedoch nicht möglich, die nach diesen Maßstäben anzusetzenden Betriebsausgaben aufgrund des nicht erfüllten Benennungsverlangens nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO weiter zu reduzieren, mithin auf Grundlage dieser Vorschrift zu einer weiteren Steuererhöhung zu gelangen.

 

 

33

aa) Der Umfang einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ergibt sich aus den steuerlichen Auswirkungen der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache(n). Wie sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift „soweit Tatsachen ...“ ergibt, kann der Steuerbescheid nur punktuell berichtigt werden, nämlich durch die zutreffenden Schlussfolgerungen nur aus dieser Tatsache (vgl. nur von Wedelstädt in Beermann/Gosch, § 173 AO Rz 153). Anders als unter § 222 der Reichsabgabenordnung, wonach die neue Steuerfestsetzung grundsätzlich so vorzunehmen war, als handele es sich um die erste Veranlagung (vgl. BFH-Urteil vom 30.1.1969 V 149/64, BFHE 95, 236, BStBl II 1969, 409 = SIS 69 02 61), findet eine Wiederaufrollung der Veranlagung nicht statt (so schon BFH-Urteil vom 12.8.1981 I R 78/78, BFHE 134, 3, BStBl II 1982, 100 = SIS 82 09 38, Rz 11).

 

 

34

bb) Es wäre eine unzulässige Wiederaufrollung der Veranlagung in diesem Sinne, wenn Betriebsausgaben, die im Rahmen der Ermittlung und ggf. Schätzung nach Maßgabe von II.3.a, b zu berücksichtigen sind, nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO nicht berücksichtigt würden und so die Steuerfestsetzung über den Korrekturrahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO hinaus weiter zuungunsten des E geändert würde. Wie bereits unter II.1. dargestellt und wie das FG zu Recht erkannt hat, begründet weder das Benennungsverlangen selbst noch die (fehlende) Antwort hierauf für sich die Tatbestandsvoraussetzungen einer selbständigen Änderungsvorschrift.

 

 

35

Die Rechtsfolgen des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO sind aber auch keine Umstände, die i.S. des § 162 Abs. 1 Satz 2 AO für die Schätzung von Bedeutung sind. Sie dürfen also in die Schätzungshöhe nicht einbezogen werden. § 160 AO ist keine Schätzungsnorm, sondern setzt erst an, soweit Ausgaben nach anderen steuerlichen Regelungen, ggf. auch aufgrund einer Schätzung, abziehbar sind bzw. wären, bei denen also davon auszugehen ist, dass der Aufwand entstanden ist und daher im Rahmen einer Schätzung an sich zu berücksichtigen wäre (BFH-Urteil in BFHE 183, 358, BStBl II 1998, 51 = SIS 98 03 32, unter 2.a; Senatsbeschluss vom 25.7.2012 X B 175/11, BFH/NV 2013, 44 = SIS 12 32 98, unter II.1.b). In Schätzungsfällen knüpft die Vorschrift mithin erst an das Ergebnis der Schätzung an. Das schließt es aus, ihre Anwendung gleichzeitig über § 162 Abs. 1 Satz 2 AO zur Voraussetzung der Schätzung zu machen.

 

 

36

Hintergrund ist der Umstand, dass § 160 AO mögliche Steuerausfälle verhindern will, die dadurch eintreten, dass der Empfänger der bei dem Leistenden geltend gemachten Betriebsausgaben die Einnahmen nicht erfasst. Auch wenn sie dies formell durch die Minderung des Betriebsausgabenabzugs leistet, handelt es sich materiell-rechtlich um eine Inanspruchnahme des Leistenden als Haftender für die fremde Steuerschuld des Empfängers (vgl. BFH-Urteile in BFHE 183, 358, BStBl II 1998, 51 = SIS 98 03 32, unter 2.b cc, sowie vom 10.3.1999 XI R 10/98, BFHE 188, 280, BStBl II 1999, 434 = SIS 99 12 31, unter II.1.), die im Rahmen der Schätzung ein Fremdkörper wäre. Die bei Anwendung des § 160 AO gebotene Schätzung des mutmaßlichen Steuerausfalls beim Empfänger findet erst auf der Ebene des § 160 AO statt und hat daher mit der Schätzung der Betriebsausgaben nach § 162 AO nichts zu tun (vgl. dazu Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 162 AO Rz 31).

 

 

37

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.