Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Düsseldorf vom 13.3.2013 15 K 4316/12 Kg =
SIS 13 15 55 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu
tragen.
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I. Der in der Bundesrepublik Deutschland
(Deutschland) wohnende Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist von seiner früheren Ehefrau, die zusammen
mit dem im April 2000 geborenen gemeinsamen Sohn in Polen lebt,
geschieden. Er bezog im streitigen Zeitraum (Januar 2011 bis
Oktober 2012) zunächst Arbeitslosengeld. Von November 2011 bis
zum 11.1.2012 sowie vom 1. bis zum 22.2.2012 war er in Deutschland
nichtselbständig beschäftigt, danach bezog er Leistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Die frühere Ehefrau,
die polnische Staatsangehörige ist, ging in Polen einer
Erwerbstätigkeit nach. Sie hatte wegen der nach polnischem
Recht bestehenden Einkommensgrenze keinen Anspruch auf polnische
Familienleistungen für den hier streitigen Zeitraum. Einen
Antrag auf Familienleistungen nach deutschem oder polnischem Recht
hat sie nicht gestellt.
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Im August 2012 beantragte der Kläger,
der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, Kindergeld
für seinen Sohn. Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 3.9.2012 ab, da
die Kindsmutter vorrangig zum Bezug von Kindergeld nach deutschem
Recht berechtigt sei. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen
Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 18.10.2012).
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Das Finanzgericht (FG) gab der
anschließend erhobenen Klage statt. Es verpflichtete die
Familienkasse, Kindergeld für den Sohn ab Januar 2011 zu
gewähren. Es war der Ansicht, die Bestimmung des
Kindergeldberechtigten richte sich nicht nach § 64 Abs. 2 Satz
1 des Einkommensteuergesetzes in der für die Jahre 2011 und
2012 geltenden Fassung (EStG), weil die Kindsmutter nicht die
Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 62 ff. EStG
erfülle. Aus Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr.
987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die
Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 987/2009)
ergebe sich keine andere Beurteilung. Zwar sei aufgrund der darin
enthaltenen Fiktion die Familie so zu behandeln, als habe sie ihren
Wohnsitz in Deutschland. Damit könnten jedoch keine Rechte
Dritter begründet werden, durch die Rechte des Klägers
geschmälert oder ausgeschlossen würden. Die Vorschrift
des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 solle nur den
Rechtsverlust einer aus dem Ausland zugewanderten Person
verhindern. Der Anspruch der im Inland lebenden Person könne
dadurch jedoch nicht begrenzt oder ausgeschlossen werden.
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Gegen die Entscheidung des FG wendet sich
die Familienkasse mit ihrer Revision. Der Senat setzte mit
Beschluss vom 8.5.2014 III R 17/13 (BFHE 245, 522, BStBl II 2015,
329 = SIS 14 20 92) das Revisionsverfahren gemäß §
121 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und legte
dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß
Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung
vor:
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1. Ist in einem Fall, in dem eine in einem
Mitgliedstaat (Inland) lebende Person Anspruch auf Kindergeld
für Kinder hat, die in einem anderen Mitgliedstaat (Ausland)
beim anderen, von ihm getrennt lebenden Ehegatten wohnen, Art. 60
Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 anzuwenden mit der Folge, dass
die Fiktion, wonach bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr.
883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu
berücksichtigen ist, als würden alle Beteiligten -
insbesondere was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs
anbelangt - unter die Rechtsvorschriften des betreffenden
Mitgliedstaats fallen und dort wohnen, dazu führt, dass der
Anspruch auf Kindergeld ausschließlich dem im anderen
Mitgliedstaat (Ausland) lebenden Elternteil zusteht, weil das
nationale Recht des ersten Mitgliedstaats (Inland) vorsieht, dass
bei mehreren Kindergeldberechtigten der Elternteil
anspruchsberechtigt ist, der das Kind in seinen Haushalt
aufgenommen hat?
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2. Für den Fall, dass die erste Frage
zu bejahen sein sollte:
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Ist bei dem unter 1. dargelegten
Sachverhalt Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 dahin
auszulegen, dass dem in einem Mitgliedstaat (Inland) lebenden
Elternteil der Anspruch auf Kindergeld nach inländischem Recht
zusteht, weil der im anderen Mitgliedstaat (Ausland) lebende andere
Elternteil keinen Antrag auf Kindergeld gestellt hat?
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3. ...
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Der EuGH hat die Fragen mit Urteil vom
22.10.2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501 = SIS 15 28 09) wie folgt beantwortet:
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1. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr.
987/2009 ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung
vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf
Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem
Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser
Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das
nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die
Gewährung erfüllt sind, was von dem vorlegenden Gericht
zu prüfen ist.
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2. Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr.
987/2009 ist dahin auszulegen, dass danach nicht verlangt wird,
dass der Anspruch auf Familienleistungen, die für ein Kind
gewährt werden, dem Elternteil des Kindes, der in dem für
die Gewährung dieser Leistungen zuständigen Mitgliedstaat
wohnt, deshalb zuerkannt werden muss, weil der andere Elternteil,
der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, keinen Antrag auf
Familienleistungen gestellt hat.
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Die Familienkasse ist der Ansicht, der EuGH
habe ihre Rechtsauffassung bestätigt.
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Sie beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage zurückzuweisen.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, die Revision als unbegründet
zurückzuweisen. Es sei vorzugswürdig, wenn nach wie vor
der Kindsvater einen unmittelbaren Anspruch auf Kindergeld habe.
Die Entscheidung des EuGH lasse letzte Klarheit vermissen. Er habe
die Vorlagefragen nur i.S. eines „kann sein“
beantwortet.
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II. Die Revision ist begründet. Das
angefochtene Urteil ist aufzuheben, die Klage ist abzuweisen
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG hat zu Unrecht
entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld dem Kläger
zusteht. Vielmehr hat die in Polen lebende Kindsmutter einen
vorrangigen Anspruch auf Kindergeld.
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1. Der Anspruch auf Kindergeld nach den
Vorschriften des EStG setzt gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1
EStG u.a. voraus, dass der Berechtigte einen Wohnsitz (§ 8 der
Abgabenordnung - AO - ) oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt
(§ 9 AO) im Inland hat. Kindergeldrechtlich zu
berücksichtigen sind u.a. Kinder, die - wie der Sohn des
Klägers - einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben
(§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG).
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Im Streitfall sind die
Anspruchsvoraussetzungen nach den nationalen Rechtsvorschriften in
der Person des Klägers und nicht in der seiner geschiedenen
Ehefrau erfüllt. Letztere lebt in Polen und hat in Deutschland
weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt.
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2. Dennoch ist die Kindsmutter vorrangig
anspruchsberechtigt. Denn nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG wird
bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der
das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Die Vorschrift ist
anzuwenden, da gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr.
987/2009 zu unterstellen ist, dass die Kindsmutter zusammen mit dem
Sohn in einem eigenen Haushalt in Deutschland lebt.
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a) Es handelt sich um einen
grenzüberschreitenden Sachverhalt mit Unionsbezug, der zur
Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der
Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 883/2004) sowie der dazu
ergangenen Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 führt.
Der Kläger fällt - wie auch aus dem EuGH-Urteil in DStRE
2015, 1501 hervorgeht - als deutscher Staatsbürger
gemäß Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in deren
persönlichen Anwendungsbereich. Ebenso ist der sachliche
Anwendungsbereich eröffnet; das Kindergeld ist eine
Familienleistung i.S. von Art. 1 Buchst. z, Art. 3 Abs. 1 Buchst. j
der VO Nr. 883/2004. Auch ist Deutschland der für die
Erbringung von Familienleistungen zuständige Mitgliedstaat
(Art. 11 Abs. 3 Buchst. a und e der VO Nr. 883/2004).
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b) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr.
987/2009 ist bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr.
883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung
eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten
Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden
alle beteiligten Personen unter die Rechtsordnung des betreffenden
Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Art. 67 Satz 1 der VO Nr.
883/2004, der bestimmt, dass eine Person auch für
Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen,
Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des
zuständigen Mitgliedstaats hat, als ob die
Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen
würden, ist - wie auch aus dem EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501
hervorgeht - im Streitfall ungeachtet dessen anzuwenden, dass es
bereits nach nationalem Recht nicht darauf ankommt, ob das Kind
seinen Wohnsitz im Inland oder in einem EU-Mitgliedstaat hat
(§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG). Zu den
„beteiligten Personen“ i.S. des Art. 60 Abs. 1
Satz 2 der VO Nr. 987/2009 gehören die
Familienangehörigen i.S. des Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i
der VO Nr. 883/2004. Darunter sind neben den Eltern und dem Kind
alle Personen zu verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt
sind, Anspruch auf Familienleistungen zu erheben (EuGH-Urteil in
DStRE 2015, 1501).
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c) Aufgrund der Fiktion des Art. 60 Abs. 1
Satz 2 der VO Nr. 987/2009 lässt sich nach dem EuGH-Urteil in
DStRE 2015, 1501„nicht ausschließen“, dass
ein Elternteil, der in einem anderen als dem zur Gewährung von
Familienleistungen verpflichteten Mitgliedstaat wohnt, diejenige
Person ist, die zum Bezug dieser Leistungen berechtigt ist. Dies
ist der Fall, wenn - wie nach deutscher Rechtslage - bei
konkurrierenden Ansprüchen derjenige Elternteil vorrangig
kindergeldberechtigt ist, der das Kind
in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1
EStG).
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d) Aus dem EuGH-Urteil in DStRE 2015,
1501 ist auch zu ersehen, dass das
Fehlen eines im EU-Ausland gestellten Antrags auf
Familienleistungen nicht dazu führt, dass die Fiktionswirkung
des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 entfällt. Die
Verpflichtung des zur Erbringung von Familienleistungen
zuständigen Mitgliedstaats gemäß Art. 60 Abs. 1
Satz 3 der VO Nr. 987/2009, den im Inland gestellten Antrag auf
Kindergeld zu berücksichtigen, bedeutet nicht, dass bei
fehlender Antragstellung im Ausland der Anspruch auf den Elternteil
übergeht, der im Inland das Kindergeld beantragt hat.
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3. Somit ist gemäß Art. 60 Abs. 1
Satz 2 der VO Nr. 987/2009 zu fingieren, dass die geschiedene
Ehefrau des Klägers zusammen mit dem gemeinsamen Kind in einem
eigenen Haushalt in Deutschland lebt. Damit ist sie nach § 64
Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig kindergeldberechtigt, solange die
Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach in der Person des
Klägers erfüllt sind. Diesem steht der Anspruch auf
Kindergeld im streitigen Zeitraum nicht zu.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 1, § 135 Abs. 1 FGO.
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