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Kindergeld, persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten

Kindergeld, persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: 1. Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009, wonach bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle Beteiligten - insbesondere was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt - unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats (hier: Deutschland) fallen und dort wohnen, kann dazu führen, dass der Anspruch auf Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht (EuGH-Urteil vom 22.10.2015 C-378/14, EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501 = SIS 15 28 09). Kann wegen der - nicht nur räumlichen - Trennung der Eltern nicht fingiert werden, dass diese in Deutschland in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG der Elternteil kindergeldberechtigt, der das Kind in seinem Haushalt aufgenommen hat. - 2. In einem derartigen Fall steht der Kindergeldanspruch auch dann nicht dem in Deutschland lebenden Elternteil zu, wenn der im EU-Ausland lebende Elternteil keinen Antrag auf Kindergeld gestellt hat. - Urt.; BFH 4.2.2016, III R 17/13; SIS 16 11 20

Kapitel:
Privatbereich > Kinder
Fundstellen
  1. BFH 04.02.2016, III R 17/13
    BStBl 2016 II S. 612
    DStR 2016 S. 1319

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 12.7.2016
    A. Killat-Risthaus in DStZ 14/2016 S. 518
    Ch. Avvento in NWB 28/2016 S. 2104
    -/- in NWB 24/2016 S. 1779
    R. Görke in BFH/PR 9/2016 S. 276
Normen
[VO (EG) Nr. 883/2004] Art. 1 Buchst. i Nr. 1, Art. 1 Buchst. z, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Buchst. j, Art. 11 Abs. 3, Art. 67
[VO (EG) Nr. 987/2009] Art. 60 Abs. 1
[EStG] § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1, § 64
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: FG Düsseldorf, 13.03.2013, SIS 13 15 55, Kindergeld, Eltern, Anwendungsvorschrift
Zitiert in... / geändert durch...
  • BFH 31.8.2021, SIS 21 20 80, Kindergeld, Unionsrechtliche Familienbetrachtung gilt auch im Verfahrensrecht: 1. Ein Kindergeldantrag, d...
  • FG Münster 10.12.2020, SIS 21 00 51, Sperrfrist für EU-Ausländer nach § 62 Abs. 1 a EStG: Die dreimonatige Sperrfrist für zugezogene EU-Auslän...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 30.9.2020, SIS 21 02 48, Kindergeld, Anwendung der Wohnsitzfiktion bei gemeinsamem Wohnsitz beider Elternteile im EU-Ausland, Verh...
  • FG Hamburg 11.6.2019, SIS 19 14 34, Kindergeld, Vorrangige Anspruchsberechtigung der Großmutter in Polen, bei der die Kinder wohnen: 1. Ein g...
  • Sächsisches FG 26.4.2019, SIS 19 09 38, Kindergeldberechtigung bei getrennten Haushalten der Kindeseltern in Polen und Behandlung eines Elterntei...
  • FG Düsseldorf 19.12.2018, SIS 22 09 74, Kindergeldanspruch für EU-Auslandskinder bei Wohnsitz im Inland, Konkurrenzsituation i.S. des Art. 68 VO ...
  • FG Düsseldorf 30.10.2018, SIS 22 09 75, Zum Anspruch auf deutsches Kindergeld für einen in Deutschland lebenden polnischen Kläger für sein in Pol...
  • FG Hamburg 4.1.2018, SIS 18 03 85, Haushaltsaufnahme eines volljährigen Kindes: Bei einem volljährigen Kind, welches in einer Wohnung zusamm...
  • BFH 27.7.2017, SIS 17 26 20, Vorrangiger Kindergeldanspruch des im EU-Ausland wohnenden Elternteils: Die Fiktionswirkung des Art. 60 A...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 21.6.2017, SIS 17 14 89, Maßgeblichkeit des Wohnorts des Leistungsempfängers für den Kindergeldanspruch eines ALG-II-Beziehers: Di...
  • FG Hamburg 6.6.2017, SIS 17 16 60, Streitwert eines "echten" Untätigkeitseinspruchs in Kindergeldsachen: Bei einem "echten" Untätigkeitseins...
  • FG Bremen 27.2.2017, SIS 17 07 70, Kindergeldanspruch nicht des in Deutschland wohnenden, Leistungen nach SGB II beziehenden Kindesvaters, s...
  • FG München 24.1.2017, SIS 19 11 18, Teilweise Gewährung von Prozesskostenhilfe: 1. Hat die Klage nur teilweise Aussicht auf Erfolg, ist Proze...
  • BFH 19.1.2017, SIS 17 06 26, Zuständigkeit der Familienkassen für Auslandsfälle: 1. Die Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit si...
  • FG Düsseldorf 10.1.2017, SIS 17 02 95, Kindergeld für in Polen lebendes Kind: 1. Der Anspruch auf Kindergeld eines in Deutschland ansässigen Arb...
  • FG Hamburg 22.12.2016, SIS 17 05 21, Vorrangiger Kindergeldanspruch wegen fiktiver Übertragung der Wohnsituation des im anderen EU-Mitgliedsta...
  • OFD Frankfurt 15.11.2016, SIS 16 25 40, Kindergeld, persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Eine Rundverfügung...
  • FG Hamburg 9.9.2016, SIS 16 24 34, Persönliche Anspruchsberechtigung auf Kindergeld bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: 1. Besteht kein...
  • BFH 8.9.2016, SIS 16 27 75, Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der ...
  • BFH 8.9.2016, SIS 17 01 86, Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der ...
  • Sächsisches FG 31.8.2016, SIS 16 22 58, Kein Kindergeldanspruch bei Haushaltsaufnahme des Kindes in einem anderen EU-Mitgliedstaat und Erfüllung ...
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  • BFH 23.8.2016, SIS 16 25 69, Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1...
  • BFH 23.8.2016, SIS 16 23 51, Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1...
  • BFH 23.8.2016, SIS 16 23 52, Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1...
  • BFH 23.8.2016, SIS 17 01 85, Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1...
  • BFH 23.8.2016, SIS 17 03 49, Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1...
  • BFH 23.8.2016, SIS 17 03 50, Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1...
  • BFH 21.7.2016, SIS 16 21 54, Kindergeld bei im EU-Ausland lebenden Kindern: Keinen Anspruch auf Kindergeld hat ein kindergeldberechtig...
  • BFH 13.7.2016, SIS 16 19 79, Kindergeld, vorrangige Anspruchsberechtigung des im anderen EU-Mitgliedstaat lebenden Elternteils, fiktiv...
  • BFH 13.7.2016, SIS 16 23 48, Vorrangige Anspruchsberechtigung des im anderen EU-Mitgliedstaat lebenden Großelternteils: 1. Der in eine...
  • BFH 13.7.2016, SIS 16 23 49, Vorrangige Anspruchsberechtigung des im anderen EU-Mitgliedstaat lebenden Elternteils: Der in einem ander...
  • BFH 13.7.2016, SIS 16 23 50, Vorrangige Anspruchsberechtigung des im anderen EU-Mitgliedstaat lebenden Elternteils: Der in einem ander...
  • BFH 13.7.2016, SIS 17 01 84, Vorrangige Anspruchsberechtigung des im anderen EU-Mitgliedstaat lebenden Elternteils: Der in einem ander...
  • BFH 7.7.2016, SIS 16 22 04, Kindergeld, Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: 1. Die Fiktion des Art. 60 Abs...
  • BFH 7.7.2016, SIS 16 25 61, Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der ...
  • BFH 7.7.2016, SIS 16 25 62, Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: 1. Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 d...
  • FG München 4.7.2016, SIS 17 05 38, Kindergeldanspruch für Kinder, die in Polen im Haushalt ihrer Mutter leben: Der Kläger hat für die Zeiträ...
  • BFH 15.6.2016, SIS 16 23 42, Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der ...
  • BFH 15.6.2016, SIS 16 23 44, Vorrangiger Kindergeldanspruch des im anderen EU-Mitgliedstaat wohnenden Elternteils: Ein in einem andere...
  • BFH 15.6.2016, SIS 16 23 45, Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der ...
  • BFH 15.6.2016, SIS 16 23 46, Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der ...
  • BFH 28.4.2016, SIS 16 19 04, Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: 1. Die Fiktion des Art. 60 Abs...
  • BFH 13.4.2016, SIS 16 18 97, Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der ...
  • BFH 13.4.2016, SIS 16 18 98, Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der ...
Anmerkung RA Dr. Bürkle

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 13.3.2013 15 K 4316/12 Kg = SIS 13 15 55 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

 

1

I. Der in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) wohnende Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist von seiner früheren Ehefrau, die zusammen mit dem im April 2000 geborenen gemeinsamen Sohn in Polen lebt, geschieden. Er bezog im streitigen Zeitraum (Januar 2011 bis Oktober 2012) zunächst Arbeitslosengeld. Von November 2011 bis zum 11.1.2012 sowie vom 1. bis zum 22.2.2012 war er in Deutschland nichtselbständig beschäftigt, danach bezog er Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Die frühere Ehefrau, die polnische Staatsangehörige ist, ging in Polen einer Erwerbstätigkeit nach. Sie hatte wegen der nach polnischem Recht bestehenden Einkommensgrenze keinen Anspruch auf polnische Familienleistungen für den hier streitigen Zeitraum. Einen Antrag auf Familienleistungen nach deutschem oder polnischem Recht hat sie nicht gestellt.

 

 

2

Im August 2012 beantragte der Kläger, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, Kindergeld für seinen Sohn. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 3.9.2012 ab, da die Kindsmutter vorrangig zum Bezug von Kindergeld nach deutschem Recht berechtigt sei. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 18.10.2012).

 

 

3

Das Finanzgericht (FG) gab der anschließend erhobenen Klage statt. Es verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld für den Sohn ab Januar 2011 zu gewähren. Es war der Ansicht, die Bestimmung des Kindergeldberechtigten richte sich nicht nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der für die Jahre 2011 und 2012 geltenden Fassung (EStG), weil die Kindsmutter nicht die Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 62 ff. EStG erfülle. Aus Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 987/2009) ergebe sich keine andere Beurteilung. Zwar sei aufgrund der darin enthaltenen Fiktion die Familie so zu behandeln, als habe sie ihren Wohnsitz in Deutschland. Damit könnten jedoch keine Rechte Dritter begründet werden, durch die Rechte des Klägers geschmälert oder ausgeschlossen würden. Die Vorschrift des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 solle nur den Rechtsverlust einer aus dem Ausland zugewanderten Person verhindern. Der Anspruch der im Inland lebenden Person könne dadurch jedoch nicht begrenzt oder ausgeschlossen werden.

 

 

4

Gegen die Entscheidung des FG wendet sich die Familienkasse mit ihrer Revision. Der Senat setzte mit Beschluss vom 8.5.2014 III R 17/13 (BFHE 245, 522, BStBl II 2015, 329 = SIS 14 20 92) das Revisionsverfahren gemäß § 121 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vor:

 

 

5

1. Ist in einem Fall, in dem eine in einem Mitgliedstaat (Inland) lebende Person Anspruch auf Kindergeld für Kinder hat, die in einem anderen Mitgliedstaat (Ausland) beim anderen, von ihm getrennt lebenden Ehegatten wohnen, Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 anzuwenden mit der Folge, dass die Fiktion, wonach bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle Beteiligten - insbesondere was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt - unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen, dazu führt, dass der Anspruch auf Kindergeld ausschließlich dem im anderen Mitgliedstaat (Ausland) lebenden Elternteil zusteht, weil das nationale Recht des ersten Mitgliedstaats (Inland) vorsieht, dass bei mehreren Kindergeldberechtigten der Elternteil anspruchsberechtigt ist, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat?

 

 

6

2. Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen sein sollte:

 

Ist bei dem unter 1. dargelegten Sachverhalt Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass dem in einem Mitgliedstaat (Inland) lebenden Elternteil der Anspruch auf Kindergeld nach inländischem Recht zusteht, weil der im anderen Mitgliedstaat (Ausland) lebende andere Elternteil keinen Antrag auf Kindergeld gestellt hat?

 

 

 

3. ...

 

 

7

Der EuGH hat die Fragen mit Urteil vom 22.10.2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501 = SIS 15 28 09) wie folgt beantwortet:

 

 

8

1. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

 

 

9

2. Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 ist dahin auszulegen, dass danach nicht verlangt wird, dass der Anspruch auf Familienleistungen, die für ein Kind gewährt werden, dem Elternteil des Kindes, der in dem für die Gewährung dieser Leistungen zuständigen Mitgliedstaat wohnt, deshalb zuerkannt werden muss, weil der andere Elternteil, der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, keinen Antrag auf Familienleistungen gestellt hat.

 

 

10

Die Familienkasse ist der Ansicht, der EuGH habe ihre Rechtsauffassung bestätigt.

 

 

11

Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage zurückzuweisen.

 

 

12

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es sei vorzugswürdig, wenn nach wie vor der Kindsvater einen unmittelbaren Anspruch auf Kindergeld habe. Die Entscheidung des EuGH lasse letzte Klarheit vermissen. Er habe die Vorlagefragen nur i.S. eines „kann sein“ beantwortet.

 

 

13

II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld dem Kläger zusteht. Vielmehr hat die in Polen lebende Kindsmutter einen vorrangigen Anspruch auf Kindergeld.

 

 

14

1. Der Anspruch auf Kindergeld nach den Vorschriften des EStG setzt gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG u.a. voraus, dass der Berechtigte einen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung - AO - ) oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland hat. Kindergeldrechtlich zu berücksichtigen sind u.a. Kinder, die - wie der Sohn des Klägers - einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG).

 

 

15

Im Streitfall sind die Anspruchsvoraussetzungen nach den nationalen Rechtsvorschriften in der Person des Klägers und nicht in der seiner geschiedenen Ehefrau erfüllt. Letztere lebt in Polen und hat in Deutschland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt.

 

 

16

2. Dennoch ist die Kindsmutter vorrangig anspruchsberechtigt. Denn nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Die Vorschrift ist anzuwenden, da gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 zu unterstellen ist, dass die Kindsmutter zusammen mit dem Sohn in einem eigenen Haushalt in Deutschland lebt.

 

 

17

a) Es handelt sich um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt mit Unionsbezug, der zur Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 883/2004) sowie der dazu ergangenen Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 führt. Der Kläger fällt - wie auch aus dem EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501 hervorgeht - als deutscher Staatsbürger gemäß Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in deren persönlichen Anwendungsbereich. Ebenso ist der sachliche Anwendungsbereich eröffnet; das Kindergeld ist eine Familienleistung i.S. von Art. 1 Buchst. z, Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004. Auch ist Deutschland der für die Erbringung von Familienleistungen zuständige Mitgliedstaat (Art. 11 Abs. 3 Buchst. a und e der VO Nr. 883/2004).

 

 

18

b) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004, der bestimmt, dass eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats hat, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden, ist - wie auch aus dem EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501 hervorgeht - im Streitfall ungeachtet dessen anzuwenden, dass es bereits nach nationalem Recht nicht darauf ankommt, ob das Kind seinen Wohnsitz im Inland oder in einem EU-Mitgliedstaat hat (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG). Zu den „beteiligten Personen“ i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 gehören die Familienangehörigen i.S. des Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i der VO Nr. 883/2004. Darunter sind neben den Eltern und dem Kind alle Personen zu verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf Familienleistungen zu erheben (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501).

 

 

19

c) Aufgrund der Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 lässt sich nach dem EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501„nicht ausschließen“, dass ein Elternteil, der in einem anderen als dem zur Gewährung von Familienleistungen verpflichteten Mitgliedstaat wohnt, diejenige Person ist, die zum Bezug dieser Leistungen berechtigt ist. Dies ist der Fall, wenn - wie nach deutscher Rechtslage - bei konkurrierenden Ansprüchen derjenige Elternteil vorrangig kindergeldberechtigt ist, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).

 

 

20

d) Aus dem EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501 ist auch zu ersehen, dass das Fehlen eines im EU-Ausland gestellten Antrags auf Familienleistungen nicht dazu führt, dass die Fiktionswirkung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 entfällt. Die Verpflichtung des zur Erbringung von Familienleistungen zuständigen Mitgliedstaats gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009, den im Inland gestellten Antrag auf Kindergeld zu berücksichtigen, bedeutet nicht, dass bei fehlender Antragstellung im Ausland der Anspruch auf den Elternteil übergeht, der im Inland das Kindergeld beantragt hat.

 

 

21

3. Somit ist gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 zu fingieren, dass die geschiedene Ehefrau des Klägers zusammen mit dem gemeinsamen Kind in einem eigenen Haushalt in Deutschland lebt. Damit ist sie nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig kindergeldberechtigt, solange die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach in der Person des Klägers erfüllt sind. Diesem steht der Anspruch auf Kindergeld im streitigen Zeitraum nicht zu.

 

 

22

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 1 FGO.

 

Anmerkung RA Dr. Bürkle

Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Aufgrund dieser Fiktion lässt sich nach dem EuGH-Urteil vom 22.10.2015, C-378/14, Trapkowski = SIS 15 28 09, DStRE 2015, S. 1501 „nicht ausschließen“, dass ein Elternteil, der in einem anderen als dem zur Gewährung von Familienleistungen verpflichteten Mitgliedstaat wohnt, diejenige Person ist, die zum Bezug dieser Leistungen berechtigt ist. Dies ist der Fall, wenn – wie nach deutscher Rechtslage – bei konkurrierenden Ansprüchen derjenige Elternteil vorrangig kindergeldberechtigt ist, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).

 

Aus dem EuGH-Urteil vom 22.10.2015, C-378/14, Trapkowski = SIS 15 28 09, DStRE 2015, S. 1501 ist auch zu ersehen, dass das Fehlen eines im EU-Ausland gestellten Antrags auf Familienleistungen nicht dazu führt, dass die Fiktionswirkung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 entfällt. Die Verpflichtung des zur Erbringung von Familienleistungen zuständigen Mitgliedstaats gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009, den im Inland gestellten Antrag auf Kindergeld zu berücksichtigen, bedeutet nicht, dass bei fehlender Antragstellung im Ausland der Anspruch auf den Elternteil übergeht, der im Inland das Kindergeld beantragt hat. Der BFH folgt in seiner Entscheidung, die von allgemeiner Bedeutung für alle Fälle ist, in denen die Eltern eines Kindes in unterschiedlichen EU-Staaten leben und in keinem EU-Staat ein gemeinsamer Haushalt der Eltern und des Kindes besteht, somit der vorangegangenen Beurteilung durch den EuGH.