Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 1.2.2013 4 K 997/12 Kg = SIS 13 12 40 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Münster
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des
Revisionsverfahrens übertragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist ruandischer Staatsangehöriger und lebt in
der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Er ist anerkannter
Flüchtling i.S. des Abkommens über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge vom 28.7.1951 (BGBl II 1953, 560) und im Besitz
einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis. Der Kläger ist
seit Mai 2011 sozialversicherungspflichtig beschäftigt, seit
November 2011 unbefristet.
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Der Kläger erkannte mit notarieller
Urkunde vom 17.10.2011 die Vaterschaft der im Oktober 2011 in
Belgien geborenen L an, die bei der Kindsmutter in Belgien lebt.
Die Kindsmutter bezieht seit der Geburt Kindergeld in Belgien in
Höhe von monatlich 86,77 EUR.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) lehnte mit Bescheid vom 5.12.2011 den Antrag des
Klägers auf Festsetzung von Kindergeld für L ab. Zur
Begründung führte die Familienkasse aus, die Kindsmutter
habe L in ihren Haushalt aufgenommen. Der Einspruch blieb ohne
Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 21.2.2012).
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Mit der hiergegen gerichteten Klage
begehrte der Kläger Differenzkindergeld für L in
Höhe von monatlich 97,23 EUR. Das Finanzgericht (FG) gab der
Klage mit dem in EFG 2013, 709 = SIS 13 12 40 veröffentlichten
Urteil statt. Es verpflichtete die Familienkasse zur Festsetzung
des beantragten Differenzkindergeldes für den Zeitraum Oktober
2011 bis Februar 2012.
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Mit der vom FG zugelassenen Revision
rügt die Familienkasse die sich aus einer unzutreffenden
Auslegung des § 64 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
ergebende Verletzung materiellen Rechts. Bei der Beurteilung des
vorliegenden Sachverhalts sei nach Art. 67 Satz 1 der Verordnung
(EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
(Amtsblatt der Europäischen Union - ABlEU - 2004 Nr. L 166, S.
1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung -
VO Nr. 883/2004 (Grundverordnung) - i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2
der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten
für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004
über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
(ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1) in der für den Streitzeitraum
maßgeblichen Fassung - VO Nr. 987/2009
(Durchführungsverordnung) - zu unterstellen, dass die
Kindsmutter mit dem Kind in Deutschland lebt. Die Kindsmutter sei
somit gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig
kindergeldberechtigt.
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Die Familienkasse beantragt, das Urteil des
FG Münster vom 1.2.2013 4 K 997/12 Kg aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Mit Beschluss vom 12.1.2015 hat der
Bundesfinanzhof das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des
Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das bei
ihm anhängige Vorabentscheidungsersuchen C-378/14 angeordnet.
Der EuGH hat mit Urteil Trapkowski vom 22.10.2015 C-378/14
über die Vorlagefragen entschieden (EU:C:2015:720 = SIS 15 28 09, Deutsches Steuerrecht/ Entscheidungsdienst - DStRE - 2015,
1501).
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Streitsache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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Das FG hat seinem Urteil zu Unrecht die
Rechtsauffassung zugrunde gelegt, eine vorrangige
Anspruchsberechtigung der Kindsmutter komme mangels Wohnsitzes oder
gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland nicht in Betracht. Es
ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger nach
nationalem Recht (§ 62 EStG) anspruchsberechtigt ist (dazu
1.). Die Kindsmutter könnte aber nach § 64 Abs. 2 Satz 1
EStG vorrangig anspruchsberechtigt sein, da sie L in ihren Haushalt
aufgenommen hat und nach Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 i.V.m.
Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 die Wohnsituation der
Kindsmutter (fiktiv) in das Inland übertragen wird (dazu 2.
bis 4.). Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, da der Senat nicht
abschließend beurteilen kann, ob auch die übrigen
Voraussetzungen für einen vorrangigen Kindergeldanspruch der
Kindsmutter erfüllt sind (dazu 5.).
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1. Der Kläger erfüllt die
Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1
i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 32 Abs. 1 Nr.
1, Abs. 3 EStG. Dies wurde - für den Senat bindend (vgl.
§ 118 Abs. 2 FGO) - vom FG festgestellt. Unerheblich ist, dass
L ihren Wohnsitz in Belgien hat (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).
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2. Die Kindsmutter könnte allerdings nach
§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG für den Fall, dass sie eine
freizügigkeitsberechtigte Ausländerin ist oder die
Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG vorliegen, vorrangig
anspruchsberechtigt sein. Denn gemäß Art. 67 der VO Nr.
883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist zu
unterstellen, dass sie mit L in Deutschland wohnt.
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a) Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für
jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren
Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind
in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1
EStG).
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b) Die Anspruchsberechtigung der Kindsmutter
könnte sich im Streitfall aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG
ergeben. Zwar liegt der nach dieser Vorschrift erforderliche
Inlandswohnsitz tatsächlich nicht vor. Es finden jedoch die
Vorschriften der VO Nr. 883/2004 und der VO Nr. 987/2009 Anwendung.
Dadurch wird gemäß Art. 67 der VO Nr. 883/2004 i.V.m.
Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ein Inlandswohnsitz der
Kindsmutter fingiert.
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3. Der Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004
ist im Streitfall eröffnet und Deutschland danach der
zuständige Mitgliedstaat.
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a) Der Kläger ist Flüchtling i.S.
des Art. 1 Buchst. g der VO Nr. 883/2004 und fällt damit nach
Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in den persönlichen
Anwendungsbereich der Grundverordnung. Ebenso ist das Kindergeld
nach dem EStG eine Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. z der
VO Nr. 883/2004, weshalb auch deren sachlicher Anwendungsbereich
nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004 eröffnet
ist.
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b) Gemäß Art. 11 Abs. 1 der VO Nr.
883/2004 unterliegen die von der Verordnung erfassten Personen den
Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Da der Kläger im
Streitzeitraum eine Beschäftigung in Deutschland ausgeübt
hat, unterlag er den deutschen Rechtsvorschriften (Art. 11 Abs. 3
Buchst. a der VO Nr. 883/2004).
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4. Aus Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004
i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 folgt, dass die
Wohnsituation der Kindsmutter (fiktiv) in das Inland
übertragen wird. Zur weiteren Begründung wird insoweit
zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die
Entscheidungsgründe des Senatsurteils vom 28.4.2016 III R
68/13 (BFH/NV 2016, 1514 = SIS 16 17 28, unter III.4., m.w.N.)
Bezug genommen.
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5. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Auf
der Grundlage der vom FG festgestellten Tatsachen kann der Senat
nicht abschließend beurteilen, ob die Kindsmutter neben dem
Wohnsitzerfordernis auch die übrigen Voraussetzungen für
einen vorrangigen Kindergeldanspruch erfüllt. Das FG hat keine
Feststellungen dazu getroffen, ob die Kindsmutter eine (nicht)
freizügigkeitsberechtigte Ausländerin i.S. des § 62
Abs. 2 EStG ist. Die dazu erforderlichen Feststellungen sind im
zweiten Rechtsgang nachzuholen.
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6. Für den zweiten Rechtsgang weist der
Senat auf Folgendes hin:
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a) Sollte die Kindsmutter eine
freizügigkeitsberechtigte Ausländerin sein, folgte ein
vorrangiger Anspruch des Klägers nicht aus § 64 Abs. 2
Satz 2 EStG; denn diese Bestimmung setzte einen gemeinsamen
Haushalt zwischen dem Kläger und der Kindsmutter voraus. Nach
den Feststellungen des FG unterhielten der Kläger und die
Kindsmutter jedoch keinen gemeinsamen Haushalt. Ein gemeinsamer
Haushalt könnte sich auch nicht aus der Fiktionswirkung des
Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ergeben. Der Anspruch der
Kindsmutter wäre demnach nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG
vorrangig, da nur bei dieser, nicht dagegen beim Kläger eine
Haushaltsaufnahme der L vorliegt.
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Es käme auch nicht darauf an, ob die
Kindsmutter selbst einen Antrag auf Kindergeld in Deutschland
gestellt hat. Insoweit wird zur weiteren Begründung auf die
Entscheidungsgründe des Senatsurteils in BFH/NV 2016, 1514 =
SIS 16 17 28 (unter III.6., m.w.N.) Bezug genommen.
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b) Sollte die Kindsmutter eine nicht
freizügigkeitsberechtigte Ausländerin sein - worauf die
bei der Gerichtsakte befindliche Geburtsurkunde hindeuten
könnte (vgl. FG-Akte Bl. 32) -, müsste sie für eine
vorrangige Anspruchsberechtigung die Voraussetzungen i.S. des
§ 62 Abs. 2 EStG erfüllen. Denn Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der
VO Nr. 987/2009 schafft eine gesetzliche Fiktion nur dahin, dass
bei Anwendung der Koordinierungsregelungen der Grundverordnung die
Situation der gesamten Familie in einer Weise berücksichtigt
wird, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften
des für die Gewährung der Familienleistungen
zuständigen Mitgliedstaats fielen und dort wohnten
(Senatsurteil in BFH/NV 2016, 1514 = SIS 16 17 28, unter III.4.a).
Wie auch aus dem EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 39, 41
hervorgeht, kann diese Fiktion einen Anspruch auf
Familienleistungen des in dem anderen EU-Mitgliedstaat lebenden
Familienangehörigen aber nur dann begründen, wenn
„alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen
Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt
sind“.
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7. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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