Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Düsseldorf vom 23.9.2013 7 K 1549/13 = SIS 14 26 49 E aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu
tragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) wurde für das Streitjahr (2011) einzeln zur
Einkommensteuer veranlagt.
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Die 1976 geborene Ehefrau (E) des
Klägers erkrankte an Krebs. Der Kläger hatte mit E zwei
gemeinsame Kinder, die 1999 geborene Tochter J und die 2002
geborene Tochter F. E verstarb im August 2006 an den Folgen ihres
Krebsleidens.
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Der Kläger, J, F und die
Erbengemeinschaft nach E, bestehend aus dem Kläger sowie J und
F, nahmen den Frauenarzt der E, Dr. A, mit Klageschrift vom
28.1.2011 auf Schadensersatz wegen eines von ihnen geltend
gemachten Behandlungsfehlers in Anspruch. Sie begehrten
Schmerzensgeld sowie die Feststellung, dass ihnen sämtliche
materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten seien, die
ihnen aus Anlass der bei E in der Zeit ab August 2001
durchgeführten Behandlung entstanden seien oder entstehen
würden, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte
übergegangen seien.
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Der Kläger machte in seiner
Einkommensteuererklärung von ihm im Streitjahr gezahlte Kosten
des Zivilprozesses gegen Dr. A in Höhe von insgesamt 12.137,50
EUR geltend, die sich wie folgt zusammensetzten: Gerichtskosten
(4.068 EUR und 2.550 EUR), Rechtsanwaltskosten (1.519,50 EUR) und
Sachverständigenkosten (4.000 EUR).
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) erkannte die Aufwendungen auch im
Einspruchsverfahren nicht als außergewöhnliche
Belastungen an.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Kosten eines Zivilprozesses könnten unabhängig vom
Gegenstand des Rechtsstreits aus rechtlichen Gründen
zwangsläufig entstehen. Voraussetzung für den Abzug der
Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung sei, dass
sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den
Prozess eingelassen habe. Im Streitfall sei die Rechtsverfolgung
durch den Kläger nicht von vornherein aussichtslos und auch
nicht mutwillig gewesen. Nach den vom Kläger eingereichten
Unterlagen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das
Landgericht (LG) ein Sachverständigengutachten in Auftrag
gegeben habe, sei der Erfolg des Rechtsstreits mindestens ebenso
wahrscheinlich wie der Misserfolg. Die geltend gemachten
Aufwendungen seien auch der Höhe nach notwendig und angemessen
gewesen. Sie seien daher als außergewöhnliche Belastung
im Veranlagungszeitraum der Verausgabung steuermindernd zu
berücksichtigen.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt, das Urteil des FG
Düsseldorf vom 23.9.2013 7 K 1549/13 E aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Unrecht die vom
Kläger aufgewandten Zivilprozesskosten als
außergewöhnliche Belastungen steuermindernd
berücksichtigt.
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1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen
zwangsläufig größere Aufwendungen als der
überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes
(außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die
Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33
Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - ). Gemäß
§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen
Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen,
tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen
kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig
sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des
§ 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für
den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die
sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen
Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem
Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen
die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in
Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten
sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29.9.1989 III R 129/86, BFHE 158, 380,
BStBl II 1990, 418 = SIS 89 24 01, und vom 26.6.2014 VI R 51/13,
BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9 = SIS 14 27 71).
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2. Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach
nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung
gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22.8.1958 VI
148/57 U, BFHE 67, 379, BStBl III 1958, 419 = SIS 58 02 48;
BFH-Urteile vom 18.7.1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II
1986, 745 = SIS 86 18 07; vom 9.5.1996 III R 224/94, BFHE 181, 12,
BStBl II 1996, 596 = SIS 96 23 02; vom 4.12.2001 III R 31/00, BFHE
198, 94, BStBl II 2002, 382 = SIS 02 08 18; vom 18.3.2004 III R
24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726 = SIS 04 22 35, und vom
27.8.2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553 = SIS 09 08 88). Solche
Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die
Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat
verursachende Ereignis zwangsläufig war (BFH-Urteil in BFHE
181, 12, BStBl II 1996, 596 = SIS 96 23 02). Daran fehlte es nach
der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess
(BFH-Urteile in BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726 = SIS 04 22 35,
und in BFH/NV 2009, 553 = SIS 09 08 88). Als zwangsläufige
Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an,
wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den
Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der
Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine
Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen
Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen
zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten
gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (BFH-Urteile in
BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596 = SIS 96 23 02, und in BFH/NV
2009, 553 = SIS 09 08 88).
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Demgegenüber nahm der Senat in seinem
Urteil vom 12.5.2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015
= SIS 11 22 60) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter
der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung
hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig
erscheine. Diese Auffassung hat auch das FG dem angefochtenen
Urteil zugrunde gelegt.
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Der Senat hält an seiner in dem Urteil in
BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 = SIS 11 22 60 vertretenen
Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom
18.6.2015 VI R 17/14 (BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800 = SIS 15 18 42) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in
BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 = SIS 11 22 60 vertretenen
Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des BFH zur
Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als
außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der
Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in BFHE 250, 153, BStBl II
2015, 800 = SIS 15 18 42 Bezug genommen.
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3. Nach diesen Maßstäben ist auch
im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten
für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als
außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen
sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als
der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich
menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne
den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und
seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen
Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der
Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus
rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein,
einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten
zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG
erwachsen.
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a) Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher
keinen Bestand.
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b) Der Senat kann aufgrund der vom FG
getroffenen tatsächlichen Feststellungen in der Sache selbst
entscheiden. Die vom Kläger getragenen Prozesskosten sind im
Ergebnis nicht als außergewöhnliche Belastungen
steuermindernd zu berücksichtigen.
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Die Kläger des Zivilprozesses begehrten
in dem Verfahren vor dem LG nach dem vom FG festgestellten Inhalt
der Klageschrift Schmerzensgeld und die Feststellung, dass Dr. A
verpflichtet sei, ihnen sämtliche materiellen und
immateriellen Schäden zu erstatten, die ihnen aus Anlass der
bei E in der Zeit ab August 2001 durchgeführten Behandlung
entstanden seien bzw. entstehen würden, soweit die
Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen seien.
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aa) Die geltend gemachten Ansprüche wegen
immaterieller Schäden betrafen weder hinsichtlich der
Zahlungs- noch der Feststellungsklage existenziell wichtige
Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens. Der Kläger
lief ohne die Geltendmachung dieser Ansprüche nicht Gefahr,
die Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen
Bedürfnisse und die seiner Kinder in dem üblichen Rahmen
nicht mehr befriedigen zu können. Schmerzensgeldansprüche
sollen den dem Geschädigten entstandenen immateriellen Schaden
ausgleichen. Schmerzensgeld kann nur für
Nichtvermögensschäden verlangt werden. Der Verletzte soll
einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten
(Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Aufl.,
§ 253 Rz 4, m.w.N.). Für die Bemessung des
Schmerzensgeldes ist in erster Linie die Höhe und das
Maß der Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen
(Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen des
Bundesgerichtshofs vom 6.7.1955 GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157).
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Ansprüche wegen immaterieller
Schäden betreffen aber nicht den existenziellen Bereich i.S.
des § 33 EStG, auch wenn sie auf den Ausgleich von
Nichtvermögensschäden durch eine Beeinträchtigung
der körperlichen Gesundheit gerichtet sind (ebenso FG
Münster, Urteil vom 30.3.2006 3 K
5739/03 E, EFG 2006, 1907 = SIS 06 39 69). Sie mögen zwar von erheblicher wirtschaftlicher, nicht
aber von existenzieller Bedeutung sein.
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bb) Soweit die Klage vor dem LG auf
Feststellung der Schadensersatzpflicht für materielle
Schäden gerichtet war, kann der Senat dahin stehen lassen, ob
die Prozesskosten dem Grunde nach als außergewöhnliche
Belastungen zu beurteilen sind. Selbst wenn dies der Fall
wäre, kommt eine steuermindernde Berücksichtigung dieser
Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung im Ergebnis
nicht in Betracht.
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Denn der Anteilsatz der als
außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigenden
Aufwendungen ermittelt sich bei Prozesskosten dadurch, dass der
Streitwert der Klageanträge, soweit sie einen existenziell
wichtigen Bereich betreffen, zur Summe der Streitwerte aller
Klageanträge ins Verhältnis gesetzt wird (BFH-Urteil in
BFH/NV 2009, 553 = SIS 09 08 88).
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Selbst wenn der Senat revisionsrechtlich
mangels gegenteiliger Feststellungen der Vorinstanz zugunsten des
Klägers annähme, dass der Streitwert der
Feststellungsanträge vollständig dem materiellen
Schadensersatz zuzurechnen wäre und einen existenziell
wichtigen Bereich berühren würde, ergäbe sich nach
den eigenen Angaben des Klägers in der Klageschrift zu den
Streitwerten im Zivilprozess ein Anteil der
Feststellungsanträge zu allen Klageanträgen von 22.000
EUR zu 184.000 EUR, also von 11,96 %.
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Hiernach wäre von den insgesamt geltend
gemachten Zivilprozesskosten in Höhe von 12.137,50 EUR
lediglich ein Anteil von 1.451,65 EUR (11,96 % x 12.137,50 EUR) als
außergewöhnliche Belastung anzusetzen. Nach Abzug der
zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG in
Höhe von 4 % des Gesamtbetrages der Einkünfte (4 % x
190.316 EUR = 7.612 EUR) und der bei der Einkommensteuerfestsetzung
bereits anerkannten außergewöhnlichen Belastungen von 65
EUR sind dementsprechend keine außergewöhnlichen
Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
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