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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist katholischer Geistlicher. Er wirkt seit September
2007 als Pfarrer in W und erzielt aus dieser Tätigkeit
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Mit der
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2007 machte
er u.a. Aufwendungen für ein im Obergeschoss des Pfarrhofes in
W gelegenes häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 635 EUR
als Werbungskosten geltend. Dies lehnte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) mit der Begründung
ab, dem Kläger habe im Erdgeschoss des Pfarrhauses ein
Arbeitszimmer zur Verfügung gestanden.
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Im Klageverfahren legte der Kläger
einen Grundriss des Erdgeschosses des Pfarrhofes vor. Danach
befinden sich im Erdgeschoss neben dem von den Sekretärinnen
genutzten Pfarrbüro u.a. ein Registraturraum, Archivraum,
Konferenzraum und ein als Abstellraum genutztes sog. Amtszimmer.
Nach einer ebenfalls im Klageverfahren vorgelegten Bescheinigung
des Bischöflichen Ordinariats der Diözese ... vom
10.5.2011 heißt es u.a.:
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„Im Pfarrhof befinden sich neben der
Wohnung des Pfarrers u.a. ein Pfarrbüro sowie ein Amtszimmer,
welches als dienstliches Arbeitszimmer zur Verfügung steht.
Zum Amtszimmer trägt Pfarrer ... vor, dass dieses Amtszimmer
wegen Baumängel nicht als Arbeitszimmer nutzbar
sei.“
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Der Kläger machte geltend, das
Amtszimmer sei im Zuge der im Streitjahr durchgeführten
Pfarrhofrenovierung nicht renoviert worden. Das Zimmer sei von
seinen Vorgängern nie als Amtszimmer genutzt worden. Es sei
wegen Baumängeln als Arbeitszimmer nicht nutzbar und diene
lediglich als Abstellraum. Es bestehe Gesundheitsgefahr.
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Das Finanzgericht (FG) hat die Klage aus
den in EFG 2012, 1047 = SIS 12 12 03 veröffentlichten
Gründen abgewiesen. Es entschied, dass dem Kläger im
Pfarrhof ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden
habe. Zur Begründung verwies das FG darauf, dass der
Kläger über die Nutzung der einzelnen Räume
entscheiden könne und somit die Möglichkeit gehabt habe,
ein Zimmer für sich zu reservieren, um dieses als
Arbeitszimmer nutzen zu können.
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Der Kläger rügt mit seiner
Revision die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
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Er beantragt sinngemäß, das
angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid
für 2007 dahingehend abzuändern, dass die Einkünfte
aus nichtselbständiger Arbeit um 431 EUR niedriger festgesetzt
werden.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG ist zu Unrecht
davon ausgegangen, dass für die berufliche Tätigkeit des
Klägers ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand.
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1. Gemäß § 9 Abs. 5 i.V.m.
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 des Einkommensteuergesetzes
i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) vom 8.12.2010
(EStG) kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein
häusliches Arbeitszimmer nicht als Werbungskosten abziehen.
Dies gilt gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2
EStG nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche
Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht.
In diesem Fall ist die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf
1.250 EUR begrenzt; allerdings gilt gemäß § 4 Abs.
5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 EStG die Beschränkung der Höhe
nach nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten
betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.
Gemäß § 52 Abs. 12 Satz 9 EStG gilt die mit dem
JStG 2010 geschaffene Neuregelung für alle offenen Fälle
ab dem Veranlagungszeitraum 2007.
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a) Ein „anderer
Arbeitsplatz“ im Sinne der Abzugsbeschränkung ist
grundsätzlich jeder Arbeitsplatz, der zur Erledigung
büromäßiger Arbeiten geeignet ist. Weitere
Anforderungen an seine Beschaffenheit sind grundsätzlich nicht
zu stellen. Er steht aber nur dann „für die
betriebliche oder berufliche Tätigkeit ... zur
Verfügung“, wenn ihn der Steuerpflichtige in dem
konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art
und Weise tatsächlich nutzen kann (ständige
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - ; grundlegend
Senatsurteil vom 7.8.2003 VI R 17/01, BFHE 203, 130, BStBl II 2004,
78 = SIS 03 45 01; s. auch Senatsurteil vom 5.10.2011 VI R 91/10,
BFHE 235, 372, BStBl II 2012, 127 = SIS 11 39 44, m.w.N.).
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b) Die Frage, ob ein Steuerpflichtiger seinen
anderen Arbeitsplatz in dem konkret erforderlichen Umfang und in
der konkret erforderlichen Art und Weise nutzen kann, betrifft die
Tatsachenfeststellung. Sie muss von den Finanzgerichten anhand der
objektiven Umstände des konkreten Einzelfalls beantwortet
werden. An die entsprechende Tatsachenwürdigung ist das
Revisionsgericht grundsätzlich gebunden (§ 118 Abs. 2
FGO; Senatsentscheidung in BFHE 235, 372, BStBl II 2012, 127 = SIS 11 39 44).
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2. Die Feststellungen des FG lassen nicht den
Schluss zu, dass dem Kläger nach diesen Grundsätzen ein
anderer Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden hat. Nach der vom
FG in Bezug genommenen „Bestätigung“ des
Bischöflichen Ordinariats der Diözese ... vom 10.5.2011
steht dem Kläger zwar das Amtszimmer als dienstliches
Arbeitszimmer zur Verfügung. Das FG hat jedoch nicht
festgestellt, ob dieser Raum zur Erledigung
büromäßiger Arbeiten tatsächlich geeignet ist
und der Kläger ihn insoweit auch nutzen kann, was dieser im
Übrigen bestreitet.
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Soweit das FG diese Frage im Ergebnis offen
gelassen hat, weil der Kläger die Möglichkeit gehabt
habe, ein (anderes) Zimmer im Erdgeschoss des Pfarrhofes für
sich als Arbeitszimmer zu reservieren, kann dem nicht gefolgt
werden. Denn zum einen hat nach den bisherigen Feststellungen der
Arbeitgeber dem Kläger das Amtszimmer und nicht andere
Räume tatsächlich zur Verfügung gestellt. Zum
anderen hat der Arbeitnehmer bei der Inanspruchnahme und
Ausgestaltung eines „anderen Arbeitsplatzes“ das
Direktionsrecht des Arbeitgebers zu beachten. Ein „anderer
Arbeitsplatz“ steht daher i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1
Nr. 6b Satz 2 EStG erst dann zur Verfügung, wenn der
Arbeitgeber entsprechend verfügt hat (zur Rechtslage bei
selbständig tätigen Steuerpflichtigen s. BFH-Urteil vom
20.11.2003 IV R 30/03, BFHE 204, 176, BStBl II 2004, 775 = SIS 04 06 09). Im Übrigen hat das FG zur Geeignetheit der anderen
Räume im Erdgeschoss des Pfarrhofes für
büromäßige Arbeiten keine Feststellungen
getroffen.
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Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen
ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist
nicht spruchreif.
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Das FG wird im zweiten Rechtsgang
Feststellungen zur Beschaffenheit des Amtszimmers treffen und
insoweit klären müssen, ob dieser Raum tatsächlich
zur Erledigung büromäßiger Arbeiten geeignet ist.
Das ist u.a. dann nicht der Fall, wenn, wie der Kläger geltend
macht, wegen Gesundheitsgefährdung Sanierungsbedarf besteht.
Sollte das FG im zweiten Rechtsgang Feststellungen dahingehend
treffen, dass dem Kläger nicht nur das sog. Amtszimmer,
sondern ein Zimmer seiner Wahl als „anderer
Arbeitsplatz“ zur Verfügung stand, wird es auch auf
die Beschaffenheit dieser Räume ankommen.
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3. Der Senat muss nicht entscheiden, ob dem FG
der vom Kläger gerügte Verfahrensfehler unterlaufen ist.
Der Kläger hat seine Revision auch auf die Verletzung
materiellen Rechts gestützt. In einem solchen Fall muss der
BFH das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf die Verletzung
revisiblen Rechts prüfen, ohne dabei an die vorgebrachten
Revisionsgründe gebunden zu sein (Senatsurteil vom 21.1.2010 VI R 51/08, BFHE 228, 85, BStBl II
2010, 700 = SIS 10 05 61;
Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz
73). Da die Revision aus anderen Gründen zur Aufhebung der
Vorentscheidung führt, muss der Senat nicht noch darüber
entscheiden, ob der Kläger auch infolge eines
Verfahrensfehlers in seinen Rechten verletzt ist.
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