Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 1.3.2016 4 K
362/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
1
|
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig,
ob Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in den
Streitjahren (2010 bis 2012) als Betriebsausgaben abzugsfähig
sind.
|
|
|
2
|
Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) war in den Streitjahren als selbständiger
Logopäde mit vier Angestellten in angemieteten Räumen in
S. und H. tätig. Im Rahmen seiner Gewinnermittlungen für
die Einkommensteuererklärungen machte er Aufwendungen für
ein häusliches Arbeitszimmer geltend.
|
|
|
3
|
Im Anschluss an eine
Außenprüfung erkannte der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) die Aufwendungen
für das häusliche Arbeitszimmer nicht als
Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b des
Einkommensteuergesetzes (EStG) an.
|
|
|
4
|
Gegen die geänderten
Einkommensteuerbescheide wandte sich der Kläger ohne Erfolg
mit Einspruch.
|
|
|
5
|
Mit der Klage macht der Kläger
geltend, in den Praxen befänden sich ausschließlich
durch die Angestellten genutzte Behandlungsräume. Zwar seien
diese auch mit Tischen, Computern und teilweise mit
Aktenschränken ausgestattet, stünden ihm jedoch nicht zur
konkreten Erledigung aller betrieblichen und beruflichen
Schreibtischtätigkeiten zur Verfügung. Die Tische und
Aktenschränke enthielten Patientenunterlagen für die
laufenden Behandlungen, dienten ausschließlich Behandlungs-
und Therapiezwecken und würden nur von den Angestellten
genutzt. Während der laufenden Behandlungen seien dort
Verwaltungsarbeiten nicht möglich, da sie etwa bei taggenauen
Patientenabrechnungen auch während der
Praxisöffnungszeiten verrichtet werden müssten.
Andernfalls seien vertrauliche Daten dem Zugriff der Mitarbeiter
ausgesetzt. Auch sei es nicht zumutbar, die erforderlichen
Büroarbeiten immer nach Dienstschluss
durchzuführen.
|
|
|
6
|
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
den in EFG 2016, 1154 = SIS 16 12 92 veröffentlichten
Gründen statt.
|
|
|
7
|
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
|
|
|
8
|
Zur Begründung führt das FA aus,
dass ein „anderer Arbeitsplatz“ i.S. des § 4 Abs.
5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG grundsätzlich jeder Arbeitsplatz
sei, der zur Erledigung büromäßiger Arbeiten
geeignet sei. Weitere Anforderungen an die Beschaffenheit des
Arbeitsplatzes seien nicht zu stellen. Nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung indiziere der
Schreibtischarbeitsplatz eines Selbständigen, dass ihm dieser
Arbeitsplatz für alle Aufgabenbereiche seiner
Erwerbstätigkeit zur Verfügung stehe (BFH-Urteile vom
20.11.2003 IV R 30/03, BFHE 204, 176, BStBl II 2004, 775 = SIS 04 06 09; vom 7.8.2003 VI R 17/01, BFHE 203, 130, BStBl II 2004, 78 =
SIS 03 45 01). Die Räumlichkeiten in den Praxen seien
grundsätzlich als Büroarbeitsplatz geeignet, weil diese
mit Computerarbeitsplätzen und teilweise mit
Aktenschränken ausgestattet seien. Darüber hinaus
verfüge mindestens ein Raum in der Praxis über eine
büromäßige Ausstattung. Des Weiteren würden
nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Behandlungen der Patienten
zu üblichen Praxisöffnungszeiten durchgeführt,
verwaltungstechnische und organisatorische Arbeiten dagegen
regelmäßig außerhalb der
Praxisöffnungszeiten. Die Nutzung der Praxisräume
für bürotechnische Aufgaben sei dem Kläger auch
zumutbar. Nach dem BFH-Beschluss vom 14.4.2004 VI R 43/02 (BFH/NV
2004, 1102 = SIS 04 30 30) stehe der andere Arbeitsplatz auch dann
zur Verfügung, wenn sich der Arbeitnehmer den Zugang am
Wochenende oder nach Feierabend zumutbar verschaffen könne.
Zudem sei einem Selbständigen grundsätzlich zumutbar,
Unterlagen, Geschäftspapiere und Literatur jeweils aus dem
häuslichen Arbeitszimmer in die Praxis zu verbringen
(BFH-Urteil vom 7.4.2005 IV R 43/03, BFH/NV 2005, 1541 = SIS 05 36 94).
|
|
|
9
|
Das FA beantragt, das Urteil aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
|
|
|
10
|
Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
11
|
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
|
|
|
12
|
Die Entscheidung des FG, dass dem Kläger
ein Betriebsausgabenabzug für das häusliche Arbeitszimmer
zusteht, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
|
|
|
13
|
1. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1
EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein
häusliches Arbeitszimmer nicht als Betriebsausgaben abziehen.
Dies gilt nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche
Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht
(§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG). In diesem Fall wird
die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 EUR begrenzt;
die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das
Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und
beruflichen Betätigung bildet (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b
Satz 3 EStG).
|
|
|
14
|
Im vorliegenden Fall ist zwischen den
Beteiligten nicht streitig, dass die geltend gemachten Aufwendungen
ein häusliches Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1
Nr. 6b Satz 1 EStG betreffen, welches nicht den Mittelpunkt der
betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Klägers
darstellt.
|
|
|
15
|
2. Dem Kläger stand kein
„anderer Arbeitsplatz“ i.S. des § 4 Abs. 5
Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG zur Verfügung.
|
|
|
16
|
a) „Anderer Arbeitsplatz“
i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG ist
grundsätzlich jeder Arbeitsplatz, der zur Erledigung
büromäßiger Arbeiten geeignet ist. Weitere
Anforderungen an die Beschaffenheit des Arbeitsplatzes sind nicht
zu stellen. Die Abzugsbeschränkung setzt insbesondere keinen
eigenen, räumlich abgeschlossenen Arbeitsbereich voraus. Auch
ein Raum, den sich der Steuerpflichtige mit weiteren Personen
teilt, kann ein anderer Arbeitsplatz im Sinne der
Abzugsbeschränkung sein (BFH-Urteil vom 26.2.2014 VI R 37/13,
BFHE 245, 22, BStBl II 2014, 570 = SIS 14 15 53, Rz 12).
|
|
|
17
|
b) Der andere Arbeitsplatz muss aber so
beschaffen sein, dass der Steuerpflichtige auf das häusliche
Arbeitszimmer nicht angewiesen ist (BFH-Urteil vom 26.2.2014 VI R
40/12, BFHE 245, 14, BStBl II 2014, 568 = SIS 14 15 54). Deshalb
steht der andere Arbeitsplatz nur dann „für die
betriebliche und berufliche Tätigkeit ... zur
Verfügung“, wenn ihn der Steuerpflichtige in dem
konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art
und Weise tatsächlich nutzen kann (BFH-Urteile vom 16.9.2015
IX R 19/14, BFH/NV 2016, 380 = SIS 16 02 47, Rz 18; vom 26.2.2014
VI R 11/12, BFHE 245, 150, BStBl II 2014, 674 = SIS 14 18 40, Rz
11, m.w.N.; in BFHE 245, 22, BStBl II 2014, 570 = SIS 14 15 53, und
in BFHE 204, 176, BStBl II 2004, 775 = SIS 04 06 09). Ist die
Nutzung des anderen Arbeitsplatzes hingegen eingeschränkt, so
dass der Steuerpflichtige in seinem häuslichen Arbeitszimmer
einen nicht unerheblichen Teil seiner beruflichen oder
betrieblichen Tätigkeit verrichten muss, kommt das
Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG nach
seinem Sinn und Zweck nicht zum Tragen (BFH-Urteil in BFH/NV 2016,
380 = SIS 16 02 47, Rz 19).
|
|
|
18
|
c) Die Feststellung, ob ein Steuerpflichtiger
seinen anderen Arbeitsplatz in dem konkret erforderlichen Umfang
und in der konkret erforderlichen Art und Weise nutzen kann, hat
das FG im Rahmen einer Gesamtwürdigung der objektiven
Umstände des Einzelfalls zu treffen (§ 118 Abs. 2 FGO;
BFH-Urteile vom 5.10.2011 VI R 91/10, BFHE 235, 372, BStBl II 2012,
127 = SIS 11 39 44, und in BFHE 245, 150, BStBl II 2014, 674 = SIS 14 18 40). Anhaltspunkte können sich sowohl aus der
Beschaffenheit des Arbeitsplatzes selbst (Größe, Lage,
Ausstattung etc.) als auch aus den Rahmenbedingungen der Nutzung
(Ausgestaltung der Nutzung, Verfügbarkeit des Arbeitsplatzes
und Zugang zu dem betreffenden Gebäude etc.) ergeben (vgl.
BFH-Urteile in BFHE 203, 130, BStBl II 2004, 78 = SIS 03 45 01; in
BFHE 204, 176, BStBl II 2004, 775 = SIS 04 06 09). Da der
Selbständige im Gegensatz zum Arbeitnehmer die konkrete
Ausgestaltung und die Art und Weise der Nutzung des anderen
(außerhäuslichen) Arbeitszimmers regelmäßig
selbst bestimmen kann, ist ein häusliches Arbeitszimmer dann
nicht erforderlich, wenn der Selbständige seiner beruflichen
oder betrieblichen Tätigkeit in angemieteten oder in seinem
Eigentum stehenden Räumen nachgeht und „es ihm dort
zumutbar und auf Grund der räumlichen Situation
grundsätzlich auch möglich ist, einen zur Erledigung
aller betrieblichen und beruflichen Schreibtischtätigkeiten
geeigneten, büromäßigen Arbeitsplatz
einzurichten“ (BFH-Urteile in BFHE 204, 176, BStBl II
2004, 775 = SIS 04 06 09, unter II.2.b; in BFH/NV 2005, 1541 = SIS 05 36 94, unter 2.d). Eine etwaige Unzumutbarkeit ergibt sich nicht
allein daraus, dass der Steuerpflichtige nach Feierabend oder am
Wochenende im häuslichen Arbeitszimmer Arbeiten verrichtet,
die er grundsätzlich auch an dem anderen Arbeitsplatz
verrichten könnte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 235, 372, BStBl II
2012, 127 = SIS 11 39 44, Rz 10, m.w.N.).
|
|
|
19
|
3. In Anwendung der vorgenannten
Grundsätze ist die Entscheidung des FG, dem Kläger stand
für seine erforderliche Bürotätigkeit kein
„anderer Arbeitsplatz“ i.S. des § 4 Abs. 5
Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG zur Verfügung, revisionsrechtlich
nicht zu beanstanden.
|
|
|
20
|
a) Der BFH als Revisionsgericht kann die vom
FG vorgenommene Tatsachenwürdigung nur daraufhin
überprüfen, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen
ist und mit den Denkgesetzen und den allgemeinen
Erfahrungssätzen im Einklang stehen. Ist das zu bejahen, ist
die Tatsachenwürdigung selbst dann bindend, wenn sie nicht
zwingend, sondern nur möglich wäre (BFH-Urteil vom
14.12.2011 XI R 33/10, BFH/NV 2012, 1009 = SIS 12 13 60, Rz
31).
|
|
|
21
|
b) Das FG hat im Rahmen seiner
Gesamtwürdigung zutreffend erkannt, dass bei einem
Selbständigen, der grundsätzlich Einfluss auf die
Arbeitsplatzgestaltung in seinen Betriebsräumen hat, allein
aus dem Vorhandensein eines Schreibtischplatzes in einem Praxisraum
nicht zwingend die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass ihm
dieser Arbeitsplatz für alle Aufgabenbereiche seiner
Erwerbstätigkeit zur Verfügung steht. Es hat insbesondere
in Übereinstimmung mit den Rechtsprechungsgrundsätzen auf
die Tätigkeit des Klägers außerhalb der Praxis, die
Größe, die Ausstattung und die konkrete Nutzung der
Praxisräume durch die vier Angestellten sowie auf die
Vertraulichkeit der für die Bürotätigkeit
erforderlichen Unterlagen und den Umfang der Büro- und
Verwaltungstätigkeiten abgestellt. Es hat weiter zu Recht
berücksichtigt, dass sich der Kläger in der in H.
gelegenen Praxis regelmäßig nicht aufgehalten hatte und
die in S. eingerichteten Praxisräume (angesichts der dort
tätigen drei Angestellten) nur eingeschränkt für
Büroarbeiten nutzbar waren. Dadurch unterscheidet sich der
Streitfall von Fällen, in denen ein Selbständiger in
seiner Praxis auch über einen ihm regelmäßig allein
zur Verfügung stehenden Schreibtischarbeitsplatz verfügt,
der für alle Verwaltungsarbeiten genutzt werden kann (vgl.
Urteil des FG Niedersachsen vom 23.5.2007 12 K 506/03, EFG 2007,
1419 = SIS 07 30 18, Rz 28). Das FG konnte schließlich auch
die besondere Ausstattung der Räume (Therapieräume) und
die dadurch eingeschränkte anderweitige
Nutzungsmöglichkeit ebenso in seine Gesamtwürdigung
einbeziehen wie den Umstand, dass die Lohnabrechnungen für
vier Angestellte und die Verbuchung der Einnahmen aus der
Praxistätigkeit jährlich einen entsprechenden
Verwaltungsaufwand und damit verbundenen Zeitaufwand erforderten
und die Praxisräume allenfalls für
Bürotätigkeiten in den Abendstunden oder am Wochenende
außerhalb der Praxisöffnungszeiten hätten genutzt
werden können. Entsprechendes gilt für die Erwägung
des FG, dem Kläger sei es aufgrund der Größe der
Räume und des vorhandenen offenen Praxiskonzepts nicht
zumutbar gewesen, einen weiteren Arbeitsplatz oder einen Raum zur
ausschließlichen Nutzung für Büro- und
Verwaltungstätigkeiten zu Lasten von
Behandlungsmöglichkeiten einzurichten.
|
|
|
22
|
c) Die Würdigung des FG steht entgegen
der Auffassung der Revision auch nicht in Widerspruch zu der
bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Denn danach
stellt nicht jeder Schreibtischarbeitsplatz eines
Selbständigen in seinen Betriebsräumen, den dieser nur in
den Abendstunden oder an den Wochenenden nutzen kann,
zwangsläufig einen anderen Arbeitsplatz i.S. des § 4 Abs.
5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG dar. Auch der selbständig
tätige Steuerpflichtige kann auf ein (zusätzliches)
häusliches Arbeitszimmer angewiesen sein. So steht etwa ein
anderer Arbeitsplatz in den Praxisräumen eines
Selbständigen nicht zur Verfügung, wenn auf Grund der
räumlichen Gegebenheiten der dort befindliche
Schreibtischarbeitsplatz für die Erstellung der konkreten
betrieblichen Tätigkeiten nicht zumutbar genutzt werden kann
(BFH-Urteile in BFHE 204, 176, BStBl II 2004, 775 = SIS 04 06 09,
unter II.3., und in BFH/NV 2005, 1541 = SIS 05 36 94).
|
|
|
23
|
Entsprechendes gilt auch für das vom FA
herangezogene Urteil des BFH in BFH/NV 2005, 1541 = SIS 05 36 94,
wonach einem Selbständigen grundsätzlich zumutbar sei,
Unterlagen, Geschäftspapiere und Literatur jeweils aus dem
häuslichen Arbeitszimmer in die Praxis zu schaffen, sowie
für die BFH-Urteile in BFH/NV 2004, 1102 = SIS 04 30 30 und in
BFHE 235, 372, BStBl II 2012, 127 = SIS 11 39 44, nachdem ein
anderer Arbeitsplatz auch dann zur Verfügung stehen kann, wenn
die Arbeiten im häuslichen Arbeitszimmer nach Feierabend oder
am Wochenende im häuslichen Arbeitszimmer verrichtet werden,
obwohl sie auch an dem anderen Arbeitsplatz verrichtet werden
könnten.
|
|
|
24
|
Aus keiner Entscheidung folgt, dass es einem
Selbständigen immer zumutbar ist, Unterlagen und
Geschäftspapiere jeweils aus dem häuslichen Arbeitszimmer
in die Praxis zu verbringen, selbst wenn in der Praxis keine
geeigneten Räumlichkeiten zur Aufbewahrung vorhanden sind und
diese auch nicht ohne Weiteres geschaffen werden können.
|
|
|
25
|
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 2 FGO.
|