1
|
I. Streitig ist der Zufluss vertraglich
zugesagten, jedoch seit mehreren Jahren nicht zur Auszahlung
gebrachten Urlaubs- und Weihnachtsgelds.
|
|
|
2
|
Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Ehegatten und wurden in den Streitjahren 1999
bis 2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
|
|
|
3
|
Die Kläger waren zu jeweils 50 % an
einer GmbH beteiligt. Während der Kläger als
Geschäftsführer der GmbH tätig war, war die
Klägerin als kaufmännische Angestellte bei der GmbH
beschäftigt. Im Jahr 1997 vereinbarten die Kläger jeweils
mit der GmbH die Gewährung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Dieses wurde in den Streitjahren 1999 bis 2002 nicht ausgezahlt. In
der Bilanz der GmbH wurden auch keine entsprechenden Passivposten
gebildet.
|
|
|
4
|
In den Einkommensteuererklärungen
gaben die Kläger Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit
ohne den Bezug von Urlaubs- oder Weihnachtsgeld an. Der Beklagte
und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) veranlagte die
Kläger erklärungsgemäß.
|
|
|
5
|
Im Anschluss an eine
Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH ging das FA davon
aus, dass den Klägern das Urlaubs- und das Weihnachtsgeld in
den Streitjahren 1999 bis 2002 jeweils bereits mit Fälligkeit
zugeflossen sei. Es erließ entsprechend geänderte
Einkommensteuerbescheide.
|
|
|
6
|
Der nach erfolglosen Einspruchsverfahren
erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) mit den in EFG 2012,
1543 = SIS 12 18 15 veröffentlichten Gründen
stattgegeben.
|
|
|
7
|
Mit der zugelassenen Revision rügt das
FA die Verletzung materiellen Rechts.
|
|
|
8
|
Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
|
|
|
9
|
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
10
|
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat im Ergebnis zu Recht
entschieden, dass den Klägern das streitbefangene, nicht
ausgezahlte Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht zugeflossen ist.
|
|
|
11
|
1. Der Zufluss i.S. des § 11 Abs. 1 Satz
1 des Einkommensteuergesetzes tritt mit der Erlangung der
wirtschaftlichen Verfügungsmacht ein; das ist in der Regel der
Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs oder der
Möglichkeit, den Leistungserfolg herbeizuführen
(Senatsurteile vom 3.2.2011 VI R 4/10, BFHE 232, 501 = SIS 11 09 30; VI R 66/09, BFHE 232, 497 = SIS 11 13 36; jeweils m.w.N.).
|
|
|
12
|
a) Geldbeträge fließen dem
Steuerpflichtigen dementsprechend regelmäßig dadurch zu,
dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei
einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Jedoch kann auch eine
Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten einen Zufluss
bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das
buchmäßige Festhalten einer Schuldbuchverpflichtung zu
sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck kommt, dass der
Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verfügung steht.
Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den
Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen
leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners
herbeizuführen (Senatsurteil in BFHE 232, 501 = SIS 11 09 30,
m.w.N.).
|
|
|
13
|
b) Da sich die Erlangung der wirtschaftlichen
Verfügungsmacht nach den tatsächlichen Verhältnissen
richtet, kann das Zufließen grundsätzlich nicht fingiert
werden (Senatsurteil in BFHE 232, 501 = SIS 11 09 30). Eine
Ausnahme macht die Rechtsprechung hiervon lediglich bei
beherrschenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft. Bei
diesen wird angenommen, dass sie über eine von der
Gesellschaft geschuldete Vergütung bereits im Zeitpunkt der
Fälligkeit verfügen können und ihnen damit
entsprechende Einnahmen zugeflossen sind (Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14.2.1984 VIII R 221/80, BFHE 140,
542, BStBl II 1984, 480 = SIS 84 13 19; vom 16.11.1993 VIII R
33/92, BFHE 174, 322, BStBl II 1994, 632 = SIS 94 15 05).
Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion (Senatsurteil in BFHE
232, 501 = SIS 11 09 30) nur Gehaltsbeträge und sonstige
Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie
beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der
Ermittlung ihres Einkommens ausgewirkt haben (Senatsurteil in BFHE
232, 501 = SIS 11 09 30; BFH-Urteil vom 11.2.1965 IV 213/64 U, BFHE
82, 440, BStBl III 1965, 407 = SIS 65 02 31).
|
|
|
14
|
c) Überdies kann der Verzicht des
Gesellschafters auf seinen Vergütungsanspruch zum Zufluss des
Forderungswerts führen, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage
erbracht wird (Beschluss des Großen Senats des BFH vom
9.6.1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307 = SIS 97 17 34, m.w.N.).
|
|
|
15
|
aa) Eine verdeckte Einlage liegt nach
ständiger Rechtsprechung des BFH vor, wenn ein Gesellschafter
oder eine ihm nahestehende Person der Gesellschaft einen
einlagefähigen Vermögensvorteil zuwendet, ohne dass der
Gesellschafter hierfür neue Gesellschaftsanteile erhält,
und wenn diese Zuwendung ihre Ursache im
Gesellschaftsverhältnis hat. Letztere Voraussetzung ist
gegeben, wenn ein Nichtgesellschafter der Gesellschaft den
Vermögensvorteil bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen
Kaufmanns nicht eingeräumt hätte (BFH-Urteil vom
20.7.2005 X R 22/02, BFHE 210, 345, BStBl II 2006, 457 = SIS 05 41 64, m.w.N.).
|
|
|
16
|
bb) Als verdeckte Einlagen sind nur
Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der
Kapitalgesellschaft vermehrt haben, sei es durch den Ansatz oder
die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder
die Verminderung eines Passivpostens (BFH-Urteil vom 6.11.2003 IV R
10/01, BFHE 204, 438, BStBl II 2004, 416 = SIS 04 13 68, m.w.N.).
Ob als Voraussetzung für eine verdeckte Einlage das
Vermögen der Kapitalgesellschaft durch den Ansatz oder die
Erhöhung eines Aktivpostens oder durch den Wegfall oder die
Verminderung eines Passivpostens vermehrt ist, bestimmt sich nach
Bilanzrecht (BFH-Urteile vom 24.5.1984 I R 166/78, BFHE 141, 176,
BStBl II 1984, 747 = SIS 84 15 13; vom 22.11.1983 VIII R 133/82,
BFHE 140, 69 = SIS 84 06 19; vom
22.11.1983 VIII R 37/79, BFHE 140, 63 = SIS 84 06 18). Insofern ist maßgeblich, inwieweit
Bilanzposten in eine Bilanz hätten eingestellt werden
müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts erstellt worden
wäre (vgl. BFH-Urteil in BFHE 141, 176, BStBl II 1984, 747 =
SIS 84 15 13).
|
|
|
17
|
2. Nach diesen Maßstäben fehlt es
an einem Zufluss des streitbefangenen Urlaubs- und
Weihnachtsgelds.
|
|
|
18
|
a) Zu Recht ist zwischen den Beteiligten nicht
streitig, dass den Klägern die streitbefangenen
Sonderzuwendungen tatsächlich nicht zugeflossen sind.
|
|
|
19
|
b) Überdies greifen auch die
Grundsätze über den Zufluss von Einnahmen bei einem
beherrschenden Gesellschafter nicht.
|
|
|
20
|
aa) Die Kläger waren in den Streitjahren
schon keine beherrschenden Gesellschafter der GmbH. Denn sie waren
nach den nicht angefochtenen Feststellungen des FG lediglich zu 50
% am Stammkapital der GmbH beteiligt und besaßen keine
Stimmrechtsmehrheit. In einem solchen Fall ist der Gesellschafter
kein beherrschender (vgl. Senatsurteil in BFHE 232, 501 = SIS 11 09 30, m.w.N.). Eine beherrschende Stellung eines GmbH-Gesellschafters
liegt im Regelfall vor, wenn der Gesellschafter die Mehrheit der
Stimmrechte besitzt und deshalb bei Gesellschafterversammlungen
entscheidenden Einfluss ausüben kann. Im Allgemeinen ist das
erst der Fall, wenn der Gesellschafter, der durch Leistungen der
Kapitalgesellschaft Vorteile erhält, mehr als 50 % der
Stimmrechte hat (vgl. Senatsurteil in BFHE 232, 501 = SIS 11 09 30,
m.w.N.).
|
|
|
21
|
Hält ein Gesellschafter - wie im
Streitfall die Kläger - nicht mehr als 50 % der
Gesellschaftsanteile, kann er nach ständiger Rechtsprechung
einem beherrschenden Gesellschafter gleichgestellt werden, wenn er
mit anderen gleichgerichtete materielle, d.h. finanzielle
Interessen verfolgenden Gesellschaftern zusammenwirkt, um eine
ihren Gesellschafterinteressen entsprechende Willensbildung der
Kapitalgesellschaft herbeizuführen; allein der Umstand, dass
die Gesellschafter Eheleute sind, kann eine entsprechende Vermutung
aber nicht begründen (Senatsurteil in BFHE 232, 501 = SIS 11 09 30, m.w.N.). Das FG hat einen Interessengleichklang der
Kläger deshalb verneint, weil jeder Gesellschafter etwaige
gegen die GmbH bestehende Gehaltsansprüche letztlich aus
eigenem Recht durchsetzen könne und sonstige für
gleichgerichtete Interessen sprechende tatsächliche
Anhaltspunkte nicht ersichtlich seien. Diese Würdigung
verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine
Erfahrungssätze; sie ist daher für das Revisionsgericht
nach § 118 Abs. 2 FGO bindend.
|
|
|
22
|
bb) Zudem fehlt es auf Grundlage der insoweit
bindenden Feststellungen des FG an einer Forderung, die hätte
fällig werden können.
|
|
|
23
|
Der zunächst arbeitsvertraglich
eingeräumte Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld bestand
in den Streitjahren 1999 bis 2002 nicht mehr; er ist mindestens
konkludent aufgehoben worden. Denn das FG hat insoweit
festgestellt, dass die streitigen Sonderzuwendungen dem
Arbeitnehmer über mehrere Jahre hinweg unverändert weder
ausbezahlt noch in der GmbH als Aufwand erfasst worden sind. Es hat
diesen Vorgang sodann nicht als einen Buchungsfehler, sondern als
ein planvolles Vorgehen der Beteiligten gewürdigt und darin
letztlich einen konkludenten Verzicht auf die Sonderzuwendung
gesehen. Dieser Beurteilung und Würdigung entspricht auch die
arbeitsgerichtliche Rechtsprechung. Denn danach kann die
widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den
Arbeitnehmer nach einem Änderungsangebot des Arbeitgebers
gemäß §§ 133, 157 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs als Annahme der Vertragsänderung gesehen werden,
wenn diese sich - wie hier durch die mehrjährige
Nichtauszahlung der Sonderzuwendungen - unmittelbar im
Arbeitsverhältnis auswirkt. Dann ist die widerspruchslose
Weiterarbeit als Einverständnis mit der angebotenen
Vertragsänderung anzusehen; setzt der Arbeitnehmer seine
Tätigkeit dennoch widerspruchslos fort, darf der Arbeitgeber
dies als Einverständnis des Arbeitnehmers mit der
Vertragsänderung verstehen (vgl. Urteil des
Bundesarbeitsgerichts vom 1.8.2001 4 AZR 129/00, BAGE 98, 293,
m.w.N.). Bestand mithin deshalb in den Streitjahren 1999 bis 2002
zugunsten der Kläger schon kein Anspruch auf die
Gewährung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld, fehlte es bereits
an einer von der Gesellschaft geschuldeten Vergütung,
über die im Zeitpunkt der Fälligkeit die Kläger
hätten verfügen können.
|
|
|
24
|
c) Damit konnten die Kläger zugleich
keine einen Zufluss begründende verdeckte Einlage bewirken.
Denn aufgrund der einvernehmlichen Aufhebung des Anspruchs auf
Sonderzuwendungen vor seiner Entstehung konnte darüber kein
Erlassvertrag geschlossen werden.
|
|
|
25
|
d) Anders als es das FA meint, lässt sich
der Senatsentscheidung in BFHE 232, 501 = SIS 11 09 30 nicht
entnehmen, dass der Zufluss von Vergütungsansprüchen des
Gesellschafters über eine verdeckte Einlage bereits dann
ausgeschlossen ist, wenn diese Ansprüche entgegen dem
Bilanzrecht nicht in den Büchern der Gesellschaft
berücksichtigt wurden. Denn in diesem Verfahren fehlten
bereits Feststellungen dazu, ob die Gesellschafter auf ihnen
zustehende Vergütungsansprüche verzichteten und dadurch
einen bilanzierbaren Vermögensvorteil zuwandten.
|