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I. Streitig ist, ob einem beherrschenden
Gesellschafter-Geschäftsführer eine Tantieme zugeflossen
ist, auf deren Auszahlung er zugunsten einer Pensionszusage
verzichtet hat.
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Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in der Rechtsform
einer GmbH ein Transportunternehmen. Geschäftsführer ist
G, der zugleich alleiniger Gesellschafter der Klägerin ist. Im
Geschäftsführerdienstvertrag mit G wurde vereinbart, dass
dieser neben einem Festgehalt eine Gewinnbeteiligung in Höhe
von 50 % des Jahresüberschusses laut Steuerbilanz der
Klägerin erhalten soll. Weiter wurde geregelt, dass diese
Gewinnbeteiligung innerhalb von drei Monaten nach Bilanzerstellung
auszuzahlen ist.
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Durch Gesellschafterbeschluss vom 12.8.2004
wurden die Bilanz und der Jahresabschluss der Klägerin zum
31.12.2003 genehmigt. Für die Bilanz auf den 31.12.2004
erfolgte die Genehmigung des Abschlusses am 30.6.2005.
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G schloss mit der Klägerin am
16.9.2004 eine „Vereinbarung über Gehaltsverzicht im
Zusammenhang mit der Erteilung einer Pensionszusage“. Die
Abänderung des Anstellungsvertrages sollte mit Wirkung zum
1.11.2004 erfolgen. G erklärte einen Verzicht auf seinen
Tantiemeanspruch für das Jahr 2003 in Höhe von 59.000 EUR
zum 1.11.2004. Zum Ausgleich dieses Verzichts erteilte die
Klägerin eine Pensionszusage, deren Regelung einer gesonderten
Vereinbarung vorbehalten blieb. G konnte nach der Vereinbarung
jedes Jahr neu entscheiden, ob und in welcher Höhe er auf
Gehalt/Bezüge verzichtet. Am 22.9.2005 erklärte G den
Verzicht auf den Tantiemeanspruch für das Jahr 2004 in
Höhe von 40.000 EUR mit Wirkung zum 1.11.2005 zu Gunsten der
am 18.10.2004 erteilten Pensionszusage. Die Klägerin
behandelte die Verzichtserklärungen und die entsprechende
Pensionszusage als Gehaltsumwandlung in eine wertgleiche
Anwartschaft auf Versorgungsleistungen nach dem Gesetz zur
Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung und führte
keine Lohnsteuer ab.
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Nach einer
Lohnsteuer-Außenprüfung nahm der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die Klägerin u.a.
für nicht abgeführte Lohnsteuer auf die Tantiemen des G
für die Jahre 2003 und 2004 in Haftung. Das
Einspruchsverfahren verlief erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen
gerichtete Klage mit den in EFG 2010, 801 = SIS 10 10 35
veröffentlichten Gründen ab.
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Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil des FG Nürnberg
sowie die Einspruchsentscheidung vom 10.9.2008 aufzuheben und den
Haftungsbescheid vom 23.5.2007 dahingehend zu ändern, dass die
Haftungsbeträge für Lohnsteuer um 43.350 EUR, für
Solidaritätszuschlag um 2.384,25 EUR sowie für
Kirchensteuer um 3.468 EUR gemindert werden.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision der Klägerin ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zu Unrecht
hat das FG einen Lohnzufluss bei G im Hinblick auf die Tantiemen
bereits zum Zeitpunkt des jeweiligen Beschlusses über den
Jahresabschluss angenommen. Die tatsächlichen Feststellungen
des FG ermöglichen allerdings keine abschließende
Beurteilung, ob die Tantiemen G in den Streitjahren zugeflossen
sind.
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1. Der Erlass eines Haftungsbescheides
gemäß § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG)
setzt u.a. voraus, dass ein Arbeitgeber seine Pflicht zur
Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer (§ 38 EStG)
verletzt hat. Im vorliegenden Fall kann der Senat nicht
abschließend beurteilen, ob die Klägerin verpflichtet
war, in 2004 bzw. 2005 für die Tantiemen des G für die
Jahre 2003 und 2004 Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen.
Zwar gehören Tantiemen zum lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn
(§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Allerdings entsteht die
Lohnsteuer für sonstige Bezüge, wozu Tantiemen
gehören, erst mit Zufluss beim Arbeitnehmer (§§ 38
Abs. 2 Satz 1, 38a Abs. 1 Satz 3 EStG). G sind die Tantiemen
vorliegend jedenfalls nicht bereits im Zeitpunkt der jeweiligen
Beschlüsse über den Jahresabschluss zugeflossen.
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a) Nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung tritt der Zufluss mit der
Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht ein (z.B.
Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1.2.2007 VI R 73/04, BFH/NV
2007, 896 = SIS 07 61 65, m.w.N.). Das ist in der Regel der
Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs oder der
Möglichkeit, den Leistungserfolg herbeizuführen
(BFH-Urteil vom 10.12.1985 VIII R 15/83, BFHE 145, 538, BStBl II
1986, 342 = SIS 86 08 52). In der Regel fließen
Geldbeträge dadurch zu, dass sie dem Empfänger bar
ausbezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem
Kreditinstitut gutgeschrieben werden.
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b) Der BFH geht jedoch in ständiger
Rechtsprechung davon aus, dass bei beherrschenden
Gesellschafter-Geschäftsführern ein Zufluss von Einnahmen
auch ohne Zahlung oder Gutschrift bereits früher vorliegen
kann. Danach fließt dem alleinigen oder jedenfalls
beherrschenden Gesellschafter eine eindeutige und unbestrittene
Forderung gegen „seine“ Kapitalgesellschaft
bereits mit deren Fälligkeit zu, denn ein beherrschender
Gesellschafter hat es regelmäßig in der Hand, sich
geschuldete Beträge auszahlen zu lassen, wenn der Anspruch
eindeutig, unbestritten und fällig ist (BFH-Urteil vom
8.5.2007 VIII 13/06, BFH/NV 2007, 2249, m.w.N.; BFH-Beschluss vom
15.6.2004 VI B 220/00, BFH/NV 2004, 1419 = SIS 04 36 13).
Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge
und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft
den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei
der Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft ausgewirkt
haben (BFH-Urteil vom 11.2.1965 IV 213/64 U, BFHE 82, 440, BStBl
III 1965, 407 = SIS 65 02 31). Fällig wird der Anspruch auf
Tantiemen erst mit Feststellung des Jahresabschlusses (BFH-Urteil
vom 14.3.2006 I R 72/05, BFH/NV 2006, 1711 = SIS 06 34 69), sofern
die Vertragsparteien nicht zivilrechtlich wirksam und
fremdüblich eine andere Fälligkeit im Anstellungsvertrag
vereinbaren (Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 27.11.1992 19
U 89/92, GmbHR 1993, 157, 158; Hachenburg/Stein, GmbHG § 35 Rz
220; Posdziech, Der Geschäftsführer der GmbH, 2. Aufl.
1994, Rz 136; Sudhoff, Rechte und Pflichten des
Geschäftsführers einer GmbH und einer GmbH & Co., 14.
Aufl., S. 28).
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c) Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu
Unrecht einen Zufluss der Tantiemen bereits zu den Zeitpunkten der
Beschlüsse über den Jahresabschluss angenommen. Insoweit
fehlen tatsächliche Feststellungen darüber, ob sich die
Tantiemeverpflichtungen der Klägerin in deren Bilanzen zum
31.12.2003 bzw. 31.12.2004 gewinnmindernd ausgewirkt haben. Dies
wäre etwa der Fall, wenn Rückstellungen gebildet worden
sind. Erst wenn eine solche Gewinnminderung bei der Klägerin
festgestellt wird, wäre die Zuflussfiktion für den
beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer anzuwenden.
Unabhängig davon ist das FG aber unzutreffend von einer
Fälligkeit der Tantiemen zum Zeitpunkt des Beschlusses
über den Jahresüberschuss ausgegangen. Denn vorliegend
waren die Tantiemeforderungen des G jeweils erst drei Monate nach
der Feststellung des Jahresüberschusses fällig. Dies
folgt aus dem Anstellungsvertrag zwischen der Klägerin und G.
Diese vom Grundfall abweichende Fälligkeitsvereinbarung ist
zivilrechtlich wirksam. Die zivilrechtlichen Regelungen in einem
Anstellungsvertrag zwischen einem beherrschenden
Gesellschafter-Geschäftsführer und
„seiner“ Kapitalgesellschaft sind
grundsätzlich auch im Steuerrecht beachtlich (vgl. für
den Zufluss von Gewinnanteilen bei abweichender Satzungsregelung
BFH-Urteil vom 17.11.1998 VIII R 24/98, BFHE 187, 292, BStBl II
1999, 223 = SIS 99 06 01; Urteil des FG Stuttgart vom 7.11.1996 8 K
108/95, GmbHR 1997, 857).
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Zudem war die Vereinbarung bezüglich der
Fälligkeit der Tantieme fremdüblich. Die
Fremdüblichkeit einer derartigen Vereinbarung bestimmt sich
nach den Grundsätzen über die verdeckte
Gewinnausschüttung. Danach ergibt sich hier keine
Unbeachtlichkeit der vertraglichen Regelung. Denn die Vereinbarung
zwischen G und der Klägerin war arbeitsrechtlich und nicht
gesellschaftsrechtlich veranlasst. Eine gesellschaftsrechtliche
Veranlassung ist u.a. dann anzunehmen, wenn die
Tantiemevereinbarung zwar für die Gesellschaft günstig
ist, aber ein fremder Geschäftspartner in seinem eigenen
Interesse die Vereinbarung nicht getroffen hätte (BFH-Urteile
vom 17.5.1995 I R 147/93, BFHE 178, 203, BStBl II 1996, 204 = SIS 95 23 44; vom 20.10.2004 I R 4/04, BFH/NV 2005, 723 = SIS 05 18 56). Vorliegend hätte sich jedoch auch ein fremder
Geschäftsführer bei sonst gleichen Umständen auf die
konkrete Tantiemevereinbarung eingelassen. Denn üblicherweise
benötigte die Gesellschaft bei höheren Tantiemen Zeit, um
die Liquidität für die Auszahlung herzustellen. Drei
Monate sind dafür (noch) keine unangemessen lange
Zeitspanne.
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2. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat
kann nicht entscheiden, ob die Tantiemen G in den Streitjahren
zugeflossen sind. Das FG hat keine Feststellungen zur
Pensionsvereinbarung zwischen der Klägerin und G vom
18.10.2004 getroffen. Insbesondere fehlen Feststellungen zu den
wechselseitigen Ansprüchen, zur Durchführungsart der
Altersversorgung sowie zur steuerlichen Wirksamkeit der
Pensionszusage im Hinblick auf eine mögliche
gesellschaftsrechtliche Veranlassung. Des Weiteren hat das FG die
Gehaltsverzichtsvereinbarungen dahingehend zu würdigen, welche
Bedeutung der Formulierung „mit Wirkung zum ...“
zukommt. Eine Auslegung im Sinne einer aufschiebenden Befristung
würde bei der Tantieme 2004 zum Zufluss bei Fälligkeit
der Tantieme am 30.9.2005 führen. Desweiteren hat das FG zu
würdigen, ob G durch den jeweiligen Verzicht auf den
Tantiemeanspruch „zum Ausgleich“ bzw.
„im Gegenzug“ für die Pensionszusage
jeweils über einen fälligen oder fällig werdenden
Lohnanspruch (Lohnverwendungsabrede) verfügt hat (BFH-Urteil
vom 6.3.2008 VI R 6/05, BFHE 220, 478, BStBl II 2008, 530 = SIS 08 18 06). In diesem Zusammenhang wird die Anwendung des Schreibens
des Bundesministeriums der Finanzen vom 17.11.2004 IV C 4 - S 2222
- 177/04, IV C 5 - S 2333 - 269/04 (BStBl I 2004, 1065 = SIS 04 41 08) - gegebenenfalls im Hinblick auf § 163 der Abgabenordnung
- zu prüfen sein.
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