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I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte
Eheleute. Ihre im Jahr 1981 geborene Tochter studierte
auswärts an der Universität X, ihr im Jahr 1990 geborener
Sohn lebte im gemeinsamen Haushalt. Die Kläger bezogen
für beide Kinder Kindergeld. Bei der
Einkommensteuerveranlagung 2003 wurden keine Freibeträge nach
§ 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des
Streitjahres 2003 (EStG) angesetzt, da die Vergleichsrechnung nach
§ 31 EStG ergab, dass das Kindergeld für die Kläger
vorteilhafter war. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid
vom 17.5.2004 wegen der auswärtigen Unterbringung der Tochter
einen Betrag nach § 33a Abs. 2 EStG von 924 EUR.
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Mit ihrem Einspruch machten die Kläger
geltend, sie seien durch den Wegfall des Ausbildungsfreibetrags von
4.200 DM (§ 33a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F.) benachteiligt.
Bei der Günstigerprüfung nach § 31 EStG müsse
der Betreuungsfreibetrag neben dem Kindergeld gewährt werden.
Der Rechtsbehelf hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies
die anschließend erhobene Klage durch Urteil vom 15.11.2007 4
K 17/05 (EFG 2009, 836 = SIS 08 06 28) ab.
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Zur Begründung der Revision tragen die
Kläger vor, bis zum Veranlagungszeitraum 2001 sei in §
33a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. ein Ausbildungsfreibetrag
für ein auswärtig untergebrachtes, volljähriges Kind
von 4.200 DM vorgesehen gewesen. Ab 2002 werde nur noch ein
Freibetrag von 924 EUR gewährt, der offensichtlich nicht
realitätsgerecht sei. Bei einer auswärtigen Unterbringung
fielen Unterkunftskosten, höhere Verpflegungsaufwendungen,
Fahrtkosten usw. an, die auch unter Berücksichtigung des im
eigenen Hausstand ersparten Aufwands in aller Regel ein Mehrfaches
des steuerlichen Freibetrags ausmachten. Entgegen der Rechtsansicht
des FG sei eine isolierte Beurteilung des Freibetrags nach §
33a Abs. 2 EStG möglich, da dessen Zielrichtung die Abgeltung
des zusätzlichen Aufwands sei, durch den andere
Steuerpflichtige ohne volljährige, auswärts
untergebrachte Kinder nicht belastet seien. Das
Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) sehe bei der
auswärtigen Unterbringung eines Kindes einen um 133 EUR
höheren Monatsbetrag vor, somit nahezu das Doppelte dessen,
was steuerlich angesetzt werde. Ein Betrag von 2.148 EUR, der sich
am früheren höchstmöglichen Ausbildungsfreibetrag
von 4.200 DM orientiere, wäre verfassungsrechtlich
unbedenklich.
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Die Kläger beantragen, das
angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des
Einkommensteuerbescheids 2003 vom 17.5.2004 sowie der
Einspruchsentscheidung vom 7.12.2004 die Einkommensteuer unter
Berücksichtigung eines Freibetrags von 2.148 EUR für
weiteren Ausbildungsbedarf herabzusetzen.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und wird
deshalb zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Kläger können
für die Unterhaltsaufwendungen, die ihnen wegen ihrer
auswärts studierenden Tochter entstanden sind, keine
Abzugsbeträge beanspruchen, die über die gesetzlich
vorgesehenen hinausgehen.
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1. Nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG wird bei
der Veranlagung zur Einkommensteuer für jedes zu
berücksichtigende Kind ein Freibetrag von 1.824 EUR für
das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag)
sowie ein Freibetrag von 1.080 EUR für den Betreuungs- und
Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes vom Einkommen
abgezogen. Bei Ehegatten, die - wie die Kläger - zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt werden, verdoppeln sich die Beträge,
wenn das Kind zu beiden Ehegatten in einem
Kindschaftsverhältnis steht (§ 32 Abs. 6 Satz 2
EStG).
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2. Zur Abgeltung des Sonderbedarfs eines sich
in Berufsausbildung befindenden, auswärtig untergebrachten,
volljährigen Kindes, für das Anspruch auf einen
Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld
besteht, können Eltern einen Freibetrag von maximal 924 EUR je
Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abziehen (§
33a Abs. 2 EStG). Die Summe der (doppelten) Freibeträge nach
§ 32 Abs. 6 EStG sowie des Freibetrags nach § 33a Abs. 2
EStG für ein Kind belief sich im Streitjahr 2003 auf 6.732
EUR. Damit ist der Bedarf der Tochter einschließlich des
Sonderbedarfs für ihre auswärtige Unterbringung in
ausreichendem Maße abgedeckt. Der Umstand, dass die
Kläger aufgrund der Vergleichsrechnung nach § 31 EStG
nicht den Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG
beanspruchen können, weil für sie das Kindergeld
günstiger ist als die Steuerminderung, die sich bei Ansatz der
Freibeträge ergäbe, ändert hieran nichts.
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3. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten,
den Aufwand, der den Klägern wegen der auswärtigen
Unterbringung ihrer Tochter erwachsen ist, weitergehend steuerlich
zu entlasten. Die Beschränkung des Abzugs nach § 33a Abs.
2 EStG auf 924 EUR ist verfassungskonform.
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a) Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müssen Aufwendungen
für die Berufsausbildung von Kindern, insbesondere für
deren auswärtige Unterbringung, von Verfassungs wegen nicht
genauso behandelt werden wie Aufwendungen für die Sicherung
des Existenzminimums (Beschluss vom 26.1.1994 1 BvL 12/86, BVerfGE
89, 346, BStBl II 1994, 307 = SIS 94 05 12). Wählt der
Gesetzgeber den Weg der einkommensteuerlichen Absetzbarkeit solcher
Aufwendungen (§ 33a Abs. 2 EStG), so liegt ein Verstoß
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes) jedenfalls dann nicht vor, wenn er die Absetzbarkeit
auf die Hälfte der üblicherweise anfallenden Kosten
begrenzt. Eine solche Begrenzung ist verfassungskonform, da es sich
nicht um Aufwendungen für die Sicherung des Existenzminimums
im engeren Sinne handelt, die der Gesetzgeber in
realitätsgerechter Höhe zum Abzug zulassen muss
(BVerfG-Beschluss in BVerfGE 89, 346, BStBl II 1994, 307 = SIS 94 05 12).
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b) In der späteren Entscheidung vom
10.11.1998 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91 (BVerfGE 99,
216, BStBl II 1999, 182 = SIS 99 04 06) gab das BVerfG dem
Gesetzgeber auf, den finanziellen Bedarf, der Eltern für die
Betreuung ihrer Kinder entsteht, zusätzlich zum Freibetrag
für das sächliche Existenzminimum zu berücksichtigen
und bis zum Jahr 2000 eine entsprechende gesetzliche Regelung zu
treffen.
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c) Der Gesetzgeber schuf daraufhin
zunächst durch das Gesetz zur Familienförderung vom
22.12.1999 (BGBl I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4) einen Freibetrag
für den Betreuungs- und Erziehungsbedarf von 1.512 DM für
unter 16 Jahre alte Kinder, der durch das Zweite Gesetz zur
Familienförderung vom 16.8.2001 (BGBl I 2001, 2074, BStBl I
2001, 533) ab dem Veranlagungszeitraum 2002 durch einen
einheitlichen Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs-
oder Ausbildungsbedarf von 1.080 EUR abgelöst wurde; die
Beschränkung auf Kinder unter 16 Jahren wurde aufgehoben.
Gleichzeitig wurde der Ausbildungsfreibetrag nach § 33a Abs. 2
EStG auf die Fälle beschränkt, in denen ein
volljähriges Kind, das sich in Berufsausbildung befindet und
für das ein Anspruch auf einen Kinderfreibetrag oder auf
Kindergeld besteht, auswärtig untergebracht ist. Der
frühere Freibetrag von 4.200 DM wurde auf 924 EUR
abgesenkt.
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d) Der Sonderbedarf für eine
auswärtige Unterbringung nach § 33a Abs. 2 EStG ist
demnach seit 2002 nur noch eine (einzelne) Komponente der
steuerlichen Entlastung von Eltern, deren Kinder sich in Ausbildung
befinden. Bei Beurteilung der Frage, ob die steuerliche Entlastung
von Eltern mit volljährigen, zu Ausbildungszwecken
auswärtig untergebrachten Kindern ausreichend hoch ist, sind
alle Bestandteile des Familienleistungsausgleichs einzubeziehen.
Eine isolierte Betrachtung des Freibetrags nach § 33a Abs. 2
EStG ist nicht zulässig (Urteil des Bundesfinanzhofs vom
17.12.2009 VI R 63/08, BFHE 227, 487, BStBl II 2010, 341 = SIS 10 02 66; ebenso Hufeld, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG,
§ 33a Rz C 2). Wird eine verfassungswidrig zu niedrige
Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit aufgrund von
Unterhaltszahlungen geltend gemacht, so ist das gesamte betroffene
Normengeflecht in den Blick zu nehmen (BVerfG-Beschluss vom
7.7.2009 2 BvR 1966/04, HFR 2010, 173). Bei der Prüfung einer
ausreichenden steuerlichen Entlastung von Eltern mit auswärts
studierenden Kindern ist somit von einem Gesamtbetrag von 6.732 EUR
(Streitjahr 2003) auszugehen, der sich aus einer Addition der
(doppelten) Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und des
Freibetrags nach § 33a Abs. 2 EStG ergibt.
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e) Der Hinweis der Kläger auf die nach
dem BAföG vorgesehenen Förderbeträge führt zu
keiner abweichenden rechtlichen Beurteilung. Das BVerfG hatte im
Beschluss in BVerfGE 89, 346, BStBl II 1994, 307 = SIS 94 05 12,
der zu einer Rechtslage ergangen war, in der noch kein Betreuungs-
und Erziehungs- oder Ausbildungsfreibetrag gesetzlich vorgesehen
war, ausgeführt, dass als Vergleichsregelung, zu der die zur
verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten steuerlichen
Höchstbeträge in Beziehung zu setzen sind, auch die
Sätze nach dem BAföG in Betracht kommen. Bei einer
Addition der (doppelten) Freibeträge nach § 32 Abs. 6
EStG und des Freibetrags nach § 33a Abs. 2 EStG
übersteigen diese die im Streitjahr nach dem BAföG
anzusetzenden Beträge: Im Jahr 2003 belief sich der Bedarf
für Studierende an einer Hochschule auf 333 EUR; der Betrag
erhöhte sich um 133 EUR auf 466 EUR, wenn der Studierende
nicht bei den Eltern wohnte (§ 13 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2
BAföG a.F.). Der sich hieraus ergebende Jahresbetrag von 5.592
EUR liegt unter der Summe der (doppelten) Freibeträge nach
§ 32 Abs. 6 EStG und des Freibetrags nach § 33a Abs. 2
EStG, die sich auf 6.732 EUR beläuft. Auch hieraus ist zu
ersehen, dass die steuerliche Entlastung der Kläger
ausreichend ist.
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