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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger), das Landratsamt L, zahlte seit Januar 2005 die
Kosten für die Heimunterbringung der im März 1991
geborenen C. Deren Mutter, die Beigeladene, war zeitweise
inhaftiert und leistete ihrer Tochter keinen Unterhalt.
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Mit Schreiben vom 9.5.2005 bat der
Kläger um die Auszahlung (Abzweigung) des Kindergeldes
für C nach § 74 Abs. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes
(EStG). Unter dem Datum des 28.6.2005 erließ die Beklagte und
Revisionsklägerin (Familienkasse) einen entsprechenden
Bescheid über die Abzweigung eines Betrags von monatlich 154
EUR an den Kläger für die Zeit von Februar 2005 bis Juni
2005. Eine Abzweigung für die nachfolgenden Monate lehnte sie
ab, weil die - inzwischen freigelassene - Beigeladene ihre Tochter
an den Wochenenden bei sich aufnehme, so dass keine Verletzung der
Unterhaltspflicht mehr vorliege. Die Familienkasse zahlte das
Kindergeld für Juli 2005 bis Februar 2006 an die Beigeladene.
Der gegen die Ablehnung der Abzweigung ab Juli 2005 gerichtete
Einspruch des Klägers hatte hinsichtlich des im Klageverfahren
streitigen Zeitraums (Juli 2005 bis Februar 2006) keinen
Erfolg.
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Im anschließenden Klageverfahren
beteiligte das Finanzgericht (FG) die Beigeladene am Verfahren. Es
hob den Bescheid vom 28.6.2005 auf, soweit er den Zeitraum Juli
2005 bis Februar 2006 betraf, und verpflichtete die Familienkasse,
insoweit über den Abzweigungsantrag unter
Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu
entscheiden (Urteil vom 31.7.2007 12 K 1664/06, EFG 2008, 1047 =
SIS 08 22 77). Es führte im Wesentlichen aus, die Beigeladene
habe ihre Unterhaltspflicht verletzt, so dass die Voraussetzungen
für eine Abzweigung vorgelegen hätten. Allerdings habe
die Familienkasse bei der Abzweigungsentscheidung das ihr
zustehende Ermessen weder dem Grunde noch der Höhe nach
ausgeübt. Ihre Ansicht, eine Abzweigung komme nicht mehr in
Betracht, wenn das Kindergeld bereits ausgezahlt sei, sei vom
Gesetzeswortlaut nicht gedeckt und treffe nicht zu, da es
andernfalls der Familienkasse möglich wäre, durch die
Auszahlung von Kindergeld vollendete Tatsachen zu schaffen.
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Mit der Revision rügt die
Familienkasse die Verletzung von § 74 Abs. 1 EStG. Nach der
Dienstanweisung zur Durchführung des
Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des
Einkommensteuergesetzes i.d.F. vom 5.8.2004 (DA-FamEStG 2004)
74.1.1 Abs. 4 Sätze 3 und 4 (BStBl I 2004, 742) könne das
Kindergeld nur insoweit abgezweigt werden, als über den
Anspruch auf Kindergeld noch verfügt werden könne. Dies
sei nicht mehr der Fall, wenn das Kindergeld bereits ausgezahlt
worden sei.
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Die Familienkasse beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise, das Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Er trägt vor, der Familienkasse
wäre es möglich gewesen, bis zur Bestandskraft der
Abzweigungsentscheidung das Kindergeld der Kindergeldberechtigten
unter dem Vorbehalt der endgültigen Erfolglosigkeit des
Abzweigungsbegehrens auszuzahlen oder es vorläufig
einzubehalten. Stattdessen habe sie das Kindergeld an die
Beigeladene ausgezahlt und dadurch vollendete Tatsachen geschaffen.
Zum Zeitpunkt der Einspruchseinlegung hätte die Familienkasse
noch über den Anspruch auf Kindergeld verfügen
können, jedoch habe sie erst neun Monate später über
den Rechtsbehelf entschieden.
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Die Beigeladene hat sich im
Revisionsverfahren nicht geäußert.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Der den Zeitraum Juli 2005 bis
Februar 2006 betreffende Ablehnungsbescheid vom 28.6.2005 sowie die
dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 29.3.2006 sind
rechtmäßig.
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1. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG kann das
für ein Kind festgesetzte Kindergeld an das Kind selbst
ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm
gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht
nachkommt. Die Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle
erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt (§ 74 Abs. 1
Satz 4 EStG).
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2. Die Voraussetzungen für eine
Auszahlung des Kindergeldes an den Kläger lagen nicht vor. Die
Auszahlung des Kindergeldes an einen Dritten gehört nicht zum
Festsetzungs-, sondern zum Auszahlungsverfahren, das dem
Erhebungsverfahren entspricht (s. Blümich/Treiber, § 74
EStG Rz 41). Sie betrifft nicht die Anspruchs-, sondern die
Empfangsberechtigung (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 30.1.2001
VI B 272/99, BFH/NV 2001, 898 = SIS 01 66 15; Greite in Korn §
74 EStG Rz 5). Dementsprechend kann Kindergeld, das bereits an
einen Elternteil ausgezahlt worden ist, nicht mehr an den
Sozialleistungsträger abgezweigt werden (s. Pust in
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 74
EStG Rz 72; Felix in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 74 Rz 3;
Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 74 EStG Rz 14; FG
München, Urteil vom 24.5.2006 9 K 4733/02, EFG 2006, 1335 =
SIS 06 32 92; FG Köln, Urteil vom 13.3.2008 10 K 3232/06, EFG
2008, 1298 = SIS 08 36 76; DA-FamEStG 2004 74.1.1 Abs. 4 Satz 4).
Die Abzweigung von bereits ausgezahltem Kindergeld scheidet aus, da
der Kindergeldanspruch durch die Auszahlung erfüllt ist. Die
Erfüllung eines erloschenen Anspruchs ist nicht möglich
(s. Lemaire, Anmerkung zum Urteil der Vorinstanz in EFG 2008,
1048). Deshalb kommt auch nicht der vom Kläger und vom FG
vorgebrachte Gesichtspunkt zum Tragen, dass die Familienkasse durch
die Auszahlung des Kindergeldes an den Kindergeldberechtigten keine
vollendeten Tatsachen schaffen und eine Abzweigung vereiteln
dürfe (s. Reuß in Bordewin/Brandt, § 74 EStG Rz 34;
a.A. bei Übergehen eines Abzweigungsantrags Schmidt/
Weber-Grellet, EStG, 29. Aufl., § 74 Rz 2, mit Hinweis auf das
Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 2.4.2009 10 K 10320/07,
EFG 2009, 1305 = SIS 09 19 99).
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