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I. Die im Januar 1988 geborene Tochter der
Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) begann nach
ihrem Abitur im Juli 2007 am 17.8.2007 ein Studium an einer
Universität in den USA, das voraussichtlich 60 Monate dauern
sollte. Seitdem hielt sie sich in den Zeiten vom 26.12.2007 bis zum
9.1.2008, vom 5.6.2008 bis zum 23.8.2008 und vom 21.12.2008 bis zum
17.1.2009 in ihrem Elternhaus in Deutschland auf. Seit dem
16.5.2009 hielt sich die Tochter wiederum in Deutschland auf, der
Rückflug war für den 21.8.2009 gebucht.
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Nach dem Vortrag der Klägerin standen
der Tochter während des Studiums im Obergeschoss des
Elternhauses zwei vollständig eingerichtete Wohnräume mit
Küche und Bad zur Verfügung; dort seien fast alle ihre
Sachen verblieben.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) hob die Festsetzung des Kindergeldes im Mai 2008 ab
August 2007 auf und führte zur Begründung an, die Tochter
habe keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der
Bundesrepublik. Zugleich forderte sie die Klägerin auf, das
für August bis November 2007 gewährte Kindergeld
zurückzuzahlen.
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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren
erhobene Klage war hinsichtlich der Kindergeldfestsetzung für
den Zeitraum August bis Dezember 2007 erfolgreich. Das
Finanzgericht (FG) entschied mit Urteil vom 9.7.2009 1 K 231/08
(EFG 2010, 240 = SIS 10 03 43), ein Kind, das zum Zwecke eines
60-monatigen Studiums ins Ausland gehe, behalte seinen Wohnsitz in
der Wohnung der Eltern im Inland nur dann bei, wenn es sich dort
fünf Monate im Jahr aufhalte. Kurzzeitige Besuche oder
sonstige Aufenthalte reichten zur Aufrechterhaltung des
Inlandswohnsitzes nicht aus. Im Jahr 2007 habe sich die Tochter
aber mehr als fünf Monate im Inland aufgehalten, die Aufhebung
der Kindergeldfestsetzung sei insoweit rechtswidrig. Für den
Zeitraum ab Januar 2008 wurde die Klage dagegen abgewiesen.
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Mit ihrer Revision rügt die
Familienkasse die unzutreffende Auslegung des § 8 der
Abgabenordnung (AO). Die Tochter habe den inländischen
Wohnsitz bereits mit Beginn des Auslandsstudiums und nicht erst zum
Jahreswechsel 2007/2008 aufgegeben. Das 60-monatige Studium
könne nicht in zwei unterschiedlich bewertete Abschnitte von
fünf und 55 Monaten aufgeteilt werden.
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Die Familienkasse beantragt
sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben, soweit es das
Kindergeld für den Zeitraum August bis Dezember 2007 betrifft,
und die Klage auch insoweit abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ), soweit das Urteil die Monate
August bis Dezember 2007 betrifft. Die Feststellungen des FG
reichen nicht aus, um zu entscheiden, ob die Klägerin in
diesem Zeitraum Kindergeld für ihre Tochter beanspruchen
kann.
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1. Für Kinder, die weder einen Wohnsitz
noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem
Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat
haben, auf den das Abkommen über den Europäischen
Wirtschaftsraum Anwendung findet, und die auch nicht im Haushalt
eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a des
Einkommensteuergesetzes in der Fassung für den Streitzeitraum
(EStG) leben, wird nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG kein
Kindergeld gewährt. Das Existenzminimum dieser Kinder wird nur
durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der
Besteuerung freigestellt, die keine unbeschränkte
Steuerpflicht des Kindes voraussetzen (vgl. § 32 Abs. 1 und 6
EStG).
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a) Die Grundsätze, nach denen sich
bestimmt, ob jemand einen Wohnsitz (§ 8 AO) oder seinen
gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland hat, sind
durch langjährige Rechtsprechung geklärt. Kinder, die
sich zum Zwecke des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland
begeben, behalten ihren Wohnsitz in der inländischen
elterlichen Wohnung nur dann bei, wenn sie diese in
ausbildungsfreien Zeiten nutzen. Dabei kommt der Dauer der
Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu. Eine Aufenthaltsdauer
von jährlich fünf Monaten in der Wohnung der Eltern
genügt jedenfalls, um einen inländischen Wohnsitz
beizubehalten, sie ist dafür aber nicht stets erforderlich
(Urteil des Bundesfinanzhofs vom 23.11.2000 VI R 107/99, BFHE 193,
558, BStBl II 2001, 294 = SIS 01 04 91).
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b) Soweit die Beibehaltung des
inländischen Wohnsitzes durch das im Ausland studierende Kind
von der Dauer der Inlandsaufenthalte abhängt, sind
Zeiträume außer Betracht zu lassen, in denen sich das
Kind vor dem Beginn oder nach dem Ende des Studiums
ausschließlich im Inland aufhält. Daher könnte z.B.
für ein Kind, das sein langjähriges Auslandsstudium im
November beginnt, das Kindergeld für den Monat Dezember
mangels eines inländischen Wohnsitzes versagt werden, obwohl
es sich in den vorangegangenen elf Monaten des Kalenderjahres
ausschließlich im Inland aufgehalten hat; kehrt ein Kind z.B.
nach Abschluss eines mehrjährigen Auslandsstudiums im Februar
auf Dauer nach Deutschland zurück, so genügt dies nicht
zur Begründung des Kindergeldanspruchs für den Monat
Januar. Maßgeblich sind vielmehr nur die Dauer und die
Häufigkeit der Inlandsaufenthalte während der
Zeiträume, in denen das Kind im Ausland einen Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt hat.
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Der (ausschließliche) Inlandsaufenthalt
der Tochter vor Antritt ihres Studiums kann daher - entgegen der
Ansicht des FG - nicht begründen, dass der inländische
Wohnsitz bis zum Ende des Jahres 2007 beibehalten wurde.
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2. Die Sache ist nicht entscheidungsreif.
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a) Den genauen Ausreisetermin der Tochter hat
das FG nicht festgestellt. Falls sie sich im August 2007 - vor dem
Studienbeginn am 17. August - zumindest einen Tag noch im Inland
aufgehalten hat, wäre der Kindergeldanspruch für diesen
Monat selbst dann gegeben, wenn sie den inländischen Wohnsitz
mit der Ausreise sodann für die Dauer des Studiums aufgegeben
hätte (§ 32 Abs. 6 Satz 5 EStG).
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b) Das FG hat rechtskräftig entschieden,
dass der inländische Wohnsitz wegen des Studiums ab Januar
2008 aufgegeben wurde. Ob nach den gesamten tatsächlichen
Umständen des Streitfalles der inländische Wohnsitz
bereits im Jahr 2007 aufgegeben wurde, wird das FG im zweiten
Rechtsgang zu prüfen haben.
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