Die Revision der Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Nürnberg vom 23.10.2014 6 K 441/14 = SIS 15 02 12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist deutscher Staatsangehöriger mit chinesischer
Herkunft. Er ist der Vater seines im Februar 1994 geborenen Sohnes
(S). S beendete seine schulische Ausbildung im Juli 2012. In der
Zeit vom 10.9.2012 bis 15.7.2013 absolvierte er einen
einjährigen Sprachkurs in China. Nach dessen Ende entschied
sich S für ein im September 2013 beginnendes und
voraussichtlich bis Juli 2017 andauerndes Bachelorstudium in
China.
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Während des Bachelorstudiums wohnte S
in einem Studentenwohnheim. Dort stand ihm nur ein Platz zur
Unterbringung der notwendigsten Kleidungsstücke und
Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Verwandtschaftliche
Beziehungen bestanden am Studienort nicht. Aus vom Kläger
vorgelegten Flugtickets und -buchungen ergaben sich
Inlandsaufenthalte des S vom 15.7.2013 bis 30.8.2013 und vom
10.7.2014 bis 28.8.2014. Ein weiterer Flug nach Deutschland war
für den 11.1.2015 geplant. Während der Inlandsaufenthalte
war S in der elterlichen Wohnung in seinem Kinderzimmer
untergebracht. In der Wohnung lebt auch der Bruder des S.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom
22.1.2014 ab September 2013 auf und forderte das bereits
ausbezahlte Kindergeld vom Kläger zurück. Der dagegen
gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom
7.3.2014).
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
den in EFG 2015, 233 = SIS 15 02 12 veröffentlichten
Gründen statt und hob den Aufhebungsbescheid in Gestalt der
Einspruchsentscheidung auf.
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Mit der hiergegen gerichteten Revision
rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen
Rechts.
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Die Familienkasse beantragt, das
angegriffene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger hat sich hierzu nicht
geäußert und keinen Antrag gestellt.
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II. Die Revision ist unbegründet. Das FG
ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Sohn des
Klägers im Streitzeitraum September 2013 bis März 2014
seinen inländischen Wohnsitz beibehalten hat.
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1. Für Kinder, die weder einen Wohnsitz
noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem
Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat
haben, auf den das Abkommen über den Europäischen
Wirtschaftsraum Anwendung findet, und die auch nicht im Haushalt
eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a des
Einkommensteuergesetzes (EStG) leben, wird nach § 63 Abs. 1
Satz 3 EStG (in der im Streitzeitraum geltenden Fassung) kein
Kindergeld gewährt. Die Grundsätze, nach denen sich
beurteilt, ob ein Kind, das sich zum Zwecke einer Berufsausbildung
mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen Inlandswohnsitz
(§ 8 der Abgabenordnung - AO - ) beibehält, hat der Senat
in dem zum Zeitpunkt des Ergehens der angegriffenen Entscheidung
noch nicht veröffentlichten Urteil vom 25.9.2014 III R 10/14
(BFHE 247, 239 = SIS 14 33 30) im Einzelnen dargelegt. Hierauf wird
zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
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2. Die angegriffene Entscheidung entspricht
diesen Grundsätzen zwar nur zum Teil. Die vom FG
festgestellten tatsächlichen Umstände reichen dennoch
aus, um in ihrer Zusammenschau die Beibehaltung eines
inländischen Wohnsitzes zu begründen.
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a) Im Einklang mit der vorgenannten
Senatsentscheidung (in BFHE 247, 239 = SIS 14 33 30, Rz 32, m.w.N.)
ist das FG davon ausgegangen, dass der nur vorübergehende,
weniger als einjährige Aufenthalt in China zum Zwecke des
Besuchs eines Sprachkurses noch nicht zu einer Aufgabe des
Wohnsitzes durch S geführt hat.
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b) Im Ergebnis zu Recht hat das FG weiter
angenommen, dass der inländische Wohnsitz des S während
des Streitzeitraums auch durch das auf mehrere Jahre angelegte
Bachelorstudium in China nicht aufgegeben worden ist.
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aa) Dabei hat das FG in seine
Gesamtwürdigung zu Recht der Dauer der ausbildungsfreien
Zeiten und der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte
maßgebliche Bedeutung beigemessen. Hinsichtlich der Dauer der
Inlandsaufenthalte ist der Senat im Leitsatz 1 und unter den Rz 21
und 22 der vorgenannten Entscheidung (in BFHE 247, 239 = SIS 14 33 30) davon ausgegangen, dass das zu berücksichtigende Kind die
ausbildungsfreien Zeiten im Regelfall zumindest überwiegend im
Inland verbringen muss.
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Soweit die Familienkasse mit ihrer Forderung
nach einer „weit überwiegend“ im Inland
verbrachten ausbildungsfreien Zeit auf die Formulierung unter Rz 30
der vorgenannten Entscheidung anknüpfen sollte, übersieht
sie, dass es sich insoweit nur um fallbezogene Ausführungen
des Senats handelte, aus denen keine Verschärfung der
allgemein aufgestellten Anforderungen abgeleitet werden kann.
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Dass S die ausbildungsfreien Zeiten
„überwiegend“ in Deutschland verbracht hat,
ergibt sich aus der unter I.2.b der Entscheidungsgründe
getroffenen Feststellung des FG, wonach S „die länger
dauernden Sommerferien bei seinen Eltern verbracht“ hat.
S war daher mehr als 50 % und damit den überwiegenden Teil der
ausbildungsfreien Zeit im Inland. Von einem überwiegenden
Aufenthalt des S im Inland während der ausbildungsfreien Zeit
geht im Übrigen auch die Familienkasse auf S. 6 f. ihrer
Revisionsbegründung aus.
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Unschädlich ist insoweit, dass der
Inlandsaufenthalt während der Sommerferien 2014 erst
außerhalb des Streitzeitraums stattgefunden hat. Für die
Frage, ob der Wohnsitz beibehalten wird, können auch
außerhalb des kindergeldrechtlichen Streitzeitraums liegende
tatsächliche Umstände berücksichtigt werden, da es
sonst - trotz vergleichbarer Sachverhaltskonstellationen - von den
verfahrensmäßigen Zufälligkeiten abhinge, ob die
Beibehaltung eines Wohnsitzes zu bejahen oder zu verneinen
wäre.
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Zu keiner anderen Beurteilung führt der
Hinweis der Familienkasse, wonach der erkennende Senat im Urteil
vom 28.4.2010 III R 52/09 (BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013 = SIS 10 18 67) eine Aufenthaltsdauer von jährlich fünf Monaten
in der Wohnung der Eltern habe genügen lassen, um einen
inländischen Wohnsitz beizubehalten. Dem ist zwar
beizupflichten. Soweit die Familienkasse daraus jedoch den
Umkehrschluss ziehen wollte, dass in jedem Fall ein Aufenthalt von
mindestens fünf Monaten zu fordern sei, hat dies der Senat im
Urteil in BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013 = SIS 10 18 67
ausdrücklich abgelehnt (s.a. Senatsbeschluss vom 12.2.2009 III
B 100/08, nicht veröffentlicht).
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bb) Zu Unrecht hat das FG in seine
Abwägung zwar den Umstand einbezogen, dass für den
unterbliebenen Inlandsaufenthalt während der
Wintersemesterferien 2014 finanzielle Gründe maßgeblich
waren. Insofern hat der Senat unter Rz 26 der vorgenannten
Entscheidung (in BFHE 247, 239 = SIS 14 33 30) ausgeführt,
dass für das Innehaben einer Wohnung allein auf die
tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf die
persönlichen oder finanziellen Beweggründe für die
fehlenden Inlandsaufenthalte abzustellen ist. Entsprechend kommt es
für die Frage der Wohnsitzbeibehaltung auch nicht auf die vom
FG angeführten Beweggründe der großen Entfernung
und der damit verbundenen langen Reisedauer an. Die insoweit zu
Unrecht angestellten Erwägungen des FG sind in der
Gesamtwürdigung aber unschädlich, weil sich bereits aus
den unter II.2.b aa erörterten Gründen ergibt, dass S die
ausbildungsfreie Zeit überwiegend im Inland verbracht hat.
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cc) Letzteres gilt auch, soweit das FG davon
ausgeht, dass für die Anfangsphase eines Studiums andere
Anforderungen an die Dauer und Häufigkeit der
Inlandsaufenthalte gelten könnten als für spätere
Phasen. Da die Wohnsitzdefinition des § 8 AO auch bei einem
auf einen mehrjährigen Zeitraum ausgerichteten
Auslandsaufenthalt erfordert, dass das Kind die Wohnung
tatsächlich innehat, kann auch ein fehlendes Innehaben in der
Anfangsphase eines Auslandsstudiums zum Verlust des Wohnsitzes
führen. Hierauf kommt es jedoch im Streitfall nicht
entscheidend an, da der vom FG festgestellte Inlandsaufenthalt
während der Sommerferien ausreicht, um dem Kriterium der Dauer
und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte während der
ausbildungsfreien Zeiten im Sinne einer Wohnsitzbeibehaltung zu
genügen.
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dd) Zu Recht hat das FG auch die Art der
Unterbringung am Ausbildungsort und in der elterlichen Wohnung in
seine Gesamtwürdigung miteinbezogen (s. hierzu Senatsurteil in
BFHE 247, 239 = SIS 14 33 30, Rz 20, m.w.N.).
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ee) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden
ist ferner, dass das FG den persönlichen Beziehungen des
Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort
andererseits Bedeutung beigemessen hat (s. hierzu Senatsurteil in
BFHE 247, 239 = SIS 14 33 30, Rz 20, m.w.N.). Es konnte daher als
für die Wohnsitzbeibehaltung sprechendes Indiz
berücksichtigen, dass im Elternhaus weiterhin persönliche
Beziehungen nicht nur zu den Eltern, sondern auch zum Bruder des S
bestanden, während am Ausbildungsort keine
verwandtschaftlichen Beziehungen vorhanden waren.
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ff) Rechtsfehlerfrei hat das FG
schließlich die Herkunft des Klägers und damit indirekt
die Herkunft des S nicht in seine Gesamtwürdigung einbezogen.
Dies entspricht der Einordnung des Merkmals der
Staatsangehörigkeit durch die höchstrichterliche
Rechtsprechung (Senatsurteil in BFHE 247, 239 = SIS 14 33 30, Rz
25, m.w.N.; ablehnend gegenüber einem Abstellen auf die
Herkunft der Eltern und das Heimatland des Kindes auch Reuß,
EFG 2015, 235 f.). Anders als die - gegebenenfalls durch die
Herkunft begründeten - persönlichen Beziehungen am
Ausbildungsort, vermag die Herkunft regelmäßig nichts
darüber auszusagen, ob das Kind seinen bisherigen
Inlandswohnsitz aufgegeben und anstelle dessen einen neuen Wohnsitz
am Ausbildungsort begründet hat.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143
Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.
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