Reduzierung der Arbeitszeit, Abfindung, Tarif: Zahlt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer eine Abfindung, weil dieser seine Wochenarbeitszeit aufgrund eines Vertrags zur Änderung des Arbeitsvertrags unbefristet reduziert, so kann darin eine begünstigt zu besteuernde Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG liegen (Klarstellung der Rechtsprechung). - Urt.; BFH 25.8.2009, IX R 3/09; SIS 09 34 35
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) war bei der X AG (AG) mit
einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden
beschäftigt. Am 2. März des Streitjahres (2004) schlossen
die AG und die Klägerin einen Vertrag zur Änderung des
Arbeitsvertrages und änderten darin die Wochenarbeitszeit ab
dem 24.2.2004 um 19,25 Stunden unbefristet auf 19,25 Wochenstunden.
In einer Nebenabrede zum Arbeitsvertrag vom gleichen Tag
vereinbarten sie, dass die Klägerin für die Reduzierung
der Wochenarbeitszeit eine Teilabfindung von 17.459,24 EUR erhalten
sollte. Die AG zahlte die Abfindung im Streitjahr in einer
Summe.
In der Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr beantragte die Klägerin die
begünstigte Versteuerung der Teilabfindung als
Entschädigung für mehrere Jahre. Dies lehnte der Beklagte
und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) ab und erfasste die
Teilabfindung in vollem Umfang als Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit.
Diese Auffassung vertrat auch das
Finanzgericht (FG, vgl. SIS 09 10 88). Eine zu
außerordentlichen Einkünften führende
Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. §
34 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) liege nicht vor,
weil das ihr zugrunde liegende Arbeitsverhältnis zwischen der
Klägerin und der AG nicht beendet worden sei. Nach der
Aktenlage könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass die
Arbeitszeitreduzierung auf einem Entschluss der Klägerin
beruhe. Auch eine begünstigte Versteuerung nach § 34 Abs.
1, Abs. 2 Nr. 4 EStG komme nicht in Betracht. Die Teilabfindung sei
keine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit,
sondern für deren zukünftige Reduzierung.
Hiergegen richtet sich die Revision der
Klägerin, die sie auf Verletzung materiellen Rechts
stützt. Auch die Teilaufgabe einer Tätigkeit sei als
Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit i.S. des
§ 24 Nr. 1 EStG zu beurteilen. Der Fall sei vergleichbar mit
einer Änderungskündigung. Die Klägerin habe dabei
unter Druck ihrer Arbeitgeberin gehandelt, die auf diese Weise ihre
Personalkosten habe reduzieren wollen.
Die Klägerin beantragt, das
angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA
aufzuheben und die Einkommensteuer 2004 unter Abänderung des
Einkommensteuerbescheides für 2004 vom 29.8.2005 unter
Berücksichtigung der Tarifermäßigung nach § 34
EStG auf den Abfindungsbetrag der Klägerin von 17.459,25 EUR
entsprechend festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet; die
angefochtene Entscheidung ist nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben und die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen.
1. Das FG hat unzutreffend die Voraussetzungen
einer begünstigt zu besteuernden Entschädigung nach
§ 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG
verneint und damit diese Vorschriften verletzt.
a) Als außerordentliche Einkünfte
kommen danach Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG in
Betracht. Eine Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a
EStG wird als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen
gewährt. Sie muss deshalb unmittelbar durch den Verlust von
steuerbaren Einnahmen bedingt sowie dazu bestimmt sein, diesen
Schaden auszugleichen und auf einer neuen Rechts- oder
Billigkeitsgrundlage beruhen (vgl. die ständige Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofs - BFH -, z.B. BFH-Urteil vom 10.7.2008 IX R
84/07, BFH/NV 2009, 130 = SIS 09 02 32, m.w.N.).
So verhält es sich, wenn - wie hier - der
Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer abfindet, weil dieser seine
Wochenarbeitszeit aufgrund eines Vertrags zur Änderung des
Arbeitsvertrags unbefristet reduziert. Diese - auch hier so
genannte - Teilabfindung dient als Ersatz für die durch die
Verminderung der Arbeitszeit entgehenden Einnahmen und beruht mit
dem Änderungsvertrag auf einer neuen Rechtsgrundlage. Denn
damit erfüllt der Arbeitgeber keine Leistung im Rahmen des
bisherigen Rechtsverhältnisses, sondern entgilt die in der
Reduzierung der Wochenarbeitszeit liegende Leistung des
Arbeitnehmers.
b) Es ist entgegen der Auffassung des FG und
der Revisionserwiderung unerheblich, ob das Arbeitsverhältnis
zwischen der AG und der Klägerin auf reduzierter Grundlage
fortbesteht.
aa) Das Gesetz verlangt in § 24 Nr. 1
Buchst. a EStG nicht, das zugrunde liegende Rechtsverhältnis
(hier: Arbeitsverhältnis) müsse gänzlich beendet
werden. Der Arbeitnehmer muss seine Tätigkeit nicht in vollem
Umfang aufgeben. Das Gesetz setzt lediglich voraus, dass Einnahmen
wegfallen und dass dafür Ersatz geleistet wird. Dies ist der
Fall, wenn die Parteien des Arbeitsvertrags eine Verminderung der
Arbeitszeit vereinbaren, die Vollzeitbeschäftigung des
Arbeitnehmers also in eine Teilzeitbeschäftigung
überführen und der Arbeitnehmer dafür abgefunden
wird. Der Senat folgt insoweit der überwiegenden Auffassung,
wie sie im Schrifttum z.B. für eine
Änderungskündigung vertreten wird (vgl. insbesondere
Offerhaus, Deutsche Steuerzeitung 1994, 225, 227; Geserich, in:
Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 24 Rz B 38; Sieker,
in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 34 Rz B 80;
Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 24 Rz 11; Horn in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 24 EStG Rz 41 Stichwort
„Änderungskündigung“).
bb) Der BFH hat einen Fall wie den Streitfall
mit Abfindung für eine Verminderung der Arbeitszeit um die
Hälfte noch nicht entschieden. Insoweit weicht der Senat nicht
von der Rechtsprechung anderer Senate ab.
(1) Sollte die Rechtsprechung des XI. Senats
(vgl. z.B. die BFH-Urteile vom 10.10.2001 XI R 54/00, BFHE 197, 54,
BStBl II 2002, 181 = SIS 02 04 52, und vom 12.4.2000 XI R 1/99,
BFH/NV 2000, 1195 = SIS 00 13 12, m.w.N.) jedoch so verstanden
werden, wie dies das FG und das FA in dem Sinne getan haben, eine
Entschädigung setze voraus, das zugrunde liegende
Arbeitsverhältnis müsse - in vollem Umfang - beendet
werden (anders aber - ohne Begründung im Sinne der oben
dargestellten Grundsätze - BFH-Urteil vom 29.10.1998 XI R
63/97, BFHE 188, 143, BStBl II 1999, 588 = SIS 99 11 35, bei
Ausgleichszahlungen aus Anlass einer betriebsinternen Umsetzung auf
einen geringer entlohnten Arbeitsplatz), könnte der erkennende
Senat dem nicht folgen.
(2) Wenn der XI. Senat auf den Zusammenhang
des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG mit den Tatbeständen des
§ 24 Nr. 1 Buchst. a bis c EStG wie auch zu den in § 34
Abs. 2 Nr. 1 EStG aufgeführten Tatbeständen abstellt, die
zu erkennen gäben, dass eine Entschädigung die Beendigung
der Einkünfteerzielung verlange (so insbesondere in seinem
Urteil in BFH/NV 2000, 1195 = SIS 00 13 12), führt dies zu
einer nicht systemgerechten Verengung des Kontextes: Wie die ebenso
durch § 34 Abs. 2 Nr. 3 und 4 EStG begünstigten
Einkünfte zeigen, verlangt das Gesetz eben nicht generell die
Aufgabe der bisherigen Erwerbstätigkeit (so zutreffend Sieker,
a.a.O.). Überdies können im Binnensystem des § 24
Nr. 1 EStG die Voraussetzungen der anderen Vorschriften
(nämlich § 24 Nr. 1 Buchst. b und c EStG) nicht zur
Voraussetzung des hier maßgebenden § 24 Nr. 1 Buchst. a
EStG gemacht werden.
Ferner bedarf es einer restriktiven
Interpretation des Entschädigungsbegriffs nicht. Dem Zweck des
§ 34 Abs. 2 EStG, die Auswirkungen des progressiven Tarifs
abzuschwächen (vgl. dazu Sieker, a.a.O., EStG § 34 Rz A
1, A 151 ff.) genügt es, wenn die Zuordnung der Einkünfte
zum Katalog des § 34 Abs. 2 EStG von einem besonderen Ereignis
abhängig gemacht (so zutreffend Geserich, a.a.O.) und nur dann
begünstigt besteuert werden, wenn es zu einer Zusammenballung
von Einkünften kommt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 9.10.2008 IX R
85/07, BFH/NV 2009, 558 = SIS 09 08 91, m.w.N.).
(3) Einer Vorlage an den Großen Senat
nach § 11 Abs. 3 FGO wegen Abweichung von der Rechtsprechung
des XI. Senats bedarf es schon deshalb nicht, weil die
Zuständigkeit für Entschädigungen i.S. von § 24
Nr. 1 EStG bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für das Jahr
2009 (BStBl II 2009, 175 = SIS 09 08 78) auf den IX. Senat (vgl.
dort A. Sachliche Zuständigkeit der Senate, IX. Senat Nr. 1
Buchst. f) übergegangen ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom
30.11.2005 I R 128, 129/04, BFH/NV 2006, 1261 = SIS 06 25 66;
Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung,
§ 11 FGO Rz 5, m.w.N.).
c) Nach diesen Maßstäben hat das
FG, indem es darauf abgestellt hat, ob das Arbeitsverhältnis
zur Gänze entfallen ist, eine Entschädigung unzutreffend
abgelehnt. Das Urteil ist deshalb aufzuheben.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird
in einer neuen Verhandlung und Entscheidung zu prüfen haben,
ob die Klägerin bei der Änderung ihres Arbeitsvertrags
unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck
gehandelt hat (vgl. zu diesem Erfordernis die ständige
Rechtsprechung des BFH, z.B. BFH-Urteil vom 11.1.2005 IX R 67/02,
BFH/NV 2005, 1044 = SIS 05 25 69, m.w.N.). Das Vorliegen oder
Nichtvorliegen dieses Merkmals muss das FG feststellen. Es reicht
nicht aus, wenn das FG - wie im Streitfall - das Nichtvorliegen
lediglich nicht für ausgeschlossen hält und nur vermutet,
dass die Initiative zur Vertragsänderung von der Klägerin
ausgegangen sei. Das FG wird ferner ermitteln müssen, ob es im
Streitjahr zu einer Zusammenballung der Einkünfte der
Klägerin gekommen ist (vgl. dazu insbesondere das BFH-Urteil
in BFH/NV 2009, 558 = SIS 09 08 91).