Selbstanzeige, Fahndungsprüfung, Verjährung: 1. Ermittlungen der Strafsachen- und Bußgeldstelle des Finanzamts stellen keine Ermittlungen der mit "der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden" i.S. des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO dar und führen daher nicht zur Ablaufhemmung nach dieser Vorschrift. - 2. Wurde die Einleitung des Steuerstrafverfahrens wegen des Verdachts bestimmter, in der Einleitungsverfügung ausdrücklich genannter Steuerstraftaten dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben, dann ist der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO nur für diejenigen Steueransprüche gehemmt, wegen deren vermeintlicher Verletzung das Strafverfahren tatsächlich eingeleitet und die Einleitung dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben wurde. - 3. Der zeitlich auf ein Jahr begrenzte Umfang der Ablaufhemmung, die durch die Erstattung einer Selbstanzeige gemäß § 171 Abs. 9 AO ausgelöst wird, kann durch Steuerfahndungsermittlungen, die erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen wurden, nicht mehr erweitert werden. - Urt.; BFH 8.7.2009, VIII R 5/07; SIS 09 34 34
I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob für das Streitjahr 1992 Festsetzungsverjährung
eingetreten und der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) damit am Erlass eines geänderten
Einkommensteuerbescheids gehindert ist.
Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) gaben ihre Einkommensteuererklärung 1992 am
13.9.1993 beim FA ab.
Der Kläger war als
Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft der X-Firma
nichtselbständig beschäftigt. Im Rahmen der Errichtung
einer Y-Fabrik im Z-Staat erhielt er im Streitjahr 1992 von
Mittelsmännern eine Zahlung von ca. 1 Mio. DM. Das Geld
transferierte er auf ein ausländisches Bankkonto einer ihm
zuzurechnenden Liechtensteinischen Stiftung. In seiner
Einkommensteuererklärung blieben der Empfang der Zahlung und
der Zufluss von Kapitalerträgen auf dem Auslandskonto
unerwähnt. Vergleichbare Zahlungen und Zinszuflüsse
erhielt der Kläger auch in anderen Jahren.
Am 5.11.2003 offenbarte er sich
gegenüber den Finanzbehörden im Rahmen einer
Selbstanzeige. Am selben Tag fand außerdem eine Besprechung
im Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A-Stadt
(im Folgenden: Strafsachen-FA) in Anwesenheit des Vorstehers, einer
Mitarbeiterin der Strafsachen- und Bußgeldstelle (StraBuSt)
und der Bevollmächtigten der Kläger statt. Mit Schreiben
vom 12.11.2003 leitete das Strafsachen-FA gegenüber den
Klägern ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der
Einkommensteuerhinterziehung 1999 bis 2002 ein. Zugleich forderte
es „zur steuerlichen Auswertung entsprechende Aufstellungen
und Unterlagen ab dem Veranlagungsjahr 1992 bis 2001“ an. Am
30.1.2004 nahm die Steuerfahndung ihre Ermittlungen auf.
Das FA wertete die Selbstanzeige in dem
streitigen Einkommensteueränderungsbescheid 1992 vom 9.6.2005
aus.
Während der hiergegen eingelegte
Einspruch erfolglos blieb, gab das FG mit dem in EFG 2007, 735 =
SIS 07 18 39 veröffentlichten Urteil der Klage statt. Die
zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 der
Abgabenordnung (AO) sei am 31.12.2003 abgelaufen. Eine Hemmung der
Verjährung sei bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt.
Mit seiner Revision vertritt das FA die
Auffassung, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist im Streitfall
gemäß § 171 Abs. 5 AO im Zusammenwirken mit §
171 Abs. 9 AO gehemmt gewesen sei. Das Finanzgericht (FG) habe
beide Gesetzesbestimmungen verletzt.
Das Strafsachen-FA habe im November 2003
ausdrücklich Unterlagen bezüglich der Einnahmen ab dem
Jahr 1992 angefordert. Hierbei habe es sich um eine
Ermittlungsmaßnahme der Fahndungsbehörden gehandelt,
wodurch eine Hemmung der Verjährung gemäß §
171 Abs. 5 Satz 1 AO ausgelöst worden sei. Ferner habe das FG
festgestellt, dass die Ermittlungen der Steuerfahndung am 30.1.2004
begonnen hatten.
Der Hemmungstatbestand des § 171 Abs.
5 Satz 2 AO sei im Streitfall ebenfalls einschlägig. Zwar habe
die Einleitungsverfügung zutreffend lediglich die
strafrechtlich noch nicht verjährten Jahre ab 1999 erfasst.
Dies bedeute jedoch nicht, dass in steuerlicher Hinsicht lediglich
Konsequenzen für diese Jahre gezogen werden
dürften.
Schließlich führe § 171
Abs. 9 AO im kumulativen Zusammenwirken mit den Regelungen in Abs.
5 der Vorschrift zur Hemmung. Die Selbstanzeige der Kläger aus
dem November 2003 habe zunächst die einjährige Hemmung
gemäß § 171 Abs. 9 AO ausgelöst. Im Laufe der
Jahresfrist seien dann - jedenfalls durch die Aufnahme der
Ermittlungen durch die Steuerfahndung im Januar 2004 - die
Voraussetzungen der Hemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz
1 AO herbeigeführt worden. Innerhalb des § 171 AO gebe es
keine Hemmungstatbestände höheren oder minderen Ranges.
§ 171 Abs. 9 AO stelle insbesondere keine abschließende
Spezialregelung für den Fall der Selbstanzeige dar.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist nicht begründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht entschieden,
dass der Eintritt der Festsetzungsverjährung dem Erlass des
angegriffenen Einkommensteueränderungsbescheids
entgegenstand.
1. Die Änderung einer Steuerfestsetzung
ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen
ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Frist beträgt für
die hier in Rede stehende Einkommensteuer regulär vier Jahre
(§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Soweit die Steuer hinterzogen
worden ist, greift die zehnjährige Festsetzungsfrist
gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ein.
Beginnen die mit der Steuerfahndung betrauten
Dienststellen der Landesfinanzbehörden vor Ablauf der
Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der
Besteuerungsgrundlagen, so läuft die Festsetzungsfrist
insoweit nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu
erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Das Gleiche
gilt, wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung des
Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben worden ist (§ 171 Abs. 5
Satz 1 und 2 AO).
Voraussetzung für die
verjährungshemmende Wirkung der Fahndungsprüfung ist,
dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist
tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss
für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen
Steuerangelegenheiten ermittelt wird. Für
Steueransprüche, die nicht Gegenstand der
Fahndungsprüfung waren, kann keine Ablaufhemmung eintreten
(Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9.3.1999 VIII R 19/97,
BFH/NV 1999, 1186 = SIS 99 50 07, und vom 13.2.2003 X R 62/00,
BFH/NV 2003, 740 = SIS 03 23 80). Die Ablaufhemmung endet nur dann,
wenn aufgrund der Prüfung Steuerbescheide ergangen und diese
unanfechtbar sind. Die zeitliche Grenze für den Erlass von
Änderungsbescheiden im Anschluss an Fahndungsmaßnahmen
wird durch den Eintritt der Verwirkung gezogen (BFH-Urteil vom
24.4.2002 I R 25/01, BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586 = SIS 02 84 80).
Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der
Festsetzungsfrist eine Anzeige nach § 371 AO, so endet die
Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der
Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO).
2. Danach war im Streitfall die
Festsetzungsfrist zum Zeitpunkt des Erlasses des
Einkommensteueränderungsbescheids am 9.6.2005 bereits
abgelaufen.
a) Die Einkommensteuererklärung 1992
wurde im Jahr 1993 abgegeben. Damit fiel der Beginn der
Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
AO auf das Jahresende 1993. Nach den von den Beteiligten nicht in
Zweifel gezogenen tatsächlichen Feststellungen des FG hatten
die Kläger eine Einkommensteuerhinterziehung begangen. Die
gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehnjährige
Festsetzungsfrist endete damit regulär am 31.12.2003.
b) Der Ablauf dieser Frist wurde im Streitfall
allein durch den Eingang der Selbstanzeige vom 5.11.2003
gemäß § 171 Abs. 9 AO für die Dauer eines
Jahres gehemmt. Bei Erlass des streitigen Änderungsbescheids
im Juni 2005 war die Jahresfrist jedoch bereits abgelaufen.
c) Andere Hemmungstatbestände sind nicht
verwirklicht worden.
aa) Die Einleitung des Steuerstrafverfahrens
hat den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht gemäß §
171 Abs. 5 Satz 2 AO gehemmt.
Das Strafsachen-FA hat im Streitfall die
Einleitung des Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der
Einkommensteuerhinterziehung in vier rechtlich selbstständigen
Fällen - 1999 bis 2002 - bekannt gegeben. Diese Maßnahme
beeinflusste nur den Fristenlauf für die Steueransprüche
der betreffenden Jahre, nicht aber für den
streitgegenständlichen Steueranspruch 1992. Wegen des
Verdachts der Steuerstraftat „Einkommensteuerhinterziehung
1992“ wurde kein Ermittlungsverfahren eingeleitet und die
Einleitung bekannt gegeben. Bereits deshalb ist die Vorschrift des
§ 171 Abs. 5 Satz 2 AO tatbestandlich nicht gegeben. Denn so
wie sich die Steuerfahndungsprüfung i.S. des § 171 Abs. 5
Satz 1 AO gegenständlich auf einen bestimmten Steueranspruch
beziehen muss, um die Frist zur Festsetzung dieses Anspruchs offen
zu halten (BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 1186 = SIS 99 50 07), so
greift auch der Tatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO nur in
Bezug auf denjenigen konkreten Steueranspruch ein, der durch eine
im Ermittlungsverfahren näher aufzuklärende Straftat
verletzt worden sein soll (vgl. BFH-Urteil vom 14.4.2005 XI R
83/03, BFH/NV 2005, 1961 = SIS 05 44 64; Frotscher in Schwarz, AO,
§ 171 Rz 65a). Verjährungsrechtlich will das Gesetz damit
sicherstellen, dass die im Zuge des eingeleiteten
Steuerstrafverfahrens gewonnenen Erkenntnisse bei der Festsetzung
des betroffenen Steueranspruchs Berücksichtigung finden (vgl.
BFH-Urteil vom 29.4.2008 VIII R 5/06, BFHE 222, 1, BStBl II 2008,
844 = SIS 08 35 54, zu der vergleichbaren Vorschrift des § 239
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO). Erkenntnisgewinn in diesem Sinne
verspricht aber nicht irgendein Steuerstrafverfahren, sondern nur
ein solches, das gerade wegen der vermeintlichen Verletzung eines
bestimmten Steueranspruchs eingeleitet wurde.
bb) Bis zum 31.12.2003 hat die Steuerfahndung
nicht mit der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen i.S. des §
171 Abs. 5 Satz 1 AO begonnen. Denn nach den von der Revision nicht
angegriffenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen
des FG ist im Jahr 2003 allein die StraBuSt des Strafsachen-FA
tätig geworden. Die von ihr ergriffenen Maßnahmen - die
Anforderung von Unterlagen und vor allem die Informationsgewinnung
durch Befragung des Vertreters der Kläger anlässlich des
Gesprächs an Amtsstelle - stellen zwar entgegen der Auffassung
des FG gewichtige Ermittlungshandlungen dar, doch stellt § 171
Abs. 5 Satz 1 AO nach seinem eindeutigen Wortlaut auf - dem
Steuerpflichtigen erkennbare - Ermittlungen der mit der
Steuerfahndung betrauten Dienststellen der
Landesfinanzbehörden ab. Daran fehlt es vorliegend.
Entgegen der Ansicht der Revision können
die Ermittlungen der StraBuSt nicht der Steuerfahndung zugerechnet
werden, auch wenn der Landesverordnungsgeber StraBuSt und
Steuerfahndung in einem eigenständigen Strafsachen-FA
organisatorisch verselbstständigt hat (vgl. Seipl in
Beermann/Gosch, AO § 404 Rz 7, zur Organisationsstruktur). Der
Bundesgesetzgeber hat in der hier allein maßgeblichen
Verjährungsvorschrift des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO die
ausdrückliche Entscheidung getroffen, dass nur Ermittlungen
der Steuerfahndungsdienststellen, nicht aber anderer
Untergliederungen einer Finanzbehörde, wie z.B. der StraBuSt,
der Betriebsprüfungsstelle, der Vollstreckungsstelle, oder
Ermittlungen des Finanzamts schlechthin eine Hemmung auslösen
können. Die danach zwingend erforderliche Abgrenzung darf
durch eine wie auch immer geartete Zurechnung nicht unterlaufen
werden, es sei denn der Bundesgesetzgeber ordnete die Durchbrechung
der in § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gesetzten Regel selbst an. In
der AO findet sich aber keine Norm, wonach Ermittlungen anderer
Dienststellen der Landesfinanzbehörden der Steuerfahndung als
eigene verjährungshemmende Ermittlungen zuzurechnen sind.
Vielmehr trennt die AO, wie sich aus den Regelungen in §§
208 Abs. 3 und 404 AO ergibt, Aufgaben und Befugnisse der mit der
Steuerfahndung betrauten Dienststellen der
Landesfinanzbehörden streng von den Aufgaben und Befugnissen
sonstiger Dienststellen oder des Finanzamts als solchem.
cc) Die im November 2003 erstattete
Selbstanzeige stellt nach herrschender Meinung, der sich der Senat
anschließt, keinen Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO dar
und führt daher nicht zu einer Ablaufhemmung nach dieser
Vorschrift (Kruse in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 12;
Pahlke/Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 171 Rz
27; Urteil des FG Bremen vom 7.9.2006 1 K 69/06, EFG 2006, 1883 =
SIS 06 43 46; im Ergebnis gleicher Auffassung auch Ruban in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz 17; Balmes in:
Kühn/ v.Wedelstädt, 19. Aufl., AO, § 171 Rz 21,
jeweils zur Berichtigungserklärung nach § 153 AO). Der
Gesetzgeber hat den Fall des Eingangs einer Selbstanzeige oder
einer Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO in
der Sonderregelung des § 171 Abs. 9 AO erfasst. Dieser Norm
käme keine Bedeutung mehr zu, wenn man jede Selbstanzeige als
Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO beurteilen würde.
dd) Die im Januar 2004 und damit innerhalb der
Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO begonnenen Ermittlungen der
Steuerfahndung haben keine weitere zeitlich unbegrenzte
Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO
ausgelöst. Vielmehr richtet sich der zeitliche Umfang der
Hemmung allein nach der Sonderregelung des § 171 Abs. 9 AO.
Der dort vorgesehene zeitliche Rahmen kann durch
Steuerfahndungsermittlungen, die erst nach Ablauf der
ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen wurden, nicht mehr
erweitert werden.
Der Senat schließt sich damit der in der
Literatur einhellig vertretenen Auffassung an (Ruban in HHSp,
§ 171 AO Rz 100; Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO
Rz 84; Balmes in: Kühn/v.Wedelstädt, a.a.O., § 171
Rz 91; Pahlke/Koenig/Cöster, a.a.O., § 171 Rz 139;
Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 171 Rz 93).
(1) Der Wortlaut des § 171 Abs. 5 Satz 1
AO ist allerdings nicht eindeutig. Mit der Formulierung
„vor Ablauf der Festsetzungsfrist“ könnte
die reguläre ungehemmte Frist (so Pahlke/ Koenig/Cöster,
a.a.O., § 171 Rz 62 und 109; Hartmann in Beermann/Gosch, AO
§ 171 Rz 33 und 57) oder auch die bereits anderweitig - hier:
gemäß § 171 Abs. 9 AO - gehemmte Frist gemeint
sein.
(2) Dagegen führt die Auslegung des
§ 171 Abs. 9 AO nach seinem Wortlaut, der
Entstehungsgeschichte, dem Zweck und der systematischen Funktion zu
dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber für die kurz vor Eintritt
der Verjährung bei den Finanzbehörden eingehende
Selbstanzeige (§ 371 AO) oder Berichtigungserklärung
(§ 153 AO) eine verjährungsrechtliche Sonderregelung
geschaffen hat, deren Rechtsfolgen nicht durch die Verknüpfung
mit dem Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO
unterlaufen werden dürfen.
Der Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 9
AO kommt nicht zum Tragen, wenn die dort vorgesehene Jahresfrist
vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist endet. Auch
verdrängt diese Regelung grundsätzlich nicht andere
Hemmungstatbestände, deren Voraussetzungen vor Ablauf der
regulären Festsetzungsfrist verwirklicht wurden (vgl.
BFH-Beschlüsse vom 22.1.1997 II B 40/96, BFHE 181, 571, BStBl
II 1997, 266 = SIS 97 10 77; vom 14.3.2005 II B 11/04, BFH/NV 2005,
1340 = SIS 05 32 48; vom 25.7.2007 V B 39/07, BFH/NV 2007, 2071 =
SIS 07 35 22; vom 14.9.2007 VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25 = SIS 08 04 50; zu Ausnahmen vgl. unter II.2.c cc der Gründe dieses
Urteils). Danach besteht der Zweck des § 171 Abs. 9 AO allein
darin, die Finanzbehörde in die Lage zu versetzen, die
kürzer als ein Jahr vor Ablauf der Festsetzungsfrist
eingehende Selbstanzeige ohne Zeitdruck prüfen und eine
etwaige Bescheidänderung innerhalb eines Jahres veranlassen zu
können. Um die erforderliche Auswertung der Selbstanzeige oder
der Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO
sicherzustellen, gewährt der Gesetzgeber dem Fiskus bewusst
eine Auswertungsfrist von einem Jahr (BFH-Urteil vom 28.2.2008 VI R
62/06, BFHE 220, 238, BStBl II 2008, 595 = SIS 08 18 27; Lohmeyer
in Pump/Leibner, Abgabenordnung, Kommentar, § 171 Rz 52; vgl.
auch Protokoll Nr. 22/11 der Arbeitsgruppe
„AO-Reform“ des Finanzausschusses, Deutscher
Bundestag, 6. Wahlperiode 1969, 6. Ausschuss). Eine zeitlich
unbegrenzte Ablaufhemmung hat der Gesetzgeber hingegen gerade nicht
geschaffen. Er ging vielmehr davon aus, dass die Prüfung der
Berichtigungserklärungen innerhalb der Frist des § 171
Abs. 9 AO stattfindet und danach die Festsetzungsverjährung
eintritt. Die Bewältigung der Auswertungsarbeiten innerhalb
eines Jahres ist objektiv auch ohne weiteres möglich, da eine
Selbstanzeige i.S. des § 371 Abs. 1 AO nur vorliegt, wenn das
Finanzamt durch die Angaben in der Berichtigungserklärung in
die Lage versetzt wird, ohne langwierige große
Nachforschungen die zutreffende Steuer - gegebenenfalls im
Schätzungswege - festzusetzen (vgl. Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 5.9.1974 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293;
BFH-Beschluss vom 10.6.2005 VIII B 324/03, StE 2005, 2149 = SIS 05 47 97; Klein/Gast-deHaan, a.a.O., § 371 Rz 8).
Mit Rücksicht auf den vorgenannten
Gesetzeszweck des § 171 Abs. 9 AO ist es nicht zulässig,
den Tatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO, der ohne vorherigen
Eingang der Selbstanzeige für sich betrachtet keine
verjährungshemmende Wirkung entfalten würde, mit Abs. 9
der Vorschrift in der von der Revision geltend gemachten Weise zu
kombinieren. Denn die erforderliche Überprüfung und
Auswertung der Selbstanzeige fände dann nicht innerhalb der
vom Gesetzgeber eigens hierfür vorgesehenen und als
ausreichend erachteten Auswertungsfrist des § 171 Abs. 9 AO
statt, sondern in den - nur vom Rechtsinstitut der Verwirkung
gezogenen - zeitlichen Grenzen des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO
(vgl. BFH-Urteil in BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586 = SIS 02 84 80). Diese Gesetzesbestimmung ist zudem nach ihrem eigenen Zweck
nicht auf die vorliegend zu beurteilende Konstellation
zugeschnitten. Denn mit der zeitlich unbegrenzten Hemmung
gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO soll die Verwertung
der Ergebnisse langwieriger Ermittlungen der Fahndungsdienste in
Fällen unaufgeklärter Steuerkriminalität
verjährungsrechtlich abgesichert werden. Dagegen besteht die
Funktion des § 171 Abs. 9 AO darin, die steuerliche
Berücksichtigung von Informationen zu ermöglichen, die
ein „reuiger Steuersünder“ in
qualifizierter Form selbst an das Finanzamt geliefert hat, um in
den Genuss der Straffreiheit zu gelangen. Einer zeitlich
unbegrenzten Hemmung bedarf es nach der Einschätzung des
Gesetzgebers gerade nicht.