Kindergeld, Ausländer, unrechtmäßiger Besitz deutscher Ausweispapiere: Ausländer, die vergeblich die Anerkennung als Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit begehren, haben auch für solche Zeiten keinen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 EStG, in denen sie zu Unrecht im Besitz deutscher Ausweispapiere sind. - Urt.; BFH 17.4.2008, III R 16/05; SIS 08 28 82
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), ihr Ehemann sowie zwei
gemeinsame Kinder reisten im Jahre 1989 aus Polen in die
Bundesrepublik Deutschland ein. Die Ehegatten, die die Anerkennung
als Vertriebene begehrten, erhielten entsprechende
Registrierscheine. Noch im Jahre 1989 wurden der Klägerin
deutsche Ausweispapiere ausgestellt. Sie gab an, sie sei deutsche
Volkszugehörige, konnte dies in der Folgezeit allerdings nicht
glaubhaft machen. Ein Antrag auf Erteilung eines
Vertriebenenausweises wurde abgelehnt, die dagegen erhobene Klage
nahm die Klägerin im März 1996 zurück.
Im September 1996 beantragte die
Klägerin, die sich inzwischen von ihrem Ehemann getrennt
hatte, Kindergeld für die beiden in ihrem Haushalt lebenden
Kinder. In dem Antrag gab sie als Staatsangehörigkeit
„deutsch“ an. Die Beklagte und Revisionsbeklagte
(Familienkasse) gewährte das Kindergeld ab Oktober 1996. Seit
dieser Zeit war die Klägerin nichtselbständig
beschäftigt.
Im Januar 1997 forderte das
Einwohnermeldeamt die Ausweisdokumente zum Zweck der Einziehung
zurück. Die Klägerin kam der Aufforderung im September
1997 nach und beantragte eine Aufenthaltsgenehmigung. Noch im
gleichen Monat erhielt sie eine Bescheinigung nach § 69 Abs. 3
des Ausländergesetzes (AuslG 1990), nach der ihr Aufenthalt
bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt
galt. Unter dem Datum des 26.2.1998 wurde der Klägerin auf der
Grundlage eines Erlasses des Innenministeriums des Landes
Nordrhein-Westfalen vom 3.4.1996 (Altfallregelung für
Vertriebenenbewerber) eine zunächst befristete, später
verlängerte Aufenthaltsbefugnis nach § 32 AuslG 1990
i.V.m. § 30 Abs. 1 AuslG 1990 erteilt.
Mit Bescheid vom 19.12.2000 hob die
Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab Oktober 1996
gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung
(AO) auf, weil die Klägerin weder die deutsche
Staatsangehörigkeit besessen habe noch im Besitz einer
gültigen Aufenthaltserlaubnis oder –berechtigung gewesen
sei. Die Familienkasse forderte das für Oktober 1996 bis
Oktober 2000 gezahlte Kindergeld von 23.160 DM zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach
erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab, mit welcher die
Klägerin Kindergeld für den Zeitraum Oktober 1996 bis
April 2004 begehrte (Urteil vom 16.11.2004 14 K 1288/01 Kg, EFG
2005, 716 = SIS 05 19 71).
Zur Begründung der Revision wird im
Wesentlichen vorgetragen: Nach der Neufassung des § 62 Abs. 2
des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergebe sich für die
Klägerin, die in den deutschen Arbeitsmarkt integriert gewesen
sei, ein Anspruch auf Kindergeld. Auch im Hinblick darauf, dass die
Aufnahme Polens in die Europäische Union absehbar gewesen sei,
habe von einem Daueraufenthalt ausgegangen werden können. Im
Oktober 1996 habe sich die Klägerin bereits seit mehr als drei
Jahren rechtmäßig in Deutschland aufgehalten,
außerdem sei sie berufstätig gewesen. Darüber
hinaus habe sie deutsche Ausweisdokumente erhalten. Mit dem Einzug
der Ausweisdokumente habe die Klägerin nicht rechnen
müssen. Vom 9.1.1997 bis zum 9.9.1997 hätten die
Voraussetzungen für eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30
AuslG 1990 vorgelegen. Auch sei der Klägerin der Aufenthalt
nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990 erlaubt gewesen.
Während des Revisionsverfahrens hat
die Familienkasse mit Bescheid vom 6.11.2007 Kindergeld für
die Zeit von Februar 1998 bis April 2004 festgesetzt. Daraufhin
haben die Beteiligten hinsichtlich des Zeitraums Februar 1998 bis
April 2004 den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache
für erledigt erklärt (§ 138 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil, die
Einspruchsentscheidung vom 26.1.2001 sowie den Aufhebungsbescheid
vom 19.12.2000 hinsichtlich des Zeitraums Oktober 1996 bis Januar
1998 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Die Familienkasse führt aus, auch nach
der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG stehe der Klägerin
kein Kindergeld für die Zeit vor Februar 1998 zu, da sie bis
dahin lediglich eine sog. Fiktionsbescheinigung nach § 69 Abs.
3 AuslG 1990 besessen habe.
II. 1. Hinsichtlich des Kindergeldes für
die Zeit von Februar 1998 bis Oktober 2000 haben die Beteiligten
übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für
erledigt erklärt. Insoweit ist das Urteil des FG
gegenstandslos geworden. Im Übrigen (Kindergeld für
Oktober 1996 bis Januar 1998) ist die Revision unbegründet und
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
2. Ein Anspruch auf Kindergeld nach § 62
Abs. 1 EStG besteht nicht.
a) Die Klägerin besaß nicht die
deutsche Staatsangehörigkeit, auch war sie nicht
Statusdeutsche i.S. des Art. 116 Abs. 1 Alt. 2 des Grundgesetzes
(GG). Ihre Bemühungen, als Vertriebene deutscher
Volkszugehörigkeit anerkannt zu werden, hatten keinen Erfolg.
Die Klägerin war Ausländerin (§ 1 Abs. 2 AuslG
1990), so dass sich die Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 2
EStG richtet.
b) Der Umstand, dass die Klägerin im
streitigen Zeitraum im Besitz deutscher Ausweisdokumente war,
führt nicht zu der Annahme, sie sei deshalb
kindergeldrechtlich als Deutsche zu behandeln gewesen. Die
Klägerin erlangte nicht dadurch die deutsche
Staatsangehörigkeit, dass ihr ein deutscher Reisepass und ein
deutscher Personalausweis ausgehändigt wurden. Vielmehr wurden
die Dokumente zu Unrecht ausgestellt, wie sich im Verfahren
über die Anerkennung als Vertriebene zeigte. Der Reisepass der
Klägerin war unrichtig, weil die darin eingetragene deutsche
Staatsangehörigkeit nicht zutraf (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr.
10 des Passgesetzes - PassG - i.V.m. § 11 Nr. 2 PassG).
Entsprechendes gilt für den Personalausweis (§ 1 Abs. 2
Nr. 9 des Gesetzes über Personalausweise - PAuswG - i.V.m.
§ 6 Nr. 2 des Personalausweisgesetzes Nordrhein-Westfalen -
PAuswG NW - vom 19.5.1987, GVBl NRW 1987, 170). Folgerichtig wurden
Pass und Personalausweis nach § 12 Abs. 1 PassG bzw. § 8
PAuswG NW eingezogen.
3. Der Klägerin steht auch kein
Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG n.F. zu.
a) Die Neuregelung ist mit Wirkung vom
1.1.2006 in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52
Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen - wie im
Streitfall - das Kindergeld noch nicht bestandskräftig
festgesetzt worden ist (Art. 2 des Gesetzes zur
Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld,
Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.12.2006 - AuslAnsprG
-, BGBl I 2006, 2915). Die Gesetzesänderung war eine Reaktion
auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6.7.2004 1 BvL
4/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114 = SIS 05 07 29), in dem dieses den nahezu wortgleichen § 1 Abs. 3 des
Bundeskindergeldgesetzes 1993 als insoweit unvereinbar mit Art. 3
Abs. 1 GG ansah, als die Gewährung von Kindergeld allein von
der Art der ausländerrechtlichen Genehmigung nach dem AuslG
1990 abhing. Der Senat hat mit Urteilen vom 15.3.2007 III R 93/03
(BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234 = SIS 07 15 05) sowie vom
22.11.2007 III R 54/02 (BFH/NV 2008, 457 = SIS 08 08 53)
entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 62
Abs. 2 EStG im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums
handelte, als er die Kindergeldberechtigung von Ausländern vom
Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz
(AufenthG) abhängig machte und bei einzelnen Titeln, die einen
schwächeren aufenthaltsrechtlichen Status vermitteln,
darüber hinaus von einem dreijährigen
rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im
Bundesgebiet sowie von der Integration in den deutschen
Arbeitsmarkt (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 EStG). An den
Grundsätzen dieser Urteile hält der Senat fest.
b) Im Streitfall hatte die Klägerin
für den Zeitraum Oktober 1996 bis Januar 1998 keine
ausländerrechtliche Genehmigung, die ihr einen Anspruch auf
Kindergeld einräumte.
c) Auch für die Zeit ab der erstmaligen
Beantragung bis zur Erteilung der Aufenthaltsbefugnis nach §
30 AuslG 1990 (September 1997 bis Januar 1998), in der der
Aufenthalt der Klägerin gemäß § 69 Abs. 3
AuslG 1990 als erlaubt galt und für die sie eine sog.
Fiktionsbescheinigung erhielt, stand ihr kein Kindergeld zu. Der
Kindergeldanspruch von Ausländern hängt - wie
ausgeführt - nach § 62 Abs. 2 EStG u.a. vom Besitz
bestimmter aufenthaltsrechtlicher Titel nach dem AufenthG ab oder -
für Zeiträume vor 2005 - von bestimmten
ausländerrechtlichen Genehmigungen nach dem AuslG 1990, die in
sinngemäßer Anwendung des § 101 AufenthG in
aufenthaltsrechtliche Titel umzuqualifizieren sind (Senatsurteile
in BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234 = SIS 07 15 05, sowie in BFH/NV
2008, 457 = SIS 08 08 53). Solange ein Ausländer nicht
erstmals im Besitz einer entsprechenden ausländerrechtlichen
Genehmigung oder eines aufenthaltsrechtlichen Titels ist, hat er
keinen Anspruch auf Kindergeld (s. BFH-Beschlüsse vom
18.12.1998 VI B 221/98, BFHE 187, 562, BStBl II 1999, 140 = SIS 99 06 55; vom 14.8.1997 VI B 43/97, BFH/NV 1998, 169 = SIS 97 23 15,
und vom 1.12.1997 VI B 147/97, BFH/NV 1998, 696). Die der
Klägerin erteilte Bescheinigung nach § 69 Abs. 3 AuslG
1990 ist daher nicht ausreichend.