Schul- und Hochschulunterricht, USt-Freiheit, Nachweis: 1. § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 setzt Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG nicht zutreffend um. Es ist fraglich, ob eine richtlinienkonforme Auslegung dieser Vorschrift möglich ist. - 2. Ein Steuerpflichtiger kann sich für die Umsatzsteuerfreiheit seiner Leistungen unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG berufen. - 3. Für die Annahme eines "Schul- und Hochschulunterrichts" i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG ist entscheidend, ob vergleichbare Leistungen in Schulen erbracht werden und ob die Leistungen der bloßen Freizeitgestaltung gedient haben. - 4. Die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde, dass eine Einrichtung auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet, ist ein Indiz dafür, dass Leistungen, die tatsächlich dem Anforderungsprofil der Bescheinigung entsprechen, nicht den Charakter einer bloßen Freizeitgestaltung haben. (Hinweis aus BStBl 2012 II S. 267 auf BMF-Schreiben von 2.4.2012 - IV D 3 - S 7179/07/10006 = SIS 12 09 45, BStBl 2012 I S. 484) - Urt.; BFH 24.1.2008, V R 3/05; SIS 08 18 03
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Ballett- und
Tanzstudio (folgend Ballettstudio), für das sie in den
Umsatzsteuererklärungen 1995 bis 1997 zunächst steuerbare
und steuerpflichtige Umsätze erklärte. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) setzte daraufhin die
Umsatzsteuer erklärungsgemäß fest. Für 1995
hob das FA im Änderungsbescheid vom 13.1.1999 den Vorbehalt
der Nachprüfung auf.
Mit Schreiben vom 19.10.1999 legte die
Klägerin eine Bescheinigung der zuständigen
Landesbehörde vom 6.10.1999 vor, worin bescheinigt wird, dass
die Klägerin ordnungsgemäß Kenntnisse und
Fertigkeiten für einen späteren Beruf vermittelt bzw. auf
eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts
abzulegende Prüfung vorbereitet. Gleichzeitig beantragte die
Klägerin, ihre für die Streitjahre 1995 bis 1998
erklärten Umsätze als steuerfrei zu behandeln. Hierzu
legte sie berichtigte (für 1995 bis 1997) bzw. erstmalige
(für 1998) Steuererklärungen vor, in denen die
Umsätze als steuerfrei ausgewiesen wurden.
Aufgrund einer bei der Klägerin
durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung kam das FA zu
dem Ergebnis, dass durchschnittlich zwei von hundert
Ballettschülern die Aufnahmeprüfung an der staatlichen
Musikhochschule ablegten und eine weitere Berufsausbildung
anstrebten. Das FA ging aus diesem Grund davon aus, dass auch nur 2
v.H. der Gesamtumsätze der Klägerin steuerfrei seien, und
erließ für die Streitjahre entsprechend geänderte
Umsatzsteuerbescheide.
Im Einspruchsverfahren legte die
Klägerin eine Bescheinigung der zuständigen
Landesbehörde vom 8.2.2001 vor, worin diese bestätigt,
dass die der Klägerin am 6.10.1999 erteilte Bescheinigung
bereits ab dem Zeitpunkt der Aufnahme ihrer Tätigkeit im
März 1990 gültig sei.
In der Einspruchsentscheidung setzte das FA
die Umsatzsteuer für 1998 aus nicht im Streit befindlichen
Gründen auf 7.286 DM herab. Hinsichtlich des Streitstoffes
blieb der Einspruch ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies mit seinem in
EFG 2005, 740 veröffentlichten Urteil die Klage ab (vgl. SIS 05 10 89). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus,
die Umsätze der Klägerin seien nicht nach § 4 Nr. 21
Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) von der
Umsatzsteuer befreit, weil das von ihr betriebene Ballettstudio
weder eine private „Schule“ noch eine „andere
allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung“ i.S. des
§ 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 sei. Allgemeinbildende
Einrichtungen seien solche, die ein breit gefächertes Wissen
vermittelten, ohne die Organisationsform der Schule zu haben. Nicht
zu den allgemeinbildenden Einrichtungen gehörten gewerbliche
Unternehmen, die nur spezielle Kenntnisse oder Fertigkeiten - wie
das von der Klägerin betriebene Ballettstudio - vermittelten.
Selbst wenn man die Unterrichtung in Ballett zur Allgemeinbildung
rechne, bleibe es dabei, dass im Studio der Klägerin kein
breit gefächertes Wissen wie in der Schule vermittelt werde,
sondern allenfalls ein kleiner Ausschnitt hieraus.
Die Klägerin betreibe auch keine
berufsbildende Schule oder Einrichtung i.S. des § 4 Nr. 21
Buchst. b UStG 1993. Diese Vorschrift setze voraus, dass die
Einrichtung Leistungen erbringe, die ihrer Art nach den Zielen der
Berufsaus- oder der -fortbildung dienten, indem sie spezielle
Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung bestimmter
beruflicher Tätigkeiten vermittle. Darunter fielen die Tanz-
und Ballettkurse der Klägerin nicht, weil sie die
Kursteilnehmer nicht auf einen bestimmten Beruf, sondern allenfalls
auf die Aufnahmeprüfung vor einer juristischen Person des
öffentlichen Rechts vorbereiteten. Die Kurse seien nicht Teil
einer gesetzlich geregelten Berufsausbildung oder
Berufsfortbildung. Die Rechtslage sei ähnlich wie bei Fahr-
oder Jagdschulen, die ebenfalls keine berufsbildenden Einrichtungen
seien.
Dieses Verständnis des § 4 Nr. 21
Buchst. b UStG 1993 entspreche auch dem Gemeinschaftsrecht, das in
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Sechsten Richtlinie des Rates
vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie
77/388/EWG) eine sehr allgemein gefasste Formulierung vorgegeben
und damit dem nationalen Gesetzgeber einen Spielraum eröffnet
habe, der es ermögliche - wie in § 4 Nr. 21 Buchst. b
UStG 1993 geschehen - die Steuerbefreiung auf allgemein- oder
berufsbildende Einrichtungen zu beschränken.
Hiergegen wendet sich die Revision der
Klägerin, mit der sie Verletzung materiellen Rechts (§ 4
Nr. 21 Buchst. b UStG 1993) geltend macht.
Sie trägt im Wesentlichen vor, die
Beschränkung der Steuerbefreiung nach dem Anteil der
Schülerinnen und Schüler, die sich tatsächlich auf
eine Aufnahmeprüfung an einer Fachhochschule für Musik
und Tanz vorbereiten, verstoße gegen § 4 Nr. 21 Buchst.
b UStG 1993. Diese Regelung stelle nicht auf die Ziele der Personen
ab, die die Einrichtung besuchten, sondern darauf, ob der
Einrichtung generell die Eigenschaft einer allgemeinbildenden oder
berufsbildenden Einrichtung zukomme.
Entgegen der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) stehe der Finanzverwaltung keine eigene
Prüfungskompetenz hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale des
§ 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 zu. Eine andere
allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung sei immer in dem
Umfang anzunehmen, wie der begünstigte Bereich einer erteilten
Bescheinigung i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 reiche.
Andernfalls gehe der Prüfungsaufwand für die Ausstellung
der Bescheinigung ins Leere.
Eine Einrichtung, die - wie das von ihr,
der Klägerin, betriebene Ballettstudio - künstlerischen
Tanz unterrichte, sei sowohl als andere allgemeinbildende als auch
als andere berufsbildende Einrichtung anzuerkennen.
Gegenstand der Allgemeinbildung sei nicht
nur die Wissensvermittlung in geistigen Fächern, sondern auch
die kulturelle Bildung. Auf die Vermittlung eines breit
gefächerten Wissens könne es nicht ankommen.
Das von ihr betriebene Ballettstudio sei
eine berufsbildende Einrichtung, weil es auf den Beruf des
Tänzers ausgerichtet sei. Ohne professionelle Ausbildung
bereits im Vorschulalter sei das spätere Studium des Tanzes
und damit die Ausübung des Berufes des Tänzers nicht
möglich; das Erlernen von Standardtänzen sei dagegen in
jedem Alter möglich. Die Zielsetzung, die konzeptionelle
Ausgestaltung und die Durchführung der Leistungen ihres
Ballettunterrichts unterschieden sich von den Leistungen freier
Unterrichtseinheiten grundlegend.
Schließlich seien ihre Umsätze
auch aus Gründen der Gleichbehandlung von der Umsatzsteuer zu
befreien, weil die städtische Musikschule der Stadt D bzw.
einzelne Gymnasien, die auch Kurse der tänzerischen
Früherziehung anböten, als öffentliche Einrichtungen
steuerbefreit seien. Gleiches gelte auch für die staatlichen
Ballettschulen.
Die Klägerin beantragt, unter
Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung die
Umsatzsteuer 1995 bis 1998 auf 0 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Die Umsätze der Klägerin sind
gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 steuerfrei,
soweit es sich um Leistungen gehandelt hat, die nicht lediglich den
Charakter bloßer Freizeitgestaltung gehabt haben. Die
Feststellungen des FG lassen keine Beurteilung zu, ob und in
welchem Umfang das der Fall gewesen ist.
1. Nach der in den Streitjahren 1995 bis 1998
geltenden Vorschrift des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 sind
die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen
privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder
berufsbildender Einrichtungen steuerfrei, wenn die zuständige
Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine
vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts
abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.
§ 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 setzt Art. 13 Teil A Abs. 1
Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG um (vgl. BFH-Urteile vom
10.6.1999 V R 84/98, BFHE 188, 462, BStBl II 1999, 578 = SIS 99 18 51, unter II.2.; vom 23.8.2007 V R 4/05, BFHE 217, 327, BFH/NV
2007, 2215 = SIS 07 34 85, unter II.2.b bb). Gemäß Art.
13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG befreien die
Mitgliedstaaten von der Steuer:
|
... „i) die Erziehung von Kindern und
Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung,
die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng
verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen
durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen
Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem
betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer
Zielsetzung;“
|
2. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom
21.3.2007 V R 28/04 (BFHE 217, 59, BFH/NV 2007, 1604 = SIS 07 23 55, unter II.2.c aa) ausgeführt hat, wurde diese
Richtlinienbestimmung - wie auch andere in Art. 13 der Richtlinie
77/388/EWG aufgeführte Steuerbefreiungen - vom nationalen
Gesetzgeber bisher lediglich dadurch
„umgesetzt“, dass er die schon bei Inkrafttreten
der Richtlinie 77/388/EWG vorhandenen, teilweise bereits im UStG
1951 enthaltenen Steuerbefreiungstatbestände im Wesentlichen
unverändert weitergeführt hat.
Der Senat lässt im Streitfall offen, ob
die Steuerfreiheit der streitigen Leistungen aus § 4 Nr. 21
Buchst. b UStG 1993 folgt und inwieweit eine richtlinienkonforme
Auslegung dieser Vorschrift möglich wäre. Denn die
Klägerin kann sich grundsätzlich für die
Umsatzsteuerfreiheit der streitigen Leistungen auf Art. 13 Teil A
Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG berufen (zur
Berufbarkeit ausführlich Senatsurteile vom 18.8.2005 V R
71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143 = SIS 06 01 79; vom
19.5.2005 V R 32/03, BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900 = SIS 05 31 28).
a) Die Klägerin erfüllt die
persönlichen Voraussetzungen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst.
i der Richtlinie 77/388/EWG, weil es sich bei ihr um eine
„andere Einrichtung mit von dem betreffenden Mitgliedstaat
anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“ handelt.
aa) Der Begriff
„Einrichtung“ ist grundsätzlich weit genug,
um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen
(Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften -
EuGH - vom 26.5.2005 Rs. C-498/03, Kingscrest Associates Ltd. und
Montecello Ltd., Slg. 2005, I-4427, BFH/NV Beilage 2005, 310, UR
2005, 453 = SIS 05 30 13 Rz 35; z.B. BFH-Urteil in BFHE 217, 59,
BFH/NV 2007, 1604 = SIS 07 23 55). Hat der Gemeinschaftsgesetzgeber
die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiungen nicht
ausdrücklich vom Fehlen eines Gewinnstrebens abhängig
gemacht - wie z.B. in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der
Richtlinie 77/388/EWG -, kann das Streben nach Gewinnerzielung die
Inanspruchnahme dieser Befreiungen nicht ausschließen
(EuGH-Urteil Kingscrest Associates Ltd. in Slg. 2005, I-4427,
BFH/NV Beilage 2005, 310, UR 2005, 453 = SIS 05 30 13 Rz 40 und 43;
BFH-Urteil in BFHE 217, 59, BFH/NV 2007, 1604 = SIS 07 23 55).
bb) Nach den Feststellungen des FG besitzt die
Klägerin eine Bescheinigung, wonach sie eine Einrichtung i.S.
von § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993 ist, die auf einen Beruf
oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen
Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß
vorbereitet. Das genügt für die Anerkennung durch den
Mitgliedstaat Deutschland als Einrichtung mit vergleichbarer
Zielsetzung.
b) Bei den von der Klägerin
ausgeführten Leistungen kommt die Steuerbefreiung für
„Schul- oder Hochschulunterricht“ i.S. von Art.
13 Teil A Nr. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG in
Betracht.
Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. i der Richtlinie
77/388/EWG bezieht sich auf verschiedene Unterrichtsformen, ohne
diese zu definieren (vgl. EuGH-Urteil vom 14.6.2007 Rs. C-434/05,
Horizon College, BFH/NV Beilage 2007, 389, UR 2007, 587 = SIS 07 34 67). Der Begriff „Schul- und
Hochschulunterricht“ beschränkt sich dabei nicht auf
Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer
Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die
Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern er
schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die
Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die
Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu
entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter
bloßer Freizeitgestaltung haben (EuGH-Urteil vom 14.6.2007
Rs. C-445/05, Haderer, BFH/NV Beilage 2007, 394, UR 2007, 592 = SIS 07 23 30 Rz 26). Das EuGH-Urteil in der Rechtssache Haderer ist
zwar zu Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG
ergangen, wonach die Mitgliedstaaten „den von
Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht“
von der Steuer befreien. Es gibt aber keine Gründe dafür,
den Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ in
Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG anders
auszulegen als in Art. 13 Teil A Nr. 1 Buchst. j der Richtlinie
77/388/EWG (vgl. EuGH-Urteil Horizon College in BFH/NV Beilage
2007, 389, UR 2007, 587 = SIS 07 34 67 Rz 17 und 20 und
Schlussanträge der Generalanwältin vom 8.3.2007 in den
Rs. C-434/05, Horizon College, Slg. 2007, 4793, und C-445/05,
Haderer, Slg. 2007, 4841 Rz 40).
Bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale der
Steuerbefreiungen ist zwar zu berücksichtigen, dass die
Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Art. 13 der
Richtlinie 77/388/EWG umschrieben sind, eng auszulegen sind, weil
Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz
darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger
gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt (EuGH-Urteil
vom 19.4.2007 C-455/05, Velvet & Steel, BFH/NV Beilage 2007,
294, UR 2007, 379 = SIS 07 14 92 Rz 14, m.w.N.). Eine besonders
enge Auslegung des Begriffs „Schul- und
Hochschulunterricht“ würde aber die Gefahr einer
unterschiedlichen Anwendung des Mehrwertsteuerrechts in den
Mitgliedstaaten hervorrufen (EuGH-Urteil Haderer in BFH/NV Beilage
2007, 394, UR 2007, 592 = SIS 07 23 30 Rz 24).
c) Das FG wird deshalb prüfen
müssen, ob - wie die Klägerin unter Hinweis auf
entsprechende staatliche Schulen und Ergänzungsschulen
vorträgt - vergleichbare Leistungen in Schulen erbracht werden
und ob die Leistungen der Klägerin der bloßen
Freizeitgestaltung gedient haben. Hierbei wird es Folgendes
berücksichtigen müssen:
aa) Eine Beschränkung der Steuerbefreiung
auf solche Unterrichtsleistungen, die sich an Personen richten, bei
denen nach den Umständen anzunehmen ist, dass sie sich auf
einen Beruf oder eine Prüfung vor einer juristischen Person
vorbereiten, lässt sich nicht daraus herleiten, dass die
Leistungen gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1993
„unmittelbar“ dem Schul- und Bildungszweck
dienen müssen. Auf die Ziele der Personen, die die Einrichtung
besuchen, kommt es für die Steuerbefreiung nicht an.
Entscheidend sind vielmehr die Art der erbrachten Leistungen und
ihre generelle Eignung als Schul- oder Hochschulunterricht (vgl.
zur Berufsaus- oder -fortbildung: BFH-Urteile vom 18.12.2003 V R
62/02, BFHE 204, 355, BStBl II 2004, 252 = SIS 04 05 72; in BFHE
188, 462, BStBl II 1999, 578 = SIS 99 18 51; Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 3.12.1976 VII C 73.75,
BStBl II 1977, 334 = SIS 77 01 94). Deshalb ist es auch ohne
Belang, wie hoch der Anteil der Schüler ist, die den
Ballettunterricht tatsächlich im Hinblick auf eine
Berufsausbildung oder eine Prüfungsvorbereitung besuchten oder
später tatsächlich den Beruf des Tänzers ergriffen
haben (vgl. BFH-Urteil in BFHE 204, 355, BStBl II 2004, 252 = SIS 04 05 72, m.w.N.).
bb) Die Bescheinigungen der zuständigen
Landesbehörde vom 6.10.1999 und 8.2.2001 sind nicht nur
für die Frage der Anerkennung einer Einrichtung i.S. von Art.
13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG von Bedeutung
(s. oben unter II.2.a bb). Die Bescheinigungen haben auch insofern
Indizwirkung, als - sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte
vorliegen - davon auszugehen ist, dass Leistungen, die
tatsächlich dem Anforderungsprofil der Bescheinigung
entsprechen, nicht den Charakter einer bloßen
Freizeitgestaltung haben.
Solche gegenteiligen Anhaltspunkte, die zur
Annahme reiner Freizeitgestaltungen führen, können sich
zum Beispiel aus dem Teilnehmerkreis oder aus der thematischen
Zielsetzung eines Kurses ergeben. So sind Kurse, die von ihrer
Zielsetzung auf reine Freizeitgestaltung gerichtet sind,
ausgeschlossen. Darunter fallen zum Beispiel Kurse, die sich an
Eltern von Schülern richten, um die Wartezeit während des
Unterrichts der Kinder sinnvoll zu nutzen, Kurse für Senioren
oder allgemein am Tanz interessierte Menschen. Kurse hingegen, die
es einem Teilnehmer ermöglichen, die vermittelten Kenntnisse
und Fähigkeiten durch Vertiefung und Fortentwicklung
schließlich beruflich zu nutzen, fallen unter die
Steuerbefreiung auch dann, wenn von dieser Möglichkeit nur
wenige Teilnehmer Gebrauch machen. Hierfür spricht
insbesondere auch Kapitel V Abschn. 1 Art. 14 der Verordnung (EG)
Nr. 1777/2005 des Rates vom 17.10.2005 zur Festlegung von
Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 77/388/EWG über
das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften Nr. L 288, S. 1). Danach umfassen
die Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen
Umschulung, die unter den Voraussetzungen des Art. 13 Teil A Abs. 1
Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG erbracht werden,
Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder
einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahmen, die dem Erwerb
oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dienten. Die Dauer der
Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung ist
hierfür unerheblich. Für Schulunterricht und
Hochschulunterricht ist ein direkter Bezug zu einem Beruf deshalb
nicht erforderlich.
3. Die Anfechtungsbeschränkung des §
42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) steht einer
Herabsetzung der Umsatzsteuer für das Streitjahr 1995 nicht
entgegen. Die Bescheinigungen vom 6.10.1999 und 8.2.2001 wirken auf
das Jahr 1995 zurück (BFH-Beschluss vom 6.12.1994 V B 52/94,
BStBl II 1995, 913 = SIS 96 06 42; Schreiben des Bundesministeriums
der Finanzen - BMF - vom 30.11.1995 IV C 4 - S 7177 - 22/95, BStBl
I 1995, 827 = SIS 96 04 30) und stellen entweder
Grundlagenbescheide i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO oder
rückwirkende Ereignisse i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 AO dar (zur Problematik vgl. von Groll in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 175 AO Rz 262). Ob die
Rückwirkung bei einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20
Buchst. a UStG 1993 ausgeschlossen ist (so BFH-Urteil vom 15.9.1994
XI R 101/92, BFHE 176, 146, BStBl II 1995, 912 = SIS 95 04 23; a.A.
BMF, a.a.O.), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die durch
Art. 8 Nr. 6 des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes vom 9.12.2004 (BGBl
I 2004, 3310) eingefügte Vorschrift des § 175 Abs. 2 Satz
2 AO, wonach die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer
Bescheinigung oder Bestätigung nicht als rückwirkendes
Ereignis gilt, ist gemäß Art. 97 § 9 Abs. 3 Satz 1
des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung erstmals
anzuwenden, wenn die Bescheinigung oder Bestätigung nach dem
28.10.2004 vorgelegt oder erteilt wird, und spielt im vorliegenden
Fall schon deshalb keine Rolle.