Zusammentreffen von außerordentlichen Einkünften und dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünften: Hat der Steuerpflichtige neben außerordentlichen Einkünften i.S. von § 34 Abs. 2 EStG auch steuerfreie Einnahmen i.S. von § 32 b Abs. 1 EStG bezogen, so sind diese in der Weise in die Berechnung nach § 34 Abs. 1 EStG einzubeziehen, dass sie in voller Höhe dem verbleibenden zu versteuernden Einkommen hinzugerechnet werden (Anschluss an BFH-Urteil vom 17.1.2008, VI R 44/07, BFHE 220 S. 269 = SIS 08 12 30). - Urt.; BFH 22.9.2009, IX R 93/07; SIS 09 37 65
I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und
Anschlussrevisionskläger (Kläger) sind im Streitjahr 2002
zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. Der Kläger
erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, in
denen eine Entschädigung in Höhe von 56.526 EUR enthalten
war, welche unstreitig die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitfall geltenden
Fassung erfüllt. Daneben bezog er gemäß § 3
Nr. 28 EStG steuerfreie Aufstockungsbeträge nach dem
Altersteilzeitgesetz in Höhe von 3.951 EUR, die dem
Progressionsvorbehalt des § 32b Abs. 1 Nr. 1 EStG unterlagen.
Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte
(das Finanzamt - FA - ) setzte die Einkommensteuer für das
Streitjahr auf 8.900 EUR fest. Dabei wurden im Rahmen der
Berechnung der Einkommensteuer nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG
neben den außerordentlichen Einkünften des Klägers
auch dessen steuerfreie Einnahmen in der Weise einbezogen, dass sie
zur Ermittlung des Steuersatzes nach § 32b Abs. 2 EStG jeweils
in voller Höhe zum verbleibenden zu versteuernden Einkommen
addiert wurden. Der gegen den angewendeten Steuersatz gerichtete
Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
seinem in EFG 2008, 613 = SIS 08 12 95 veröffentlichten Urteil
statt, indem es im Rahmen der Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 2
EStG die steuerfreien Einnahmen bei der Ermittlung des Steuersatzes
nach § 32b Abs. 2 EStG nur zu 1/5 dem verbleibenden zu
versteuernden Einkommen zuzüglich 1/5 der Einkünfte i.S.
von § 34 EStG hinzurechnete und für das Streitjahr
lediglich eine Einkommensteuer in Höhe von 6.605 EUR
festsetzte.
Mit der hiergegen gerichteten Revision
rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Die vom FA
vorgenommene Berechnung berücksichtige anders als die des FG
den Umstand, dass die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden
steuerfreien Einnahmen die Leistungsfähigkeit des
Steuerpflichtigen auch bei einem Zusammentreffen mit
außerordentlichen Einkünften nicht nur teilweise,
sondern im vollen Umfang erhöhe.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision
des FA zurückzuweisen.
Ferner haben die Kläger
Anschlussrevision erhoben und beantragen, das Urteil des FG
aufzuheben und die Einkommensteuer für den
Veranlagungszeitraum 2002 unter Abänderung des
Einkommensteuerbescheids vom 7.3.2003 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 26.1.2004 auf 4.338 EUR und den
Solidaritätszuschlag auf 238,59 EUR festzusetzen.
Sie begründen dies damit, dass der
für außerordentliche Einkünfte gewährte
Progressionsvorteil auch hinsichtlich der Einkünfte i.S. von
§ 32b EStG zu gewähren sei.
Wegen der Verspätung ihrer am 6.2.2008
beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Anschlussrevision haben
die Kläger mit Schriftsatz vom 14.2.2008 Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand beantragt und diese damit begründet, dass im
Dezember 2007 beim Prozessbevollmächtigten der Kläger ein
Personalwechsel erforderlich gewesen sei. Die Mitarbeiterin, die in
der Vergangenheit für den Posteingang zuständig gewesen
sei, sei ab 7.12.2007 nicht mehr zur Arbeit erschienen. Im Dezember
sei beim Prozessbevollmächtigten eine Aushilfskraft
beschäftigt gewesen. Hinzu komme, dass im Dezember eine erst
Mitte November erkennbare Software- und Hardwareumstellung
erforderlich geworden sei, die über den Personalwechsel hinaus
zu erheblichen organisatorischen Problemen geführt habe. Mit
der EDV habe im maßgeblichen Zeitraum nur sehr
eingeschränkt gearbeitet werden können. Die permanente
Anwesenheit der Installationsfirma habe zu Einschränkungen im
Kanzleiablauf geführt. Aus nicht mehr nachvollziehbaren
Gründen sei dann die Revisionsbegründungsfrist für
die Anschlussrevision versehentlich durch die angelernte
Mitarbeiterin mit der Frist für die Stellungnahme zur
Revisionsbegründung gleichgesetzt worden. Dem
Prozessbevollmächtigten sei es aufgrund der
Einschränkungen innerhalb der Kanzlei im Dezember 2007 nicht
möglich gewesen, sämtliche Vorgänge und Fristen im
maßgeblichen Zeitraum zu kontrollieren, zumal auch nach dem
11.12.2007 die Hardware nicht richtig funktioniert habe.
Das FA beantragt, die Anschlussrevision
wegen Verfristung als unzulässig zu verwerfen.
II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zu Unrecht hat das FG bei der
Anwendung von § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG die steuerfreien
Einnahmen des Klägers bei der Ermittlung des Steuersatzes nach
§ 32b Abs. 2 EStG nur zu 1/5 dem verbleibenden zu
versteuernden Einkommen hinzugerechnet.
1. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die
Einkommensteuer auf die im zu versteuernden Einkommen enthaltenen
außerordentlichen Einkünfte nach der sog.
Fünftelregelung zu berechnen. Gemäß § 32b EStG
ist das zu versteuernde Einkommen mit einem besonderen Steuersatz
zu versteuern, der sich für das zu versteuernde Einkommen
zuzüglich bestimmter steuerfreier Einkünfte ergibt.
a) Der Kläger hat im Streitjahr
unstreitig eine Entschädigung in Höhe von 56.526 EUR
erhalten, welche gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2
EStG ermäßigt zu besteuern ist.
Die auf die außerordentlichen
Einkünfte entfallende Einkommensteuer beträgt nach §
34 Abs. 1 Satz 2 EStG das Fünffache des Unterschiedsbetrags
zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte
verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu
versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das
verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich 1/5 dieser
Einkünfte.
b) Die im Streitjahr an den Kläger
gezahlten Aufstockungsbeträge sind nach dem
Altersteilzeitgesetz in Höhe von 3.951 EUR gemäß
§ 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG im Rahmen des
Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.
aa) Der Progressionsvorbehalt nach § 32b
EStG ist grundsätzlich neben der Tarifermäßigung
nach § 34 Abs. 1 EStG anwendbar (BFH-Urteil vom 15.11.2007 VI
R 66/03, BFHE 219, 313, BStBl II 2008, 375 = SIS 08 08 36). §
34 Abs. 1 Satz 2 EStG verweist durch die Bezugnahme auf
„die Einkommensteuer“, die auf das verbleibende
zu versteuernde Einkommen entfällt, auf die Tarifvorschriften
des Einkommensteuergesetzes, zu denen auch § 32b EStG
gehört. § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG schreibt damit eine
integrierte Steuerberechnung vor (BFH-Urteil vom 17.1.2008 VI R
44/07, BFHE 220, 269, BFH/NV 2008, 666 = SIS 08 12 30, unter II. 2.
c aa). Die sog. additive Methode (dazu FG Baden-Württemberg,
Urteil vom 29.3.2007 8 K 172/03, EFG 2007, 1947 = SIS 07 37 51;
Siegel, FR 2008, 389; Siegel/ Diller, DStR 2008, 178, m.w.N.;
Siegel, Zeitschrift für Steuern & Recht - ZSteu - 2009,
Seite 255) findet im Gesetz keine Grundlage (BFH-Urteile in BFHE
220, 269, BFH/NV 2008, 666 = SIS 08 12 30; in BFHE 219, 313, BStBl
II 2008, 375 = SIS 08 08 36, m.w.N.). Aus dem systematischen
Zusammenhang des § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG zu § 32b EStG
folgt - ebenso wie aus dem systematischen Zusammenhang von §
34 Abs. 1 Satz 3 EStG zu § 32b EStG (dazu BFH-Urteil in BFHE
220, 269, BFH/NV 2008, 666 = SIS 08 12 30) -, dass sich die im
Rahmen der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG
durchzuführende Fünftelung nur auf die
außerordentlichen Einkünfte (Satz 2) bzw. das zu
versteuernde Einkommen (Satz 3) bezieht, nicht aber auf die dem
Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte nach § 32b
EStG. Diese sind vielmehr erst bei der Ermittlung der nach §
34 Abs. 1 Satz 2 EStG maßgebenden Einkommensteuerbeträge
zu berücksichtigen. Die vom FG vertretene Auffassung, dass bei
der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG auch die dem
Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte im Rahmen des
Progressionsvorbehalts nur zu 1/5 zu berücksichtigen seien,
ist mit dem Gesetz nicht vereinbar (BFH-Urteil in BFHE 220, 269,
BFH/NV 2008, 660 = SIS 08 12 30, unter II. 2. c aa).
bb) Nach dem Wortlaut des § 32b EStG ist
auch bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG der
besondere Steuersatz i.S. des § 32b Abs. 2 EStG
gemäß § 32b Abs. 1 EStG auf das nach § 32a
Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen anzuwenden.
Die volle Berücksichtigung der dem
Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte bei der
Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG läuft auch
dem Zweck des Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG nicht
zuwider. Mit dem Progressionsvorbehalt soll eine Steuerentlastung
verhindert werden, die sich daraus ergibt, dass aufgrund des
progressiven Tarifverlaufs auf das zu versteuernde Einkommen
infolge der Steuerfreiheit der dem Progressionsvorbehalt
unterliegenden Einkünfte ein niedrigerer Steuersatz anzuwenden
wäre als bei einer Steuerpflicht dieser Einkünfte (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 220, 269, BFH/NV 2008, 666 = SIS 08 12 30, unter
II. 2. c bb, m.w.N.). Die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden
Einkünfte werden daher bei der Ermittlung des für das zu
versteuernde Einkommen maßgeblichen Steuersatzes, nicht aber
in das zu versteuernde Einkommen selbst einbezogen.
So darf die Anwendung des § 32b EStG auch
nicht zu einer höheren Steuerbelastung führen als bei
einer Steuerpflicht der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden
Einkünfte. Dies wäre dann der Fall, wenn die
außerordentlichen Einkünfte das zu versteuernde
Einkommen deutlich überstiegen, so dass § 34 Abs. 1 Satz
3 EStG anzuwenden wäre (BFH-Urteil in BFHE 220, 269, BFH/NV
2008, 666 = SIS 08 12 30, unter II. 2. c bb, m.w.N.). Deshalb hat
der BFH bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG
in teleologischer Reduktion der Norm die dem Progressionsvorbehalt
unterliegenden Einkünfte im Rahmen des § 32b EStG nur
insoweit berücksichtigt, als sich nach einer Verrechnung mit
dem negativen verbleibenden zu versteuernden Einkommen ein
positiver Betrag ergibt. Dieses Problem stellt sich im Rahmen von
§ 34 Abs. 1 Satz 2 EStG jedoch nicht, da das verbleibende zu
versteuernde Einkommen positiv ist. Zwar entfalten der
steuererhöhende Progressionsvorbehalt und die steuermindernde
Fünftelregelung bei der Berechnung der Einkommensteuer
gegenläufige Wirkung (BFH-Urteil in BFHE 219, 313, BStBl II
2008, 375 = SIS 08 08 36, unter II. 4. b cc). Jedoch reduziert die
Fünftelregelung in den Fällen des § 34 Abs. 2 EStG
die unter Anwendung des Progressionsvorbehalts errechnete Steuer,
soweit nicht das verbleibende zu versteuernde Einkommen schon im
obersten Tarifbereich liegt.
cc) Die vom FA angewandte Berechnungsmethode
führt auch nicht zu einer verfassungswidrigen
Übermaßbesteuerung.
Ziel der Fünftelregelung ist es, die
zusammengeballt in einem Jahr anfallenden außerordentlichen
Einkünfte in typisierender Weise so zu besteuern, als wenn sie
nicht in einem, sondern in fünf Jahren angefallen wären
(vgl. Horn in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 34 EStG Rz 3;
Eggesiecker/Ellerbeck, DStR 2007, 1281 f.). Dabei hat sich der
Gesetzgeber nicht für eine Verteilung der
außerordentlichen Einkünfte auf fünf
Veranlagungszeiträume entschieden. Vielmehr mindert er ihre
Progressionswirkung in der Weise, dass er sie auf das untere
Fünftel der Gesamtprogressionswirkung beschränkt, die die
außerordentlichen Einkünfte im Jahr des Zuflusses
entfalten würden. Die Beschränkung wirkt nicht etwa
linear, sondern in Abhängigkeit von der Steigerung der
Steuersatzkurve im jeweiligen Bereich. Erreicht das verbleibende zu
versteuernde Einkommen den Spitzensteuersatz, ist die
Progressionswirkung der außerordentlichen Einkünfte und
damit die Entlastungswirkung der Fünftelregelung gleich
Null.
Die nach § 34 Abs. 1 EStG zu saldierenden
Steuerbeträge sind in der Weise zu ermitteln, dass auf das
verbleibende zu versteuernde Einkommen bzw. auf das erhöhte
verbleibende zu versteuernde Einkommen jeweils die allgemeinen
Tarifvorschriften des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG
Anwendung finden. Die Berücksichtigung des
Progressionsvorbehalts beim verbleibenden zu versteuernden
Einkommen und beim verbleibenden zu versteuernden Einkommen
zuzüglich 1/5 der außerordentlichen Einkünfte
führt dazu, dass genau die Progressionswirkung der
außerordentlichen Einkünfte im dargelegten Sinne auf 1/5
beschränkt wird. So wird eine zielgenaue Umsetzung der ratio
des Progressionsvorbehalts erreicht.
Auch bei einer vollen Berücksichtigung
der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden steuerfreien
Einkünfte werden diese nicht besteuert. Der
Progressionsvorbehalt führt lediglich zu einer Erhöhung
der ansonsten begünstigten Besteuerung der
außerordentlichen Einkünfte nach § 34 Abs. 1 EStG,
dies jedoch entsprechend der gesteigerten wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit infolge des Bezugs auch steuerfreier
Einkünfte.
Soweit eine verfassungswidrige
Übermaßbesteuerung aus dem Zusammenspiel von
Fünftelregelung und Progressionsvorbehalt bei
vollständiger Berücksichtigung der dem
Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte daraus
abgeleitet wird, dass Grenzsteuersätze bis zum Fünffachen
des Einkommensteuerspitzensatzes auftreten könnten
(Siegel/Diller, DStR 2008, 178; Hennig/ Hundsdoerfer/Schult, DStR
1999, 131), verkennt dies, dass die Mehrsteuer aus der
Steuersatzerhöhung durch den Progressionsvorbehalt in einer
Relation zu den außerordentlichen Einkünften zu sehen
ist, weil sie zu einer Reduzierung der Begünstigung nach
§ 34 Abs. 1 EStG führt. Es werden nicht die dem
Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte besteuert,
vielmehr erhöhen diese den Maßstab für die zu
besteuernde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (Steuersatz)
und verringern das Bedürfnis nach einer Begünstigung der
außerordentlichen Einkünfte. Die
Verfassungsmäßigkeit der Einkommensteuerbelastung ist
für das vom einzelnen Steuerpflichtigen erwirtschaftete zu
versteuernde Einkommen zu beurteilen, nicht aber für
Einzelaspekte bei der Bestimmung des Durchschnittssteuersatzes.
Liegen das aus laufenden Einkünften bestehende verbleibende zu
versteuernde Einkommen unter dem Existenzminimum und die
außerordentlichen Einkünfte in der proportional zu
besteuernden Zone, so kann der Grenzsteuersatz bezogen auf das
verbleibende zu versteuernde Einkommen zwar ggf. über 200 %
betragen (vgl. Jahndorf/Lorscheider, FR 2000, 433; Wendt, FR 1999,
333, 337). Dies bedeutet jedoch noch nicht zwangsläufig eine
konfiskatorische Einkommensteuer auf die steuerliche
Bemessungsgrundlage insgesamt, wie der im Streitfall vom FA
angewandte Steuersatz zeigt. Maßgeblicher
Prüfungsgegenstand für die Einordnung einer
Steuerbelastung als unverhältnismäßig ist stets der
staatliche Steuerzugriff, d.h. die Höhe der Belastung einer
steuerbaren Tätigkeit, nicht aber Teilaspekte der
Steuersatzberechnung.
Der Progressionsvorbehalt wirkt sich im Rahmen
der typisierenden Berechnung des § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG aus
wie zusätzliche nicht begünstigte Einkünfte. Dies
entspricht auch seiner Zwecksetzung, den Steuerpflichtigen
hinsichtlich seines Steuersatzes so zu behandeln, als wären
die dem Progressionsvorbehalt unterfallenden Einkünfte nicht
steuerfrei. Diese Zusatzbelastung stellt eine systemgerechte
Beschränkung der Entlastung nach § 34 Abs. 1 EStG dar.
Mit der geringen Entlastungswirkung bei höheren
Einkünften bewegt sich der Gesetzgeber aber im Rahmen seiner
Gestaltungsfreiheit.
2. Nach diesen Grundsätzen hat das FA
zutreffend ausgehend vom zu versteuernden Einkommen von 65.048 EUR
ein verbleibendes zu versteuerndes Einkommen von 8.522 EUR
errechnet und hierzu die Aufstockungsbeträge für die
Berechnung des Steuersatzes nach § 32b Abs. 2 EStG addiert.
Die Steuer auf das verbleibende zu versteuernde Einkommen war 0
EUR. Die Addition von 1/5 der Einkünfte i.S. von § 34
EStG zum verbleibenden zu versteuernden Einkommen zuzüglich
der Aufstockungsbeträge nach § 32b Abs. 2 EStG
führte zu einem maßgebend zu versteuernden Einkommen von
23.778 EUR und damit zu einem durchschnittlichen Steuersatz von
8,9762 %. Die Anwendung dieses Steuersatzes auf das zu versteuernde
Einkommen plus 1/5 der außerordentlichen Einkünfte unter
Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts führte zu
einem Unterschiedsbetrag von 1.780 EUR, der mit dem Faktor 5 zu
multiplizieren war. Dies führt zu einer tariflichen
Einkommensteuer von 8.900 EUR.
Die Sache ist spruchreif. Angesichts der
zutreffenden Steuerberechnung des FA ist die Klage abzuweisen.
III. Da die Revision begründet ist, kann
die das gegenläufige Ziel verfolgende Anschlussrevision der
Kläger keinen Erfolg haben. Im Übrigen ist sie
unzulässig und daher zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
Eine Abschrift der Revisionsbegründung
wurde den Klägern am 20.12.2007 zugestellt. Die
Anschlussrevision war nach § 155 FGO i.V.m. § 554 Abs. 2
und 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) innerhalb eines Monats, d.h.
bis zum 21.1.2008, einzulegen und zu begründen (vgl.
BFH-Urteil vom 8.4.1981 II R 4/78, BFHE 133, 155, BStBl II 1981,
534 = SIS 81 18 48); das ist nicht geschehen. Hierauf wurden die
Kläger durch Schreiben des Vorsitzenden vom 7.2.2008,
zugestellt am 11.2.2008, hingewiesen.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach
§ 56 Abs. 1 FGO kann den Klägern nicht gewährt
werden. Sie waren nicht ohne Verschulden gehindert, die Frist
für die Einlegung der Anschlussrevision einzuhalten. Die
Kläger müssen sich das Verschulden ihres
Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen
lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
Angehörige der rechts- und
steuerberatenden Berufe müssen für eine zuverlässige
Fristenkontrolle sorgen und die Organisation des Bürobetriebs
so gestalten, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind
(ständige Rechtsprechung, BFH-Beschlüsse vom 8.11.2006
VII R 20/06, BFH/NV 2007, 469 = SIS 07 07 15; vom 23.10.2002 X B
56/02, BFH/NV 2003, 199 = SIS 03 08 63, m.w.N.). Für den Fall
der Verhinderung oder Abwesenheit eines mit der Fristenkontrolle
betrauten Mitarbeiters muss durch organisatorische Maßnahmen
die Weiterbearbeitung, zumindest aber die Einhaltung von Fristen
sichergestellt werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 199 = SIS 03 08 63, m.w.N.). Insoweit ist im Einzelnen darzulegen, wie die
Fristenkontrolle bei - wie auch immer bedingter - Abwesenheit der
in der Kanzlei für die Fristenkontrolle zuständigen
Mitarbeiterin geregelt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 7.12.2006 IX B
44/06, BFH/NV 2007, 921 = SIS 07 61 86).
Danach kann der Personalwechsel im Büro
des Prozessvertreters der Kläger die Fristversäumnis
nicht rechtfertigen. Gleiches gilt für die EDV-Probleme.
Treten solche auf, erfordert eine ordnungsgemäße
Büroorganisation, dass jedenfalls die Fristenkontrolle in
einer Weise sichergestellt wird, dass sich die technischen Probleme
hierauf nicht auswirken können.