Halbabzugsverbot, Verfassungsmäßigkeit: Das Halbabzugsverbot des § 3 c Abs. 2 EStG ist mit dem GG vereinbar. - Urt.; BFH 19.6.2007, VIII R 69/05; SIS 07 32 98
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt. Der Kläger ist mit 25 v.H. am Stammkapital der X
GmbH beteiligt. Diese Beteiligung wurde durch vier Darlehen
fremdfinanziert. Im Streitjahr 2002 floss dem Kläger für
das Geschäftsjahr 2001 eine Gewinnausschüttung in
Höhe von 59.186,75 EUR zu. Für die zur Finanzierung des
Geschäftsanteils aufgenommenen Darlehen zahlte der Kläger
Schuldzinsen in Höhe von 10.444,80 EUR. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) berücksichtigte die
Einnahmen aus dem Geschäftsanteil ebenso wie die damit im
Zusammenhang stehenden Aufwendungen nur zur Hälfte. Den
hiergegen eingelegten Einspruch, mit dem die Kläger
verfassungsrechtliche Einwendungen gegen die lediglich
hälftige Berücksichtigung der Werbungskosten erhoben,
wies das FA zurück.
Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen
gerichtete Klage abgewiesen (EFG 2006, 1404 = SIS 06 28 99).
Mit ihrer Revision rügen die
Kläger, die Vorschrift des § 3c Abs. 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) sei verfassungswidrig. Das
Halbabzugsverbot für den Beteiligungsaufwand von
natürlichen Personen verstoße gegen das objektive
Nettoprinzip. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung des
Halbeinkünfteverfahrens eine Belastungsentscheidung getroffen,
in der er die körperschaftsteuerliche und die
einkommensteuerliche Belastung unabhängig vom Steuersubjekt
auf der Seite der Erwerbseinnahmen zusammenziehe. Er sei daher nach
Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht mehr
frei, die korrespondierenden Kosten ohne sachliche Rechtfertigung
teilweise vom Abzug auszuschließen.
Die Kläger beantragen, das
angefochtene Urteil des Niedersächsischen FG aufzuheben und
die vollen Finanzierungskosten der Beteiligung an der GmbH für
das Jahr 2002 als Werbungskosten bei der Ermittlung ihrer
Einkünfte aus Kapitalvermögen anzuerkennen.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet; sie ist
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
1. Nach § 3c Abs. 2 EStG dürfen u.a.
Werbungskosten, die mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde
liegenden Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, bei
der Ermittlung der Einkünfte nur zur Hälfte abgezogen
werden, und zwar unabhängig davon, in welchem
Veranlagungszeitraum die Einnahmen anfallen.
Die vom Kläger zur Finanzierung seiner
GmbH-Beteiligung geleisteten Schuldzinsen erfüllen - was
zwischen den Beteiligten nicht strittig ist - die
Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift. Das Halbabzugsverbot ist
auch bereits auf Werbungskosten des Streitjahres 2002 anwendbar.
Nach den Anwendungsregelungen (§ 52 Abs. 4a Nr. 1 EStG in der
für das Streitjahr maßgebenden Fassung - heute § 52
Abs. 4b Satz 1 Nr. 1 EStG - ; § 34 Abs. 10a Satz 1 Nr. 1 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in der Fassung des Gesetzes
zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der
Unternehmensbesteuerung - Steuersenkungsgesetz (StSenkG 2001/2002)
- vom 23.10.2000, BGBl I 2000, 1433 - heute § 34 Abs. 12 Satz
1 Nr. 1 KStG - ) gilt das Halbeinkünfteverfahren erstmals
für offene Ausschüttungen, die dem Gesellschafter im Jahr
2002 zugeflossen sind. Dementsprechend besteht ein die Anwendung
des § 3c Abs. 2 EStG eröffnender wirtschaftlicher
Zusammenhang i.S. von § 52 Abs. 8a EStG mit solchen
Gewinnausschüttungen für Ausgaben, die der Gesellschafter
im Jahr 2002 geleistet hat.
2. Das Halbabzugsverbot des § 3c Abs. 2
EStG ist mit dem GG vereinbar.
a) Die grundsätzliche Freiheit des
Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen,
an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so
als rechtlich gleich qualifiziert, wird für den Bereich des
Steuerrechts und insbesondere für den des
Einkommensteuerrechts vor allem durch das Gebot der Ausrichtung der
Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und
durch das Gebot der Folgerichtigkeit begrenzt (Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 4.12.2002 2 BvR 400/98 und
2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, 27, 46, BStBl II 2003, 534, 540 = SIS 03 19 40).
Im Interesse der verfassungsrechtlich
gebotenen Lastengleichheit (vgl. Urteile des BVerfG vom 27.6.1991 2
BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 268, BStBl II 1991, 654, 664 = SIS 91 14 01; vom 7.12.1999 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297, 309, BStBl II
2000, 162, 166 = SIS 99 24 15) hat sich der Gesetzgeber dafür
entschieden, die objektive finanzielle Leistungsfähigkeit nach
dem Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den beruflichen
Erwerbsaufwendungen andererseits zu bemessen (objektives
Nettoprinzip; vgl. Beschluss des BVerfG vom 11.11.1998 2 BvL 10/95,
BVerfGE 99, 280, 290 f., BStBl II 1999, 502, 505 = SIS 99 08 48).
Zum objektiven Nettoprinzip hat das BVerfG bisher offen gelassen,
ob die Geltung dieses Prinzips des Einkommensteuerrechts auch
verfassungsrechtlich geboten ist; jedenfalls aber kann es der
Gesetzgeber beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und
darf sich generalisierender, typisierender und pauschalierender
Regelungen bedienen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 23.1.1990 1 BvL
4/87, BVerfGE 81, 228, BStBl II 1990, 483 = SIS 90 09 55). Hiernach
entfaltet das objektive Nettoprinzip Bedeutung vor allem im
Zusammenhang mit den Anforderungen an hinreichende Folgerichtigkeit
bei der näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen
Grundentscheidungen: Zu ihnen gehört die Beschränkung des
steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven
Nettoprinzips als Ausgangstatbestand der Einkommensteuer (vgl.
Beschluss des BVerfG in BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502 = SIS 99 08 48); Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem
objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung
bedürfen eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes
(vgl. Beschlüsse des BVerfG in BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999,
502 = SIS 99 08 48; BVerfGE 107, 27, 48, BStBl II 2003, 534, 540 =
SIS 03 19 40).
b) Der Revision ist grundsätzlich darin
beizupflichten, dass das Halbabzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG
für die mit laufenden Gewinnausschüttungen
zusammenhängenden Ausgaben das objektive Nettoprinzip
durchbricht und die Vorschriften des Halbeinkünfteverfahrens
insoweit nicht folgerichtig ausgestaltet sind.
Gemäß § 3 Nr. 40 EStG sind die
dort genannten Einnahmen und Vermögensmehrungen zur
Hälfte steuerfrei. Diese Regelung verfolgt den Zweck, die
Doppelbelastung ausgeschütteter Gewinne mit
Körperschaftsteuer und Einkommensteuer so zu mildern, dass
sich zusammen mit der steuerlichen Vorbelastung durch die
Körperschaftsteuer eine Gesamtbelastung ergibt, die
typisierend der Einkommensteuerbelastung für andere
Einkünfte entspricht (sog. Einmalbesteuerung des
ausgeschütteten Gewinns; BTDrucks 14/2683, S. 94). Dieses
Regelungsziel, das im Grundsatz dem des früheren
Anrechnungsverfahrens entspricht, wird nach dem
Halbeinkünfteverfahren nunmehr durch eine andere
Entlastungstechnik erreicht, nämlich durch die hälftige
Steuerbefreiung der Einnahmen nach § 3 Nr. 40 EStG. Im
Gegensatz zum Anrechnungsverfahren, welches stets eine exakte
Senkung der Gesamtbelastung auf die individuelle
Einkommensteuerbelastung des Anteilseigners gewährleistete
(Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., § 11 Rz 7)
führt das Halbeinkünfteverfahren zwar nur zu einer
pauschalen typisierenden Entlastung, die die individuelle
Einkommensteuerbelastung des Anteilseigners nur bei einem
individuellen Steuersatz von 40 v.H. exakt erreicht; bei einem
höheren individuellen Steuersatz als 40 v.H. führt das
Halbeinkünfteverfahren zu einer stärkeren Entlastung, bei
einem niedrigeren individuellen Steuersatz hingegen zu einer
geringeren Entlastung (vgl. Hey in Tipke/Lang, a.a.O., § 11 Rz
15 f.). Das ändert aber nichts daran, dass das
Halbeinkünfteverfahren daraufhin angelegt ist,
ausgeschüttete Gewinne einer Körperschaft einer
Gesamtbelastung zu unterwerfen, die typisierend der
Einkommensteuerbelastung anderer Einkünfte entspricht. Die
Vorschrift des § 3 Nr. 40 EStG normiert mithin keine echte
Steuerbefreiung, mit der, etwa aus sozialen oder subventiven
Gründen, auf die Besteuerung (teilweise) verzichtet wird.
Vielmehr bedeutet die Vorschrift - als europarechtlich gebotene
Alternative zum früheren Anrechnungsverfahren (so
ausdrücklich BTDrucks 14/2683, S. 94 f.) - ein
rechtstechnisches Instrument zur typisierenden
Berücksichtigung der auf der Gesellschaftsebene angefallenen
körperschaftsteuerlichen Vorbelastung. Gemessen an dem
Regelungszweck, ausgeschüttete Gewinne einer Gesamtbelastung
mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer zu unterwerfen, die
annähernd der Belastung anderer Einkünfte des
Anteilseigners entspricht, wäre es durchaus folgerichtig
gewesen, ebenso wie unter der Geltung des früheren
Anrechnungsverfahrens die dem Anteilseigner im Zusammenhang mit
seiner Beteiligung zur Erzielung von Gewinnausschüttungen
entstandenen Aufwendungen vollständig - wie bei allen anderen
Einkünften - als Werbungskosten abzuziehen. Das
Halbabzugsverbot durchbricht mithin insoweit das objektive
Nettoprinzip (ebenso Schön, Steuer und Wirtschaft - StuW -
2000, 153; ders., FR 2001, 386; Haep/Nacke in
Herrmann/Heuer/Raupach, Steuerreform 1999/2000/2002, § 3c EStG
Rz R 3; v. Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG,
§ 3c Rz A 141; Blümich/Erhard, § 3c EStG Rz 41;
Hundsdoerfer, BB 2001, 2242, 2245; Harenberg, FR 2002, 768, 770;
Hey in Tipke/Lang, a.a.O., § 11 Rz 17).
Überdies erscheinen die Vorschriften des
Halbeinkünfteverfahrens für die Ausschüttung
laufender Gewinne in sich nicht folgerichtig, weil sie für die
Erfassung der Einnahmen andere Maßstäbe zugrunde legen
als für die Berücksichtigung von Werbungskosten:
Während der Gesetzgeber für die steuerliche Belastung der
Einnahmen des Anteilseigners die Körperschaft und den
Anteilseigner wirtschaftlich als Einheit betrachtet und eine
Mehrfachbelastung mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer
durch das Halbeinkünfteverfahren verhindern will, wird beim
Abzug der damit zusammenhängenden Ausgaben des Anteilseigners
die wirtschaftliche Einheitsbetrachtung aufgegeben und stattdessen
rein rechtstechnisch darauf abgestellt, dass Körperschaft und
Anteilseigner verschiedene Steuersubjekte sind (vgl.
Bundesministerium der Finanzen, Bericht zur Fortentwicklung des
Unternehmenssteuerrechts, FR 2001, Beilage zu Heft 11, dort S. 22);
bei dieser Sichtweise wird die körperschaftsteuerliche
Vorbelastung unberücksichtigt gelassen und dementsprechend die
Vorschrift des § 3 Nr. 40 EStG als Steuervergünstigung
verstanden, die das Halbabzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG nach
sich zieht.
c) Gleichwohl ist das Halbabzugsverbot des
§ 3c Abs. 2 EStG im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Soweit die Vorschrift von der dem
Halbeinkünfteverfahren zugrunde liegenden wirtschaftlichen
Gesamtbetrachtung der Gesellschafts- und Anteilseignerebene
abweicht und das objektive Nettoprinzip durchbricht, ist dafür
ein sachlich rechtfertigender Grund gegeben. Eine Durchbrechung des
Nettoprinzips ergibt sich gemäß § 3c Abs. 2 Satz 1,
1. Halbsatz EStG nur für solche Betriebsausgaben und
Werbungskosten, die im Zusammenhang mit laufenden Einnahmen i.S.
von § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d bis i EStG stehen, nicht
jedoch, soweit es um Veräußerungsvorgänge i.S. von
§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a bis c, j EStG geht (dazu unten
unter II. 2. c aa der Gründe dieses Urteils). Die
systematische Grundentscheidung des Halbeinkünfteverfahrens,
Veräußerungsvorgänge den laufenden
Gewinnausschüttungen gleichzustellen, bildet die
Rechtfertigung dafür, auch die entsprechenden Aufwendungen
einheitlich zu behandeln, d.h. in allen Fällen nur den
Halbabzug zuzulassen (dazu unten unter II. 2. c bb der Gründe
dieses Urteils).
aa) Für
Veräußerungsvorgänge i.S. von § 3 Nr. 40 Satz
1 Buchst. a bis c, j EStG ist der in § 3c Abs. 2 Satz 1, 2.
Halbsatz EStG vorgeschriebene nur hälftige Abzug der
Anschaffungs- oder Herstellungskosten und der übrigen dort
genannten Werte vor dem Hintergrund des
Halbeinkünfteverfahrens und auch des Nettoprinzips
folgerichtig (BFH-Urteil vom 27.10.2005 IX R 15/05, BFHE 211, 273,
BStBl II 2006, 171 = SIS 06 01 82 zur Einkünfteermittlung
gemäß § 23 Abs. 3, § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j
EStG). Wird der Veräußerungspreis, der die erzielten
Wertsteigerungen widerspiegelt, nur zur Hälfte steuerrechtlich
berücksichtigt, kann ihm auch nur die Hälfte der
korrespondierenden Anschaffungs- oder Herstellungskosten (oder
anderen Werte) gegenübergestellt werden (in diesem Sinne auch
von Beckerath in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., § 3c Rz 29, a.E.).
Würden die Anschaffungs- oder Herstellungskosten (oder anderen
Werte) in vollem Umfang zum Abzug zugelassen, die
Veräußerungspreise aber nur zur Hälfte als
Einnahmen angesetzt, so könnten realisierte Wertsteigerungen
entgegen dem Normzweck nicht vollständig, sondern nur noch
erfasst werden, soweit sie die Anschaffungskosten übersteigen
(BFH-Urteil in BFHE 211, 273, BStBl II 2006, 171 = SIS 06 01 82;
vgl. dazu im Einzelnen Heuermann, DB 2005, 2708).
bb) Die sachliche Rechtfertigung, auch solche
Betriebsausgaben und Werbungskosten, die im Zusammenhang mit
laufenden Einnahmen i.S. von § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d bis i
EStG stehen, nach § 3c Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz EStG nur
hälftig zum Abzug zuzulassen, ergibt sich aus der
systematischen Parallele von laufenden Ausschüttungen und
Veräußerungsvorgängen im
Halbeinkünfteverfahren. Dem Halbeinkünfteverfahren liegt
die grundsätzliche gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, den
Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer
Körperschaft - auch bei Veräußerungen durch eine
natürliche Person - wie eine Gewinnausschüttung zu
besteuern, weil „die Veräußerung einer
Beteiligung einer Totalausschüttung wirtschaftlich
gleichkommt“ (BTDrucks 14/2683, S. 96).
Diese gesetzgeberische Prämisse beruht in
erheblichem Umfang auf einer - aus der Sicht der Steuerpflichtigen
günstigen - typisierenden Betrachtung. Die Gleichstellung von
Veräußerungsgewinn und Gewinnausschüttung
entspricht der wirtschaftlichen Realität nämlich nur,
soweit mit dem Kaufpreis der Beteiligung die auf der
Gesellschaftsebene versteuerten offenen Rücklagen bezahlt
werden. Wird der Kaufpreis der Beteiligung hingegen (auch) durch
vorhandene stille Reserven bestimmt, so wird der
Veräußerungspreis nach § 3 Nr. 40 EStG insoweit
ebenfalls nur zur Hälfte als Einnahme erfasst, obwohl die
stillen Reserven nicht mit Körperschaftsteuer vorbelastet
sind. Dies ist nach der oben genannten Gesetzesbegründung
deshalb gerechtfertigt, weil der Kaufpreis dann
„künftig zu versteuernde“ stille Reserven
enthält, die auf der Ebene der Kapitalgesellschaft steuerlich
verhaftet bleiben. Damit liegt dem Halbeinkünfteverfahren
insoweit das auch in anderen Regelungsbereichen, etwa im
Umwandlungssteuerrecht, anzutreffende Prinzip zugrunde, dass die
Besteuerung ausnahmsweise aus wirtschaftspolitischen Gründen
aufgeschoben bleiben kann, wenn sie letztlich gesichert erscheint
(Montag in Tipke/Lang, a.a.O., § 18 Rz 453, m.w.N.).
Darüber hinaus gelten die typisierende
Gleichstellung von Veräußerungsgewinn und
Gewinnausschüttung und die daraus folgende hälftige
Steuerbefreiung der Einnahmen beim Anteilseigner selbst dann, wenn
überhaupt kein erkennbarer Zusammenhang zwischen dem
Veräußerungsgewinn und einer
körperschaftsteuerlichen Vorbelastung besteht, etwa wenn der
Kaufpreis durch den Börsenkurs bestimmt wird (dazu Hey in
Tipke/Lang, a.a.O., § 11 Rz 12, m.w.N.).
Diese sehr weitgehende begünstigende
Typisierung auf der Einnahmenseite ist verfassungsrechtlich nicht
zu beanstanden; denn der Gesetzgeber hat, indem er bei einer
Anteilsveräußerung die Vergütung der auf der
Gesellschaftsebene versteuerten offenen Rücklagen im Kaufpreis
vorausgesetzt hat, keinen atypischen Fall als Leitbild gewählt
(vgl. zu den Grenzen der Typisierung im Steuerrecht Beschluss des
BVerfG vom 16.3.2005 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268 = SIS 05 30 25).
Dies gilt umso mehr, als auch bei der Besteuerung laufender
Dividenden nach dem Halbeinkünfteverfahren mitunter die
gesetzgeberische Prämisse, die Dividenden seien mit
Körperschaftsteuer vorbelastet, nicht zutrifft, etwa wenn die
Gesellschaft bei ihr steuerfrei gebliebene Betriebseinnahmen an den
Anteilseigner ausschüttet.
Die großzügige, zugunsten der
Steuerpflichtigen wirkende Typisierung auf der Einnahmenseite
rechtfertigt es, auch bei der Berücksichtigung der
entsprechenden Aufwendungen einen Gleichlauf von
Gewinnausschüttungen und Veräußerungsgewinnen
vorzusehen. Da für die mit Veräußerungsgewinnen
zusammenhängenden Aufwendungen (Anschaffungskosten und andere
Werte i.S. von § 3c Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz EStG) das
Halbabzugsverbot sachlich geboten ist (dazu oben unter II. 2. c aa
der Gründe dieses Urteils), ist das Halbabzugsverbot auch
für die mit laufenden Gewinnausschüttungen
zusammenhängenden Aufwendungen (§ 3c Abs. 2 Satz 1, 1.
Halbsatz EStG) zu rechtfertigen, selbst wenn es insoweit - isoliert
betrachtet - zu einer Durchbrechung des Nettoprinzips führt.
Hätte der Gesetzgeber, um insoweit die Durchbrechung des
Nettoprinzips zu vermeiden, für die mit laufenden
Gewinnausschüttungen zusammenhängenden Aufwendungen den
vollen Abzug zugelassen, so hätte er den systematischen
Gleichlauf von Gewinnausschüttungen und
Veräußerungsgewinnen auf der Ausgabenseite durchbrochen
und damit insoweit gegen das verfassungsrechtliche Gebot der
Folgerichtigkeit verstoßen. Dass das StSenkG 2001/2002
stattdessen den systematischen Gleichlauf von
Gewinnausschüttungen und Veräußerungsgewinnen auch
auf der Ausgabenseite folgerichtig umgesetzt, dafür aber eine
teilweise Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips für die
mit laufenden Gewinnausschüttungen zusammenhängenden
Ausgaben in Kauf genommen hat, ist mithin verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden.
d) Die Regelung des § 3c Abs. 2 EStG
erweist sich erst Recht als mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, wenn
für die verfassungsrechtliche Prüfung nicht die vom
Gesetzgeber bezweckte wirtschaftliche Belastungswirkung der
Vorschriften des Halbeinkünfteverfahrens, sondern ihre
rechtstechnische tatbestandliche Ausgestaltung auf der Grundlage
des Trennungsprinzips zugrunde gelegt wird. Im Gegensatz zum
früheren Anrechnungsverfahren, das die Körperschaftsteuer
im Fall der Gewinnausschüttung durch Steuerminderung bei der
Körperschaft (§ 27 KStG in der Fassung des Art. 4 des
Gesetzes vom 14.7.2000, BGBl I 2000, 1034) und Anrechnung beim
Anteilseigner (§ 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG in der bis 2000
geltenden Fassung) vollständig entfallen ließ und die
Ausschüttung letztlich allein der Einkommensteuer des
Anteilseigners unterwarf, entsteht die Körperschaftsteuer
unter der Geltung des Halbeinkünfteverfahrens definitiv und
unabhängig davon, ob Gewinne thesauriert oder
ausgeschüttet werden. Dementsprechend rechnet die
Gesetzesbegründung das Halbeinkünfteverfahren den sog.
klassischen Körperschaftsteuersystemen zu und betont das
Trennungsprinzip, demzufolge sich Körperschaft und
Anteilseigner als getrennte Steuersubjekte gegenüberstehen
(BTDrucks 14/2683, S. 94). Ginge man allein von diesem
tatbestandstechnischen Blickwinkel aus, wären die Einnahmen
des Anteilseigners gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG
unabhängig davon zu betrachten, ob die Gewinnausschüttung
bei der Körperschaft bereits mit Körperschaftsteuer
belastet war. Dies vorausgesetzt, wäre die hälftige
Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 40 EStG - auch soweit
sie laufende Gewinnausschüttungen betrifft - als echte
Steuervergünstigung einzustufen, so dass sich dann das
Halbabzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG als folgerichtig
erwiese.
e) Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung
der Kläger in Bezug auf die von ihnen getragenen Zinsen
besteht auch dann nicht, wenn man die Regelung für
natürliche Personen als Anteilseigner (§ 3 Nr. 40, §
3c Abs. 2 EStG) der Regelung für Körperschaften als
Anteilseigner (§ 8b KStG) gegenüberstellt (a.A. v.
Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 3c Rz
A 201; Watermeyer in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8b KStG Rz 122;
Kerssenbrock, BB 2003, 2148, 2156 f.).
aa) Für das Streitjahr (2002) gilt dies
schon deshalb, weil Betriebsausgaben, die mit nach § 8b KStG
steuerfreien Dividenden oder Veräußerungsgewinnen aus
Inlandsbeteiligungen zusammenhingen, gemäß § 3c
Abs. 1 EStG in vollem Umfang nicht abziehbar waren (Steinhoff in
Erle/Sauter, Reform der Unternehmensbesteuerung, 2000, S. 218 f.;
Gosch KStG § 8b Rz 495).
bb) Aber auch im Vergleich zu der Neufassung
des § 8b KStG mit Wirkung ab 2004, nach der für
Kapitalgesellschaften als Anteilseigner in- und ausländische
Dividenden und Veräußerungsgewinne zu 95 v.H.
steuerbefreit sind und § 3c EStG nicht mehr anwendbar ist,
begegnet § 3c Abs. 2 EStG in Bezug auf natürliche
Personen als Anteilseigner keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Vorschrift des § 8b KStG dient dazu, eine weitgehend
steuerfreie Durchschüttung von Gewinnen im Konzern zu
ermöglichen und zu vermeiden, dass auf jeder Konzernstufe eine
erneute volle Belastung der durchgeschütteten Gewinne mit
Körperschaftsteuer (sog. Kaskadeneffekt) eintritt (vgl.
BTDrucks 14/2683, S. 120; Gosch, a.a.O., § 8b Rz 1; Herzig, DB
2003, 1459). Erst bei der Ausschüttung auf der letzten Stufe,
wenn der Gewinn an eine natürliche Person ausgeschüttet
wird, soll das Halbeinkünfteverfahren eingreifen. Dass auf der
Konzernebene das Abzugsverbot des § 3c EStG nicht gilt,
beeinträchtigt die Rechtfertigung des § 3c Abs. 2 EStG
gegenüber natürlichen Personen als Anlegern nicht. Denn
auch wenn der Steuerpflichtige als natürliche Person eine
Gewinnausschüttung nur von einer einzigen Gesellschaft
bezieht, ist der mit dem erwirtschafteten Gewinn
zusammenhängende, auf der Gesellschaftsebene anfallende
Aufwand dort vollständig als Betriebsausgabe abziehbar. §
8b KStG in der ab 2004 geltenden Fassung erweitert diese
Abzugsmöglichkeit auf der Gesellschaftsebene für den
Fall, dass die Gewinnausschüttung mehrere hintereinander
geschaltete Kapitalgesellschaften durchfließt. Das ist ein
gesonderter Regelungsbereich der Konzernbesteuerung, aus dem sich
nichts gegen die Rechtfertigung des Halbabzugsverbots (§ 3c
Abs. 2 EStG) im Rahmen des Halbeinkünfteverfahrens bei der
Ausschüttung an eine natürliche Person herleiten
lässt.
f) Schließlich ergibt sich ein
Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG auch
nicht daraus, dass Zinsen für die Beteiligung an einer
Personengesellschaft - anders als die vom Kläger für
seine GmbH-Beteiligung aufgewendeten Zinsen - in vollem Umfang als
Betriebsausgaben abziehbar sind. Die Sachverhalte sind schon
deshalb nicht vergleichbar, weil der Gewinn der
Personengesellschaft nur auf der Ebene der Gesellschafter von der
Einkommensteuer erfasst wird, so dass eine Doppelbelastung von
Ausschüttungen mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer
nicht gegeben ist und deshalb weder die hälftige
Steuerbefreiung des § 3 Nr. 40 EStG noch das Halbabzugsverbot
des § 3c Abs. 2 EStG gilt.