Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts München vom 23.07.2020 - 14 K 1208/17 =
SIS 20 13 60 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
1
|
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist seit dem 25.07.2019 Liquidator der
Produktions-GmbH. Deren Alleingesellschafterin ist die X-GmbH, mit
der ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bestand.
Zur X-Gruppe gehörte außerdem die X-Verwaltungs GmbH.
Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer aller drei
Gesellschaften war der Kläger.
|
|
|
2
|
Die Produktions-GmbH verfügte
über eine Erlaubnis als Steuerlagerinhaberin für Bier.
Sie braute verschiedene Biersorten und erwarb die dafür
erforderlichen Rohstoffe von der herrschenden GmbH, an die sie das
hergestellte Bier verkaufte. Im Rechtsverkehr nach außen trat
nahezu ausschließlich die Brauhaus X-GmbH auf, von der auch
Zahlungen veranlasst wurden. Die Produktions-GmbH verfügte
über keine eigenen Kontoverbindungen. Wechselseitige
Forderungen und Verbindlichkeiten wurden in das Verrechnungskonto
eingestellt.
|
|
|
3
|
Bei der Produktions-GmbH waren neun
Mitarbeiter beschäftigt. Die monatlichen Lohnkosten beliefen
sich auf circa … EUR brutto. Die Löhne wurden bis
einschließlich November 2014 bezahlt. Die Verbindlichkeiten
gegenüber der Stadtwerke Y GmbH, von der die Produktions-GmbH
Strom, Gas und Wasser bezog, betrugen zum 30.09.2014 … EUR.
Am 08.10.2014 und am 12.12.2014 erfolgten Zahlungen an die
Stadtwerke Y GmbH in Höhe von … EUR und …
EUR.
|
|
|
4
|
Aufgrund der von der Produktions-GmbH
abgegebenen Steuererklärungen setzte der Beklagte und
Revisionskläger (Hauptzollamt - HZA - ) mit Bescheid vom
13.10.2014 für den Monat September 2014 Biersteuer in
Höhe von … EUR (fällig am 20.10.2014), mit
Bescheid vom 11.11.2014 für den Monat Oktober 2014 Biersteuer
in Höhe von … EUR (fällig am 20.11.2014), mit
Bescheid vom 09.12.2014 für den Monat November 2014 Biersteuer
in Höhe von … EUR (fällig am 20.12.2014) und mit
Bescheid vom 13.01.2015 für den Monat Dezember 2014 Biersteuer
in Höhe von … EUR (fällig am 20.01.2015)
fest.
|
|
|
5
|
Mit Schreiben vom 04.12.2014 beantragte die
Produktions-GmbH die Stundung der Biersteuer für September
2014 bis zum 15.12.2014. Die Vollstreckungsstelle teilte der
Produktions-GmbH mit, dass der Zahlungseingang bis zum 20.12.2014
erwartet werde. Die Zahlung der Biersteuer für September 2014
nebst entstandener Säumniszuschläge in Höhe von
… EUR erfolgte am 15.12.2014.
|
|
|
6
|
Mit Schreiben vom 10.12.2014 teilte die
Produktions-GmbH der Vollstreckungsstelle mit, dass die
Verhandlungen über einen Kreditrahmen noch nicht abgeschlossen
seien. Sie bat um Stundung der Biersteuer für Oktober bis
22.12.2014. Die Vollstreckungsstelle erklärte sich damit am
16.12.2014 einverstanden. Die Zahlung der Biersteuer für
Oktober 2014 und der entstandenen Säumniszuschläge in
Höhe von … EUR wurde am 19.12.2014 angewiesen und ging
am 23.12.2014 beim HZA ein. Für die Begleichung der am
20.12.2014 fälligen Biersteuer für November 2014 und der
sonstigen fälligen Verbindlichkeiten waren keine ausreichenden
Mittel mehr vorhanden. Auch die Biersteuer für Dezember 2014
blieb unbezahlt.
|
|
|
7
|
Am 30.12.2014 beantragte die
Produktions-GmbH aufgrund von Zahlungsunfähigkeit die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen.
Mit Beschluss vom 02.01.2015 ordnete das Amtsgericht (AG) Y die
vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestimmte, dass
Verfügungen der Gesellschaft nur mit Zustimmung des
vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft
wurde durch Beschluss des AG Y vom 01.03.2015 eröffnet und
durch Beschluss vom 15.10.2018 nach Schlussverteilung
aufgehoben.
|
|
|
8
|
Gegen die Steuerforderung für den
Monat November 2014 erklärte das HZA die Aufrechnung mit einem
Betrag in Höhe von … EUR. Offen blieb damit Biersteuer
in Höhe von … EUR für November 2014. Für
diesen Betrag und für Säumniszuschläge in Höhe
von … EUR nahm das HZA den Kläger mit Bescheid vom
02.03.2016 gemäß § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung
(AO) i.V.m. § 69 AO in Haftung. Der Kläger bezahlte den
Haftungsbetrag am 25.04.2016.
|
|
|
9
|
Der gegen den Bescheid vom 02.03.2016
gerichtete Einspruch des Klägers war hinsichtlich der Haftung
für Säumniszuschläge erfolgreich; im Übrigen
wurde er mit Einspruchsentscheidung vom 31.03.2017
zurückgewiesen.
|
|
|
10
|
Das Finanzgericht (FG) urteilte, der
Haftungsbescheid sei rechtswidrig, sodass der Kläger nicht
für die von der Produktions-GmbH für den Monat November
2014 geschuldete Biersteuer zu haften habe. Der Kläger habe
zwar die Pflicht zur Entrichtung der Biersteuer bei Fälligkeit
objektiv verletzt. Dies sei ihm aber nicht vorzuwerfen, weil zu
diesem Zeitpunkt keine ausreichenden Mittel mehr vorhanden gewesen
seien. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass ab dem
Fälligkeitszeitpunkt am 20.12.2014 überhaupt noch
Zahlungen erfolgt seien. Somit sei nicht zu klären, ob der
Grundsatz der anteiligen Tilgung zur Anwendung komme. Eine Pflicht,
von der Entnahme des Bieres aus dem Steuerlager abzusehen, weil die
dadurch entstehende Biersteuer voraussichtlich nicht habe
entrichtet werden können, habe nicht bestanden. Denn die
steuerliche Pflicht zur Mittelvorsorge bereits vor Fälligkeit
betreffe allein die künftige Erfüllung entstandener
Steueransprüche des Fiskus, nicht aber deren Begründung.
Das HZA sei abgesehen davon nicht gegenüber anderen
Gläubigern benachteiligt worden. Die vorliegende Situation sei
weder mit den Abzugsteuern noch mit der Einfuhrumsatzsteuer zu
vergleichen.
|
|
|
11
|
Das HZA begründet seine Revision
folgendermaßen: Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH) zur Mineralölsteuer müsse der Steuerlagerinhaber
von Entnahmen aus dem Steuerlager Abstand nehmen, sobald er erkennt
oder erkennen muss, dass er die Verpflichtung zur Zahlung der
Mineralölsteuer am Fälligkeitstag nicht erfüllen
kann. Dies könne auf die Biersteuer übertragen werden und
werde auch durch die Rechtsprechung des BFH zum Zolllager
bestätigt. Zudem seien aufgrund des Verzichts des
Steuergläubigers auf eine Geltendmachung der Sachhaftung bei
der Überführung von Bier aus einem Steuerlager in den
freien Verkehr an einen Geschäftsführer bei der
Biersteuer höhere Anforderungen zu stellen als bei sonstigen
umsatzsteuerpflichtigen Waren. Denn mit der rechtmäßigen
Entnahme in den freien Verkehr erlösche bei
verbrauchsteuerpflichtigen Waren die Sachhaftung.
|
|
|
12
|
Das HZA beantragt
sinngemäß,
|
|
die Vorentscheidung aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
|
|
|
13
|
Der Kläger beantragt,
|
|
die Revision zurückzuweisen.
|
|
|
14
|
Das HZA stelle nicht klar, worin genau der
Pflichtverstoß des Klägers liegen solle. Soweit das HZA
einen Verstoß gegen die Mittelvorsorgepflicht sehe, gebe es
keine Feststellungen dazu, ob und wie der angeblich
haftungsauslösende Tatbestand verwirklicht worden sei. Auch
für die Zurechenbarkeit der Bierentnahme an den Kläger
fehle es an jeglicher Feststellung. Das BFH-Urteil vom 20.10.1987 -
VII R 6/84 (BFH/NV 1988, 428) könne auf den Streitfall nicht
übertragen werden, weil dieses einen anderen Sachverhalt
betreffe. Wollte man aus der Sachhaftung nach § 76 AO eine
weitergehende Haftung des Geschäftsführers ableiten,
benötigte man dafür eine rechtliche Grundlage.
Schließlich hätte eine Privilegierung des Fiskus durch
das Konstrukt der Mittelvorsorge früher zu einem
Insolvenzantrag geführt.
|
|
|
15
|
Die Beteiligten haben übereinstimmend
auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung
verzichtet.
|
|
|
16
|
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Vorentscheidung entspricht
Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).
|
|
|
17
|
1. Die Revision ist zulässig, obwohl das
HZA in seiner Rechtsmittelschrift vom 28.08.2020 als Vorinstanz das
Finanzgericht Nürnberg angegeben hat.
|
|
|
18
|
Die Revision muss gemäß § 120
Abs. 1 Satz 2 FGO das angefochtene Urteil bezeichnen. Dies
erfordert grundsätzlich, dass das Finanzgericht bezeichnet
wird, gegen dessen Entscheidung sich die Revision richtet.
Allerdings kann ein Fehler bei der Bezeichnung des Finanzgerichts
dadurch geheilt werden, dass der Revision eine Abschrift des
angefochtenen Urteils beigefügt und dadurch und durch die
sonstigen Angaben klar ist, welches Urteil gemeint ist (vgl.
Rüsken in Gosch, FGO § 120 Rz 21 ff.; Lange in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 120 FGO Rz 63; Seer in
Tipke/Kruse, § 120 FGO Rz 14).
|
|
|
19
|
Diese Voraussetzungen sind vorliegend
erfüllt, weil das HZA in seinem Schreiben vom 28.08.2020, mit
dem es die Revision eingelegt hat, das Aktenzeichen und das Datum
der Entscheidung des FG angegeben und diesem Schreiben eine Kopie
der Vorentscheidung beigefügt hat. Auch die Beteiligten und
der Streitgegenstand wurden korrekt angegeben.
|
|
|
20
|
2. Die Revision ist unbegründet. Das FG
hat zu Recht entschieden, dass der angefochtene Haftungsbescheid
vom 02.03.2016 - soweit er vor dem FG streitgegenständlich war
- rechtswidrig ist.
|
|
|
21
|
Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1
Alternative 1 AO kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer
haftet (Haftungsschuldner), durch Haftungsbescheid in Anspruch
genommen werden. Gemäß § 69 Satz 1 AO, § 34
Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes
betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG)
haftet der Geschäftsführer einer GmbH, soweit deren
Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis infolge
vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm
auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder
erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder
Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.
|
|
|
22
|
Welches die maßgebliche Handlung
beziehungsweise Unterlassung ist, die dem Haftungsschuldner zur
Last gelegt wird, ist dem Haftungsbescheid zu entnehmen, um dessen
Wirksamkeit die Beteiligten streiten (Senatsurteile vom 19.01.2021
- VII R 38/19 = SIS 21 09 83, Rz
28 und vom 14.12.2021 - VII R 14/19 = SIS 22 04 28, Rz 20).
|
|
|
23
|
a) Der Kläger war im Haftungszeitraum von
November 2014 (Entstehung der Biersteuer) bis zum 01.03.2015
(Eröffnung des Insolvenzverfahrens)
alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der
Produktions-GmbH im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG und
gehörte damit zu dem von der Haftungsnorm des § 69 AO
erfassten Personenkreis.
|
|
|
24
|
b) Weiterhin ist ein Haftungsschaden
eingetreten, weil die Biersteuer, die die Produktions-GmbH als
Steuerlagerinhaberin gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
des Biersteuergesetzes in der für die
streitgegenständlichen Zeiträume geltenden Fassung
(BierStG) für November 2014 in Höhe von … EUR
schuldete, nicht entrichtet wurde (§ 69 Abs. 1 Satz 1
Alternative 3 AO).
|
|
|
25
|
c) Darüber hinaus liegt hinsichtlich der
Nichtentrichtung der Biersteuer eine objektive Pflichtverletzung
vor.
|
|
|
26
|
Als allein vertretungsberechtigter
Geschäftsführer der Produktions-GmbH war der Kläger
verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den von
ihm verwalteten Mitteln entrichtet würden (§ 34 Abs. 1
Satz 2 AO). Er hätte demnach die noch offene Biersteuer
für November 2014 bei Fälligkeit anweisen oder die
Erledigung anderen Personen übertragen müssen (vgl. dazu
Senatsbeschluss vom 15.11.2022 - VII R 23/19, BFHE 278, 392, BStBl
II 2023, 549 = SIS 23 04 13, Rz 34).
|
|
|
27
|
Nach den nicht mit Verfahrensrügen
angegriffenen und daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO
bindenden Feststellungen des FG wurde die Biersteuer für
November 2014 weder bei Fälligkeit am 20.12.2014 (§ 15
Abs. 1 Satz 6 BierStG) noch danach entrichtet, weshalb - nach einer
teilweisen Aufrechnung - die Steuerforderung in Höhe von
… EUR nicht beglichen wurde.
|
|
|
28
|
d) Nicht hingegen hat der Kläger seine
Mittelvorsorgepflicht verletzt, indem er im November 2014 Bier aus
dem Steuerlager entnommen hat und dadurch Biersteuer
gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 1 BierStG entstanden ist.
|
|
|
29
|
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
kann sich ein gesetzlicher Vertreter bereits vor Fälligkeit
einer Steuer der Verletzung seiner Pflicht zur Bereithaltung von
Mitteln schuldig machen. Denn von ihm ist zu verlangen, dass er
vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle
Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereithält.
Vom Eintritt der Fälligkeit der Steuern ist diese Pflicht
unabhängig (Senatsurteile vom 09.01.1997 - VII R 51/96, BFH/NV
1997, 324 = SIS 97 09 47 und vom 26.09.2017 - VII R 40/16, BFHE
259, 423, BStBl II 2018, 772 = SIS 17 22 44, Rz 11; Senatsbeschluss
vom 11.11.2015 - VII B 74/15 = SIS 16 02 41, Rz 7; BFH-Beschluss vom 29.08.2018 - XI R 57/17 =
SIS 18 17 65, Rz 46).
|
|
|
30
|
(1) Welche Anforderungen an die einem
Geschäftsführer obliegende Mittelvorsorgepflicht zu
stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab
(vgl. Senatsbeschluss vom 25.04.2013 - VII B 245/12 = SIS 13 16 68, Rz 19; BFH-Beschluss vom
29.08.2018 - XI R 57/17 = SIS 18 17 65, Rz 46). Ein Geschäftsführer einer GmbH
verletzt seine ihm gegenüber dem Steuergläubiger
obliegenden Pflichten deshalb auch dann, wenn er sich durch
Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise
schuldhaft außerstande setzt, künftig fällig
werdende Steuerschulden, deren Entstehung ihm bekannt ist, zu
tilgen (vgl. Senatsurteil vom 28.11.2002 - VII R 41/01, BFHE 200, 482, BStBl II 2003,
337 = SIS 03 16 88, unter II.2.b; BFH-Beschluss vom 29.08.2018
- XI R 57/17 = SIS 18 17 65, Rz
46). Dies gilt (auch) für Steuerforderungen, mit denen der
Geschäftsführer rechnen muss beziehungsweise deren
Entstehung absehbar ist (vgl. BFH-Beschluss vom 29.08.2018 - XI R
57/17 = SIS 18 17 65, Rz 46).
|
|
|
31
|
(2) Mit Urteil vom 21.02.1989 - VII R 165/85
(BFHE 156, 46, BStBl II 1989, 491 = SIS 89 16 46) hat der
erkennende Senat entschieden, dass der Inhaber eines offenen
Zolllagers die Pflicht hat sicherzustellen, dass die Steuer im
Fälligkeitszeitpunkt entrichtet wird. Um diese Verpflichtung
erfüllen zu können, muss er dafür sorgen, dass am
Fälligkeitstag die Mittel zur Entrichtung der Steuer vorhanden
sind (unter II.3.a). Diese gesteigerte Sorgfaltspflicht im
Zusammenhang mit Entnahmen aus einem Zolllager ergibt sich auch
daraus, dass infolge der Überführung der Waren in den
freien Verkehr die Sachhaftung gemäß § 76 Abs. 4
Satz 2 AO erlischt, aber infolge der (nur) monatlichen Abrechnung
der Entnahmen aus dem Zolllager dessen Kreditfunktion bestehen
bleibt. Dementsprechend kam der Senat zu dem Ergebnis, dass der
Lagerinhaber zwar nicht generell von Entnahmen aus dem Zolllager
abzusehen, aber bei Eintritt der Fälligkeit ohne
Rücksicht auf Forderungen anderer Gläubiger die Abgaben
an den Steuergläubiger abzuführen hatte (unter
II.3.a).
|
|
|
32
|
(3) Weniger streng hat der erkennende Senat
die Frage der Pflichtverletzung im Umsatzsteuerrecht beurteilt und
hier keine gesteigerte Sorgfaltspflicht angenommen. Im Zusammenhang
mit der Umsatzsteuer hat der erkennende Senat zwar eine
Pflichtverletzung des gesetzlichen Vertreters einer GmbH bejaht,
weil dieser zu einem Zeitpunkt, in dem er wusste, dass der GmbH
keine Zahlungsmittel mehr zur Verfügung stehen und auch
zukünftig nicht mehr zufließen werden, ein Umsatzsteuer
auslösendes Verkaufsgeschäft durchgeführt hatte,
ohne dafür Sorge zu tragen, dass die GmbH über das durch
dieses Geschäft erzielte Entgelt verfügen kann, um damit
die durch das Geschäft entstehende Umsatzsteuer begleichen zu
können (Senatsurteil vom 05.02.1985 - VII R 124/80, BFH/NV
1987, 2, unter 2.b der Entscheidungsgründe). Der Senat hat
aber andererseits darauf hingewiesen, dass der gesetzliche
Vertreter auch in Zeiten der Krise, unbeschadet gesellschafts-
und/oder insolvenzrechtlicher Regelungen, deren Verletzung eine
steuerliche Haftung nicht begründen könnte, nicht
verpflichtet ist, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese
Umsatzsteuer auslösen, die voraussichtlich nicht beglichen
werden kann. Er bleibt auch in Krisenzeiten in seinen
unternehmerischen Dispositionen und in der Vertragsgestaltung frei
(Senatsurteil vom 28.11.2002 - VII R 41/01, BFHE 200, 482, BStBl II
2003, 337 = SIS 03 16 88, Rz 15; vgl. auch Senatsbeschluss vom
07.09.2007 - VII B 180/06, BFH/NV 2008, 16 = SIS 08 04 44).
|
|
|
33
|
(4) Eine gesteigerte Sorgfaltspflicht, wie sie
der Senat in seinem Urteil vom 21.02.1989 - VII R 165/85 (BFHE 156,
46, BStBl II 1989, 491 = SIS 89 16 46) bezüglich Entnahmen aus
einem Zolllager angenommen hat, besteht nach Auffassung des
erkennenden Senats im Zusammenhang mit der Entnahme von Bier aus
einem Steuerlager jedoch nicht. Denn dieser Vorgang und dessen
Umstände weisen eine größere Nähe zum
Umsatzsteuerrecht und zu der unter (3) dargestellten
Senatsrechtsprechung auf.
|
|
|
34
|
(a) Zum einen kommt der unternehmerischen
Freiheit bei der Herstellung von Bier im Vergleich zur Nutzung
eines Zolllagers insofern eine größere Tragweite zu, als
bei der Bierproduktion häufig die Brauerei als
Herstellungsbetrieb selbst - wie auch im Streitfall - Inhaber des
Biersteuerlagers ist (vgl. § 4 Satz 1 Alternative 1 BierStG),
während bei der zollrechtlichen Einlagerung von
Nichtunionswaren nicht selten ein von einem Dritten, zum Beispiel
einer Spedition, betriebenes und als Zolllager zugelassenes
Warenlager genutzt wird. Würde die Auslagerung von Bier in
einer finanziell angespannten Situation als objektive
Pflichtverletzung angesehen und infolgedessen der
Geschäftsführer des Inhabers des Biersteuerlagers in
Haftung genommen werden, käme dies im Ergebnis einer
Betriebseinstellung gleich, zumal der Betrieb eines Steuerlagers
der Regelfall ist und eine bedingte Steuerschuld wie im
früheren Mineralölsteuerrecht (vgl. z.B. § 36 der
Mineralölsteuer-Durchführungsverordnung) im
Biersteuerrecht nicht mehr existiert.
|
|
|
35
|
(b) Bei der Biersteuer handelt es sich
darüber hinaus um eine Verbrauchsteuer, die typischerweise auf
Überwälzung an den Endverbraucher angelegt ist (vgl.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.04.2017 - 2 BvL
6/13, BVerfGE 145, 171 = SIS 17 10 01, Rz 113). Da die Person des
Steuerschuldners und des Belastungsträgers auseinanderfallen
und nur wenige Personen - zum Vorteil des Staates - als
Steuerschuldner in Anspruch genommen werden müssen, erscheint
es sachgerecht, für die Frage der Pflichtverletzung auf die
Fälligkeit und nicht bereits auf die Entstehung der Steuer
abzustellen. Es müssen dem Steuerschuldner auch die
Möglichkeit und die Zeit bleiben, die der Verbrauchsteuer
unterliegenden und zu besteuernden Waren zu verkaufen und die
Verbrauchsteuern über den Kaufpreis an den Endverbraucher
weiterzugeben. Verlangte man vom Unternehmer, gleich im Zeitpunkt
der Steuerentstehung die Mittel für die Entrichtung der Steuer
vorzuhalten, liefe dies dem Sinn und Zweck der
Überwälzbarkeit der Verbrauchsteuern zuwider.
|
|
|
36
|
(c) Davon ausgehend kann die Entnahme von Bier
aus einem Biersteuerlager nur dann eine Pflichtverletzung
begründen, wenn bereits in diesem Zeitpunkt feststeht, dass
bei Fälligkeit der Steuer keine Mittel zur Verfügung
stehen werden. Solange dies jedoch noch ungewiss ist, etwa weil
noch Verkäufe durchgeführt werden oder Verhandlungen mit
einer kreditgebenden Bank laufen, kann eine Pflichtverletzung
bereits bei Entnahme von verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus dem
Steuerlager noch nicht angenommen werden.
|
|
|
37
|
bb) Unter Berücksichtigung dieser
Rechtsgrundsätze hat der Kläger seine
Mittelvorsorgepflicht nicht verletzt.
|
|
|
38
|
(1) Zwar bestand im Streitfall eine
Mittelvorsorgepflicht bereits im Zeitpunkt der Entnahme des Bieres
aus dem Steuerlager. Darüber hinaus war die Produktions-GmbH
seit langem Inhaberin einer Steuerlagererlaubnis, weshalb dem
Kläger - als ihrem Geschäftsführer - das Prozedere
um die Entstehung, Abrechnung und Entrichtung der Biersteuer sowie
die Fälligkeitstermine bekannt waren.
|
|
|
39
|
(2) Allerdings widerspräche es der
unternehmerischen Freiheit des Klägers, wenn er wegen der -
bereits im November 2014 - bestehenden finanziellen Schwierigkeiten
gezwungen gewesen wäre, von der Entnahme von Bier aus dem
Steuerlager abzusehen, um die Steuerentstehung gemäß
§ 14 Abs. 1 BierStG zu verhindern. Dies hätte dazu
geführt, dass die Produktions-GmbH praktisch gezwungen gewesen
wäre, ihren Geschäftsbetrieb einzustellen.
|
|
|
40
|
(3) Der Kläger war auch nicht
verpflichtet, bereits im Zeitpunkt der Entstehung der Biersteuer
infolge der Entnahmen aus dem Steuerlager die Mittel für die
Entrichtung der Biersteuer aus anderen Einnahmen abzuzweigen und
für die spätere Entrichtung der Biersteuer
zurückzulegen oder den Anteil aus den Verkaufserlösen,
der der Biersteuer entspricht, zweckgebunden zur Entrichtung der
Biersteuerschuld zurückzulegen. Er hatte lediglich dafür
zu sorgen, dass die Mittel für die Entrichtung der Biersteuer
im Fälligkeitszeitpunkt vorhanden sein würden. Bis zu
diesem Zeitpunkt hatte der Kläger Gelegenheit, die Biersteuer
auf seine Abnehmer als eigentliche Belastungsträger
abzuwälzen und entsprechende Einnahmen zu erzielen.
|
|
|
41
|
(4) Abgesehen von diesen grundsätzlichen
Erwägungen sprechen auch die Umstände des hier zu
beurteilenden Einzelfalls dafür, eine Verletzung der
Mittelvorsorgepflicht zu verneinen. In diesem Zusammenhang
hält es der erkennende Senat für bedeutsam, dass das HZA
die Biersteuer für September und Oktober 2014 gestundet hatte,
was dafür spricht, dass auch das HZA davon ausging, dass der
Kläger entsprechende Erlöse erwirtschaften und die
Steuern entrichten würde. Es liegt daher kein Sachverhalt vor,
in dem bereits bei der Entnahme des Bieres aus dem Steuerlager
feststand, dass keine Zahlungseingänge bei der
Produktions-GmbH mehr erfolgen würden.
|
|
|
42
|
Hinzu kommt, dass nach einer Mitteilung der
Produktions-GmbH an die Vollstreckungsstelle des HZA vom 10.12.2014
im Dezember 2014 die Verhandlungen mit der Bank über einen
Kreditrahmen noch andauerten, weshalb auch aus diesem Grund
keinesfalls sicher war, dass die Produktions-GmbH die Biersteuer
bei Fälligkeit am 20.12.2014 nicht würde entrichten
können.
|
|
|
43
|
(5) Der Kläger hat das HZA auch nicht
gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt.
|
|
|
44
|
Dem Kläger war zwar spätestens mit
Erlass des Bescheids vom 09.12.2014, mit dem die Biersteuer
für November 2014 in Höhe von … EUR gegenüber
der Produktions-GmbH festgesetzt wurde, bekannt, wie hoch die
Biersteuerforderung für November 2014 war und dass er diesen
Betrag bei Fälligkeit würde entrichten müssen.
|
|
|
45
|
Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte
dafür, dass der Kläger Maßnahmen getroffen hat, die
dazu geführt haben, dass die Mittel zur Entrichtung der
Biersteuer am Fälligkeitstag nicht zur Verfügung standen
(vgl. dazu Senatsurteil vom 04.03.1986 - VII R 38/81, BFHE 146,
336, BStBl II 1986, 577 = SIS 86 25 17, unter 2.b aa der
Entscheidungsgründe). Vielmehr hat der Kläger die im
Dezember noch vorhandenen Mittel nach den Feststellungen des FG zu
einem großen Teil zur Tilgung der - wenn auch gestundeten -
Biersteuer verwendet. So wurde die Biersteuer für September
2014 (verspätet) am 15.12.2014 vollständig gezahlt und
die Biersteuer für Oktober 2014 (verspätet) am 19.12.2014
in voller Höhe angewiesen. Demgegenüber wurden die
Verbindlichkeiten gegenüber der Stadtwerke Y GmbH nur
teilweise getilgt und am 12.12.2014 … EUR bezahlt.
|
|
|
46
|
(6) Zu Recht weist das FG auch darauf hin,
dass die Situation im Streitfall nicht mit der Lohnsteuer zu
vergleichen ist, bei der es sich um Entgelt des Arbeitnehmers
handelt, das der Arbeitgeber treuhänderisch einzubehalten und
abzuführen hat (Senatsurteil vom 01.08.2000 - VII R 110/99,
BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271 = SIS 00 14 29, unter II.3.; vgl.
auch Senatsurteil vom 27.02.2007 - VII R 67/05, BFHE 216, 491,
BStBl II 2009, 348 = SIS 07 24 96).
|
|
|
47
|
e) Der Kläger hat auch seine
Mittelverwendungspflicht nicht verletzt.
|
|
|
48
|
Kann der Schuldner nicht alle Schulden tilgen,
hat er zumindest für eine möglichst
gleichmäßige Befriedigung sämtlicher Gläubiger
zu sorgen (Senatsurteile vom 12.06.2018 - VII R 2/17 = SIS 18 17 73, Rz 13 und vom 14.06.2016 - VII R
20/14 = SIS 16 23 27, Rz 21;
Senatsbeschluss vom 11.11.2015 - VII B 57/15 = SIS 16 02 42, Rz 7). In diesem Zusammenhang
sind die Verbrauchsteuern wie andere Forderungen zu behandeln, weil
Kriterien, die eine besondere Behandlung rechtfertigen
könnten, nicht ersichtlich sind.
|
|
|
49
|
Nach den Feststellungen des FG bestehen keine
Anhaltspunkte dafür, dass ab dem Fälligkeitszeitpunkt am
20.12.2014 überhaupt noch Zahlungen erfolgt sind. Im
Übrigen hat auch das HZA in seiner Einspruchsentscheidung auf
Seite 10 - im Zusammenhang mit den ursprünglich in die Haftung
einbezogenen Säumniszuschlägen - ausgeführt, dass
nach Aktenlage im Haftungszeitraum ab dem 20.12.2014 keine
Zahlungen mehr geleistet wurden und das HZA im Vergleich zu anderen
Gläubigern nicht benachteiligt wurde. Es kann daher
dahinstehen, wie hoch eine etwaige Haftungsquote anzusetzen gewesen
wäre.
|
|
|
50
|
f) Soweit dem Kläger wegen der
Nichtentrichtung der Biersteuer eine objektive Pflichtverletzung
vorzuwerfen ist (s.o. II.2.c), hat der Kläger diese Pflicht
jedenfalls nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig
verletzt.
|
|
|
51
|
aa) Nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung indiziert die objektive
Pflichtwidrigkeit des Verhaltens das Verschulden im Sinne von
§ 69 Satz 1 AO (z.B. Senatsbeschluss vom 15.11.2022 - VII R
23/19, BFHE 278, 392, BStBl II 2023, 549 = SIS 23 04 13, Rz 33,
m.w.N.).
|
|
|
52
|
Die Feststellung der Voraussetzungen für
eine vorsätzliche oder zumindest grob fahrlässige
Handlungsweise des Haftungsschuldners ist Aufgabe des FG als
Tatsacheninstanz und mit der Revision nur bedingt angreifbar. Der
BFH als Revisionsinstanz kann die Entscheidung des FG nur daraufhin
überprüfen, ob das FG den Rechtsbegriff des Vorsatzes
oder der groben Fahrlässigkeit verkannt oder für die
Beurteilung wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat
(vgl. Senatsbeschluss vom 15.11.2022 - VII R 23/19, BFHE 278, 392,
BStBl II 2023, 549 = SIS 23 04 13, Rz 37, m.w.N.).
|
|
|
53
|
bb) Derartige Fehler sind dem FG nicht
unterlaufen; ausgehend von den genannten Rechtsgrundsätzen hat
das FG in der angefochtenen Vorentscheidung weder den Rechtsbegriff
der groben Fahrlässigkeit verkannt noch Umstände
außer Acht gelassen, die für die Beurteilung des
vorliegenden Streitfalls wesentlich sind.
|
|
|
54
|
Nach den Feststellungen des FG waren im
Zeitpunkt der Fälligkeit der Biersteuer für November 2014
am 20.12.2014 keine ausreichenden Mittel mehr vorhanden (FG-Urteil,
Seite 8, erster Absatz), weil zuvor die Löhne für
November 2014 (Lohnkosten in Höhe von circa … EUR
brutto) und bereits früher fällig gewordene
Steuerverbindlichkeiten (Biersteuer in Höhe von … EUR
für September 2014 und in Höhe von … EUR für
Oktober 2014) zur Zahlung angewiesen worden waren. Außerdem
erfolgte am 12.12.2014 eine Zahlung an die Stadtwerke Y GmbH in
Höhe von … EUR. Am 30.12.2014 beantragte die
Produktions-GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen
Zahlungsunfähigkeit.
|
|
|
55
|
Diese Zahlungen sowie die Gründe für
die Nichtzahlung der Biersteuer hat das FG in der Vorentscheidung
rechtsfehlerfrei gewürdigt und eine Vorwerfbarkeit der
Nichtzahlung verneint, weil bei Fälligkeit der Biersteuer am
20.12.2014 keine ausreichenden Mittel mehr vorhanden waren. Das FG
erkannte auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens verspätet gestellt
wurde (FG-Urteil, Seite 8, erster Absatz).
|
|
|
56
|
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
|
|
|
57
|
4. Der Senat entscheidet gemäß
§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO mit
Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne
mündliche Verhandlung.
|