Teste, loggen Sie sich ein oder nutzen Sie unseren kostenlosen Test.
Sie sind bereits Abonnent der SIS-Datenbank Steuerrecht? Loggen Sie sich ein, um den vollen Zugriff auf die Dokumente zu erhalten.
Sie sind noch kein Bezieher der SIS-Datenbank Steuerrecht, wollen aber mehr erfahren oder die Datenbank testen? Hier finden Sie alle Informationen und können die Datenbank einen Monat lang kostenlos testen und erhalten Zugriff u.a. auf:
  • über 130.000 Dokumente (Urteile und Verwaltungsanweisungen)
  • umfangreiche Gesetzessammlung
  • 5 vollverlinkte Steuerhandbücher (AO, ESt/LSt, KSt, GewSt, USt)
  • viele weitere wertvolle Praxishilfen
Teste, loggen Sie sich ein oder nutzen Sie unseren kostenlosen Test.
Sie sind bereits Abonnent der SIS-Datenbank Steuerrecht? Loggen Sie sich ein, um den vollen Zugriff auf die Dokumente zu erhalten.
Sie sind noch kein Bezieher der SIS-Datenbank Steuerrecht, wollen aber mehr erfahren oder die Datenbank testen? Hier finden Sie alle Informationen und können die Datenbank einen Monat lang kostenlos testen und erhalten Zugriff u.a. auf:
  • über 130.000 Dokumente (Urteile und Verwaltungsanweisungen)
  • umfangreiche Gesetzessammlung
  • 5 vollverlinkte Steuerhandbücher (AO, ESt/LSt, KSt, GewSt, USt)
  • viele weitere wertvolle Praxishilfen

Aufgehobene Kindergeldfestsetzung, keine Änderung wegen Rechtsprechungsänderung

Aufgehobene Kindergeldfestsetzung, keine Änderung wegen Rechtsprechungsänderung: Ein bestandskräftiger Bescheid, mit dem die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld im laufenden Kalenderjahr wegen der den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) voraussichtlich übersteigenden Einkünfte und Bezüge des Kindes aufgehoben hat (Prognoseentscheidung), ist nicht nach § 70 Abs. 4 EStG zu ändern, wenn der Jahresgrenzbetrag allein deshalb unterschritten wird, weil nach der späteren Entscheidung des BVerfG die Arbeitnehmerbeiträge des Kindes zur gesetzlichen Sozialversicherung abweichend von der bisher vorherrschenden Rechtsauffassung nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen sind. - Urt.; BFH 28.11.2006, III R 6/06; SIS 07 03 15

Kapitel:
Verschiedenes > Aufhebung, Änderung, Berichtigung
Fundstellen
  1. BFH 28.11.2006, III R 6/06
    BStBl 2007 II S. 717
    LEXinform 5003819

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 3.9.2007
    M.I.T. in INF 4/2007 S. 127
    N.B. in AktStR 1/2007 S. 129
    R.E. in HFR 4/2007 S. 353
Normen
[EStG] § 32 Abs. 4 Satz 2, § 70 Abs. 4
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: FG Düsseldorf, 12.01.2006, SIS 06 19 45, Kindergeld, Aufhebung, Grenzbetrag, Änderung, Bestandskraft
Zitiert in... / geändert durch...
  • Niedersächsisches FG 29.10.2018, SIS 19 08 05, Nachträgliche Anrechnung von Kindergeld: Hat der Kindergeldberechtigte für denselben Zeitraum in Deutschl...
  • Niedersächsisches FG 24.10.2018, SIS 19 10 97, Nachträgliche Anrechnung von Kindergeld: Hat der Kindergeldberechtigte für denselben Zeitraum in Deutschl...
  • FG Nürnberg 15.2.2017, SIS 17 16 64, Anspruch auf Kindergeld vom unionsrechtlich nachrangigem Staat bei Nichtbezug von Kindergeld vom unionsre...
  • FG Münster 5.8.2016, SIS 16 20 44, Anrechnung nicht bezogenen ausländischen Kindergelds: 1. Auf das nach §§ 62 ff. EStG zu gewährende Kinder...
  • FG Berlin-Brandenburg 3.9.2013, SIS 13 33 92, Kindergeldfestsetzung, Halbwaisenrente, Prognoseentscheidung der Familienkasse: 1. Die für eine Änderung ...
  • BFH 16.10.2012, SIS 13 07 13, Keine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG a.F. zur Beseitigung eines m...
  • BFH 5.1.2012, SIS 12 10 33, Änderung der Kindergeldfestsetzung wegen des BVerfG-Urteils zur Pendlerpauschale: 1. Rechtsprechungsänder...
  • BFH 22.12.2011, SIS 12 13 00, Berücksichtigungsfähigkeit eines Kindes trotz ausgeübter Vollzeiterwerbstätigkeit: 1. Die Vollzeiterwerbs...
  • BFH 21.10.2010, SIS 11 00 73, Keine rückwirkende Aufhebung einer bestandskräftigen Kindergeldfestsetzung bei Änderung der Rechtsauffass...
  • BFH 24.2.2010, SIS 10 18 17, Kindergeld, Voraussetzungen für die Korrektur einer bestandskräftigen Prognoseentscheidung nach § 70 Abs....
  • BFH 26.11.2009, SIS 10 11 82, Bindungswirkung eines Kindergeld-Aufhebungsbescheides: 1. Die Bestandskraft eines Kindergeld-Aufhebungsbe...
  • BFH 26.11.2009, SIS 10 11 84, Bindungswirkung eines Kindergeld-Aufhebungsbescheides: 1. Die Bestandskraft eines Kindergeld-Aufhebungsbe...
  • Sächsisches FG 12.10.2009, SIS 10 20 60, Bestandskraft eines Kindergeldaufhebungsbescheids nach Rücknahme des ursprünglich eingelegten Einspruchs ...
  • BZSt 30.9.2009, SIS 09 30 63, DA-FamEStG 2009: Das Bundeszentralamt für Steuern hat die Neufassung der Dienstanweisung zur Durchführung...
  • BFH 20.8.2009, SIS 09 36 29, Bindungswirkung eines die Festsetzung von Kindergeld aufhebenden Bescheids: 1. Ein bestandskräftiger Besc...
  • FG Berlin-Brandenburg 18.6.2009, SIS 09 31 53, Keine Nichtigkeit eines systemwidrig den Kindergeldanspruch für mehrere künftige Jahre konkret regelnden ...
  • BFH 30.9.2008, SIS 08 43 62, Keine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG aufgrund geänderter Rechtsauffassung: 1. ...
  • BFH 28.7.2008, SIS 08 37 91, Keine Änderungsmöglichkeit eines bestandskräftigen Kindergeldbescheids bei nachträglich geltend gemachten...
  • BFH 18.7.2008, SIS 08 38 11, Keine Aufhebungs- oder Änderungsmöglichkeit eines bestandskräftigen Kindergeldbescheids wegen BVerfG-Ents...
  • Hessisches FG 23.4.2008, SIS 08 34 03, Nachweispflicht bei Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zum Bezug von Kindergeld: Der Kindergeldberec...
  • FG Düsseldorf 7.3.2008, SIS 08 33 64, Anspruch auf Zahlung von Kindergeld bei Unterschreitung des für das Kalenderjahr maßgeblichen Jahresgrenz...
  • FG Köln 3.9.2007, SIS 08 18 30, Änderung nach § 70 Abs. 4 EStG: 1. Ist der Anwendungsbereich des § 70 Abs. 4 EStG eröffnet, hat die Famil...
  • BFH 9.8.2007, SIS 08 01 34, Beschwerde gegen Anordnung des Ruhens des Verfahrens: Ist in einem Beschluss über die Anordnung des Ruhen...
  • FG Düsseldorf 25.6.2007, SIS 08 23 13, Verstoß gegen Treu und Glauben bei einer Berufung auf die Bestandskraft eines Bescheides: 1. Aus der Tats...
  • BFH 21.6.2007, SIS 07 35 18, Kindergeld, keine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung bei zutreffender Wiedergabe des Tatbestands einer Kor...
  • BFH 21.6.2007, SIS 07 35 19, Kindergeld, keine Korrektur eines während des Kalenderjahres ergangenen bestandskräftigen Kindergeldbesch...
  • FG München 20.6.2007, SIS 07 36 41, Zugang eines Bescheids, Bestandskraft, Kindergeld: Auch bei fehlendem Absendevermerk auf dem Entwurf eine...
  • FG Düsseldorf 14.6.2007, SIS 08 22 63, Verstoß gegen Treu und Glauben bei einer Berufung auf die Bestandskraft eines Bescheides: 1. Aus der Tats...
  • BFH 10.5.2007, SIS 07 23 53, Kindergeldbescheid, Korrektur bei Rechtsprechungsänderung und Abweichung von Prognose: 1. Eine bestandskr...
  • BFH 10.5.2007, SIS 07 35 17, Kindergeld, Antrag auf schlichte Änderung, Zulässigkeit der Klage: 1. Ein innerhalb der Einspruchsfrist d...
  • BFH 19.4.2007, SIS 07 27 48, Keine Korrektur eines während des Kalenderjahres ergangenen bestandskräftigen Kindergeldbescheides aufgru...
  • BFH 19.4.2007, SIS 07 35 31, Kindergeld, keine Korrektur eines während des Kalenderjahres ergangenen bestandskräftigen Kindergeldbesch...
  • BFH 15.3.2007, SIS 07 23 82, Keine Korrektur eines während des Kalenderjahres ergangenen bestandskräftigen Kindergeldbescheides aufgru...
  • BFH 15.3.2007, SIS 07 23 83, Keine Korrektur eines während des Kalenderjahres ergangenen bestandskräftigen Kindergeldbescheides aufgru...
  • BFH 15.3.2007, SIS 07 23 99, Keine Korrektur eines während des Kalenderjahres ergangenen bestandskräftigen Kindergeldbescheides aufgru...
  • BFH 15.3.2007, SIS 07 24 00, Keine Korrektur eines während des Kalenderjahres ergangenen bestandskräftigen Kindergeldbescheides aufgru...
  • BFH 15.3.2007, SIS 07 27 46, Keine Korrektur eines während des Kalenderjahres ergangenen bestandskräftigen Kindergeldbescheides aufgru...
  • BFH 8.2.2007, SIS 07 61 69, Korrektur von Kindergeldbescheiden: 1. Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass ein bestandskrä...
  • BFH 14.12.2006, SIS 07 04 33, Beihilfeberechtigtes Kind, private Kranken- und Pflegeversicherung, Jahresgrenzbetrag: Beiträge eines bei...
Anmerkung RiBFH i.R. Dr. Dürr

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat eine im Jahr 1983 geborene Tochter, die am 1.12.2000 eine Ausbildung zur Augenoptikerin begann. Die monatliche Brutto-Ausbildungsvergütung der Tochter betrug nach der Ausbildungsbescheinigung vom 26.1.2001 ab 1.8.2001 1.100 DM. Nach der „Bescheinigung über die Fortdauer bzw. das Ende der Berufsausbildung“ vom 15.7.2002 erhöhte sich die Vergütung ab 1.7.2002 auf monatlich 789,14 EUR. Weiter sollte die Tochter danach in den Monaten Juni und November 2002 Sonderzuwendungen in Höhe von jeweils 307 EUR brutto erhalten.

 

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) errechnete nach diesen Angaben voraussichtliche Einkünfte der Tochter im Jahr 2002 in Höhe von 7.679,36 EUR, indem sie von den Einnahmen in Höhe von insgesamt 8.723,36 EUR den Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 1.044 EUR (§ 9a Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Jahr 2002 geltenden Fassung - EStG - ) abzog. Da die Einkünfte der Tochter den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag im Jahr 2002 von 7.188 EUR (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) überschritten, hob die Familienkasse mit Bescheid vom 3.9.2002 die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2002 auf. Der Bescheid wurde nicht angefochten.

 

Mit Schreiben vom 21.7.2005 beantragte der Kläger unter Vorlage der Abrechnung der Brutto-Netto-Bezüge für den Monat Dezember 2002 erneut Kindergeld für seine Tochter für das Jahr 2002 sowie für Januar 2003. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11.1.2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 = SIS 05 30 28) seien auch die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge von den Einkünften der Tochter abzuziehen. Ihr Jahresbruttoeinkommen habe 9.537 EUR betragen. Nach Abzug der von ihr gezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.993 EUR und der Werbungskostenpauschale von 920 EUR ergebe sich ein Betrag von 6.624 EUR, so dass ein Anspruch auf Kindergeld bestehe.

 

Mit Bescheid vom 29.7.2005 setzte die Familienkasse Kindergeld von Oktober 2002 bis Januar 2003 fest. Der Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 = SIS 05 30 28 sei auf alle offenen Fälle anzuwenden. Da die Kindergeldfestsetzung mit bestandskräftigem Bescheid vom 3.9.2002 ab Januar 2002 aufgehoben worden sei, könne das Kindergeld frühestens ab dem Folgemonat der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids, also ab Oktober 2002, festgesetzt werden. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.

 

Unter Änderung des Bescheids vom 3.9.2002 verpflichtete das Finanzgericht (FG) die Familienkasse, dem Kläger für den Zeitraum Januar bis September 2002 Kindergeld zu gewähren. Das Urteil ist in EFG 2006, 1445 = SIS 06 19 45 veröffentlicht.

 

Das FG führte im Wesentlichen aus, die Einkünfte und Bezüge der Tochter überschritten im Jahr 2002 nach Abzug der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge nicht den Jahresgrenzbetrag von 7.188 EUR. Dies habe sich erst nach dem Erlass des Bescheids über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung herausgestellt, so dass der Bescheid nach § 70 Abs. 4 EStG zu ändern sei. § 70 Abs. 4 EStG eröffne stets eine Berichtigungsmöglichkeit, wenn die abschließende Überprüfung nach Ablauf des Kalenderjahres abweichend von der Prognoseentscheidung der Familienkasse ein Unter- oder Überschreiten des Grenzbetrages ergebe, da vor diesem Zeitpunkt die tatsächliche Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes nicht feststehe. Prognoseentscheidungen trügen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den Charakter der Vorläufigkeit in sich.

 

Die Familienkasse rügt mit ihrer Revision sinngemäß die Verletzung des § 70 Abs. 4 EStG.

 

Sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).

 

Entgegen der Auffassung des FG kann für den Zeitraum Januar bis September 2002 kein Kindergeld gewährt werden, da der Bescheid, mit dem die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum aufgehoben hat, bestandskräftig geworden ist und die Voraussetzungen für eine Änderung dieses Bescheids nach § 70 Abs. 4 EStG nicht vorliegen.

 

1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht kein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von mehr als 7.188 EUR im Kalenderjahr (2002) hat.

 

2. Die Familienkasse hat mit dem Bescheid vom 3.9.2002 die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2002 aufgehoben, weil nach ihrer Berechnung die Einkünfte und Bezüge des Kindes im Kalenderjahr 2002 den Jahresgrenzbetrag überstiegen. Da der Kläger nicht innerhalb der Monatsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) Einspruch eingelegt hat, ist der Bescheid bestandskräftig geworden. Die darin getroffene Regelung über den Kindergeldanspruch ist bindend bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe dieses Bescheids, also bis Ende September 2002 (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25.7.2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88 = SIS 01 13 65).

 

Die Bestandskraft des Aufhebungsbescheids vom 3.9.2002 wird durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 = SIS 05 30 28 nicht berührt. Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) bleiben nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, grundsätzlich unberührt. Dies gilt analog, wenn das BVerfG - wie im Streitfall - lediglich die Auslegung einer Norm für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat (Senatsurteil vom 28.6.2006 III R 13/06, BFH/NV 2006, 2204 = SIS 06 38 92, m.w.N.).

 

Der Bescheid ist auch wirksam. Denn ein Bescheid, der auf einer von einer Entscheidung des BVerfG abweichenden Auslegung einer Rechtsnorm beruht, ist zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig (Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2204 = SIS 06 38 92, m.w.N.).

 

3. Der bestandskräftige Bescheid vom 3.9.2002 kann nicht nach § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben oder geändert werden.

 

a) Nach dieser Vorschrift ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG über- oder unterschreiten. Die gesetzliche Formulierung ist insoweit ungenau, als der Kindergeldanspruch nicht davon abhängt, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag unterschreiten, sondern dass sie ihn nicht überschreiten (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).

 

b) Nach seinem Wortlaut betrifft § 70 Abs. 4 EStG die Aufhebung oder Änderung einer Kindergeldfestsetzung. Unter Kindergeldfestsetzung ist nicht nur ein Bescheid zu verstehen, mit dem Kindergeld festgesetzt wird, sondern auch ein Bescheid, mit dem ein Antrag auf Kindergeld abgelehnt oder - wie im Streitfall - eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben wird. Denn § 70 Abs. 4 EStG ordnet die Aufhebung oder Änderung der „Kindergeldfestsetzung“ auch für den Fall an, dass das Unterschreiten bzw. das Nichtüberschreiten des Grenzbetrags nachträglich bekannt wird. Diese Tatbestandsalternative würde leerlaufen, würde man für die Anwendbarkeit des § 70 Abs. 4 EStG eine positive Kindergeldfestsetzung fordern. § 70 Abs. 4 EStG ist damit zu Gunsten wie zu Lasten des Kindergeldberechtigten anwendbar (vgl. Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 70 Rdnr. E 3; Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 70 EStG Rz. 18.2; Greite in Korn, § 70 EStG Rz. 21).

 

c) § 70 Abs. 4 EStG rechtfertigt eine Aufhebung oder Änderung des Kindergeldbescheids aber nur, wenn nachträglich bekannt wird, dass sich die Einkünfte und Bezüge entgegen der Prognose im laufenden Kalenderjahr erhöht oder vermindert haben, nicht aber, wenn sich ein von der Prognose abweichender Betrag ergibt, weil sich nach Erlass des Kindergeldbescheids - wie hier aufgrund einer Entscheidung des BVerfG - die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geändert hat (vgl. auch Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG - 70.6 Satz 6 1. Spiegelstrich, BStBl I 2004, 743, 817; a.A. Helmke in Helmke/Bauer, a.a.O., § 70 EStG Rz. 18.2).

 

Diese Auslegung folgt aus dem Zweck des § 70 Abs. 4 EStG sowie der Gesetzessystematik. Für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektivierte Wille maßgebend, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt (vgl. Urteil des BVerfG vom 21.5.1952 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299, 312; BFH-Urteil vom 29.3.2001 IV R 49/99, BFHE 195, 257, BStBl II 2001, 437 = SIS 01 08 56, m.w.N.).

 

Die Korrekturmöglichkeit nach § 70 Abs. 4 EStG ist erforderlich, weil das Kindergeld im Laufe des Kalenderjahres monatlich gezahlt wird (vgl. § 31 Satz 3, § 71 EStG), ein Anspruch darauf aber grundsätzlich nur dann besteht, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgebenden Jahresgrenzbetrag (§ 62, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) nicht überschreiten (Senatsurteil vom 15.12.2005 III R 82/04, BFHE 212, 213, BFH/NV 2006, 1008 = SIS 06 16 46).

 

Anspruchsvoraussetzungen wie z.B. die Zugehörigkeit zum Haushalt des Anspruchsberechtigten oder die Ausbildung des Kindes kann die Familienkasse zeitnah ermitteln. Ändern sich die Verhältnisse, ist die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern (§ 70 Abs. 2 EStG). Ob die Einkünfte und Bezüge eines Kindes hingegen den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten oder nicht überschreiten, ist in der Regel endgültig erst nach Ablauf des Jahres feststellbar (Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2204 = SIS 06 38 92, m.w.N.).

 

Wird zu Beginn oder während des Kalenderjahres Kindergeld für ein volljähriges Kind beantragt, hat die Familienkasse vor Festsetzung und Auszahlung des Kindergelds aufgrund der bis dahin bekannten Tatsachen die voraussichtlich im Kalenderjahr anfallenden Einkünfte und Bezüge des Kindes zu ermitteln. Wegen der Ungewissheit über die künftige Entwicklung der Einkünfte und Bezüge muss die Familienkasse die Möglichkeit haben, einen positiven oder negativen Kindergeldbescheid zu ändern, wenn sich nach Ablauf des Jahres herausstellt, dass die Einkünfte und Bezüge abweichend von der Prognose der Familienkasse aufgrund der bei der Prognoseentscheidung bekannten Tatsachen den maßgebenden Jahresgrenzbetrag überschreiten bzw. nicht überschreiten.

 

Mit der Einführung des § 70 Abs. 4 EStG durch Art. 1 Nr. 21 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom 16.8.2001 (BGBl I 2001, 2074, BStBl I 2001, 533) sollte sichergestellt werden, dass die Festsetzung von Kindergeld für ein volljähriges Kind nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden kann, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag „entgegen einer früheren Prognoseentscheidung der Familienkasse“ überschreiten oder nicht überschreiten (BTDrucks 14/6160, S. 14). Eine Prognose (Vorhersage) wird hinsichtlich der im Lauf des Kalenderjahrs erst zufließenden Einnahmen und der voraussichtlich anfallenden Ausgaben (Werbungskosten) getroffen. Das nachträgliche Bekanntwerden vom Überschreiten oder Nichtüberschreiten des Jahresgrenzbetrags bezieht sich somit auf von der Prognose abweichende tatsächliche Änderungen hinsichtlich des Betrags der Einkünfte und Bezüge, nicht aber auf Änderungen, die auf nachträglich ergangener Rechtsprechung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG beruhen.

 

Daher ist § 70 Abs. 4 EStG nicht anwendbar, wenn die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nur deshalb unterschreiten, weil aufgrund der Entscheidung des BVerfG nach Erlass des bestandskräftigen Kindergeldbescheids abweichend von der bisherigen Rechtsauffassung (vgl. BFH-Urteil vom 4.11.2003 VIII R 59/03, BFHE 204, 126, BStBl II 2004, 584 = SIS 04 05 45, m.w.N.) Sozialversicherungsbeiträge des Kindes von den Einkünften abzurechnen sind.

 

Die Systematik der Änderungsvorschriften in § 70 EStG bestätigt dieses Auslegungsergebnis.

 

Änderungen der für den Anspruch auf Kindergeld erheblichen Verhältnisse sind nach § 70 Abs. 2 EStG mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse zu berücksichtigen, also gegebenenfalls auch rückwirkend. Materielle Fehler eines Kindergeldbescheids, d.h. Rechtsanwendungsfehler können dagegen nach § 70 Abs. 3 Satz 2 EStG nur mit Wirkung ab dem auf die Bekanntgabe der Neufestsetzung oder Aufhebung folgenden Monat - d.h. mit Wirkung für die Zukunft - korrigiert werden.

 

Die für den Kindergeldanspruch erheblichen (tatsächlichen) Verhältnisse haben sich im Streitfall nicht geändert. Der Aufhebungsbescheid vom 3.9.2002 ist aber materiell fehlerhaft, weil die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung auf einer rechtswidrigen Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG beruht. Denn die Familienkasse hat - entsprechend der damals vorherrschenden Rechtsauffassung - nicht berücksichtigt, dass Sozialversicherungsbeiträge zur Bestreitung des Lebensunterhalts nicht zur Verfügung stehen und deshalb nicht als Einkünfte in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag einbezogen werden dürfen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, materielle Fehler eines Kindergeldbescheids nur für die Zukunft zu korrigieren, würde unterlaufen, wenn ein während des Jahres ergangener Kindergeldbescheid aufgrund einer Entscheidung des BVerfG zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nach § 70 Abs. 4 EStG aufzuheben oder zu ändern wäre. Denn eine Aufhebung oder Änderung nach Ablauf des Kalenderjahres gemäß § 70 Abs. 4 EStG aufgrund einer geänderten Rechtsauffassung würde zu einer rückwirkenden Korrektur für das abgelaufene Kalenderjahr führen.

 

Auch wird in § 70 Abs. 4 EStG - anders als in § 70 Abs. 3 EStG in dessen Satz 3 - keine entsprechende Anwendung des § 176 AO 1977 angeordnet. § 176 AO 1977 schützt das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Bestandskraft von Steuerbescheiden, soweit sie auf einer ihm günstigen Gesetzgebung, Rechtsprechung oder Verwaltungsvorschrift beruhen (vgl. BFH-Urteil vom 11.4.2002 V R 26/01, BFHE 198, 238, BStBl II 2004, 317 = SIS 02 08 69, m.w.N.; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 176 Rz. 1). Hätte der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 70 Abs. 4 EStG auch Korrekturen von bestandskräftigen Kindergeldbescheiden bei Änderung der Auslegung einer Norm durch die Rechtsprechung ermöglichen wollen, hätte er in § 70 Abs. 4 EStG ebenfalls auf § 176 AO 1977 verwiesen.

 

d) Nach diesen Grundsätzen hat das FG den Aufhebungsbescheid vom 3.9.2002 zu Unrecht nach § 70 Abs. 4 EStG geändert. Die Tochter erzielte im Kalenderjahr 2002 ein Bruttoeinkommen von 9.537 EUR. Abzüglich des Arbeitnehmerpauschbetrags von 1.044 EUR ergeben sich Einkünfte in Höhe von 8.493 EUR, die den für das Kalenderjahr 2002 maßgebenden Jahresgrenzbetrag von 7.188 EUR übersteigen. Die Entscheidung des BVerfG, nach der die Sozialversicherungsbeiträge nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag einzubeziehen sind, ist erst nach Bestandskraft des Aufhebungsbescheids vom 3.9.2002 ergangen.

 

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 FGO.

Anmerkung RiBFH i.R. Dr. Dürr

Nach dem BFH-Urteil vom 28.6.2006, III R 13/06 (BFH/NV 2006 S. 2204) = SIS 06 38 92 kann ein ablehnender Bescheid, der nach Ablauf des Kalenderjahrs ergangen ist und nicht angefochten wurde, nicht mehr dahin geändert werden, dass die familienfreundliche Entscheidung des BVerfG vom 11.1.2005, 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112 S. 164, DStR 2005 S. 911) = SIS 05 30 28 zur Minderung der Einkünfte des Kindes um die Sozialversicherungsbeiträge berücksichtigt wird. Es greift keine Korrekturvorschrift ein, die die Bestandskraft der Ablehnung durchbrechen könnte. § 70 Abs. 4 EStG betrifft nur Prognoseentscheidungen, d.h. Kindergeldfestsetzungen, die vor Beginn oder während eines Kalenderjahres ergangen sind.

 

In dem BFH-Urteil vom 28.6.2006, III R 13/06 (BFH/NV 2006 S. 2204) = SIS 06 38 92 hat der BFH noch ausdrücklich offen gelassen, ob die Aufhebung/Änderung nach dieser Vorschrift auch dann möglich ist, wenn sich nicht der Sachverhalt, sondern - aufgrund der BVerfG-Entscheidung - lediglich die rechtliche Beurteilung des der Prognose zugrunde liegenden Sachverhalts geändert hat. Diese Frage hat der BFH nun in dem Sinne entschieden, dass die Änderungsvorschrift diesen Fall nicht umfasst. Die Entscheidung des BVerfG ist keine neue Tatsache, sondern lediglich die Begründung für eine von der früheren Rechtsprechung des BFH abweichende Rechtsauffassung. Der BFH hatte früher die Auffassung vertreten, die Sozialversicherungsbeiträge minderten die Einkünfte des Kindes nicht (BFH-Urteil vom 4.11.2003, VIII R 59/03, BStBl 2004 II S. 584 = SIS 04 05 45). Die Eltern, die die Prognoseentscheidung haben bestandskräftig werden lassen, können daher für die Vergangenheit nicht in den Genuss der kindergeldfreundlichen Beurteilung des BVerfG kommen.