Aufgehobene Kindergeldfestsetzung, keine Änderung wegen Rechtsprechungsänderung: Ein bestandskräftiger Bescheid, mit dem die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld im laufenden Kalenderjahr wegen der den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) voraussichtlich übersteigenden Einkünfte und Bezüge des Kindes aufgehoben hat (Prognoseentscheidung), ist nicht nach § 70 Abs. 4 EStG zu ändern, wenn der Jahresgrenzbetrag allein deshalb unterschritten wird, weil nach der späteren Entscheidung des BVerfG die Arbeitnehmerbeiträge des Kindes zur gesetzlichen Sozialversicherung abweichend von der bisher vorherrschenden Rechtsauffassung nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen sind. - Urt.; BFH 28.11.2006, III R 6/06; SIS 07 03 15
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) hat eine im Jahr 1983 geborene Tochter, die am
1.12.2000 eine Ausbildung zur Augenoptikerin begann. Die monatliche
Brutto-Ausbildungsvergütung der Tochter betrug nach der
Ausbildungsbescheinigung vom 26.1.2001 ab 1.8.2001 1.100 DM. Nach
der „Bescheinigung über die Fortdauer bzw. das Ende der
Berufsausbildung“ vom 15.7.2002 erhöhte sich die
Vergütung ab 1.7.2002 auf monatlich 789,14 EUR. Weiter sollte
die Tochter danach in den Monaten Juni und November 2002
Sonderzuwendungen in Höhe von jeweils 307 EUR brutto
erhalten.
Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) errechnete nach diesen Angaben voraussichtliche
Einkünfte der Tochter im Jahr 2002 in Höhe von 7.679,36
EUR, indem sie von den Einnahmen in Höhe von insgesamt
8.723,36 EUR den Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 1.044 EUR (§ 9a
Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Jahr
2002 geltenden Fassung - EStG - ) abzog. Da die Einkünfte der
Tochter den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag im Jahr 2002 von
7.188 EUR (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) überschritten, hob
die Familienkasse mit Bescheid vom 3.9.2002 die Festsetzung des
Kindergeldes ab Januar 2002 auf. Der Bescheid wurde nicht
angefochten.
Mit Schreiben vom 21.7.2005 beantragte der
Kläger unter Vorlage der Abrechnung der
Brutto-Netto-Bezüge für den Monat Dezember 2002 erneut
Kindergeld für seine Tochter für das Jahr 2002 sowie
für Januar 2003. Nach dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11.1.2005 2 BvR 167/02
(BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 = SIS 05 30 28)
seien auch die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge von
den Einkünften der Tochter abzuziehen. Ihr
Jahresbruttoeinkommen habe 9.537 EUR betragen. Nach Abzug der von
ihr gezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von
1.993 EUR und der Werbungskostenpauschale von 920 EUR ergebe sich
ein Betrag von 6.624 EUR, so dass ein Anspruch auf Kindergeld
bestehe.
Mit Bescheid vom 29.7.2005 setzte die
Familienkasse Kindergeld von Oktober 2002 bis Januar 2003 fest. Der
Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3,
260 = SIS 05 30 28 sei auf alle offenen Fälle anzuwenden. Da
die Kindergeldfestsetzung mit bestandskräftigem Bescheid vom
3.9.2002 ab Januar 2002 aufgehoben worden sei, könne das
Kindergeld frühestens ab dem Folgemonat der Bekanntgabe des
Aufhebungsbescheids, also ab Oktober 2002, festgesetzt werden. Der
hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.
Unter Änderung des Bescheids vom
3.9.2002 verpflichtete das Finanzgericht (FG) die Familienkasse,
dem Kläger für den Zeitraum Januar bis September 2002
Kindergeld zu gewähren. Das Urteil ist in EFG 2006, 1445 = SIS 06 19 45 veröffentlicht.
Das FG führte im Wesentlichen aus, die
Einkünfte und Bezüge der Tochter überschritten im
Jahr 2002 nach Abzug der gesetzlichen
Sozialversicherungsbeiträge nicht den Jahresgrenzbetrag von
7.188 EUR. Dies habe sich erst nach dem Erlass des Bescheids
über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung herausgestellt,
so dass der Bescheid nach § 70 Abs. 4 EStG zu ändern sei.
§ 70 Abs. 4 EStG eröffne stets eine
Berichtigungsmöglichkeit, wenn die abschließende
Überprüfung nach Ablauf des Kalenderjahres abweichend von
der Prognoseentscheidung der Familienkasse ein Unter- oder
Überschreiten des Grenzbetrages ergebe, da vor diesem
Zeitpunkt die tatsächliche Höhe der Einkünfte und
Bezüge des Kindes nicht feststehe. Prognoseentscheidungen
trügen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den
Charakter der Vorläufigkeit in sich.
Die Familienkasse rügt mit ihrer
Revision sinngemäß die Verletzung des § 70 Abs. 4
EStG.
Sie beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Entgegen der Auffassung des FG kann für
den Zeitraum Januar bis September 2002 kein Kindergeld gewährt
werden, da der Bescheid, mit dem die Familienkasse die
Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum aufgehoben hat,
bestandskräftig geworden ist und die Voraussetzungen für
eine Änderung dieses Bescheids nach § 70 Abs. 4 EStG
nicht vorliegen.
1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1
Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht kein Anspruch
auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die
zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt
oder geeignet sind, von mehr als 7.188 EUR im Kalenderjahr (2002)
hat.
2. Die Familienkasse hat mit dem Bescheid vom
3.9.2002 die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2002 aufgehoben, weil
nach ihrer Berechnung die Einkünfte und Bezüge des Kindes
im Kalenderjahr 2002 den Jahresgrenzbetrag überstiegen. Da der
Kläger nicht innerhalb der Monatsfrist des § 355 Abs. 1
Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) Einspruch eingelegt hat, ist
der Bescheid bestandskräftig geworden. Die darin getroffene
Regelung über den Kindergeldanspruch ist bindend bis zum Ende
des Monats der Bekanntgabe dieses Bescheids, also bis Ende
September 2002 (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
25.7.2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88 = SIS 01 13 65).
Die Bestandskraft des Aufhebungsbescheids vom
3.9.2002 wird durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164,
BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 = SIS 05 30 28 nicht berührt. Nach
§ 79 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
(BVerfGG) bleiben nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf
einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig
erklärten Norm beruhen, grundsätzlich unberührt.
Dies gilt analog, wenn das BVerfG - wie im Streitfall - lediglich
die Auslegung einer Norm für unvereinbar mit dem Grundgesetz
erklärt hat (Senatsurteil vom 28.6.2006 III R 13/06, BFH/NV
2006, 2204 = SIS 06 38 92, m.w.N.).
Der Bescheid ist auch wirksam. Denn ein
Bescheid, der auf einer von einer Entscheidung des BVerfG
abweichenden Auslegung einer Rechtsnorm beruht, ist zwar
rechtswidrig, aber nicht nichtig (Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2204
= SIS 06 38 92, m.w.N.).
3. Der bestandskräftige Bescheid vom
3.9.2002 kann nicht nach § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben oder
geändert werden.
a) Nach dieser Vorschrift ist eine
Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn
nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und
Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4
Satz 2 EStG über- oder unterschreiten. Die gesetzliche
Formulierung ist insoweit ungenau, als der Kindergeldanspruch nicht
davon abhängt, dass die Einkünfte und Bezüge des
Kindes den Jahresgrenzbetrag unterschreiten, sondern dass sie ihn
nicht überschreiten (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
b) Nach seinem Wortlaut betrifft § 70
Abs. 4 EStG die Aufhebung oder Änderung einer
Kindergeldfestsetzung. Unter Kindergeldfestsetzung ist nicht nur
ein Bescheid zu verstehen, mit dem Kindergeld festgesetzt wird,
sondern auch ein Bescheid, mit dem ein Antrag auf Kindergeld
abgelehnt oder - wie im Streitfall - eine Kindergeldfestsetzung
aufgehoben wird. Denn § 70 Abs. 4 EStG ordnet die Aufhebung
oder Änderung der „Kindergeldfestsetzung“
auch für den Fall an, dass das Unterschreiten bzw. das
Nichtüberschreiten des Grenzbetrags nachträglich bekannt
wird. Diese Tatbestandsalternative würde leerlaufen,
würde man für die Anwendbarkeit des § 70 Abs. 4 EStG
eine positive Kindergeldfestsetzung fordern. § 70 Abs. 4 EStG
ist damit zu Gunsten wie zu Lasten des Kindergeldberechtigten
anwendbar (vgl. Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG,
§ 70 Rdnr. E 3; Helmke in Helmke/Bauer,
Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung,
§ 70 EStG Rz. 18.2; Greite in Korn, § 70 EStG Rz.
21).
c) § 70 Abs. 4 EStG rechtfertigt eine
Aufhebung oder Änderung des Kindergeldbescheids aber nur, wenn
nachträglich bekannt wird, dass sich die Einkünfte und
Bezüge entgegen der Prognose im laufenden Kalenderjahr
erhöht oder vermindert haben, nicht aber, wenn sich ein von
der Prognose abweichender Betrag ergibt, weil sich nach Erlass des
Kindergeldbescheids - wie hier aufgrund einer Entscheidung des
BVerfG - die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4
Satz 2 EStG geändert hat (vgl. auch Dienstanweisung zur
Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X.
Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG - 70.6 Satz 6 1.
Spiegelstrich, BStBl I 2004, 743, 817; a.A. Helmke in Helmke/Bauer,
a.a.O., § 70 EStG Rz. 18.2).
Diese Auslegung folgt aus dem Zweck des §
70 Abs. 4 EStG sowie der Gesetzessystematik. Für die Auslegung
einer Gesetzesvorschrift ist der in ihr zum Ausdruck kommende
objektivierte Wille maßgebend, so wie er sich aus dem
Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt (vgl.
Urteil des BVerfG vom 21.5.1952 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299, 312;
BFH-Urteil vom 29.3.2001 IV R 49/99, BFHE 195, 257, BStBl II 2001,
437 = SIS 01 08 56, m.w.N.).
Die Korrekturmöglichkeit nach § 70
Abs. 4 EStG ist erforderlich, weil das Kindergeld im Laufe des
Kalenderjahres monatlich gezahlt wird (vgl. § 31 Satz 3,
§ 71 EStG), ein Anspruch darauf aber grundsätzlich nur
dann besteht, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes
den maßgebenden Jahresgrenzbetrag (§ 62, § 63 Abs.
1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) nicht
überschreiten (Senatsurteil vom 15.12.2005 III R 82/04, BFHE
212, 213, BFH/NV 2006, 1008 = SIS 06 16 46).
Anspruchsvoraussetzungen wie z.B. die
Zugehörigkeit zum Haushalt des Anspruchsberechtigten oder die
Ausbildung des Kindes kann die Familienkasse zeitnah ermitteln.
Ändern sich die Verhältnisse, ist die Festsetzung des
Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der
Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern (§ 70 Abs. 2
EStG). Ob die Einkünfte und Bezüge eines Kindes hingegen
den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
überschreiten oder nicht überschreiten, ist in der Regel
endgültig erst nach Ablauf des Jahres feststellbar
(Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2204 = SIS 06 38 92, m.w.N.).
Wird zu Beginn oder während des
Kalenderjahres Kindergeld für ein volljähriges Kind
beantragt, hat die Familienkasse vor Festsetzung und Auszahlung des
Kindergelds aufgrund der bis dahin bekannten Tatsachen die
voraussichtlich im Kalenderjahr anfallenden Einkünfte und
Bezüge des Kindes zu ermitteln. Wegen der Ungewissheit
über die künftige Entwicklung der Einkünfte und
Bezüge muss die Familienkasse die Möglichkeit haben,
einen positiven oder negativen Kindergeldbescheid zu ändern,
wenn sich nach Ablauf des Jahres herausstellt, dass die
Einkünfte und Bezüge abweichend von der Prognose der
Familienkasse aufgrund der bei der Prognoseentscheidung bekannten
Tatsachen den maßgebenden Jahresgrenzbetrag
überschreiten bzw. nicht überschreiten.
Mit der Einführung des § 70 Abs. 4
EStG durch Art. 1 Nr. 21 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes
zur Familienförderung vom 16.8.2001 (BGBl I 2001, 2074, BStBl
I 2001, 533) sollte sichergestellt werden, dass die Festsetzung von
Kindergeld für ein volljähriges Kind nach Ablauf des
Kalenderjahres korrigiert werden kann, wenn die Einkünfte und
Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag „entgegen
einer früheren Prognoseentscheidung der
Familienkasse“ überschreiten oder nicht
überschreiten (BTDrucks 14/6160, S. 14). Eine Prognose
(Vorhersage) wird hinsichtlich der im Lauf des Kalenderjahrs erst
zufließenden Einnahmen und der voraussichtlich anfallenden
Ausgaben (Werbungskosten) getroffen. Das nachträgliche
Bekanntwerden vom Überschreiten oder Nichtüberschreiten
des Jahresgrenzbetrags bezieht sich somit auf von der Prognose
abweichende tatsächliche Änderungen hinsichtlich des
Betrags der Einkünfte und Bezüge, nicht aber auf
Änderungen, die auf nachträglich ergangener
Rechtsprechung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
beruhen.
Daher ist § 70 Abs. 4 EStG nicht
anwendbar, wenn die Einkünfte und Bezüge den
Jahresgrenzbetrag nur deshalb unterschreiten, weil aufgrund der
Entscheidung des BVerfG nach Erlass des bestandskräftigen
Kindergeldbescheids abweichend von der bisherigen Rechtsauffassung
(vgl. BFH-Urteil vom 4.11.2003 VIII R 59/03, BFHE 204, 126, BStBl
II 2004, 584 = SIS 04 05 45, m.w.N.)
Sozialversicherungsbeiträge des Kindes von den Einkünften
abzurechnen sind.
Die Systematik der Änderungsvorschriften
in § 70 EStG bestätigt dieses Auslegungsergebnis.
Änderungen der für den Anspruch auf
Kindergeld erheblichen Verhältnisse sind nach § 70 Abs. 2
EStG mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der
Verhältnisse zu berücksichtigen, also gegebenenfalls auch
rückwirkend. Materielle Fehler eines Kindergeldbescheids, d.h.
Rechtsanwendungsfehler können dagegen nach § 70 Abs. 3
Satz 2 EStG nur mit Wirkung ab dem auf die Bekanntgabe der
Neufestsetzung oder Aufhebung folgenden Monat - d.h. mit Wirkung
für die Zukunft - korrigiert werden.
Die für den Kindergeldanspruch
erheblichen (tatsächlichen) Verhältnisse haben sich im
Streitfall nicht geändert. Der Aufhebungsbescheid vom 3.9.2002
ist aber materiell fehlerhaft, weil die Aufhebung der
Kindergeldfestsetzung auf einer rechtswidrigen Auslegung des §
32 Abs. 4 Satz 2 EStG beruht. Denn die Familienkasse hat -
entsprechend der damals vorherrschenden Rechtsauffassung - nicht
berücksichtigt, dass Sozialversicherungsbeiträge zur
Bestreitung des Lebensunterhalts nicht zur Verfügung stehen
und deshalb nicht als Einkünfte in die
Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag
einbezogen werden dürfen. Die Entscheidung des Gesetzgebers,
materielle Fehler eines Kindergeldbescheids nur für die
Zukunft zu korrigieren, würde unterlaufen, wenn ein
während des Jahres ergangener Kindergeldbescheid aufgrund
einer Entscheidung des BVerfG zur Auslegung des § 32 Abs. 4
Satz 2 EStG nach § 70 Abs. 4 EStG aufzuheben oder zu
ändern wäre. Denn eine Aufhebung oder Änderung nach
Ablauf des Kalenderjahres gemäß § 70 Abs. 4 EStG
aufgrund einer geänderten Rechtsauffassung würde zu einer
rückwirkenden Korrektur für das abgelaufene Kalenderjahr
führen.
Auch wird in § 70 Abs. 4 EStG - anders
als in § 70 Abs. 3 EStG in dessen Satz 3 - keine entsprechende
Anwendung des § 176 AO 1977 angeordnet. § 176 AO 1977
schützt das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die
Bestandskraft von Steuerbescheiden, soweit sie auf einer ihm
günstigen Gesetzgebung, Rechtsprechung oder
Verwaltungsvorschrift beruhen (vgl. BFH-Urteil vom 11.4.2002 V R
26/01, BFHE 198, 238, BStBl II 2004, 317 = SIS 02 08 69, m.w.N.;
Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 176 Rz. 1). Hätte der
Gesetzgeber mit der Schaffung des § 70 Abs. 4 EStG auch
Korrekturen von bestandskräftigen Kindergeldbescheiden bei
Änderung der Auslegung einer Norm durch die Rechtsprechung
ermöglichen wollen, hätte er in § 70 Abs. 4 EStG
ebenfalls auf § 176 AO 1977 verwiesen.
d) Nach diesen Grundsätzen hat das FG den
Aufhebungsbescheid vom 3.9.2002 zu Unrecht nach § 70 Abs. 4
EStG geändert. Die Tochter erzielte im Kalenderjahr 2002 ein
Bruttoeinkommen von 9.537 EUR. Abzüglich des
Arbeitnehmerpauschbetrags von 1.044 EUR ergeben sich Einkünfte
in Höhe von 8.493 EUR, die den für das Kalenderjahr 2002
maßgebenden Jahresgrenzbetrag von 7.188 EUR übersteigen.
Die Entscheidung des BVerfG, nach der die
Sozialversicherungsbeiträge nicht in die
Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag
einzubeziehen sind, ist erst nach Bestandskraft des
Aufhebungsbescheids vom 3.9.2002 ergangen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 FGO.