Überlassung einheitlicher Kleidung, Arbeitslohn: Auch bei der Gestellung einheitlicher, während der Arbeitszeit zu tragender bürgerlicher Kleidungsstücke kann das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers im Vordergrund stehen bzw. ein geldwerter Vorteil des Arbeitnehmers zu verneinen sein. - Urt.; BFH 22.6.2006, VI R 21/05; SIS 06 37 87
I. Streitig ist, ob ein geldwerter Vorteil
(Arbeitslohn) vorliegt, wenn ein Arbeitgeber seinem
Verkaufspersonal verschiedene Kleidungsstücke zur Nutzung zur
Verfügung stellt.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) gehört zu einer Unternehmensgruppe, die im
Bereich des Lebensmitteleinzelhandels tätig ist. Sie nutzt
zusammen mit zwei weiteren Gesellschaften des Konzerns, die
Fleisch- und Wurstwaren bzw. Backwaren vertreiben, die Ladenlokale
gemeinsam. In manchen Filialen unterhält die Klägerin
auch sog. X-Shops, in denen sie mit eigenen Angestellten für
die X-AG tätig ist.
Anlässlich einer
Lohnsteuer-Außenprüfung, die sich auf die Jahre 1996 bis
2000 erstreckte, stellte der Prüfer fest, dass die
Klägerin aufgrund von Betriebsvereinbarungen
Kleidungsstücke angeschafft und diese den Mitarbeitern
kostenlos überlassen hatte. Der Prüfer beurteilte die
Kleidungsstücke zum Teil als typische Berufskleidung, zum Teil
jedoch nicht, weil die Stücke weder als Arbeitsschutzkleidung
zu werten seien noch durch ein dauerhaft angebrachtes Kennzeichen
(Firmenemblem) objektiv eine berufliche Funktion erfüllten.
Die Kleidungsstücke könnten auch im privaten Leben
getragen werden. Die Überlassung führe daher zu
steuerpflichtigem Arbeitslohn. Dies gelte selbst dann, wenn
feststehe, dass die Kleidung ausschließlich bei der
Berufsausübung benutzt werde.
Im Einzelnen handelte es sich um folgende
Anschaffungen:
2000:
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für 90 Filialleiter und 40
Filialleiterinnen: jeweils 4 blaue Pullunder, 4 blaue Strickjacken,
2 Krawatten bzw. 2 Halstücher: rd. 78.000 DM,
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X-Shop – pro Arbeitnehmer bzw.
Arbeitnehmerin: 3 Pullunder, 2 Strickjacken, 5 Hemden bzw. Blusen,
2 Krawatten bzw. Halstücher: rd. 25.600 DM.
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1996 und 1997:
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Damenjacken für Filialleiterinnen und
Krawatten für Filialleiter: rd. 27.500 DM.
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1998:
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Blusen, Hemden, Pullunder, Tücher und
Krawatten für die Arbeitnehmer in den X-Shops: rd. 5.700
DM.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) schloss sich der Auffassung des Prüfers an.
Die im Wege der Pauschalierung nach § 40 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) durchgeführte Besteuerung ergab
eine Lohnsteuer-Nachforderung in Höhe von rd. 75.000
DM.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
den in EFG 2005, 1344 = SIS 05 24 30 veröffentlichten
Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Die Vorentscheidung sei mit der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht vereinbar. Im
Streitfall hätten die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen einen
geldwerten Vorteil durch Überlassung der Kleidungsstücke
erlangt. Die Klägerin verfolge zwar mit der Gestellung der
Kleidung eine Stärkung des
Zusammengehörigkeitsgefühls ihrer Mitarbeiter. Das
Verkaufspersonal solle durch ein einheitliches Outfit sowohl als
solches erkennbar sein als auch dem Erscheinungsbild gegenüber
dem gehobenen Kundenkreis entsprechen. Andererseits könne aber
das Interesse der Mitarbeiter nicht vernachlässigt werden.
Durch die Gestellung der Kleidung ersparten die Mitarbeiter
Aufwendungen für ähnliche angemessene
Kleidungsstücke. Ein erhebliches Eigeninteresse der
Mitarbeiter ergebe sich auch aus der Marktgängigkeit der
zugewendeten Vorteile. Insbesondere handele es sich nicht um
typische Berufsbekleidung.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet.
Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die
überlassenen Kleidungsstücke keine einkommensteuerlich zu
erfassenden geldwerten Vorteile (Arbeitslohn) darstellen.
1. Steuerpflichtiger Arbeitslohn ist dadurch
gekennzeichnet, dass dem Arbeitnehmer Einnahmen (Bezüge oder
geldwerte Vorteile) zufließen, die
„für“ seine Arbeitsleistung gewährt
werden (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Diesem Tatbestandsmerkmal ist
nach ständiger Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem
Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil
Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der
Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden.
Dagegen sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei
objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung,
sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung
betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Ein Vorteil wird dann
aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse
gewährt, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung aus den
Begleitumständen zu schließen ist, dass der jeweils
verfolgte betriebliche Zweck ganz im Vordergrund steht. In diesem
Fall des „ganz überwiegend“
eigenbetrieblichen Interesses kann ein damit einhergehendes eigenes
Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen,
vernachlässigt werden. Die danach erforderliche, in erster
Linie vom FG als Tatsacheninstanz vorzunehmende
Gesamtwürdigung hat insbesondere Anlass, Art und Höhe des
Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene
Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des
Vorteils und seine besondere Geeignetheit für den jeweils
verfolgten betrieblichen Zweck zu berücksichtigen
(ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Urteile vom
11.4.2006 VI R 60/02, BFH/NV 2006, 1563 = SIS 06 30 05; vom
18.8.2005 VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30 = SIS 05 44 58; vom 7.7.2004 VI R 29/00, BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367 =
SIS 05 13 48, jeweils m.w.N.).
Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen der
Intensität des eigenbetrieblichen Interesses des Arbeitgebers
und dem Ausmaß der Bereicherung des Arbeitnehmers. Je
höher aus der Sicht des Arbeitnehmers die Bereicherung
anzusetzen ist, desto geringer zählt das aus der Sicht des
Arbeitgebers vorhandene eigenbetriebliche Interesse (BFH-Urteil vom
11.3.1988 VI R 106/84, BFHE 153, 324, BStBl II 1988, 726 = SIS 88 17 05). Tritt das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem
des Arbeitgebers in den Hintergrund, kann eine Lohnzuwendung zu
verneinen sein. Ist aber - neben dem eigenbetrieblichen Interesse
des Arbeitgebers - ein nicht unerhebliches Interesse des
Arbeitnehmers gegeben, so liegt die Vorteilsgewährung nicht im
ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers
und führt zu Lohnzuwendung (BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 1563 =
SIS 06 30 05; vom 2.2.1990 VI R 15/86, BFHE 159, 513, BStBl II
1990, 472 = SIS 90 10 40).
2. Von diesen Rechtsgrundsätzen ist das
FG ausgegangen. Es gelangte bei Berücksichtigung der den
Streitfall prägenden Gesamtumstände (unter Einbeziehung
der von der Klägerin vorgelegten Lichtbilder) in
revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Wertung,
die Gestellung der Kleidungsstücke sei in erster Linie durch
das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers veranlasst; der
geldwerte Vorteil für die Arbeitnehmer sei gering bzw. zu
vernachlässigen (vgl. hierzu auch v. Beckerath, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 31 Rdnr. B
31/5).
Dabei hat das FG bei seiner
Gesamtwürdigung maßgeblich darauf abgestellt, dass den
Mitarbeitern keine Individualbekleidung entsprechend deren
speziellen Wünschen zur Verfügung gestellt worden sei.
Die Mitarbeiter hätten vielmehr eine Gemeinschaftsausstattung
erhalten, die aufgrund ihrer Standardisierung den individuellen
Neigungen der Mitarbeiter ohnehin nur beschränkt
zugänglich gewesen sei. Die Gestellung dieser
Kleidungsstücke sei im Zusammenwirken mit dem Betriebsrat
erfolgt, um ein einheitliches Erscheinungsbild aller Mitarbeiter zu
gewährleisten. Sowohl nach innen im Sinne eines
Zusammengehörigkeitsgefühls und der Kollegialität
innerhalb der Belegschaft als auch nach außen gegenüber
der Öffentlichkeit (Kunden, Lieferanten,
Geschäftspartner) habe das Erscheinungsbild des Unternehmens
(sog. corporate identity) verbessert werden sollen. Diese
Zwecksetzung habe auch die Bediensteten der X-Shops mit
eingeschlossen. Diese Würdigung des FG ist nicht zu
beanstanden.
Dies gilt auch für die Ausführungen
des FG, der Wert der jeweiligen Ausstattung sei nicht so bemessen
gewesen, dass die ausschließlich betriebliche Veranlassung
der Aufwendungen in Frage stehe (vgl. zur Bedeutung des Werts auch
Senatsurteil in BFH/NV 2006, 1563 = SIS 06 30 05): Die in gewisser
Weise uniformähnlichen, auch aus hygienischen Gründen
angeschafften Kleidungsstücke seien weder besonders exklusiv
noch teuer gewesen. Die jeweils zur Verfügung gestellte Anzahl
gleichartiger Stücke sei nicht über das hinausgegangen,
was für eine Arbeit, bei der ein höheres
Verschmutzungsrisiko auch für Leitungskräfte bestehe,
erforderlich sei. Ähnliche Überlegungen würden auch
für die Mitarbeiter der X-Shops gelten. Es sei ferner nicht
gerechtfertigt, den Lohnsteueranspruch insoweit davon abhängig
zu machen, dass auf den Kleidungsstücken ein Firmenlogo
angebracht werden müsse.