Mehrmütterorganschaft, Verfassungsmäßigkeit: 1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die durch das UntStFG geschaffenen gesetzlichen Regelungen zur sog. Mehrmütterorganschaft verfassungsgemäß sind. Sie verstoßen nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot. - 2. Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen über das Ruhen von Verfahren kraft Gesetzes in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 begründen nach summarischer Prüfung keinen einfachgesetzlichen Vertrauensschutz, der einer rückwirkenden Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 3, § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1999 i.V.m. § 14 Abs. 2 KStG 1999 (jeweils i.d.F. des UntStFG) entgegenstünde. - Urt.; BFH 22.2.2006, I B 145/05; SIS 06 19 81
I. Die
Beteiligten streiten über die Berücksichtigung
gewerbesteuerlicher Erträge und Verluste aus den Jahren 1991
bis 1998 nach den Grundsätzen der geänderten
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur sog.
Mehrmütterorganschaft (Senatsurteile vom 9.6.1999 I R 43/97,
BFHE 189, 518, BStBl II 2000, 695 = SIS 00 01 50, und I R 37/98,
BFH/NV 2000, 347 = SIS 00 52 68).
Die
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin zu 1, eine AG (A-AG), war in
den Streitjahren mit der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin zu
2, ebenfalls eine AG (B-AG), jeweils zur Hälfte an der C-GmbH
beteiligt. Um gegenüber der C-GmbH eine einheitliche
Leitungsmacht auszuüben, gründeten die A-AG und die B-AG
zum 1.1.1991 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR).
Weitere Zwecke verfolgte dieser Zusammenschluss den Feststellungen
des FG zufolge nicht.
Im Dezember
1990 schlossen die GbR und die C-GmbH mit Wirkung zum 1.1.1991
einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, demzufolge
die C-GmbH verpflichtet war, in ihrer Geschäftstätigkeit
ausschließlich nach dem Willen der GbR zu handeln und die
während der Vertragslaufzeit entstehenden jährlichen
Gewinne an die GbR abzuführen. Die GbR ihrerseits
verpflichtete sich, Verluste der C-GmbH
auszugleichen.
In den
Streitjahren 1991 bis 1995 erwirtschaftete die C-GmbH Verluste.
Für diese Jahre unterließen die A-AG und die B-AG in
ihren Gewerbesteuererklärungen die nach § 8 Nr. 8 des
Gewerbesteuergesetzes (GewStG) vorgesehene Hinzurechnung von
Verlustanteilen und legten, soweit die jeweiligen Finanzämter
dem nicht folgten, gegen die Festsetzungen der
Gewerbesteuermessbeträge Einspruch ein.
Der
Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA - )
erließ für die Jahre 1991 bis 1997 gegen die GbR
Gewinnfeststellungsbescheide sowie Gewerbesteuermessbescheide. Die
daraufhin geführten Einspruchsverfahren ließ das FA im
Hinblick auf die beim BFH anhängigen Verfahren I R 43/97 und I
R 37/98 ruhen (§ 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung - AO
1977 - ).
Nach
Bekanntwerden der Senatsurteile in BFHE 189, 518, BStBl II 2000,
695 = SIS 00 01 50 und in BFH/NV 2000, 347 = SIS 00 52 68
beantragten die A-AG und die B-AG am 15.1.2001 unter Berufung auf
die geänderte Rechtsprechung gemeinsam beim FA, die
Einspruchsverfahren zu den gegen die GbR gerichteten
Gewerbesteuermessbescheiden 1991 bis 1997 fortzuführen. Sie
beantragten des Weiteren, die ihnen nach der geänderten
BFH-Rechtsprechung zuzurechnenden Gewerbeerträge der C-GmbH
für die Jahre 1991 bis 1998 einheitlich und gesondert
festzustellen.
Mit Schreiben
vom 30.3.2001 lehnte das FA ein Tätigwerden unter Hinweis auf
den zwischenzeitlich ergangenen Erlass des Bundesministeriums der
Finanzen (BMF) vom 4.12.2000 (BStBl I 2000, 1571 = SIS 01 02 75)
ab; das Schreiben des FA enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Dem
Erlass zufolge sollten die Grundsätze der geänderten
Rechtsprechung im Hinblick auf eine gesetzliche Neuregelung bis auf
weiteres nicht allgemein angewendet werden.
Die A-AG und
die B-AG legten am 9.5.2001 beim FA
Untätigkeitseinsprüche gemäß § 347 Abs. 1
Satz 2 AO 1977 ein. Am 30.5.2001 erhoben sie
Untätigkeitsklagen gemäß § 46 der
Finanzgerichtsordnung (FGO).
Nach
Verabschiedung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes
(UntStFG) vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3858), mit dem sowohl §
14 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1999 als auch §
2 GewStG 1999 rückwirkend geändert worden sind,
erließ das FA ablehnende Einspruchsentscheidungen. Dagegen
erhoben die A-AG und die B-AG am 23.1.2002 Klage. Am 20.2.2002
beantragten sie beim FA, die Vollziehung der Ablehnung auszusetzen
und die begehrten Feststellungen vorläufig vorzunehmen. Das FA
lehnte dies am 12.4.2002 ab.
Das
Finanzgericht (FG) setzte mit Beschluss vom 16.8.2005 die
Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO ohne Sicherheitsleistung aus,
stellte die Gewerbeerträge der C-GmbH 1991 bis 1998
vorläufig einheitlich und gesondert fest und rechnete sie den
Antragstellerinnen jeweils zur Hälfte zu. Der Beschluss ist in
EFG 2005, 1632 = SIS 05 47 27 veröffentlicht.
Dagegen
richtet sich die Beschwerde des FA.
Das FA
beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und den Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung in vollem Umfang
abzuweisen.
Die A-AG und
die B-AG beantragen jeweils, die Beschwerde
zurückzuweisen.
II. Die
Beschwerde des FA ist zulässig und begründet. Sie
führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses und zur
Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung.
1.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO
kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen
Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Vollziehung soll
ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69
Abs. 2 Satz 2 FGO). Das ist nach ständiger Rechtsprechung des
BFH der Fall, wenn bei summarischer Prüfung des
Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die
Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen
Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung
entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (BFH-Beschluss vom
3.2.2005 I B 208/04, BFHE 209, 204, BStBl II 2005, 351 = SIS 05 15 22, m.w.N.).
2.
Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen im
Streitfall keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der ablehnenden Entscheidung des FA. Die
von der A-AG und der B-AG beantragte einheitliche und gesonderte
Feststellung der Gewerbeerträge bzw. -verluste der C-GmbH
für die Streitjahre 1991 bis 1998 sowie deren anteilige
Zurechnung dürften den hier maßgeblichen gesetzlichen
Bestimmungen zufolge nicht in Betracht kommen.
a)
Schließen sich mehrere gewerbliche Unternehmen i.S. des
§ 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG in der für die Streitjahre
maßgeblichen Fassung des UntStFG (a.F.), die gemeinsam im
Verhältnis zur Organgesellschaft die Voraussetzungen der
finanziellen Eingliederung gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1
KStG (a.F.) erfüllen, in der Rechtsform einer
Personengesellschaft lediglich zum Zwecke der einheitlichen
Willensbildung gegenüber der Organgesellschaft zusammen, ist
nach § 14 Abs. 2 KStG (a.F.) die Personengesellschaft als
gewerbliches Unternehmen anzusehen, wenn jeder Gesellschafter der
Personengesellschaft im Übrigen ein gewerbliches Unternehmen
unterhält. Diese Voraussetzungen sind hier unstreitig
erfüllt.
Für das
Gewerbesteuerrecht bestimmt § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG (a.F.),
dass in einem solchen Fall die Personengesellschaft
Organträger ist. Diese Regelung ist gemäß § 36
Abs. 2 Satz 2 GewStG 1999 (jetzt: § 36 Abs. 2 Satz 3 GewStG)
auch für Erhebungszeiträume vor 2002
anzuwenden.
b)
Der beschließende Senat geht davon aus, dass die genannten
Bestimmungen verfassungsgemäß sind. Sie verstoßen
nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des
Grundgesetzes - GG - ) abgeleitete
Rückwirkungsverbot.
aa) Nach der
vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Frage der
Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Gesetze
entwickelten Systematik verletzt eine steuerbegründende oder
steuererhöhende Norm in der Regel rechtsstaatliche
Grundsätze, wenn sie für Veranlagungszeiträume
gelten soll, die im Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits
abgeschlossen waren („echte“ Rückwirkung,
„Rückbewirkung von Rechtsfolgen“, vgl. etwa
BVerfG-Beschlüsse vom 3.12.1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67,
78 = SIS 98 10 50; vom 5.2.2002 2 BvR 305/93, BVerfGE 105, 17, 40 =
SIS 02 09 34). Betroffen wäre hiervon § 36 Abs. 2 Satz 2
GewStG 1999 insoweit, als er die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 2
Satz 3 GewStG (a.F.) auch für Erhebungszeiträume vor 2001
- und damit auch für die Streitjahre - anordnet; denn bezogen
auf diese Erhebungszeiträume kommt es zu einer echten
Rückwirkung bzw. zu einer Rückbewirkung von
Rechtsfolgen.
bb) Für
das Steuerrecht gibt es allerdings, anders als für das
Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG), kein explizites und absolutes
verfassungsrechtliches Rückwirkungsverbot (vgl. BFH-Urteil vom
8.6.2000 IV R 37/99, BFHE 193, 85, 91, BStBl II 2001, 162, 165 =
SIS 01 02 72, m.w.N.). Der Erlass rückwirkender belastender
Steuergesetze wird vielmehr durch die allgemeinen Grundsätze
des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit weitgehend
ausgeschlossen (BVerfG-Urteil in BVerfGE 97, 67, 79, m.w.N.; vgl.
hierzu auch Maurer in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts -
HStR -, Band III, 2. Aufl., § 60 Rn. 17; Mellinghoff, Deutsche
Steuerjuristische Gesellschaft - DStJG - 27 [2004], S.
29).
Diese
Grundsätze werden verletzt, wenn der Gesetzgeber an bereits
abgeschlossene Tatbestände nachträglich ungünstigere
Rechtsfolgen knüpft als diejenigen, von denen der
Steuerpflichtige bei seinen Dispositionen ausgehen durfte
(BVerfG-Urteil vom 19.12.1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261, 271;
BFH-Urteile vom 10.7.1986 IV R 12/81, BFHE 147, 63, BStBl II 1986,
811 = SIS 86 18 24; in BFHE 193, 85, BStBl II 2001, 162 = SIS 01 02 72). Dabei kommt es nicht auf die subjektiven Vorstellungen der
einzelnen Betroffenen und ihre individuelle Situation an, sondern
allein darauf, ob die Rechtslage, auf die sich der Steuerpflichtige
beruft, bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der
betroffenen Personengruppe zu begründen (vgl. BVerfG-Beschluss
vom 20.10.1971 1 BvR 757/66, BVerfGE 32, 111, 123; ebenso Maurer in
Isensee/Kirchhof, HStR III, § 60 Rn. 35). Beurteilen
lässt sich dies nicht abstrakt, sondern nur unter
Würdigung aller Umstände der konkreten Regelung
(BVerfG-Beschluss in BVerfGE 32, 111, 123).
Schutzwürdiges
Vertrauen kann gegebenenfalls (u.a.) dann nicht entstehen, wenn das
geltende Recht so unklar oder verworren ist, dass eine
klärende Neuregelung erwartet werden muss (BVerfG-Beschluss
vom 25.5.1993 1 BvR 1509/91, BVerfGE 88, 384). Des Weiteren haben
es das BVerfG und der BFH in bestimmten Fällen für
verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, wenn der
Steuergesetzgeber durch ein rückwirkendes Gesetz lediglich
eine in der Vergangenheit herrschende Rechtspraxis kodifiziert, um
so einer zwischenzeitlich erfolgten Rechtsprechungsänderung
entgegenzuwirken (BVerfG-Urteil vom 23.1.1990 1 BvL 4-7/87, BVerfGE
81, 228, 239 = SIS 90 09 55; BFH-Urteil vom 14.4.1986 IV R 260/84,
BFHE 146, 411, 413, BStBl II 1986, 518, 519 = SIS 86 13 12).
cc) Im
Streitfall werden die Grundsätze des Vertrauensschutzes und
der Rechtssicherheit von den hier maßgeblichen Bestimmungen
aller Voraussicht nach nicht berührt.
Auf der
Grundlage einer langjährigen Rechtsprechungspraxis galt
für das Gewerbesteuerrecht bis zum Ergehen der Senatsurteile
in BFHE 189, 518, BStBl II 2000, 695 = SIS 00 01 50, und in BFH/NV
2000, 347 = SIS 00 52 68, dass ein Organverhältnis nur zu
einem beherrschenden Unternehmen bestehen konnte, nicht jedoch zu
einer Mehrzahl von beherrschenden Unternehmen. Schlossen sich
mehrere Muttergesellschaften zum Zwecke der Willenskoordinierung zu
einer GbR zusammen, war nur die GbR als Organträger und als
Gewerbesteuersubjekt zu behandeln mit der Folge, dass eine
Zurechnung von Gewerbeerträgen und –verlusten der
Organgesellschaft an die an der GbR beteiligten Unternehmen
ausgeschlossen war (vgl. BFH-Urteile vom 25.6.1957 I 22/55 U, BFHE
66, 449, BStBl III 1958, 174 = SIS 58 01 00; vom 8.10.1986 I R
65/85, BFH/NV 1988, 190 = SIS 87 16 17; vom 14.4.1993 I R 128/90,
BFHE 171, 223, BStBl II 1994, 124 = SIS 93 16 38). Dies entsprach
auch der einschlägigen Verwaltungspraxis (vgl. Abschn. 17 Abs.
6 der Gewerbesteuer-Richtlinien - GewStR - 1984 bzw. Abschn. 14
Abs. 6 GewStR 1998).
Diese
Rechtspraxis hat der Steuergesetzgeber mit dem
Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz aufgegriffen und
festgeschrieben. Damit sind die Rechtsfolgen, die sich
rückwirkend aus § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG (a.F.) i.V.m.
§ 14 Abs. 2 KStG (a.F.) für die Streitjahre ergeben,
nicht ungünstiger als diejenigen, von denen bei objektiver
Betrachtung alle betroffenen Unternehmen bis zum Bekanntwerden der
Rechtsprechungsänderung durch die Senatsurteile in BFHE 189,
518, BStBl II 2000, 695 = SIS 00 01 50, und in BFH/NV 2000, 347 =
SIS 00 52 68, bei ihren Dispositionen ausgehen mussten. Ob die A-AG
und die B-AG hinsichtlich der C-GmbH auch tatsächlich hiervon
ausgegangen sind - wofür in Anbetracht der gewählten
Konstruktion einiges spricht - bzw. ob die Betroffenen durch ihr
Handeln auf eine Rechtsprechungsänderung hingewirkt haben, ist
insoweit nicht maßgeblich. Allein die Möglichkeit einer
zukünftigen Rechtsprechungsänderung begründete
für die Streitjahre noch keinen verfassungsrechtlichen
Vertrauensschutz.
dd) Der in
Rechtsprechung und Literatur geäußerten Gegenmeinung (FG
München, Urteil vom 19.11.2003 7 K 3723/03, EFG 2004, 412, 414
= SIS 04 08 98; Kirchhof/Raupach, DB 2001, Beilage Nr. 3, S. 14
ff.; Raupach, DStR 2001, 1325; Völker/Ardizzoni, NJW 2004,
2413; Wischmann in Herrmann/Heuer/ Raupach, Jahresband 2002, §
14 KStG Anm. J 01-3), der sich im Streitfall auch das FG
angeschlossen hat, folgt der beschließende Senat nicht. Er
teilt dabei insbesondere nicht die Auffassung, wonach hinsichtlich
der Zulässigkeit eines rückwirkenden Gesetzes zwischen
einer - im Sinne der Fallgruppenbildung des BVerfG
(BVerfG-Beschluss in BVerfGE 88, 384, s.o. II.2.b bb) - unklaren
und verworrenen Rechtslage einerseits und einer im Prinzip klaren
und eindeutigen Rechtslage, die lediglich von der Rechtsprechung
bislang nicht zutreffend erkannt worden wäre, andererseits zu
unterscheiden wäre (vgl. hierzu Kirchhof/ Raupach, DB 2001,
Beilage Nr. 3, S. 16). Besteht ein Dissens zwischen Rechtsprechung
und Schrifttum, so ist die Rechtslage allenfalls unklar. Beruht die
maßgebliche Rechtsprechung ihrerseits auf einer
jahrzehntelangen Praxis, gegen die sich das Schrifttum bislang
nicht hat durchsetzen können, trifft im Grunde noch nicht
einmal dies zu.
Soweit im
Schrifttum vorgetragen wird, Vertrauensschutz bestehe insbesondere
auch dann, wenn der BFH eine zweifelhafte und umstrittene
Rechtsfrage anhand eines Musterfalls geklärt habe und der
Steuerpflichtige auf der Grundlage dieser Entscheidung
wirtschaftliche Dispositionen treffe (Kirchhof/Raupach, DB 2001,
Beilage Nr. 3, S. 11 ff.), ist dies für den Streitfall nicht
relevant. Denn ein solcher Vertrauensschutz kann allenfalls vom
Zeitpunkt der Rechtsprechungsänderung an gelten.
c)
Aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG)
und aus dem verfassungsrechtlichen Verhältnis von Legislative
und Judikative lässt sich ein über das rechtsstaatliche
Rückwirkungsverbot hinausreichender Vertrauensschutz nicht
herleiten.
Im
Schrifttum wird vertreten, dass der Gesetzgeber die Vorschriften
zur gewerbesteuerlichen Mehrmütterorganschaft nach Ergehen der
Senatsurteile in BFHE 189, 518, BStBl II 2000, 695 = SIS 00 01 50,
und in BFH/NV 2000, 347 = SIS 00 52 68, nicht bzw. nicht ohne
besondere Rechtfertigung hätte rückwirkend ändern
dürfen (so Völker/Ardizzoni, NJW 2004, 2413, 2415,
m.w.N.; vgl. allgemein auch Maurer in Isensee/Kirchhof, HStR III,
§ 60 Rn. 26). Zur Begründung wird auf den Beschluss des
BVerfG vom 31.3.1965 2 BvL 17/63 (BVerfGE 18, 429) und auf den
Grundsatz der Gewaltenteilung verwiesen. In dem genannten Beschluss
hat das BVerfG allerdings nur festgestellt, dass das Ziel, die
höchstrichterliche Rechtsprechung zu korrigieren, keine
zusätzliche Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot
echter Rückwirkung schaffe (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 18,
429, 436). Der Entscheidung kann hingegen nicht entnommen werden,
dass ein entsprechendes Gesetz zusätzlichen
Beschränkungen unterliegt. Hierfür besteht auch kein
Bedürfnis, da die Belange des Steuerpflichtigen durch die
dargelegten Grundsätze des rechtsstaatlichen
Vertrauensschutzes hinreichend geschützt sind (im Ergebnis
ebenso BVerfG-Beschluss in BVerfGE 81, 228, 239 = SIS 90 09 55;
BFH-Urteil in BFHE 147, 63, BStBl II 1986, 811 = SIS 86 18 24). Auf
den Grundsatz der Gewaltenteilung kann insoweit ebenfalls nicht
verwiesen werden, da dieser lediglich eine Bindung der
Rechtsprechung an Gesetz und Recht vorsieht, nicht aber eine
Bindung des Gesetzgebers an die Rechtsprechung. Dass
unabhängig davon die vielfach geübte Praxis
„rechtsprechungsbrechender“
Nichtanwendungsgesetze und -erlasse zu kritisieren ist (vgl. z.B.
Pezzer, DStR 2004, 525; Wieland, DStR 2004, 1), steht auf einem
anderen Blatt. Diese Kritik ist letztlich rechtspolitischer, nicht
aber rechtlicher Natur.
d)
Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen über das Ruhen von
Verfahren kraft Gesetzes in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977
begründen nach summarischer Prüfung ebenfalls keinen
eigenständigen Vertrauensschutz, der im Streitfall einer
rückwirkenden Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 3, § 36
Abs. 2 Satz 2 GewStG 1999 i.V.m. § 14 Abs. 2 KStG (a.F.)
entgegenstünde.
aa) Das
Einspruchsverfahren ruht gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2
AO 1977 kraft Gesetzes, soweit wegen der
Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer
Rechtsfrage ein Verfahren bei dem Europäischen Gerichtshof,
dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht
anhängig ist und der betreffende Einspruch hierauf
gestützt wird. Das Verfahren ist gemäß § 363
Abs. 2 Satz 4 AO 1977 fortzusetzen, wenn der Einspruchsführer
dies beantragt oder die Finanzbehörde dies dem
Einspruchsführer mitteilt. Dabei geht der beschließende
Senat davon aus, dass sich das Antragsrecht des
Einspruchsführers nicht nur auf § 363 Abs. 2 Satz 3 AO
1977, sondern ebenso auf § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 bezieht
(vgl. auch BFH-Beschluss vom 6.7.1999 IV B 14/99, BFH/NV 1999, 1587
= SIS 99 53 94; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/ Spitaler - HHSp
-, § 363 AO 1977 Rz. 202, m.w.N.). Regelungen über den
Inhalt der nach Beendigung der Verfahrensruhe zu treffenden
Entscheidung enthält § 363 AO 1977 nicht. Somit
gewährt diese Bestimmung ihrem Wortlaut nach keinen Anspruch
auf eine bestimmte Entscheidung, die - in welcher Form auch immer -
durch das gerichtliche Verfahren, aufgrund dessen das
Einspruchsverfahren geruht hat, vorgeprägt
wäre.
bb) Ein
solcher Anspruch kann weder aus dem systematischen
Regelungszusammenhang des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 noch aus
allgemeinen Grundsätzen des steuerlichen Verfahrensrechts
hergeleitet werden.
Die
Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, hat
die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen (§ 367 Abs. 2
Satz 1 AO 1977) und dabei die im Zeitpunkt der Bekanntgabe der
Einspruchsentscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage
zugrunde zu legen. Sie ist als vollziehende Gewalt an Gesetz und
Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG) und muss dementsprechend
zwischenzeitlich eingetretene Rechtsänderungen beachten.
Verfahrensrechtliche Einschränkungen können sich
allenfalls aus § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ergeben
(obligatorischer Hinweis auf die Möglichkeit einer
verbösernden Entscheidung und Anhörung des
Steuerpflichtigen).
Nur im
Zusammenhang mit der Änderung bestandskräftiger Bescheide
sieht die Abgabenordnung gemäß § 176 Abs. 1 AO 1977
unter bestimmten Voraussetzungen vor, dass für den
Steuerpflichtigen nachteilige Änderungen der Rechtslage von
der Finanzbehörde nicht berücksichtigt werden
dürfen. Doch abgesehen davon, dass die dort genannten
Regelungsalternativen auf den Streitfall nicht zutreffen, gilt
diese Bestimmung ohnehin nicht für das Einspruchsverfahren
(vgl. Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung,
§ 176 AO Tz. 3; v. Groll in HHSp, § 176 AO Rz. 71 und
102). Dagegen treten selbst verbindliche Zusagen gemäß
§ 207 Abs. 1 AO 1977 außer Kraft, wenn die
Rechtsvorschriften, auf denen die Zusage beruht, geändert
werden. In gleicher Weise entfällt die Bindungswirkung
höchstrichterlicher Entscheidungen nach § 126 Abs. 5 FGO,
wenn sich die der Entscheidung zugrunde liegende Rechtslage durch
ein rückwirkendes Gesetz geändert hat (Beschluss des
Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom
6.2.1973 GmS-OGB 1/72, BFHE 109, 206; BFH-Beschluss vom 2.5.1997 I
B 117/96, BFH/NV 1998, 18). Für das gemäß §
363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 fortgesetzte Einspruchsverfahren kann
demzufolge nichts anderes gelten.
cc) Vor dem
Hintergrund dieses Auslegungsergebnisses lässt sich auch aus
dem Sinn und Zweck des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 kein
Anspruch auf eine bestimmte Entscheidung im Einspruchsverfahren
herleiten. Die Vorschrift dient der Verfahrensökonomie und
soll eine unnötige Belastung der Finanzbehörden und
–gerichte vermeiden (Birkenfeld in HHSp, § 363 AO Rz.
21). Eine darüber hinausgehende Zielsetzung vermag der
beschließende Senat der Regelung nicht zu entnehmen (so auch
FG Düsseldorf, Urteil vom 27.11.2002 16 K 1189/01 F, EFG 2003,
559 = SIS 03 21 12; Gosch/Neumann, KStG § 14 Rz. 378; a.A.:
Kirchhof/Raupach, DB 2001, Beilage Nr. 3, S. 17; Krebs, BB 2001,
2029, 2033 f.; Herlinghaus, GmbHR 2001, 956, 962 f.; Müller,
EFG 2003, 561; Wischmann in Herrmann/Heuer/Raupach, Jahresband
2002, § 14 KStG Anm. J 01-3).
e)
Des Weiteren wird aus den unter II.2.d bb aufgeführten
Gründen auch eine Zusage der Finanzverwaltung, bei
entsprechendem Ausgang der Musterverfahren die Gewerbeerträge
der C-GmbH den Antragstellerinnen zuzurechnen, keinen besonderen,
einfachgesetzlichen Vertrauensschutz begründen können.
Denn eine solche Zusage steht, wie sich insbesondere aus § 207
Abs. 1 AO 1977 ergibt, unter dem Vorbehalt, dass sich die dem
Musterverfahren - und damit auch der Zusage - zugrunde liegende
Gesetzeslage nicht ändert.
f) Die genannten Bestimmungen dürften
schließlich auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das
Gebot der Folgerichtigkeit und Widerspruchsfreiheit
verfassungswidrig sein (vgl. dazu auch BVerfG-Urteile vom 27.6.1991
2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 271, BStBl II 1991, 654 = SIS 91 14 01, und vom 22.6.1995 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 136, BStBl II
1995, 655 = SIS 95 17 08, jeweils m.w.N.). Zwar hat der
beschließende Senat in seinen beiden Urteilen in BFHE 189,
518, BStBl II 2000, 695 = SIS 00 01 50 und in BFH/NV 2000, 347 =
SIS 00 52 68 ausgeführt, dass die obligatorische
Zwischenschaltung einer BGB-Gesellschaft als Organträgerin
„gekünstelt” sei und der Einheit der Rechtsordnung
zuwiderlaufe. Doch kann in Anbetracht der bis zu diesen
Entscheidungen geltenden jahrzehntelangen Rechtsprechungspraxis
nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber mit der
ausdrücklichen gesetzlichen Normierung dieser Praxis die ihm
zustehenden wertungsmäßigen Gestaltungsgrenzen
überschritten hat.