Auf die Revision des Finanzamts wird das
Urteil des Finanzgerichts Münster vom 16.08.2022 - 6 K 2688/19
E = SIS 22 16 16 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die
Kläger zu tragen.
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I. In der Sache ist streitig, ob der
Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) die in den
Streitjahren 2015 und 2016 festzusetzende Einkommensteuer der
Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) zu Recht
gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) unter Berücksichtigung
zusätzlicher Entnahmen in Höhe von einem Prozent des
Bruttolistenpreises des im Betriebsvermögen des Klägers
bilanzierten Pickup erhöht hat.
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Die Kläger sind Eheleute und wurden in
den Streitjahren gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1, §
26b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie lebten
zusammen mit zwei volljährigen Kindern (A und B) auf einem
großen Grundstück. Dort befand sich neben dem Wohnhaus
auch der Firmensitz beziehungsweise die Betriebsstätte des
Betriebs des Klägers. Der Kläger erzielte aus dem
Betrieb, in dem rund zwei Dutzend Arbeitnehmer und Aushilfen
beschäftigt waren und dessen Gewinn durch Bestandsvergleich
gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG ermittelt wurde,
Einkünfte aus Gewerbebetrieb, außerdem Einkünfte
aus einer nichtselbständigen Arbeit sowie Einkünfte aus
Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin arbeitete als
Aushilfe auf Mini-Job-Basis im Betrieb des Klägers. Beide
Kinder studierten beziehungsweise waren in Ausbildung.
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Im Betriebsvermögen des Betriebs
befanden sich in den Streitjahren neben dem Dienstwagen eines
Vorarbeiters unter anderem ein BMW sowie ab dem xx.02.2015 der im
Streit stehende Pickup, dessen Bruttolistenpreis sich auf 44.458
EUR belief. Für beide Fahrzeuge wurde kein Fahrtenbuch
geführt.
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In den Streitjahren hatten der Kläger
und seine Familie nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG)
eine direkte und uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit auf
den dem Kläger als Einzelunternehmer gehörenden Pickup,
der - von den Arbeitszeiten im Betrieb abgesehen - vor dem Wohnhaus
der Kläger und ihrer Kinder zur Nutzung bereit stand.
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Für den Pickup nahm der Kläger
keine Versteuerung eines privaten Nutzungsanteils vor. Zur
Bewertung der Privatnutzung des BMW wendete der Kläger die
Ein-Prozent-Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 1
EStG an.
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Im Privatvermögen der Kläger
befanden sich in den Streitjahren
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ein Pkw 1, der vom xx.01.2015 bis zum
xx.02.2018 genutzt wurde
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(Erstzulassung 2005),
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ein Pkw 2, der bis zum xx.05.2015 genutzt
wurde
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(Erstzulassung 1998), und
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ein Pkw 3, der ab dem xx.02.2015 genutzt
wurde
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(Erstzulassung 2003).
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Diese (Klein-)Wagen wurden in den
Streitjahren den Kindern der Kläger überlassen; der Pkw 3
ersetzte den Pkw 2. Diese Fahrzeuge standen nach Angaben des
Klägers, wenn er es wünschte, zu seiner Verfügung.
Gleiches galt nach seinen Angaben für den BMW.
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Die Veranlagung für die Streitjahre
erfolgte zunächst erklärungsgemäß. Später
kam eine Prüferin des FA zu der Auffassung, dass der Beweis
des ersten Anscheins für eine private Mitbenutzung des Pickup
spreche. Mangels Fahrtenbuchs sei die Privatnutzung mit der
Ein-Prozent-Regelung anzusetzen. Das FA erließ hierauf
gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung am
29.08.2018 Änderungsbescheide und berücksichtigte
für das Jahr 2015 einen um 5.000 EUR und für das Jahr
2016 einen um 6.000 EUR höheren Gewinn aus Gewerbebetrieb
(geschätzter Bruttolistenpreis 50.000 EUR x 1 % x 10 Monate in
2015 und x 12 Monate in 2016). Im Einspruchsverfahren minderte das
FA unter Berücksichtigung des vom Kläger nachgewiesenen
Bruttolistenpreises für den Pickup in Höhe von 44.458 EUR
den Gewinn aus Gewerbebetrieb (2015: ./. 554 EUR und 2016: ./. 665
EUR) und die Einkommensteuer mit Änderungsbescheiden vom
24.10.2018. Im Übrigen wies es die Einsprüche mit
Einspruchsentscheidung vom 29.07.2019 als unbegründet
zurück.
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Der dagegen erhobenen Klage gab das FG
statt. Die Entscheidung ist in EFG 2022, 1690 = SIS 22 16 16
veröffentlicht.
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Hiergegen wendet sich das FA mit der
Revision.
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Das FA beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Die
Vorentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ) und erweist sich auch nicht im
Ergebnis als richtig (§ 126 Abs. 4 FGO). Sie ist deshalb
aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1
FGO).
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1. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz
2 Halbsatz 1 EStG ist die private Nutzung eines Kraftfahrzeugs
(Kfz), das zu mehr als 50 Prozent betrieblich genutzt wird,
für jeden Kalendermonat mit einem Prozent des
inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung
zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung
einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen. Gemäß
§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 Halbsatz 1 EStG kann die private
Nutzung abweichend von dieser Vorschrift mit den auf die
Privatfahrten entfallenden Aufwendungen angesetzt werden, wenn die
für das Kraftfahrzeug insgesamt entstehenden Aufwendungen
durch Belege und das Verhältnis der privaten zu den
übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes
Fahrtenbuch nachgewiesen werden.
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a) Diese Regelung betrifft Fahrzeuge, für
die der Steuerpflichtige einen Betriebsausgabenabzug geltend macht
und die (seit dem Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher
Steuergestaltungen vom 28.04.2006, BGBl I 2006, 1095)
überwiegend betrieblich genutzt werden (vgl. etwa Prinz in
Bordewin/Brandt, § 6 EStG Rz 1/676 und Rz 1/701 ff.;
Schmidt/Kulosa, EStG, 43. Aufl., § 6 Rz 532). Sie beruht auf
der Erfahrung, dass Kfz, die ihrer Art nach typischerweise zum
privaten Gebrauch geeignet sind und die für Privatfahrten zur
Verfügung stehen, regelmäßig auch privat genutzt
werden (sogenannter Beweis des ersten Anscheins, Anscheinsbeweis
oder Erfahrungssatz, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 22.10.2024 - VIII R
12/21 = SIS 24 19 81, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt,
Rz 20; vom 06.10.2011 - VI R 56/10, BFHE 235, 383, BStBl II 2012,
362 = SIS 11 40 03, Rz 15 und vom 13.02.2003 - X R 23/01, BFHE 201,
499, BStBl II 2003, 472 = SIS 03 23 21, unter II.1.d, II.2.b bb;
BFH-Beschluss vom 13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573 = SIS 12 06 70, Rz 3; Schmidt/Kulosa, EStG, 43. Aufl., § 6 Rz
535).
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b) Der Anscheinsbeweis kann durch den
sogenannten Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert
werden.
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aa) Dabei obliegt es demjenigen, der sich auf
einen Ausnahmefall beruft und aus dessen Sphäre die den
Ausnahmefall begründenden Tatsachen herrühren,
substantiiert Umstände darzulegen und gegebenenfalls
nachzuweisen, die den Beweis des ersten Anscheins einer
Privatnutzung des betrieblichen Kfz entkräften oder
erschüttern. Dazu ist es erforderlich, aber auch ausreichend,
dass der Steuerpflichtige substantiiert einen Sachverhalt darlegt
und im Zweifelsfall nachweist, der die ernsthafte Möglichkeit
eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden
Geschehens ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09,
BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 = SIS 13 02 66, Rz 16).
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bb) Der Vollbeweis des Gegenteils ist nicht
erforderlich. Der Steuerpflichtige muss also nicht beweisen, dass
eine private Nutzung des betrieblichen Kfz nicht stattgefunden hat
(vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443,
BStBl II 2013, 365 = SIS 13 02 66, Rz 16; BFH-Beschluss vom
13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573 = SIS 12 06 70, Rz 4).
Nur die Tatsachen, aus denen entweder bei einer Einzelbetrachtung
oder in ihrer Zusammenschau ein atypischer Geschehensablauf
abgeleitet werden kann, müssen substantiiert vorgetragen und
im Zweifelsfall bewiesen werden (vgl. BFH-Beschluss vom 20.10.2009
- VI B 74/08, BFH/NV 2010, 197 = SIS 10 01 37, unter 1.).
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cc) Die bloße Behauptung des
Steuerpflichtigen, mit dem betrieblichen Kfz sei niemand privat
gefahren, genügt nach ständiger Rechtsprechung nicht, um
den Beweis des ersten Anscheins einer Privatnutzung eines
betrieblich genutzten Kfz zu erschüttern (vgl. z.B.
BFH-Urteile vom 22.10.2024 - VIII R 12/21 = SIS 24 19 81, zur
amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 22; vom 04.12.2012 -
VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 = SIS 13 02 66, Rz
16; vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974 = SIS 09 36 20, unter II.3.a bb; vom 13.02.2003 - X R 23/01, BFHE 201, 499,
BStBl II 2003, 472 = SIS 03 23 21, unter II.1.a; BFH-Beschluss vom
13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573 = SIS 12 06 70, Rz 5,
m.w.N.). Auch im Übrigen sind die Grundsätze, nach denen
sich bestimmt, ob eine Privatnutzung des betrieblichen Kfz objektiv
nicht ernsthaft in Betracht kam oder ob der Anscheinsbeweis einer
privaten Mitnutzung eines betrieblich genutzten Kfz sonst
erschüttert ist, durch die Rechtsprechung vorgeprägt.
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c) Trägt der Steuerpflichtige
substantiiert Tatsachen vor, aus denen entweder bei einer
Einzelbetrachtung oder in ihrer Zusammenschau die Möglichkeit
eines atypischen Geschehensablaufs abgeleitet werden kann, beweist
er sie gegebenenfalls und gelingt es ihm damit, den Anscheinsbeweis
zu erschüttern, muss das FA eine private Nutzung des betrieblich
genutzten Kfz nachweisen. Kann es das nicht, ist die
Ein-Prozent-Regelung nicht anwendbar. Denn das FG muss sich
grundsätzlich die volle Überzeugung (§ 96 Abs. 1
Satz 1 FGO) davon bilden, dass eine private Nutzung
tatsächlich stattgefunden hat, wenn es § 6 Abs. 1 Nr. 4
Satz 2 Halbsatz 1 EStG anwenden will (BFH-Urteile vom 04.12.2012 -
VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365 = SIS 13 02 66, Rz
14 und Rz 17 und vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974 =
SIS 09 36 20, unter II.3.a).
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d) Gelingt es dem Steuerpflichtigen nicht, den
Anscheinsbeweis zu erschüttern, ist die Ein-Prozent-Regelung
anzuwenden (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 1 EStG), sofern
er kein Fahrtenbuch führt (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3
Halbsatz 1 EStG).
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e) Über die Frage, ob der
Steuerpflichtige den für eine Privatnutzung sprechenden Beweis
des ersten Anscheins entkräftet oder erschüttert hat,
entscheidet das FG unter Berücksichtigung der
Gesamtumstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem
Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.
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Zwar ist die finanzrichterliche
Überzeugungsbildung revisionsrechtlich nur eingeschränkt
auf Verstöße gegen Denkgesetze und allgemeine
Erfahrungssätze überprüfbar. Das FG hat jedoch im
Einzelnen darzulegen, wie und dass es seine Überzeugung in
rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat. Die
aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnende Würdigung
des FG ist nur dann ausreichend und für das Revisionsgericht
bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), wenn sie auf einer logischen,
verstandesmäßig einsichtigen Würdigung zutreffender
Kriterien beruht, deren nachvollziehbare Folgerungen den
Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen
getragen werden. Fehlt es an einer tragfähigen
Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen
Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser
Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, so
liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze vor (Senatsurteil vom
14.04.2021 - III R 50/20, BFHE 273, 385, BStBl II 2021, 866 = SIS 21 14 48, Rz 15, m.w.N.), der als Fehler der Rechtsanwendung ohne
besondere Rüge beanstandet werden kann (z.B. BFH-Urteile vom
26.06.2014 - VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9 = SIS 14 27 71, Rz 21, m.w.N. und vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV
2009, 1974 = SIS 09 36 20, unter II.3.a cc und b).
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2. Die Vorentscheidung entspricht diesen
Rechtsgrundsätzen nicht. Es fehlt an einer tragfähigen
Tatsachengrundlage für die Annahme des FG, mit dem Pickup
seien möglicherweise keine Privatfahrten unternommen worden.
Denn das FG hat nur solche Tatsachen festgestellt, aus denen weder
bei einer Einzelbetrachtung noch in ihrer Zusammenschau die
Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs abgeleitet
werden kann. Das FG ist somit zu Unrecht davon ausgegangen, dass
der Anscheinsbeweis erschüttert sei und das FA deshalb die
Behauptungen der Kläger widerlegen und eine Privatnutzung des
Pickup beweisen müsse.
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a) Objektive Umstände, wonach eine
Privatnutzung des Pickup im Streitfall in den Monaten März bis
Dezember 2015 und im Jahr 2016 (zum Beispiel wegen fehlender
Zulassung des Kfz oder fehlender Fahrerlaubnis der Kläger oder
der dauerhaften Überlassung an einen Mitarbeiter) nicht in
Betracht kam, hat das FG nicht festgestellt.
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b) Der Vortrag des Klägers, das Fahrzeug
sei seiner Familie für eine Privatnutzung zu groß
gewesen, ist nicht geeignet, den für die private Nutzung des
Kfz sprechenden Anscheinsbeweis zu entkräften; dass der Pickup
auch dem Kläger selbst zu groß war, wurde zudem schon
nicht vorgetragen.
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aa) Sogenannte Kombinationsfahrzeuge, die
wahlweise zur Güter- oder zur Personenbeförderung
eingesetzt werden können, sind unabhängig von ihrer
kraftfahrzeugsteuer- und straßenverkehrsrechtlichen
Klassifizierung typischerweise auch zum privaten Gebrauch geeignet
und werden erfahrungsgemäß auch privat genutzt
(BFH-Urteil vom 13.02.2003 - X R 23/01, BFHE 201, 499, BStBl II
2003, 472 = SIS 03 23 21, unter II.2.b aa und bb; BFH-Beschluss vom
11.07.2005 - X B 11/05, BFH/NV 2005, 1801 = SIS 05 40 57, unter
1.b; FG München, Urteil vom 06.03.2008 - 15 K 4626/05, EFG
2008, 1448 = SIS 08 33 75, Rz 17; vgl. auch
Brandis/Heuermann/Krumm, § 6 EStG Rz 1367 f., 1375;
Schmidt/Kulosa, EStG, 43. Aufl., § 6 Rz 530, m.w.N.; Strahl in
Korn, § 6 EStG Rz 404.8).
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bb) Der Pickup des Klägers, ein Pickup
mit fünf Sitzen, war ein sogenanntes Kombinationsfahrzeug, das
nach den eindeutigen Feststellungen des FG objektiv und auch im
konkreten Fall zum privaten Gebrauch geeignet war. Er hatte in etwa
die Größe eines Kleinbusses, wie ihn viele Familien
nutzen. Eine derartige Größe ist kein Umstand, der
für sich genommen den Anscheinsbeweis beziehungsweise
Erfahrungssatz widerlegt, dass das Fahrzeug auch privat genutzt
wurde.
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c) Die Werbefolien des klägerischen
Betriebs auf der Karosserie des Pickup scheiden als Grund für
die Erschütterung des Anscheinsbeweises der Privatnutzung des
Kfz aus.
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aa) Auf der Karosserie eines Kfz angebrachte
Werbefolien eines Handwerks- oder ...-Betriebs stehen einer
Privatnutzung des Kfz regelmäßig nicht entgegen;
vielmehr vergrößert die Nutzung des Fahrzeugs
außerhalb des Einsatzes im Betrieb die Chance, dass die
Werbung ihre Wirkung entfaltet, was im Interesse des
Werbetreibenden liegt. Derartige Werbefolien sind daher
regelmäßig nicht geeignet, den Anscheinsbeweis einer
Privatnutzung zu widerlegen. Darauf, ob die Werbefolien entfernt
werden können, ohne zerstört zu werden, kommt es nicht
an.
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bb) Im Streitfall hat das FG festgestellt,
dass sich auf der Karosserie des Pickup
„zurückhaltend“ gestaltete
Werbefolien des Betriebs des Klägers befanden. Einen Grund,
weshalb die Werbefolien einer Privatnutzung entgegen gestanden
haben könnten, hat das FG nicht festgestellt. Dass die
Werbefolien nicht entfernt werden konnten, ohne Schaden zu nehmen,
ist deshalb ohne Belang.
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d) Eine betriebsbedingte Verschmutzung des
Pickup wurde vom FG nicht festgestellt und wäre auch kein
Umstand, der den Anscheinsbeweis einer Privatnutzung eines
betrieblichen Kfz erschüttert, sofern nicht besondere
Umstände hinzutreten (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 11.07.2005 -
X B 11/05, BFH/NV 2005, 1801 = SIS 05 40 57, unter 1.b).
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e) Der Anscheinsbeweis für eine auch
private Nutzung des Pickup wird weder dadurch in Frage gestellt,
dass nach dem Vortrag der Kläger für die Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsplatz ein Kfz nicht erforderlich war, noch
dadurch, dass der Pickup betrieblich genutzt wurde und der
Kläger nach seinem Vortrag während dieser Zeit und
während seiner eigenen nichtselbständigen Tätigkeit
keine Gelegenheit zu Privatfahrten hatte oder dadurch, dass die
Kläger in bestimmten Fällen auf alternative
Transportmittel zurückgegriffen haben wollen.
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aa) § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 und 3 EStG
beziehungsweise die Ein-Prozent-Regelung betrifft nur
überwiegend betrieblich genutzte Fahrzeuge, die nicht
ständig und uneingeschränkt zur Privatnutzung zur
Verfügung stehen. Dass man das Kfz nur außerhalb der
Zeiten, in denen es für betriebliche Zwecke gebraucht wird,
und außerhalb der eigenen Arbeitszeit - unabhängig
davon, ob diese im Betrieb oder bei einem anderen Arbeitgeber zu
erbringen ist - privat nutzen kann, ist somit der Regelfall. Es
genügt, dass eine Privatnutzung zum Beispiel am Morgen, am
Abend oder an Sonn- und Feiertagen oder in der Urlaubszeit
möglich ist. Ob der Steuerpflichtige im Laufe seines
Arbeitstages mit dem Kfz zwischendurch private Besorgungen machen
kann, ist für die Anwendung der Ein-Prozent-Regelung ohne
Belang.
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bb) Im Streitfall ist das FG dem Vortrag
gefolgt, dass der Kläger während der Arbeits- und
Betriebszeiten des Betriebs und seiner eigenen Arbeitszeiten nicht
privat mit dem Pickup fahren und mit dem Pickup auch nicht
zwischendurch Besorgungen machen konnte. Dies genügt jedoch
nicht, um den Erfahrungssatz einer auch privaten Nutzung des Pickup
in Zweifel zu ziehen. Dieser wird insbesondere auch nicht dadurch
in Frage gestellt, dass das Kfz nach dem Vortrag der Kläger
für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz nicht
erforderlich war oder dass für bestimmte Gelegenheiten - den
Umzug der Tochter, den Transport von sperrigen Gegenständen
und die Entsorgung von Grünschnitt - andere Lösungen
gefunden worden seien.
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Denn das FG hat keine Umstände
festgestellt, welche eine Privatnutzung des Pickup außerhalb
der Betriebszeiten und der jeweiligen Arbeitszeiten - also am
Morgen, am Abend, am Wochenende und in der Urlaubszeit - in Frage
stellen könnten. Die Kläger hatten vielmehr nach den
Feststellungen des FG - von ihren Arbeitszeiten und von den
Betriebszeiten des Betriebs abgesehen - eine direkte und
uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit auf den dem
Kläger gehörenden Pickup, der in der übrigen Zeit
vor dem Wohnhaus der Kläger zur Nutzung bereit stand. Da der
Kläger seinen Betrieb als Einzelunternehmer führte,
musste er sich mit niemandem abstimmen und war niemandem
Rechenschaft schuldig, wenn er das Kfz privat nutzen oder seinen
Angehörigen eine Privatnutzung gestatten wollte. Unter diesen
Umständen spricht die Erfahrung dafür, dass der Pickup
auch privat genutzt wurde.
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f) Der Verweis auf das Vorhandensein des BMW
und auf die den Kindern überlassenen Wagen ist gleichfalls
nicht geeignet, den Anscheinsbeweis zu erschüttern, dass der
Pickup auch privat genutzt wurde.
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aa) Steht dem Steuerpflichtigen kein in Status
und Gebrauchswert mit dem betrieblich genutzten Kfz vergleichbares
Privatfahrzeug ständig und uneingeschränkt zur
Privatnutzung zur Verfügung, mit denen er seine jeweiligen
Fahr- und Repräsentationsbedürfnisse abdecken kann,
spricht die Erfahrung dafür, dass ein betriebliches Kfz, das
diese Bedürfnisse deckt und für Privatfahrten genutzt
werden kann, dafür auch genutzt wird (vgl. z.B. BFH-Urteil vom
19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974 = SIS 09 36 20, unter
II.3.b; BFH-Beschluss vom 31.05.2023 - X B 111/22, BFH/NV 2023, 958
= SIS 23 09 96, Rz 13 ff.).
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bb) In den Streitjahren hatten die Kläger
kein mit dem Pickup in Status und Gebrauchswert vergleichbares
Privatfahrzeug zur jederzeitigen uneingeschränkten Nutzung zur
Verfügung.
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Die den volljährigen Kindern
überlassenen, alten (Klein-)Wagen waren zwar Privatfahrzeuge.
Sie waren mit dem Pickup in Status und Gebrauchswert aber nicht
vergleichbar und standen dem Kläger nur nach Anforderung zur
Verfügung.
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Der BMW war nach den Feststellungen des FG
zwar mit dem Pickup in Status und Gebrauchswert vergleichbar.
Dieser war jedoch ein Betriebsfahrzeug, wurde entsprechend auch in
erheblichem Umfang betrieblich genutzt und stand schon deshalb
nicht zur uneingeschränkten Privatnutzung zur Verfügung.
Zudem mussten sich der Kläger und die Klägerin
hinsichtlich der Nutzung des BMW absprechen.
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Unter diesen Umständen spricht der Beweis
des ersten Anscheins und die Erfahrung dafür, dass nicht nur
der BMW, sondern auch der Pickup privat genutzt wurde. Insoweit
unterscheidet sich der Streitfall von dem Fall des BFH-Urteils vom
22.10.2024 - VIII R 12/21 = SIS 24 19 81 (zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt), in welchem dem dortigen
Kläger mehrere Privatfahrzeuge zur Verfügung standen, und
dem Fall des BFH-Urteils vom 04.12.2012 - VIII R 42/09 (BFHE 239,
443, BStBl II 2013, 365 = SIS 13 02 66, Rz 20), in dem einem der
Kläger im gesamten Kalenderjahr ein vergleichbares
Privatfahrzeug zur Verfügung stand.
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43
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g) Auch eine Zusammenschau der vom FG
festgestellten Umstände ist im Streitfall nicht geeignet, den
Anscheinsbeweis einer privaten Mitnutzung des Pickup am Morgen oder
am Abend, an Sonn- und Feiertagen oder in der Urlaubszeit zu
erschüttern, der außerhalb der Betriebszeiten des
Betriebs abfahrbereit vor dem Haus stand. Daher war das FA nicht
gehalten, eine private Nutzung des Fahrzeugs nachzuweisen.
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3. Der Senat kann selbst entscheiden. Die
Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die angefochtenen Änderungsbescheide sind
rechtmäßig. Die Ein-Prozent-Regelung ist auch für
den Pickup anwendbar. Ein Grund, den Streitfall zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, ist
nicht ersichtlich.
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Der Pickup des Klägers war zum privaten
Gebrauch geeignet und stand außerhalb der Betriebs- und
Arbeitszeiten für Privatfahrten zur Verfügung. Nach dem
Beweis des ersten Anscheins wurde er auch privat genutzt. Dieser
Anscheinsbeweis wurde im Streitfall durch die vom FG festgestellten
Umstände weder bei einer Einzelbetrachtung noch bei einer
Zusammenschau erschüttert. Umstände, die einer weiteren
Aufklärung in einem zweiten Rechtsgang bedürften, wurden
von den Beteiligten nicht vorgetragen und sind auch aus den Akten
nicht ersichtlich.
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In den Streitjahren wurde für den Pickup
kein Fahrtenbuch geführt (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 und 3
EStG).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
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