Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 07.11.2019 - 5 K 177/16 U =
SIS 19 21 73 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Münster zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
1
|
I. Streitig ist, ob bei Anwendung der
Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen,
die vom Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) zuvor von
den Künstlern innergemeinschaftlich erworben wurden, die
Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb die zu
besteuernde Handelsspanne (Marge) mindert.
|
|
|
2
|
Der Kläger ist Kunsthändler. Er
betreibt Galerien in mehreren deutschen Städten. Im Laufe des
Jahres 2014 (Streitjahr) bezog er auch Kunstgegenstände von
Künstlern, die im übrigen Gemeinschaftsgebiet
ansässig waren. Diese Lieferungen wurden von den
Künstlern in ihren Ansässigkeitsstaaten jeweils als
steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen behandelt. Der
Kläger versteuerte die innergemeinschaftlichen Erwerbe
gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 13 Buchst. a des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) mit dem ermäßigten
Steuersatz.
|
|
|
3
|
Mit einem Einspruch gegen einen
geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für den
Voranmeldungszeitraum Dezember 2014 machte der Kläger geltend,
dass § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a UStG, wonach die
Differenzbesteuerung keine Anwendung auf die Lieferung eines
Gegenstands findet, den der Wiederverkäufer
innergemeinschaftlich erworben hat, wenn auf die Lieferung des
Gegenstands an den Wiederverkäufer die Steuerbefreiung
für innergemeinschaftliche Lieferungen im übrigen
Gemeinschaftsgebiet angewendet worden ist, unionsrechtswidrig sei.
Mit Einspruchsentscheidung vom 22.12.2015 wies der Beklagte und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) den Einspruch als
unbegründet zurück.
|
|
|
4
|
In der am 17.12.2015 beim FA eingereichten
Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr erfasste
der Kläger die streitbefangenen Umsätze unter Anwendung
der Differenzbesteuerung. Es ergab sich ein Erstattungsbetrag zu
seinen Gunsten.
|
|
|
5
|
Später revidierte das FA die Anwendung
der Differenzbesteuerung. Im nachfolgenden Klageverfahren machte
der Kläger wiederum geltend, dass § 25a Abs. 7 Nr. 1
Buchst. a UStG nicht unionsrechtskonform sei. Er berief sich auf
die unmittelbare Anwendung von Art. 316 Abs. 1 Buchst. b der
Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuersystemrichtlinie -
MwStSystRL - ).
|
|
|
6
|
Mit Beschluss vom 11.05.2017 - 5 K 177/16 U
(EFG 2017, 1222 = SIS 17 13 51) hatte das Finanzgericht (FG)
Münster dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH)
gemäß Art. 267 Abs. 2 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
|
|
|
|
„1. Ist Art. 316 Abs. 1 Buchst. b
MwStSystRL dahingehend auszulegen, dass steuerpflichtige
Wiederverkäufer die Differenzbesteuerung auch auf die
Lieferung von Kunstgegenständen anwenden können, die
ihnen vom Urheber oder von dessen Rechtsnachfolger, bei denen es
sich nicht um Personen i.S.v. Art. 314 MwStSystRL handelt,
innergemeinschaftlich geliefert wurden?
|
|
|
|
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Erfordert
es Art. 322 Buchst. b MwStSystRL, dem Wiederkäufer das Recht
auf Vorsteuerabzug aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb der
Kunstgegenstände zu versagen, auch wenn es keine nationale
Vorschrift gibt, die eine entsprechende Regelung
enthält?“
|
|
|
7
|
Der EuGH hat mit seinem Urteil Mensing vom
29.11.2018 - C-264/17, EU:C:2018:968 = SIS 18 18 94 über das
Vorabentscheidungsersuchen entschieden und die Vorlagefragen wie
folgt beantwortet:
|
|
|
|
„1. Art. 316 Abs. 1 Buchst. b der
Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ein
steuerpflichtiger Wiederverkäufer für die Anwendung der
Differenzbesteuerung auf eine Lieferung von Kunstgegenständen
optieren kann, die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten
innergemeinschaftlichen Lieferung vom Urheber oder dessen
Rechtsnachfolgern erworben hat, obwohl diese nicht zu den in Art.
314 der Richtlinie aufgeführten Personengruppen
gehören.
|
|
|
|
2. Ein steuerpflichtiger
Wiederverkäufer kann nicht sowohl für die Anwendung der
in Art. 316 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG
vorgesehenen Differenzbesteuerung auf eine Lieferung von
Kunstgegenständen, die er zuvor im Rahmen einer
steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung erworben hat,
optieren als auch in Fällen, in denen ein Vorsteuerabzug nach
Art. 322 Buchst. b der Richtlinie, der nicht in nationales Recht
umgesetzt wurde, ausgeschlossen ist, Anspruch auf einen solchen
Abzug erheben.“
|
|
|
8
|
Das FG Münster gab daraufhin der Klage
statt (Urteil vom 07.11.2019 - 5 K 177/16 U, EFG 2020, 408 = SIS 19 21 73). Nach dem im Streitfall ergangenen EuGH-Urteil Mensing vom
29.11.2018 - C-264/17, EU:C:2018:968 = SIS 18 18 94 müsse die
Differenzbesteuerung auf die streitbefangenen Umsätze
angewandt werden und sei die die innergemeinschaftlichen Erwerbe
betreffende Steuer margenmindernd als Bestandteil der
Einkaufspreise zu berücksichtigen. Die Ermittlung der
Bemessungsgrundlage folge dem Unionsrecht; den Regelungen des Art.
317 Satz 1 i.V.m. Art. 316, 315 und 312 MwStSystRL sei zu
entnehmen, dass zum Einkaufspreis bei der Margenbesteuerung auch
die Umsatzsteuer gehöre.
|
|
|
9
|
Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Es bringt im Kern vor, die
Umsatzsteuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb mindere
die zu besteuernde Marge nicht.
|
|
|
10
|
Das FA beantragt,
|
|
das angefochtene Urteil des FG Münster
vom 07.11.2019 - 5 K 177/16 U aufzuheben und die Klage als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
11
|
Der Kläger beantragt,
|
|
die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
|
|
|
12
|
Der erkennende Senat hat das Verfahren
ausgesetzt und mit Beschluss vom 20.10.2021 - XI R 2/20 (BFHE 274,
330, BStBl II 2022, 503 = SIS 22 03 22) dem EuGH folgende
Rechtsfragen zur Auslegung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
|
|
|
|
„1. Ist unter Umständen wie
denen des Ausgangsverfahrens, in denen sich ein Steuerpflichtiger
aufgrund des EuGH-Urteils Mensing vom 29.11.2018 - C-264/17
(EU:C:2018:968 = SIS 18 18 94)
darauf beruft, dass auch die Lieferung von Kunstgegenständen,
die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten
innergemeinschaftlichen Lieferung vom Urheber (oder dessen
Rechtsnachfolgern) erworben hat, unter die Differenzbesteuerung der
Art. 311 ff. MwStSystRL fällt, nach Rz 49 dieses Urteils die
Bemessungsgrundlage ausschließlich nach Unionsrecht zu
bestimmen, so dass die Auslegung einer Vorschrift des nationalen
Rechts (hier: § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG), dass die auf den
innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer nicht zur
Bemessungsgrundlage gehört, durch das letztinstanzliche
nationale Gericht nicht zulässig ist?
|
|
|
|
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Sind die
Art. 311 ff. MwStSystRL dahingehend zu verstehen, dass bei
Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von
Kunstgegenständen, die zuvor vom Urheber (oder dessen
Rechtsnachfolgern) innergemeinschaftlich erworben wurden, die auf
den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer die
Handelsspanne (Marge) mindert, oder liegt insoweit eine planwidrige
Lücke des Unionsrechts vor, die nicht von der Rechtsprechung
im Wege der Rechtsfortbildung, sondern nur vom Richtliniengeber
geschlossen werden darf?“
|
|
|
13
|
Der EuGH hat darauf mit Urteil Mensing II
vom 13.07.2023 - C-180/22, EU:C:2023:565 = SIS 23 11 43 nur geantwortet:
|
|
|
|
„Die Art. 312 und 315 sowie Art. 317
Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin
auszulegen, dass die Mehrwertsteuer, die ein steuerpflichtiger
Wiederverkäufer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb eines
Kunstgegenstands entrichtet hat, dessen spätere Lieferung der
Differenzbesteuerung nach Art. 316 Abs. 1 dieser Richtlinie
unterliegt, Teil der Steuerbemessungsgrundlage dieser Lieferung
ist.“
|
|
|
14
|
Der Senat hat anschließend das
Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen XI R 22/23 (XI R 2/20)
fortgesetzt.
|
|
|
15
|
Das FA sieht sich durch das EuGH-Urteil in
seiner Rechtsauffassung bestätigt.
|
|
|
16
|
Der Kläger trägt vor, dass der
EuGH nur die Frage 2 im Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH)
beantwortet habe, die allerdings unter der Bedingung gestellt
worden sei, dass der EuGH die Frage 1 bejaht hat. Die Frage 1 sei
unbeantwortet geblieben, so dass es nach der Entscheidung des EuGH
in der Rechtssache Mensing II nicht unzulässig sei, dass der
BFH seine Entscheidung im anhängigen Verfahren nach dem
für den Kläger günstigeren nationalen Recht treffe.
Nach § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG gehöre die beim Vorerwerb
gezahlte Umsatzsteuer nicht zur Bemessungsgrundlage. Das deutsche
Recht ermögliche daher, einen Verstoß gegen das
Neutralitätsprinzip und systematischen Wettbewerbsverzerrungen
zu vermeiden. Des Weiteren teilt er mit, dass im Falle des
Misserfolgs der Klage nur der Weg bleibe, sein Begehren im Wege
eines Antrags auf eine Billigkeitsentscheidung des FA nach
§§ 163, 227 AO zu verfolgen.
|
|
|
17
|
Mit Schreiben vom 27.12.2022 hat das FA
mitgeteilt, dass es den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für
das Streitjahr durch Änderungsbescheid vom 18.11.2022
geändert habe. Mit dem beiliegenden Umsatzsteuerbescheid wurde
die festgesetzte Umsatzsteuer für 2014 erheblich erhöht.
Die Änderungen sind nach den Erläuterungen zu dem
Bescheid Folge einer Betriebsprüfung. Die Beteiligten haben
sich dazu nicht weiter geäußert und der Kläger hat
seinen Antrag nicht an den neuen Bescheid angepasst.
|
|
|
18
|
II. Die Revision ist aus verfahrensrechtlichen
Gründen begründet; sie führt zur Aufhebung der
Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an
das FG (§ 127 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Es ist
nicht auszuschließen, dass sich aufgrund des
Änderungsbescheids im Streitfall tatsächliche oder
rechtliche Fragen stellen, die bisher nicht geklärt sind.
|
|
|
19
|
1. An die Stelle des angefochtenen
Umsatzsteueränderungsbescheids vom 20.04.2016, über den
das FG entschieden hat, ist während des Revisionsverfahrens
der Änderungsbescheid vom 18.11.2022 getreten, der nach §
68 Satz 1, § 121 Satz 1 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens
geworden ist. Da dem Urteil des FG ein nicht mehr existierender
Bescheid zugrunde liegt, kann es keinen Bestand haben (vgl.
BFH-Urteile vom 21.01.2015 - XI R 12/14, BFH/NV 2015, 957 = SIS 15 13 36; vom 16.06.2015 - XI R 18/13, BFH/NV 2015, 1607 = SIS 15 22 86).
|
|
|
20
|
2. Von der Zurückverweisung kann zwar
abgesehen werden, wenn der neue Bescheid keine gegenüber den
bisherigen Belastungen verbösernde Entscheidung enthält
oder die Änderung unstreitig ist, weshalb die Entscheidung
nicht von weiteren, bisher nicht getroffenen
Tatsachenfeststellungen abhängig sein kann (vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 21.01.2015 - XI R 12/14, BFH/NV 2015, 957 = SIS 15 13 36, Rz 28). Davon kann jedoch vorliegend mangels Angaben der
Beteiligten zum Änderungsbescheid nicht ausgegangen werden, so
dass eine Zurückverweisung geboten erscheint (vgl. BFH-Urteile
vom 24.02.2021 - XI R 30/20 (XI R 11/17), BFHE 272, 259, BStBl II
2023, 792 = SIS 21 10 30, Rz 45; vom 20.10.2021 - XI R 24/20,
BFH/NV 2022, 620 = SIS 22 06 25, Rz 26).
|
|
|
21
|
III. Für das weitere Verfahren weist der
erkennende Senat darauf hin, dass nach dem EuGH-Urteil Mensing II
vom 13.07.2023 - C-180/22, EU:C:2023:565 = SIS 23 11 43 die auf den
innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer (systemwidrig)
zur Bemessungsgrundlage der Umsätze im Rahmen der
Differenzbesteuerung gehört.
|
|
|
22
|
1. Der nationale Gesetzgeber hat mit §
25a UStG eine Regelung getroffen, die nicht mit Unionsrecht
vereinbar ist. Die Nichtanwendung der Differenzbesteuerung auf
innergemeinschaftliche Lieferungen an einen inländischen
Wiederverkäufer ist unionsrechtswidrig. Der Senat verweist
dazu zur Vermeidung von Wiederholungen auf den BFH-Beschluss vom
20.10.2021 - XI R 2/20 (BFHE 274, 330, BStBl II 2022, 503 = SIS 22 03 22, Rz 22 ff.). Der Kläger darf daher die
Differenzbesteuerung in Anspruch nehmen, was zwischen den
Beteiligten inzwischen auch unstreitig ist.
|
|
|
23
|
2. Die vom Kläger auf den
innergemeinschaftlichen Erwerb gezahlte Steuer ist aber nach dem
EuGH-Urteil Mensing II vom 13.07.2023 - C-180/22, EU:C:2023:565 =
SIS 23 11 43 Teil der Marge.
|
|
|
24
|
a) Hierzu führt der EuGH in seiner
Entscheidung Mensing II, EU:C:2023:565, Rz 28 bis 30 aus:
|
|
|
|
(Rz 28) „Insbesondere für den
Begriff ‘Einkaufspreis’ ergibt sich
daher, dass dieser nicht diejenigen Kostenbestandteile umfasst, die
der steuerpflichtige Wiederverkäufer nicht an den Lieferer,
sondern an Dritte gezahlt hat, so dass dieser Einkaufspreis nicht
die Mehrwertsteuer umfasst, die an den Fiskus für den
innergemeinschaftlichen Erwerb des Gegenstands entrichtet wurde,
auf den sich der in Rede stehende spätere Lieferumsatz
bezieht.
|
|
|
|
(Rz 29) Zweitens ist, was die Höhe der
auf die Handelsspanne als solche erhobenen Mehrwertsteuer - die
gemäß Art. 315 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie und
entsprechend Rn. 24 des vorliegenden Urteils von der durch den
steuerpflichtigen Wiederverkäufer erzielten Differenz
(Handelsspanne) abzuziehen ist - anbelangt, darauf hinzuweisen,
dass es sich bei dieser Mehrwertsteuer, wie von der deutschen
Regierung und auch vom Generalanwalt in Nr. 37 seiner
Schlussanträge ausgeführt, um die Steuer handelt, die der
steuerpflichtige Wiederverkäufer auf den von ihm
getätigten Verkauf des Kunstgegenstands zu entrichten hat.
Dagegen umfasst diese Mehrwertsteuer nicht die vom
steuerpflichtigen Wiederverkäufer auf den
innergemeinschaftlichen Erwerb des Kunstgegenstands entrichtete
Steuer, die sich auf den Preis für den Erwerb dieses
Gegenstandes bezieht.
|
|
|
|
(Rz 30) Angesichts des Wortlauts der Art. 312
und 315 sowie des Art. 317 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist
daher die Mehrwertsteuer, die der steuerpflichtige
Wiederverkäufer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb eines
Kunstgegenstands entrichtet hat, der später unter Anwendung
der Differenzbesteuerung geliefert wird, kein Bestandteil des
Einkaufspreises dieses Gegenstands im Sinne von Art. 312 Nr. 2
dieser Richtlinie, so dass kein Anlass besteht, den Betrag dieser
Steuer von der Steuerbemessungsgrundlage jener späteren
Lieferung auszunehmen.“
|
|
|
25
|
b) Soweit dieses Ergebnis nach Auffassung des
Klägers, der Europäischen Kommission und dem EuGH-Urteil
Mensing II vom 13.07.2023 - C-180/22, EU:C:2023:565 = SIS 23 11 43, Rz 31 f. weder mit den mit
diesen Bestimmungen verfolgten Zielen noch mit ihrem
Regelungszusammenhang vereinbar ist, hält der EuGH eine
Abweichung vom klaren und unmissverständlichen Wortlaut der
Richtlinie nicht für zulässig (EuGH-Urteil Mensing II vom
13.07.2023 - C-180/22, EU:C:2023:565 = SIS 23 11 43, Rz 40), so dass ein Eingreifen
des Unionsgesetzgebers erforderlich sei (EuGH-Urteil Mensing II vom
13.07.2023 - C-180/22, EU:C:2023:565 = SIS 23 11 43, Rz 35).
|
|
|
26
|
c) Ausgehend von dieser unionsrechtlichen
Beurteilung, an die der Senat gebunden ist, kommt eine Anwendung
des § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG, der nach Auffassung des Senats
einen Ausschluss der Berücksichtigung der auf den
innergemeinschaftlichen Erwerb entfallenden Steuer im Wege
unionsrechtskonformer Auslegung (BFH-Beschluss vom 20.10.2021 - XI
R 2/20, BFHE 274, 330, BStBl II 2022, 503 = SIS 22 03 22, Rz 28) an
sich erlauben würde, nicht in Betracht. Das Gebot
unionsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts (vgl.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 08.04.1987 - 2 BvR
687/85, BVerfGE 75, 223 = SIS 87 23 29, unter B.2.c cc;
BFH-Beschluss vom 29.03.2022 - XI B 72/21, BFH/NV 2022, 923 = SIS 22 12 48, Rz 6) führt dazu, dass der Senat die Auslegung
wählen muss, die der Richtlinie (in der vom EuGH entschiedenen
Auslegung) entspricht. Daher gehört auch im nationalen Recht
die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer zur
Bemessungsgrundlage.
|
|
|
27
|
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat
im zweiten Rechtsgang festzustellen, ob und gegebenenfalls in
welcher Höhe die Handelsspanne der Differenzbesteuerung zu
unterwerfen ist.
|
|
|
28
|
a) Der Senat kann nicht feststellen, in
welcher Höhe für die innergemeinschaftlichen Erwerbe
zwischen den Beteiligten Steuern entstanden sind. Zwar weist die
Vorinstanz darauf hin, dass sich die nicht abziehbare Umsatzsteuer
aus den innergemeinschaftlichen Erwerben unstreitig auf 59.243,14
EUR belaufe (s. Urteilsgründe S. 7). Diese zu
berücksichtigende Umsatzsteuer wird aber in der
Einspruchsentscheidung mit 60.148,63 EUR bemessen (s. Bl. 4 der
FG-Akte).
|
|
|
29
|
b) Durch die Zurückverweisung hat der
Kläger die Möglichkeit, bei jedem einzelnen Liefervorgang
auf die Differenzbesteuerung zu verzichten (§ 25a Abs. 8 Satz
1 UStG). Dieser Verzicht kann nach herrschender Auffassung bis zur
Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung erklärt werden (s. z.B.
Abschn. 25a.1 Abs. 21 Satz 2 i.V.m. Satz 4 und Abschn. 9.1 Abs. 3
und 4 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses; Rauch in
Offerhaus/Söhn/Lange, § 25a UStG Rz 47a; Bunjes/Brandl,
UStG, 22. Aufl., § 25a Rz 56; Langer, eKomm, § 25a UStG
Rz 100 (Stand 07.09.2023); vgl. auch BFH-Urteil vom 11.12.1997 - V
R 50/94, BFHE 185, 82, BStBl II 1998, 420 = SIS 98 06 29, zu §
23 UStG a.F.). Auf die Bindungswirkung des § 25a Abs. 2 Satz 2
UStG hat der Verzicht dabei keine Auswirkung (Grebe in Wäger,
UStG, 2. Aufl., § 25a Rz 67).
|
|
|
30
|
4. Billigkeitsmaßnahmen sind nicht
Verfahrensgegenstand. Der Senat weist gleichwohl ohne
Bindungswirkung darauf hin, dass eine für den
Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber
bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, zwar nach nationalem
Recht keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigt (vgl. BFH-Urteil
vom 07.10.2010 - V R 17/09, BFH/NV 2011, 865 = SIS 11 13 05;
Beschluss des Großen Senats des BFH vom 28.11.2016 - GrS
1/15, BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393 = SIS 16 28 03, Rz 129);
der EuGH scheint indes einen Anspruch auf
Billigkeitsmaßnahmen auch in solchen Situationen für
möglich zu halten (vgl. zum Direktanspruch zuletzt EuGH-Urteil
Schütte vom 07.09.2023 - C-453/22, EU:C:2023:639 =
SIS 23 14 14, zu §§ 163,
227 AO). Im Streitfall könnte daher ein Teilerlass aus
sachlichen Billigkeitsgründen zur Verhinderung einer
Doppelbesteuerung im Sinne einer „Steuer auf die
Erwerbsteuer“ (vgl. BFH-Beschluss vom
20.10.2021 - XI R 2/20, BFHE 274, 330, BStBl II 2022, 503 = SIS 22 03 22, Rz 36) ermessensgerecht sein; denn die Umsatzsteuer auf den
innergemeinschaftlichen Erwerb aus der Bemessungsgrundlage
herauszurechnen (und dadurch die Veräußerung quasi in
dieser Höhe nicht zu besteuern), entspricht sowohl der
Systematik der Differenzbesteuerung als auch dem Grundsatz der
steuerlichen Neutralität (vgl. EuGH-Urteil Bakcsi vom
08.03.2001 - C-415/98, EU:C:2001:136 = SIS 01 06 82, Rz 44 und 46 f.; Mensing II vom
13.07.2023 - C-180/22, EU:C:2023:565 = SIS 23 11 43, Rz 32 und 35; BFH-Beschluss vom
20.10.2021 - XI R 2/20, BFHE 274, 330, BStBl II 2022, 503 = SIS 22 03 22, Rz 36 und 38).
|
|
|
31
|
5. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
|
|
|
|