Auf die Revision des Klägers werden das
Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 05.08.2020 - 4 K
2524/19 VE = SIS 21 16 15 und der
Energiesteuerbescheid vom 10.10.2018 in Gestalt des
Änderungsbescheids vom 10.07.2019 und der
Einspruchsentscheidung vom 12.08.2019 aufgehoben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
1
|
I. Streitig ist, ob die während des
Insolvenzeröffnungsverfahrens entstandene Energiesteuer eine
Masseverbindlichkeit darstellt.
|
|
|
2
|
Gegenstand des Unternehmens der …
GmbH (Schuldnerin) war die Versorgung von Kunden mit
Energieerzeugnissen. Die Schuldnerin hatte sich durch langfristige
Lieferverträge an ihre Kunden gebunden, ohne sich durch
entsprechende Deckungsgeschäfte gegen einen Anstieg der
Einkaufspreise abzusichern. Als die Einkaufspreise nennenswert
anstiegen, konnte sie nicht mehr kostendeckend arbeiten; sie
erwirtschaftete Verluste und geriet in
Zahlungsrückstand.
|
|
|
3
|
Das zuständige Amtsgericht (AG)
bestellte den Kläger und Revisionskläger (Kläger)
mit Beschluss vom 09.07.2018 zum vorläufigen
Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der
Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens nur
noch mit Zustimmung des Klägers wirksam sein würden
(§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 der Insolvenzordnung -
InsO - ). Es traf die folgenden weiteren Anordnungen:
|
|
|
-
|
Den Drittschuldnern wurde verboten, an die
Schuldnerin zu zahlen. Der Kläger wurde ermächtigt,
Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen
sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die Drittschuldner wurden
aufgefordert, nur noch unter Beachtung dieser Anordnung zu leisten
(§ 23 Abs. 1 Satz 3 InsO).
|
|
|
-
|
Maßnahmen der Zwangsvollstreckung
einschließlich der Vollziehung eines Arrests oder einer
einstweiligen Verfügung gegen die Schuldnerin wurden
untersagt, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen
waren; bereits begonnene Maßnahmen wurden einstweilen
eingestellt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO).
|
|
|
4
|
Der Kläger bemühte sich
zunächst und letztlich erfolglos, eine Auffanglösung zu
finden. Die Schuldnerin stellte die Belieferung ihrer Kunden am
18.07.2018 ein.
|
|
|
5
|
Das AG eröffnete am 01.10.2018 das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und
bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.
|
|
|
6
|
Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Hauptzollamt - HZA - ) schätzte die im Zeitraum vom
09.07.2018 (12:00 Uhr) bis zum Zeitpunkt der Einstellung der
Lieferungen am 18.07.2018 gelieferte Menge an Energieerzeugnissen
und setzte mit Bescheid vom 10.10.2018 Energiesteuer in Höhe
von 113.561,63 EUR gegenüber dem Kläger als
Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin
fest. Zur Begründung führte es aus, es handele sich um
sonstige Masseverbindlichkeiten.
|
|
|
7
|
Im Einspruchsverfahren reduzierte das HZA
mit Bescheid vom 10.07.2019 die Energiesteuer auf der Grundlage
einer genaueren Berechnung der in dem fraglichen Zeitraum
gelieferten Menge an Energieerzeugnissen auf 32.690,81 EUR und wies
den Einspruch im Übrigen als unbegründet
zurück.
|
|
|
8
|
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) urteilte, die Energiesteuerverbindlichkeit
stelle eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4
InsO in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes vom 09.12.2010 -
InsO a.F. - (BGBl I 2010, 1885) dar. Die Vorschrift betreffe nicht
nur die Umsatzsteuer, sondern alle Verbindlichkeiten aus einem
Steuerschuldverhältnis. Der nach § 55 Abs. 4 InsO a.F.
erforderliche Zusammenhang zwischen der Entstehung der
Steuerverbindlichkeit und den Befugnissen des vorläufigen
Insolvenzverwalters werde bei der Energiesteuer schon durch den vom
Insolvenzgericht angeordneten allgemeinen Zustimmungsvorbehalt
(§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 InsO) begründet.
Die Lieferungen an die Kunden seien mit Zustimmung des Klägers
erfolgt; denn dieser habe sich aktiv um eine Übergangs- bzw.
Nachfolgelösung für die Schuldnerin bemüht. Dass die
Lieferungen in Erfüllung von Verbindlichkeiten aus
Dauerschuldverhältnissen erfolgten, die bereits vor der
Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet
worden waren („Altgeschäfte“),
stehe dem nicht entgegen. Eine solche Einschränkung des §
55 Abs. 4 InsO a.F. ergebe sich weder aus dem Wortsinn und der
Entstehungsgeschichte noch aus dem Sinn und Zweck der Norm. Das
Urteil ist in EFG 2021, 2078 = SIS 21 16 15 abgedruckt.
|
|
|
9
|
Der Kläger begründet seine
Revision mit einer Verletzung von § 55 Abs. 4 InsO a.F. Die
Regelung in § 55 Abs. 4 InsO a.F. sei auf die Umsatzsteuer
beschränkt. Dies ergebe sich auch aus der Neufassung des
§ 55 Abs. 4 InsO durch das Gesetz zur Fortentwicklung des
Sanierungs- und Insolvenzrechts vom 22.12.2020 - InsO n.F. - (BGBl
I 2020, 3256), die Umsatzsteuerverbindlichkeiten explizit
erwähne und Verbrauchsteuern den Umsatzsteuerverbindlichkeiten
erstmals gleichstelle.
|
|
|
10
|
Aus der Tatsache, dass er sich aktiv um
eine Auffanglösung bemüht habe, könne keine
Zustimmung i.S. des § 55 Abs. 4 InsO a.F. geschlussfolgert
werden. Er habe lediglich seine - sich aus § 1 InsO ergebende
- Aufgabe als Insolvenzverwalter wahrgenommen. Er hätte die
Lieferverträge auch nicht kündigen können, anders
als der Geschäftsführer der Schuldnerin. Er habe mithin
keinen Einfluss auf die Einstellung der Belieferung nehmen
können. Sein Handeln stelle deshalb keine Zustimmung dar. Im
Übrigen sei § 55 Abs. 4 InsO a.F. nur auf nach Bestellung
des vorläufigen Insolvenzverwalters abgeschlossene
Neugeschäfte anzuwenden.
|
|
|
11
|
Der Kläger beantragt,
|
|
das auf die mündliche Verhandlung vom
05.08.2020 ergangene Urteil des FG Düsseldorf vom 05.08.2020 -
4 K 2524/19 sowie den Energiesteuerbescheid vom 10.10.2018 in
Gestalt des Änderungsbescheids vom 10.07.2019 und der
Einspruchsentscheidung vom 12.08.2019 aufzuheben.
|
|
|
12
|
Das HZA beantragt,
|
|
die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
|
|
|
13
|
Der Begriff der Zustimmung sei als
tatsächliches Einverständnis mit der Fortführung der
Geschäftsführung des Schuldners zu verstehen und weit
auszulegen, sodass jede Art von aktiver oder konkludenter Billigung
umfasst sei.
|
|
|
14
|
Die Beteiligten haben übereinstimmend
auf mündliche Verhandlung verzichtet.
|
|
|
15
|
II. Die Revision ist begründet und
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 126 Abs.
3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die
Vorentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1
FGO). Der Energiesteuerbescheid vom 10.10.2018 sowie der
Änderungsbescheid vom 10.07.2019 und die
Einspruchsentscheidung vom 12.08.2019 werden ebenfalls
aufgehoben.
|
|
|
16
|
Das HZA durfte für die im Zeitraum vom
09.07.2018 (12:00 Uhr) bis zum 18.07.2018 gelieferten
Energieerzeugnisse keine Energiesteuer gegen den Kläger
festsetzen, weil es sich dabei um eine Insolvenzforderung nach
§ 38 InsO handelt.
|
|
|
17
|
1. Die Energiesteuer ist durch die Entnahme
des Erdgases zum Verbrauch durch die Kunden der Schuldnerin
entstanden (§ 38 Abs. 1 Satz 1 des Energiesteuergesetzes -
EnergieStG - ). Die Schuldnerin schuldet als Lieferer die
Energiesteuer (§ 38 Abs. 2 Nr. 1 EnergieStG).
|
|
|
18
|
2. Die Energiesteuer kann jedoch nicht durch
Verwaltungsakt gegenüber dem Kläger als
Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, wenn es sich nicht um
eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 4 InsO a.F.,
sondern um eine Insolvenzforderung i.S. von § 38 InsO
handelt.
|
|
|
19
|
a) Nach Eröffnung eines
Insolvenzverfahrens dürfen Steuerbescheide, die
Insolvenzforderungen betreffen, nicht mehr ergehen. Das folgt aus
dem in § 251 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) normierten
Grundsatz, nach dem Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis, die Insolvenzforderungen sind, nach
Insolvenzeröffnung nur nach den Vorschriften der InsO geltend
gemacht werden dürfen. Derartige Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis sind zur Insolvenztabelle anzumelden
und - im Falle des Bestreitens - durch Feststellungsbescheid nach
§ 251 Abs. 3 AO gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend
zu machen. Ein förmlicher Steuerbescheid über einen
Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist unwirksam
(ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 19.01.2021 -
VII R 38/19, BFH/NV 2021, 1057 = SIS 21 09 83, Rz 24, m.w.N.).
|
|
|
20
|
b) Nach § 55 Abs. 4 InsO a.F. gelten
Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem
Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen
Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines
vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind,
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als
Masseverbindlichkeit.
|
|
|
21
|
aa) Von der Norm waren im Streitjahr 2018
grundsätzlich auch Verbindlichkeiten aus Energiesteuer
erfasst.
|
|
|
22
|
(1) Durch die Verwendung des Wortes
„Steuerschuldverhältnis“ verweist
die Norm auf § 37 Abs. 1 AO und gilt deshalb für
sämtliche Steuerarten (Graf-Schlicker/Bremen, InsO, 6. Aufl.,
§ 55 Rz 70; Pape/Schaltke in:
Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, KPB - Kommentar zur
Insolvenzordnung, § 55 Sonstige Masseverbindlichkeiten, Rz
233a; MüKoInsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 55 Rz 240; Karsten
Schmidt/Thole, InsO, 20. Aufl., § 55 Rz 46; gl.A. Schreiben
des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 20.05.2015, BStBl I
2015, 476 = SIS 15 11 28; a.A. Nawroth, Zeitschrift für das
gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht - ZInsO - 2011, 107, 108).
Denn § 37 Abs. 1 AO, nach dem Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis der Steueranspruch, der
Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch
auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach
§ 37 Abs. 2 AO sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten
Steuererstattungsansprüche sind, ist keine Einschränkung
auf bestimmte Steuerarten zu entnehmen.
|
|
|
23
|
(2) Auch vor dem Hintergrund der Änderung
des § 55 Abs. 4 InsO durch das Gesetz zur Fortentwicklung des
Sanierungs- und Insolvenzrechts (BGBl I 2020, 3256) ist keine
andere Sichtweise geboten (a.A. Eisolt, ZInsO 2021, 1521,
1524).
|
|
|
24
|
Der § 55 Abs. 4 InsO n.F. erwähnt
zwar ausdrücklich Umsatzsteuerverbindlichkeiten des
Insolvenzschuldners, die von einem vorläufigen
Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines
vorläufigen Insolvenzverwalters oder vom Schuldner nach
Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden
sind, und stellt diesen Umsatzsteuerverbindlichkeiten sonstige Ein-
und Ausfuhrabgaben, bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern,
die Luftverkehr- und die Kraftfahrzeugsteuer und die Lohnsteuer
gleich. Dies lässt jedoch dennoch nicht den Schluss zu, dass
bis zu dieser Gesetzesänderung allein die Umsatzsteuer von
dieser Vorschrift erfasst gewesen sein sollte. Hintergrund dieser
Änderung war die Auffassung des Gesetzgebers, dass es sich bei
der Umsatzsteuer um die praktisch bedeutsamste Steuer handele.
Dementsprechend war ursprünglich im Referentenentwurf eine
Beschränkung auf die Umsatzsteuer vorgesehen, wobei man davon
ausging, dass auch nach der bisherigen Gesetzesfassung alle
Steuerarten erfasst worden waren (S. 213 des Referentenentwurfs des
Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
„Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs-
und Insolvenzrechts“,
https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.html).
Hieraus ergibt sich gerade nicht, dass bis zu dieser
Gesetzesänderung allein die Umsatzsteuer erfasst gewesen sein
sollte.
|
|
|
25
|
Im Übrigen wird aus den
Gesetzgebungsmaterialien zum Haushaltsbegleitgesetz 2011
(BR-Drucks. 532/10, S. 53) deutlich, dass der Gesetzgeber zwar
„insbesondere“ die Umsatzsteuer im Blick
hatte, der nach seiner Ansicht praktisch die größte
Bedeutung zukam. Die Materialien belegen jedoch nicht, dass der
Gesetzgeber die Rechtsfolge des § 55 Abs. 4 InsO auf die
Umsatzsteuer beschränken wollte. Im Gegenteil kam es dem
Gesetzgeber im Hinblick auf das Ziel der Haushaltskonsolidierung
darauf an, mit den Änderungen die Position der
öffentlichen Hand als
„Zwangsgläubiger“ im
Insolvenzverfahren gegenüber abgesicherten
Insolvenzgläubigern zu verbessern (BR-Drucks. 532/10, S.
51).
|
|
|
26
|
(3) Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH)
vom 24.09.2014 - V R 48/13 (BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506 = SIS 14 32 16, Rz 19) lässt sich nichts anderes herleiten (so aber
Eisolt, ZInsO 2021, 1521, 1523). Denn der V. Senat des BFH hat zwar
ausgeführt, dass die Umsatzsteuer von § 55 Abs. 4 InsO
a.F. erfasst werde, er hat jedoch keine Aussage dazu getroffen und
auch nicht treffen müssen, ob der Anwendungsbereich der Norm
auf diese Steuer beschränkt gewesen ist.
|
|
|
27
|
bb) Die Steuerverbindlichkeit muss nach
Bestellung des vorläufigen Verwalters
„begründet“ worden sein. In diesem
Zusammenhang ist es geboten, für die Abgrenzung die gleichen
Maßstäbe wie bei § 38 InsO anzuwenden, weil beide
Vorschriften dieselbe Formulierung, nämlich
„begründet“, verwenden. Nach §
38 InsO sind Insolvenzgläubiger diejenigen Gläubiger, die
einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben.
Entscheidend ist, wann der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt
worden ist (BFH-Urteil vom 16.05.2013 - IV R 23/11, BFHE 241, 233,
BStBl II 2013, 759 = SIS 13 20 28; BFH-Beschluss vom 01.04.2008 - X
B 201/07, BFH/NV 2008, 925 = SIS 08 20 90). Der Rechtsgrund
für einen Steueranspruch ist gelegt, wenn der gesetzliche
(Besteuerungs-)Tatbestand verwirklicht wird (BFH-Urteil in BFHE
241, 233, BStBl II 2013, 759 = SIS 13 20 28, und Senatsurteil vom
12.06.2018 - VII R 2/17, BFH/NV 2019, 6 = SIS 18 17 73, Rz 19).
|
|
|
28
|
Für den Energiesteueranspruch kommt es
mithin nicht darauf an, wann der Energieliefervertrag abgeschlossen
oder die Energiesteuer festgesetzt wurde, sondern allein darauf,
wann der Versorger oder die Kunden die Energieerzeugnisse zum
Verbrauch aus dem Leitungsnetz entnommen haben. Durch den Realakt
der Entnahme, der nach § 38 Abs. 1 EnergieStG zur
Steuerentstehung führt, wird der Energiesteueranspruch
insolvenzrechtlich begründet (Jatzke in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 251 AO Rz 409).
|
|
|
29
|
cc) Die Verbindlichkeiten aus dem
Steuerschuldverhältnis müssen von einem vorläufigen
Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines
vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sein.
Der Begriff der Zustimmung ist gesetzlich nicht definiert.
|
|
|
30
|
(1) Nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung der Umsatzsteuersenate des BFH werden
Verbindlichkeiten vom vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom
Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters
nur im Rahmen der für den vorläufigen Verwalter
bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet (BFH-Urteil in
BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506 = SIS 14 32 16, Rz 15). Eine
lediglich zeitliche Verbindlichkeitenbegründung nach der
Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters
reicht nicht aus (so noch BMF-Schreiben vom 17.01.2012, BStBl I
2012, 120 = SIS 12 03 32 Rz 11). Auf die Leistungserbringung oder
auf eine „tatsächliche“ Zustimmung
des vorläufigen Verwalters zu einer
„faktischen“
Unternehmensfortführung kommt es nicht an (BFH-Urteil vom
28.05.2020 - V R 2/20, BFHE 268, 519 = SIS 20 11 09, Rz 16).
|
|
|
31
|
Der V. Senat des BFH hat für die
insolvenzrechtliche Einordnung der Umsatzsteuerverbindlichkeiten
maßgeblich darauf abgestellt, dass der Forderungseinzug durch
den vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen seiner
rechtlichen Befugnisse erfolgt und dazu führt, dass
umsatzsteuerrechtliche Verbindlichkeiten aus dem
Steuerschuldverhältnis, die mit dem Forderungseinzug im
Zusammenhang stehen, gemäß § 55 Abs. 4 InsO als
Masseverbindlichkeiten gelten (BFH-Urteil in BFHE 247, 460, BStBl
II 2015, 506 = SIS 14 32 16, Rz 14).
|
|
|
32
|
(2) Der Einzug offener Forderungen der
Schuldnerin gegen ihre Kunden hat - worauf das FG zutreffend
hinweist - jedoch keinen Bezug zur Entstehung der
Energiesteuerverbindlichkeit nach § 38 Abs. 1 EnergieStG.
Denn, wie bereits ausgeführt, entsteht die Energiesteuer
bereits mit dem Realakt der Entnahme des Erdgases aus dem
Leitungsnetz. Aus dem Forderungseinzug kann daher nicht auf eine
Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur
Begründung der Energiesteuer geschlossen werden.
|
|
|
33
|
(3) Das Anknüpfen an die rechtlichen
Befugnisse der in § 55 Abs. 1 und Abs. 4 InsO genannten
Verwalter führt nicht dazu, dass jegliche Handlungen nach
deren Bestellung Masseverbindlichkeiten begründen.
Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, die allein
vom Schuldner begründet werden und nicht im Zusammenhang mit
einer Tätigkeit des vorläufigen Verwalters stehen, werden
nicht erfasst (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 22.11.2018
- IX ZR 167/16, BGHZ 220, 243 = SIS 20 01 21, Rz 22).
Maßgeblich ist vielmehr, wie der vorläufige
Insolvenzverwalter seine Befugnisse ausübt (BFH-Urteil in BFHE
268, 519 = SIS 20 11 09, Rz 18). Liegt keine ausdrückliche
Zustimmung vor, kann auf einen fehlenden Widerspruch nur in dem
Umfang abgestellt werden, als ein Recht zum Widerspruch besteht
(BFH-Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506 = SIS 14 32 16, Rz
17; so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2020 - 14 K 303/18
E, EFG 2021, 306 = SIS 21 00 81).
|
|
|
34
|
Der Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 InsO) bewirkt (nur), dass der
vorläufige Insolvenzverwalter wirksame
rechtsgeschäftliche Verfügungen des Schuldners zu
verhindern vermag. Dagegen ist der vorläufige
Insolvenzverwalter rechtlich nicht in der Lage, den Schuldner gegen
dessen Willen zu Handlungen anzuhalten (vgl. BGH-Urteil vom
18.07.2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, unter III.2.c bb).
|
|
|
35
|
Verfügungen in diesem Sinne sind alle
Rechtshandlungen, die auf das Vermögen des Schuldners
unmittelbar einwirken, z.B. Zahlungen des Schuldners (BGH-Urteil
vom 25.10.2007 - IX ZR 217/06, BGHZ 174, 84, unter II.1.e bb) und
die Abtretung von Forderungen (BGH-Urteil vom 10.12.2009 - IX ZR
1/09, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht - ZIP - 2010, 138,
unter II.2.a). Es werden also solche Rechtsgeschäfte erfasst,
durch die unmittelbar ein Recht begründet, übertragen,
belastet, aufgehoben oder sonst wie in seinem Inhalt verändert
wird (BGH-Urteil in ZIP 2010, 138, unter II.2.b).
|
|
|
36
|
Ein Unterlassen des vorläufigen
Insolvenzverwalters kann vor diesem Hintergrund somit nur dann zur
Begründung einer Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4
InsO führen, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter die
Entstehung der Verbindlichkeit durch seinen Widerspruch hätte
verhindern können.
|
|
|
37
|
Soweit vor dem Hintergrund der
gesetzgeberischen Intention vertreten wird, dass der Begriff der
Zustimmung in einem weiten Sinne zu verstehen sei und dass die
Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters deshalb aktiv
oder auch durch konkludentes Handeln (z.B. Tun, Dulden,
Unterlassen) erfolgen könne (vgl. Oberlandesgericht Köln,
Beschluss vom 29.01.2014 - 2 W 4/14, Neue Zeitschrift für
Insolvenz- und Sanierungsrecht 2014, 332, Rz 13), hält der
erkennende Senat eine derart weite Auslegung des § 55 Abs. 4
InsO nicht für überzeugend. Denn dies führte zu
einer zu weitgehenden Besserstellung des Fiskus gegenüber
anderen Gläubigern und widerspräche daher dem Grundsatz
der Gläubigergleichbehandlung (vgl.
MüKoInsO/Ehricke/Behme, 4. Aufl., § 38 Rz 5).
|
|
|
38
|
dd) Energiesteuerverbindlichkeiten können
nur dann Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO sein,
wenn sie aus sog. Neugeschäften entstehen, nicht jedoch aus
bereits bei Bestellung des schwachen vorläufigen
Insolvenzverwalters bestehenden Lieferverträgen. Das ergibt
sich insbesondere aus § 103 InsO. Danach steht nur dem
endgültig bestellten Insolvenzverwalter ein
Erfüllungswahlrecht zu (vgl. Uhlenbruck/Sinz,
Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 55 Rz 117;
MüKoInsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 55 Rz 245; Eisolt, ZInsO
2021, 1521, 1530; Harder/Dannemann, Entscheidungen zum
Wirtschaftsrecht 2021, 311, 312). Soweit das FG hiergegen
einwendet, es käme zu einer Verkomplizierung der
Rechtsanwendung und zu kaum verständlichen Unterschieden bei
verschiedenen Steuerarten, so überzeugt dieser Einwand
nicht.
|
|
|
39
|
Nach der Rechtsprechung des BGH vermag der
schwache vorläufige Insolvenzverwalter den Abschluss
rechtswirksamer Verpflichtungsverträge nicht zu verhindern
(BGH-Urteile in BGHZ 151, 353, unter III.2.c bb, und in ZIP 2010,
138, unter II.2.b). Der „schwache“
vorläufige Insolvenzverwalter ist ferner nicht befugt, den
Schuldner daran zu hindern, während des
Eröffnungsverfahrens die Gegenleistung aus
Dauerschuldverhältnissen i.S. von § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO
in Anspruch zu nehmen, soweit damit keine rechtsgeschäftliche
Verfügung verbunden ist.
|
|
|
40
|
Dem steht nicht entgegen, dass der V. Senat
des BFH in seinen Entscheidungen (vgl. in BFHE 247, 460, BStBl II
2015, 506 = SIS 14 32 16, und in BFHE 268, 519 = SIS 20 11 09)
allein auf die Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen
Insolvenzverwalter abgestellt hat, ohne eine Unterscheidung danach
zu treffen, wann der zugrundeliegende Vertrag abgeschlossen worden
ist. Denn im Fall der Energiesteuer kommt es - wie auch das FG
zutreffend ausgeführt hat - für die Steuerentstehung
nicht auf die Entgeltvereinnahmung an.
|
|
|
41
|
3. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen.
|
|
|
42
|
Es hat zur Begründung von sonstigen
Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 4 InsO
für die Annahme einer Zustimmung des vorläufigen
Insolvenzverwalters lediglich auf das Vorliegen eines
Zustimmungsvorbehalts nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
Alternative 2 InsO abgestellt (FG-Urteil, Rz 30). In diesem
Zusammenhang hat es die rechtlichen Befugnisse des vorläufigen
Insolvenzverwalters verkannt, indem es angenommen hat, die
Weiterbelieferung der Kunden durch die Schuldnerin habe seiner
Zustimmung bedurft. Schließlich hat das FG keine
Unterscheidung zwischen Alt- und Neugeschäften
vorgenommen.
|
|
|
43
|
a) Nach den Feststellungen des FG ist die
streitige Energiesteuer vor der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens entstanden (§ 38 Abs. 1 Satz 1
EnergieStG), sodass kein Zweifel daran besteht, dass es sich
grundsätzlich um Insolvenzforderungen nach § 38 InsO
handelt.
|
|
|
44
|
b) Die streitgegenständlichen
Energiesteuerverbindlichkeiten gelten nach den oben dargestellten
Grundsätzen nicht als Masseverbindlichkeiten gemäß
§ 55 Abs. 4 InsO, weil keine Zustimmung des Klägers
vorliegt.
|
|
|
45
|
aa) Die Energiesteuer entsteht nach § 38
Abs. 1 Satz 1 EnergieStG durch den Realakt der Entnahme. Diese
erfolgte im Streitfall durch die Kunden der Schuldnerin, ohne dass
es hierzu der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters
bedurft hätte.
|
|
|
46
|
Der Begriff der
„Zustimmung“ in § 55 Abs. 4 InsO
kann sich im Streitfall deshalb nur auf die den Steuertatbestand
auslösende Handlung des Schuldners beziehen. Auch die
Lieferung des Energieerzeugnisses durch die Schuldnerin an ihre
Kunden weist nicht auf eine Zustimmung des vorläufigen
Insolvenzverwalters hin. Abgesehen davon, dass der Begriff der
Lieferung („geliefertes“) der
Konkretisierung des Steuerschuldners dient (§ 38 Abs. 2 Nr. 1
EnergieStG), hat das FG eine ausdrückliche Zustimmung des
vorläufigen Insolvenzverwalters zur Lieferung nicht
festgestellt.
|
|
|
47
|
bb) Soweit das FG eine Zustimmung zur
Lieferung angenommen hat, weil der Kläger sich nach den
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) um eine
Übergangs- bzw. Nachfolgelösung für die Schuldnerin
bemüht hat, widerspricht dies den Grundsätzen, welche der
V. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015,
506 = SIS 14 32 16 aufgestellt hat (s. oben).
|
|
|
48
|
Der V. Senat des BFH hat in dieser
Entscheidung geurteilt, dass der InsO eine von der Rechtsstellung
des vorläufigen Insolvenzverwalters nach den §§ 21
ff. InsO abweichende „tatsächliche“
Zustimmung oder eine „faktische“
Unternehmensfortführung neben einer
Unternehmensfortführung i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
InsO fremd sei. Das entspricht auch der Rechtsprechung des BGH,
wonach es unerheblich ist, dass der vorläufige
Insolvenzverwalter den Schuldner zur Fortführung des
Geschäftsbetriebs „veranlasst“ hat,
wenn eine derartige Einflussnahme von Rechts wegen unverbindlich
war (BGH-Urteil in BGHZ 151, 353, unter III.2.c bb).
|
|
|
49
|
Im Streitfall handelt es sich beim Kläger
um einen sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter, weil
dem Schuldner kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt
worden ist (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 1, 22
Abs. 1 InsO). Das bedeutet, dass der Kläger rechtlich gar
nicht befugt war, die Weiterbelieferung zu unterbinden oder gar die
bestehenden Lieferverträge (Dauerschuldverhältnisse) zu
kündigen. Denn allein in der Erfüllung eines bestehenden
Energieliefervertrages liegt keine Verfügung des Schuldners,
welche der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters
bedarf.
|
|
|
50
|
cc) Im Übrigen handelt es sich bei den
langfristigen Lieferverträgen um sog. Altverträge, welche
bereits vor der Bestellung des Klägers als vorläufiger
Insolvenzverwalter abgeschlossen worden waren. Auch deshalb konnten
nach den dargestellten Grundsätzen keine sonstigen
Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO begründet
werden.
|
|
|
51
|
4. Der Senat entscheidet gemäß
§§ 121 Satz 1, 90 Abs. 2 FGO mit Zustimmung der
Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
|
|
|
52
|
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
|
|
|
|