I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union
werden folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des
Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht einem Leistungsempfänger mit
Ansässigkeit im Inland ein sogenannter Direktanspruch gegen
die inländische Finanzverwaltung entsprechend dem Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Union Reemtsma
Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 - C-35/05 (EU:C:2007:167 =
SIS 07 10 88) zu, wenn
(a) dem Leistungsempfänger von einem
Leistenden, der gleichfalls im Inland ansässig ist, eine
Rechnung mit inländischem Steuerausweis erteilt wird, die der
Leistungsempfänger bezahlt, wobei der Leistende die in der
Rechnung ausgewiesene Steuer ordnungsgemäß
versteuert,
(b) es sich bei der in Rechnung gestellten
Leistung aber um eine in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte
Leistung handelt,
(c) dem Leistungsempfänger daher der
Vorsteuerabzug im Inland versagt wird, da es an einer im Inland
gesetzlich geschuldeten Steuer fehlt,
(d) der Leistende die Rechnung daraufhin
dahingehend berichtigt, dass der inländische Steuerausweis
entfällt und sich der Rechnungsbetrag daher in Höhe des
Steuerausweises mindert,
(e) der Leistungsempfänger aufgrund der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen
des Leistenden Zahlungsansprüche gegen den Leistenden nicht
durchsetzen kann und
(f) für den im anderen Mitgliedstaat
bislang nicht registrierten Leistenden die Möglichkeit
besteht, sich in diesem Mitgliedstaat mehrwertsteuerrechtlich
registrieren zu lassen, so dass er danach unter Angabe einer
Steuernummer dieses Mitgliedstaats dem Leistungsempfänger eine
Rechnung unter Ausweis der Steuer dieses Mitgliedstaats erteilen
könnte, die den Leistungsempfänger in diesem
Mitgliedstaat zum Vorsteuerabzug im besonderen Verfahren nach der
Richtlinie 2008/9/EG vom 12.02.2008 zum Vorsteuerabzug berechtigen
würde?
2. Kommt es für die Beantwortung dieser
Frage darauf an, dass die inländische Finanzverwaltung dem
Leistenden aufgrund der bloßen Rechnungsberichtigung die
Steuerzahlung erstattet hat, obwohl der Leistende aufgrund der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen
nichts an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat?
II. Das Revisionsverfahren wird bis zur
Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union
ausgesetzt.
1
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A. Die Beteiligten streiten über einen
Vorsteuerabzug im Wege einer Billigkeitsentscheidung nach
§§ 163, 227 der Abgabenordnung (AO).
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2
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Geschäftsgegenstand der Klägerin
und Revisionsklägerin (Klägerin) und einer
Kommanditgesellschaft (KG), deren Rechtsnachfolgerin die
Klägerin ist, war das Mobilienleasing für andere
Unternehmen unter anderem durch sogenannte (sog.)
Sale-and-lease-back Geschäfte. Im Streitfall geht es um
insgesamt sechs Sale-and-lease-back Geschäfte, die die KG mit
der ebenfalls im Inland ansässigen … GmbH (E-GmbH;
später umfirmiert in D-GmbH) in den Streitjahren 2007, 2008,
2010 und 2012 getätigt hat.
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3
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Dabei erwarb die E-GmbH zunächst
jeweils ein neues Motorboot von der in Italien ansässigen
E-sr. Die Rechnungen hierfür wurden ohne Ausweis von
Mehrwertsteuer mit dem Hinweis auf eine innergemeinschaftliche
Lieferung („prestazione
intracomunitaria“) ausgestellt. Ausweislich
der Rechnungen wurde der Kaufpreis in voller Höhe von der
E-GmbH entrichtet.
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4
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Jeweils einige Tage später schlossen
die E-GmbH und die KG einen „Kauf- und
Übereignungsvertrag“ ab. Darin verkaufte
die E-GmbH das jeweilige Boot an die KG zum identischen
Nettokaufpreis zuzüglich inländischer (deutscher)
Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer). Die KG zahlte den Kaufpreis an die
E-GmbH. Die Übergabe des Bootes wurde nach dem Kaufvertrag
jeweils durch die Vereinbarung des Abschlusses eines
Leasingvertrages mit Nutzungsüberlassung ersetzt. Im
Kaufvertrag wurden die Parteien bereits als
„Leasinggeber“ und
„Leasingnehmer“ bezeichnet. Die E-GmbH
erteilte der KG anschließend Rechnungen über den Verkauf
des jeweiligen Bootes mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer, meldete
die inländische Umsatzsteuer in ihren Steuererklärungen
an und führte sie an das für sie zuständige
Finanzamt (FA X) ab. Die Rechnungen enthielten keine Angaben zum
Ort, an dem sich die Boote befanden. Die KG zog die in der Rechnung
ausgewiesene inländische (deutsche) Umsatzsteuer in ihren
Umsatzsteuererklärungen als Vorsteuer ab. Einige Tage danach
schlossen die E-GmbH und die KG einen Mobilienleasingvertrag
über das jeweilige Boot mit einer Laufzeit von 36 Monaten und
einer monatlichen Leasingrate.
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5
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Im Rahmen einer bei der E-GmbH
durchgeführten Außenprüfung für den
Besteuerungszeitraum 2008 wurde festgestellt, dass sich die Boote
im Zeitpunkt des Verkaufs von der E-GmbH an die KG nicht im Inland
(in der Bundesrepublik Deutschland - Deutschland - ), sondern in
Italien am Y-See befanden. Mit zwei Schreiben vom 26.10.2012 teilte
die E-GmbH der KG daraufhin mit, dass sie in zwei Rechnungen vom
30.04.2008 und 31.10.2008 zu Unrecht inländische (deutsche)
Umsatzsteuer ausgewiesen habe (94.455,46 EUR und 94.551,98 EUR).
Die Rechnungen würden wie folgt berichtigt:
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„Der Rechnungsbetrag beträgt
absprachegemäß pauschal EUR 591.589,46 EUR [592.193,98
EUR]. In dem Rechnungsbetrag ist entgegen der ursprünglichen
Rechnung 23217 [25059] vom 30.04.2008 [31.10.2008] keine deutsche
Umsatzsteuer enthalten. Den Rechnungsbetrag haben wir bereits
vollständig von Ihnen enthalten.“
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6
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Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung
bei der KG vertrat der Prüfer die Auffassung, die Lieferung
der Boote sei in Deutschland nicht steuerbar gewesen, da es sich um
Lieferungen ohne Beförderung gehandelt habe, die nach Artikel
(Art.) 31 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), §
3 Abs. 7 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) am Belegenheitsort der
Boote, das heißt in Italien, steuerbar seien. Die von der
E-GmbH der KG in Rechnung gestellte inländische Umsatzsteuer
werde von dieser nach Art. 203 MwStSystRL und § 14c UStG
geschuldet und sei daher von der Klägerin nicht als Vorsteuer
abziehbar.
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7
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt - FA - ) schloss sich den Feststellungen an und
erließ am 25.01.2013 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO einen
Änderungsbescheid über Umsatzsteuer für 2008, in dem
er die Vorsteuern entsprechend dem Prüfungsbericht
kürzte. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA mit
Einspruchsentscheidung vom 19.06.2013 als unbegründet
zurück.
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8
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Die Klägerin hatte zuvor dem FA
mitgeteilt, dass vier weiteren Rechnungen der E-GmbH aus den Jahren
2006, 2010 und 2012 derselbe Sachverhalt zugrunde liege. Das FA
erließ daraufhin am 08.04.2013 Änderungsbescheide
über Umsatzsteuer für 2007 und 2010, in dem es die
Umsatzsteuer aufgrund der Versagung des zuvor aus den Rechnungen in
Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs entsprechend erhöhte. Die
hiergegen eingelegten Einsprüche wies das FA mit
Einspruchsentscheidung vom 09.10.2013 als unbegründet
zurück. Die KG zahlte alle Vorsteuern an das FA zurück.
In der Umsatzsteuerjahreserklärung 2012 wurde kein
diesbezüglicher Vorsteuerabzug geltend gemacht.
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9
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Über das Vermögen der E-GmbH
wurde am 29.04.2014 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit
Schreiben vom 10.12.2014 widerrief der Insolvenzverwalter der
E-GmbH den Umsatzsteuerausweis in Höhe von insgesamt 539.605
EUR aus den sechs Rechnungen über die Lieferung der Boote. Als
Rechnungsbetrag wurde nur noch jeweils der ursprünglich
vereinbarte Nettokaufpreis ausgewiesen. Das für die E-GmbH
zuständige FA X teilte mit, dass durch den Insolvenzverwalter
berichtigte Rechnungen vom 10.12.2014 vorgelegt und am 08.01.2015
ein Berichtigungsantrag nach § 17 UStG für den
Voranmeldungszeitraum Dezember 2014 gestellt worden sei. Dem Antrag
sei stattgegeben und die abgeführte Umsatzsteuer an die Masse
erstattet worden. Der steuerliche Vertreter des Insolvenzverwalters
sei darüber informiert worden, dass er verpflichtet sei, die
Umsätze in Italien zu versteuern. Nach Angaben der
Klägerin weigert sich der Insolvenzverwalter, ihr eine
Rechnung mit italienischer Umsatzsteuer auszustellen. Eine Klage
auf Erteilung einer Rechnung mit offen ausgewiesener italienischer
Umsatzsteuer hat die Klägerin gegen die E-GmbH nicht
erhoben.
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10
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Die KG beantragte eine abweichende
Festsetzung der Umsatzsteuer 2007, 2008, 2010 und 2012 sowie der
darauf entfallenden Nebenleistungen aus Billigkeitsgründen
nach § 163 AO, hilfsweise einen Erlass nach § 227 AO. Mit
Bescheid vom 27.10.2017 lehnte das FA diesen Antrag ab. Mit
Einspruchsentscheidung vom 30.04.2018 wies das FA den Einspruch der
KG als unbegründet zurück.
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11
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Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf wies
die Klage mit dem in EFG 2021, 1969 = SIS 21 16 11 veröffentlichten Urteil ab. Das FG sah das FA
aufgrund der bereits in die Insolvenzmasse erfolgten
Rückzahlung als nicht gegenüber der Klägerin
erstattungsverpflichtet an. Zudem habe der Klägerin kein
zivilrechtlicher Anspruch gegen die E-GmbH auf Erstattung der
rechtsgrundlos gezahlten inländischen Umsatzsteuer
zugestanden. Der Klägerin stehe lediglich ein Anspruch auf
Erteilung einer Rechnung mit offen ausgewiesener italienischer
Umsatzsteuer zu. Mit der Revision rügt die Klägerin die
Verletzung materiellen Rechts. Sie habe einen Anspruch auf
Herabsetzung der Steuern aus § 163 AO.
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12
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B. Der Senat setzt das Verfahren aus und legt
dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die im Tenor
genannten Fragen gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags
über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur
Vorabentscheidung vor.
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13
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1. Rechtlicher Rahmen
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14
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a) Unionsrecht
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Art. 167 MwStSystRL
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Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn
der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
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16
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Art. 168 MwStSystRL
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Soweit die Gegenstände und
Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten
Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt,
in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom
Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge
abzuziehen:
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a. die in diesem Mitgliedstaat geschuldete
oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und
Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen
geliefert bzw. erbracht wurden oder werden; ...
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17
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Art. 178 MwStSystRL
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Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben
zu können, muss der Steuerpflichtige folgende Bedingungen
erfüllen:
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a. für den Vorsteuerabzug nach Artikel
168 Buchstabe a in Bezug auf die Lieferung von Gegenständen
oder das Erbringen von Dienstleistungen muss er eine
gemäß Titel XI Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 6 ausgestellte
Rechnung besitzen; ...
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18
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Art. 203 MwStSystRL
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Die Mehrwertsteuer wird von jeder Person
geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.
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19
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b) Nationales Recht
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20
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§ 14 Abs. 4 UStG
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Eine Rechnung muss folgende Angaben enthalten:
(...)
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8. den anzuwendenden Steuersatz sowie den auf
das Entgelt entfallenden Steuerbetrag oder im Fall einer
Steuerbefreiung einen Hinweis darauf, dass für die Lieferung
oder sonstige Leistung eine Steuerbefreiung gilt, (...).
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§ 14c Abs. 1 UStG
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Hat der Unternehmer in einer Rechnung für
eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren
Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz
schuldet, gesondert ausgewiesen (unrichtiger Steuerausweis),
schuldet er auch den Mehrbetrag. Berichtigt er den Steuerbetrag
gegenüber dem Leistungsempfänger, ist § 17 Abs. 1
entsprechend anzuwenden.
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22
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§ 15 Abs. 1 UStG
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Der Unternehmer kann die folgenden
Vorsteuerbeträge abziehen:
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1. die gesetzlich geschuldete Steuer für
Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen
Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.
Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der
Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a ausgestellte
Rechnung besitzt. ...
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23
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§ 163 Abs. 1 AO
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Steuern können niedriger festgesetzt
werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern
erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer
unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach
Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. ...
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24
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§ 227 AO
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Die Finanzbehörden können
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum
Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls
unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können
bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet
werden.
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25
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2. Zur ersten Vorlagefrage
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26
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a) EuGH-Rechtsprechung
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Zum sog. Direktanspruch, wie er sich seit dem
EuGH-Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 - C-35/05
(EU:C:2007:167 = SIS 07 10 88) aus
der ständigen EuGH-Rechtsprechung ergibt, hat der EuGH zuletzt
in seinem Urteil HUMDA vom 13.10.2022 - C-397/21 (EU:C:2022:790 =
SIS 22 18 77, Randziffer - Rz - 21
bis 24) entschieden, dass
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ein nationales System, in dem zum einen der
Dienstleistungserbringer, der die Mehrwertsteuer irrtümlich an
die Steuerbehörden abgeführt hat, deren Erstattung
verlangen kann und zum anderen der Dienstleistungsempfänger
gegen diesen Dienstleistungserbringer eine zivilrechtliche Klage
auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben
kann, die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer
und der Effektivität beachtet, da es dem
Dienstleistungsempfänger, der mit der irrtümlich in
Rechnung gestellten Steuer belastet war, ermöglicht, die
rechtsgrundlos gezahlten Beträge erstattet zu bekommen,
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die Grundsätze der Neutralität der
Mehrwertsteuer und der Effektivität es gebieten, wenn die
Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder
übermäßig schwierig wird, insbesondere im Fall der
Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers, dass die
Mitgliedstaaten die erforderlichen Mittel vorsehen, die es dem
Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in
Rechnung gestellte und bezahlte Steuer erstattet zu bekommen,
insbesondere indem er seinen Erstattungsantrag unmittelbar an die
Steuerbehörden richtet,
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daraus abzuleiten ist, dass die
Mitgliedstaaten die erforderlichen Mittel und
Verfahrensmodalitäten vorsehen müssen, die es dem
Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in
Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen, damit der
Grundsatz der Effektivität gewahrt wird, und
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diese Rechtsprechung auch in einer Situation
anwendbar ist, bei der aufgrund eines Irrtums über den
zutreffenden Leistungsort die Steuer im falschen Mitgliedstaat
entrichtet wurde, wenn weder Missbrauch noch Betrug vorliegen, der
Dienstleistungsempfänger und der Dienstleistungserbringer
gutgläubig sind, keine Gefahr eines Steuerausfalls besteht und
es für den Dienstleistungsempfänger unmöglich oder
übermäßig schwierig ist, vom
Dienstleistungserbringer die rechtsgrundlos gezahlte Mehrwertsteuer
erstattet zu bekommen, da über diesen zwischenzeitlich ein
Liquidationsverfahren eröffnet wurde.
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27
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Der Bundesfinanzhof (BFH) folgt der
EuGH-Rechtsprechung zum sog. Direktanspruch (vergleiche - vgl. -
BFH-Urteile vom 30.06.2015 - VII R 30/14, Sammlung der
Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFHE - 250, 34,
Bundessteuerblatt - BStBl - II 2022, 246 = SIS 15 21 21, Rz 27; vom 22.08.2019 - V R
50/16, BFHE 266, 395, BStBl II 2022, 290 = SIS 19 17 26, Rz 16; vom
24.04.2013 - XI R 9/11, Sammlung amtlich nicht
veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs 2013,
1457 = SIS 13 22 38, Rz 36). Dies
trifft nunmehr auch auf die Finanzverwaltung zu (Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 12.04.2022, BStBl I 2022, 652 =
SIS 22 06 04).
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28
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b) Übertragung auf den
Streitfall
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29
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Auf dieser Grundlage könnte der sog.
Direktanspruch der grundsätzlich zum Vorsteuerabzug
berechtigten Klägerin gegen das FA zu bejahen sein, da die
Umstände des Streitfalls weitgehend denen der Rechtssache
HUMDA entsprechen.
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30
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So wurde in der Rechtssache HUMDA eine
Rechnung mit ungarischem Steuerausweis zwischen zwei in Ungarn
ansässigen Steuerpflichtigen erteilt, obwohl sich die Rechnung
auf eine in Italien ausgeführte Leistung bezog. Im Streitfall
geht es um eine Rechnung mit einem inländischen (deutschen)
Steuerausweis, die ein im Inland ansässiger Steuerpflichtiger
einem gleichfalls im Inland ansässigen Steuerpflichtigen
erteilt hat, obwohl sich die Rechnung auf eine in Italien erbrachte
Leistung bezieht.
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31
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Sowohl in der Rechtssache HUMDA als auch im
Streitfall hatte der Rechnungsaussteller die in Rechnung gestellte
Umsatzsteuer vereinnahmt und an die Finanzverwaltung
abgeführt. In beiden Rechtssachen erweist sich eine
Rückforderung der zu Unrecht ausgewiesenen Steuer durch den
Rechnungsempfänger vom Leistungsempfänger als im
Wesentlichen unmöglich. Im Streitfall ergibt sich dies aus der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen
des Rechnungsausstellers. Da es sich bei dem
Rückforderungsanspruch gegen den Rechnungsaussteller um eine
sog. Insolvenzforderung handelt, ist hier regelmäßig von
einer Anspruchsdurchsetzungsmöglichkeit von weniger als 5 %
auszugehen.
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32
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c) Zweifel an der
Übertragbarkeit
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33
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Der Senat hat gleichwohl Zweifel, ob nach den
Verhältnissen des Streitfalls ein sog. Direktanspruch zu
bejahen ist. Diese Zweifel gründen sich auf Besonderheiten, zu
denen sich der EuGH im Zusammenhang mit dem Direktanspruch bislang
noch nicht geäußert hat und die daher als
klärungsbedürftig anzusehen sind.
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34
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aa) Dabei geht es zum einen um die Annahme des
EuGH, dass in einem Fall wie dem in der Rechtssache HUMDA
überhaupt ein zivilrechtlicher Rückforderungsanspruch
besteht.
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35
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(1) Zwar hat der EuGH in diesem Urteil
ausdrücklich entschieden (Rz 21 f.), dass ein nationales
System, in dem zum einen der Dienstleistungserbringer, der die
Mehrwertsteuer irrtümlich an die Steuerbehörden
abgeführt hat, deren Erstattung verlangen kann und zum anderen
der Dienstleistungsempfänger gegen diesen
Dienstleistungserbringer eine zivilrechtliche Klage auf
Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben kann,
die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der
Effektivität beachtet, wobei im Fall der
Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers ein sog.
Direktanspruch gegen das FA besteht.
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36
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(2) Dies könnte im Sinne eines
Rückforderungsanspruchs zu verstehen sein, der sich auf die
konkret im Streitfall inländische Steuer bezieht, die in der
Rechnung ausgewiesen wurde. Allerdings könnte in dem Fall, in
dem an die Stelle einer Rechnung mit einem inländischen
Steuerausweis (19 %) eine Rechnung mit einem höheren
ausländischen (hier italienischen) Steuerausweis treten
müsste, ein Rückforderungsanspruch zu verneinen sein. Bei
einer nur auf den jeweiligen Mitgliedstaat bezogenen Sichtweise,
wie sie wohl dem EuGH-Urteil HUMDA (EU:C:2022:790 = SIS 22 18 77) zugrunde liegt, ist das Bestehen
eines derartigen Rückforderungsanspruchs zu bejahen.
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37
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Bei einer unionsweiten Betrachtung unter
Einschluss des Mitgliedstaats, in dem die Leistung tatsächlich
erbracht wurde (im Streitfall gleichermaßen Italien wie in
der Rechtssache HUMDA) könnte demgegenüber an die Stelle
eines Rückforderungsanspruchs ein bloßer Anspruch auf
Erteilung einer Rechnung mit italienischer Steuer treten, wovon das
FG ausgegangen ist. Der EuGH hat sich im Urteil HUMDA
(EU:C:2022:790 = SIS 22 18 77) mit
dieser Fragestellung nicht ausdrücklich beschäftigt.
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38
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(3) Für die zuletzt genannte Sichtweise
könnte sprechen, dass der Leistende im Streitfall die
Möglichkeit hat, sich in Italien mehrwertsteuerrechtlich
registrieren zu lassen, so dass er danach unter Angabe einer
Steuernummer dieses Mitgliedstaats dem Leistungsempfänger eine
Rechnung unter Ausweis der Steuer dieses Mitgliedstaats erteilen
könnte. Diese würde dann die Klägerin in Italien zum
Vorsteuerabzug in dem besonderen Verfahren nach Art. 170 MwStSystRL
in Verbindung mit (i.V.m.) der Richtlinie 2008/9/EG berechtigen.
Bei einer erfolgreichen Durchführung dieses Verfahrens
entstünde kein Steuerschaden bei der Klägerin. Der
Vergütungsanspruch wäre aufgrund der bisher fehlenden
Erteilung einer Rechnung mit offen ausgewiesener italienischer
Umsatzsteuer auch nicht endgültig ausgeschlossen (vgl.
EuGH-Urteile Volkswagen vom 21.03.2018 - C-533/16, EU:C:2018:204 =
SIS 18 06 52; Wilo Salmson France
vom 21.10.2021 - C-80/20, EU:C:2021:870 = SIS 21 17 26).
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39
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(4) Zu berücksichtigen könnte zudem
sein, dass der Leistende im Streitfall nicht bereit war und ist, in
Italien die in Rede stehenden Umsätze zu erklären und
dementsprechend dem Leistungsempfänger eine Rechnung
auszustellen. Der Klägerin wäre es daher nur möglich
gewesen, in einem zivilgerichtlichen Klageverfahren ihren Anspruch
auf Erteilung dieser Rechnung geltend zu machen. Dies hat sie nicht
getan. Es erscheint dem Senat unionsrechtlich zweifelhaft, ob ihr
dieses Unterlassen zum Nachteil gereicht. Der EuGH hat im Urteil
HUMDA (EU:C:2022:790 = SIS 22 18 77) in einem ähnlichen Fall eine solche Klage nicht
verlangt.
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40
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(5) Einer Berücksichtigung des
gesonderten Verfahrens nach Art. 170 MwStSystRL i.V.m. der
Richtlinie 2008/9/EG könnte jedoch entgegenstehen, dass dem
Direktanspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer nicht allgemein
„die Umsatzsteuer“ nach dem
MwStSystRL zugrunde liegt, sondern - soweit eine Harmonisierung des
Mehrwertsteuersystems in der Europäischen Union nicht
vollumfänglich durchgeführt wurde - sich der
„innerstaatliche
Erstattungsanspruch“ nur auf die
abgeführte nationale Umsatzsteuer bezieht. Der so verstandene
Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers ist ein
ausschließlich auf die vom jeweiligen Mitgliedstaat vom
Leistenden erhaltene und darauf bezogene zu erstattende
Umsatzsteuer, wenn der EuGH dieser Sichtweise folgt.
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41
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bb) Fraglich ist schließlich, welche
Bedeutung die Bekämpfung von Betrügereien (Art. 325 AEUV)
für den sog. Direktanspruch haben könnte.
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42
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Ohne dass hierzu eine eindeutige Bestimmung
der MwStSystRL vorliegt, versagt der EuGH im Zusammenhang mit sog.
Betrug generell alle Rechte, unabhängig davon, welches Recht
aus dem Bereich der Mehrwertsteuer von der betrügerischen
Handlung betroffen ist (vgl. zum Beispiel EuGH-Urteil Schoenimport
„Italmoda“ Mariano Previti vom
18.12.2014 - C-131/13, C-163/13 und C-164/13, EU:C:2014:2455 =
SIS 15 00 09, Rz 46). Dies gilt
auch für den Direktanspruch (vgl. EuGH-Urteil HUMDA,
EU:C:2022:790 = SIS 22 18 77, Rz
28, mit Bezugnahme auf das EuGH-Urteil Astone vom 28.07.2016 -
C-332/15, EU:C:2016:614 = SIS 16 17 43, Rz 50).
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43
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Im Streitfall könnte danach in Betracht
kommen, der Klägerin den sog. Direktanspruch zu versagen, da
sie mehrere Jahre nach Durchführung der Lieferung, aber vor
Geltendmachung des Direktanspruchs erfahren hat, dass sich der
Insolvenzverwalter der E-GmbH nicht in Italien registrieren lassen
wird, die Erteilung einer Rechnung mit italienischer Umsatzsteuer
faktisch verweigert, woraus der Schluss zu ziehen sein dürfte,
dass der Insolvenzverwalter die gesetzlich geschuldete italienische
Umsatzsteuer in Italien nicht anmelden wird, was nach dem
italienischen Recht dort wohl zu einer Mehrwertsteuerhinterziehung
führen dürfte.
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44
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Dem könnte allerdings entgegenstehen,
dass diese Kenntnis erst nach Leistungsbezug erlangt worden
ist.
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45
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Dass die Klägerin bereits bei
Leistungsbezug wusste oder hätte wissen müssen, dass die
Boote in Italien liegen und daher eine Lieferung ohne
Beförderung (Art. 31 MwStSystRL) in Italien vorliegt, hat das
FA weder vorgetragen noch nachgewiesen.
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46
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3. Zur zweiten Vorlagefrage
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47
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a) Problemstellung
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48
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Unabhängig von der
grenzüberschreitenden Fragestellung ist zweifelhaft, an wen
die Finanzverwaltung die zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer in
Insolvenzfällen zu erstatten hat.
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49
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Der Senat versteht die Rechtsprechung zum
Direktanspruch in der Weise, dass eine rechtsgrundlos in der Kette
Rechnungsempfänger-Rechnungsaussteller-FA gezahlte Steuer
grundsätzlich ebenso entlang dieser Kette zurückzuzahlen
ist und dass ein Direktanspruch des Rechnungsempfängers gegen
das FA nur besteht, wenn diese Rückabwicklung in der Kette
aufgrund einer Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz des
Rechnungsausstellers nicht über diesen erfolgen kann.
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50
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Dabei hat sich der EuGH noch nicht mit der
Frage eines eventuellen Vorrangs der konkurrierenden
Rückzahlungsansprüche des Rechnungsempfängers und
des Rechnungsausstellers gegen das FA beschäftigt.
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51
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Berichtigt der Rechnungsaussteller den
Steuerausweis in der Rechnung, steht ihm dem Grunde nach ein
Rückforderungsanspruch gegen das FA in Bezug auf die bis zur
Berichtigung nach Art. 203 MwStSystRL geschuldete Steuer zu (vgl.
allgemein EuGH-Urteil Schmeink & Cofreth und Strobel vom 19.09.2000
- C-454/98, EU:C:2000:469 = SIS 00 12 77, Rz 70). Ist der Rechnungsaussteller zahlungsunfähig
oder insolvent, besteht zudem der sich aus der EuGH-Rechtsprechung
ergebende Direktanspruch des Rechnungsempfängers gegen das FA.
Das FA kann aber aus Sicht des vorlegenden Senats im Hinblick auf
eine nur einmal rechtsgrundlos erlangte Steuer nur einmal
rückzahlungsverpflichtet sein. Damit stellt sich die Frage, ob
dem Rückzahlungsanspruch des Rechnungsausstellers aufgrund der
Rechnungsberichtigung gegen das FA oder dem Direktanspruch des
Rechnungsempfängers gegen das FA Vorrang zukommt.
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Damit unterscheidet sich der Streitfall von
der derzeit beim EuGH anhängigen Rechtssache Schütte
C-453/22 (Vorlage durch FG Münster vom 27.06.2022 - 15 K
2327/20 AO, EFG 2022, 1577 = SIS 22 12 24).
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b) Lösungsmöglichkeiten
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Bei der Beantwortung dieser Frage könnte
zu berücksichtigen sein, dass der Direktanspruch des
Rechnungsempfängers entsteht, wenn die Rückzahlungskette
aufgrund der Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz des
Rechnungsausstellers gestört ist. Dies könnte dafür
sprechen, dem Direktanspruch Vorrang einzuräumen.
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Zu beachten sind zudem zeitliche
Besonderheiten, wie sie auch im Streitfall bestehen. So hat
vorliegend zuerst der Insolvenzverwalter aufgrund einer
Rechnungsberichtigung den Steuerberichtigungsanspruch gegen das FA
geltend gemacht und infolgedessen eine Zahlung in die
Insolvenzmasse erhalten, während die Klägerin den
Direktanspruch gegen das FA erst später geltend gemacht
hat.
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Jedenfalls dann, wenn das FA bei der
Rückzahlung aufgrund der Rechnungsberichtigung noch keine
Kenntnis von einem konkreten Direktanspruch hatte (und hiervon auch
keine Kenntnis haben konnte), kann es nicht zu einer zweiten
Zahlung verpflichtet sein.
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Hatte das FA hingegen zu diesem Zeitpunkt
bereits Kenntnis von einem konkreten Direktanspruch, könnte
davon auszugehen sein, dass das FA die Umsatzsteuer erst dann an
den Leistenden erstatten darf, wenn feststeht, dass es zu keinem
Direktanspruch des Leistungsempfängers gegen das FA kommen
wird, so dass das FA bei Verletzung dieser Obliegenheit den bereits
an den Leistenden erstatteten Betrag nochmals an den
Leistungsempfänger auszuzahlen hat.
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Zum anderen könnte unionsrechtlich der
sich aus einer Rechnungsberichtigung ergebende
Steuerberichtigungsanspruch des Rechnungsausstellers gegen das FA
davon abhängig zu machen sein, dass er den sich aus der
Rechnungsberichtigung ergebenden zivilrechtlichen
Rückzahlungsanspruch des Rechnungsempfängers erfüllt
hat. Zu einer Rechnungsberichtigung durch den Insolvenzverwalter
käme es dann wohl nicht mehr, da er zur Erlangung einer
Rückzahlung vom FA zuvor an den Rechnungsempfänger
erstatten müsste. Von einem derartigen Erfordernis ist der
Senat bereits in einem anderen Fall des Art. 203 MwStSystRL
ausgegangen, ohne jedoch über die sich hieraus für den
Direktanspruch ergebenden Auswirkungen zu entscheiden (vgl.
BFH-Urteil vom 16.05.2018 - XI R 28/16, BFHE 261, 451, BStBl II
2022, 570 = SIS 18 10 59).
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4. Nebenleistungen
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Aufgrund der Entscheidung des EuGH in der
Rechtssache HUMDA ist nicht mehr klärungsbedürftig, dass
die Steuerverwaltung verpflichtet ist, Zinsen auf den fraglichen
Betrag zu zahlen, wenn sie diese Erstattung nicht innerhalb
angemessener Frist nach entsprechender Aufforderung vorgenommen hat
(EuGH-Urteil HUMDA, EU:C:2022:790 = SIS 22 18 77, Rz 45).
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5. Entscheidungserheblichkeit
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Die Entscheidung im Streitfall hängt von
der Beantwortung der vorgelegten Fragen ab. Sollte der
Klägerin ein Direktanspruch zustehen, wäre der Klage
stattzugeben. Sollte er zu verneinen sein, wäre die Klage
abzuweisen.
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6. Rechtsgrundlage der Anrufung und
Nebenentscheidung
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Rechtsgrundlage für die Anrufung des EuGH
ist Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die Aussetzung des Revisionsverfahrens
beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der
Finanzgerichtsordnung.
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