Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 12.03.2019 - 15 K 1768/17 U =
SIS 19 04 95 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) erbrachte im Jahr 2014 (Streitjahr)
Supervisionsleistungen für verschiedene Auftraggeber, die
diese Leistungen für die bei ihnen beschäftigten
Arbeitnehmer in Anspruch nahmen.
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Vor Durchführung der Supervisionen
legte die Klägerin mit ihren Auftraggebern den Umfang der
durchzuführenden Supervisionssitzungen für die
Arbeitnehmer der Auftraggeber fest. Niederschriften über die
erbrachten Supervisionsleistungen wurden dem Auftraggeber nicht
übergeben, um zu gewährleisten, dass die jeweiligen
Sitzungen innerhalb eines geschützten Rahmens ohne zu
befürchtende Sanktionen des Auftraggebers stattfanden. Die
Klägerin protokollierte die durchgeführten Sitzungen mit
ihren wesentlichen Inhalten.
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Die Umsätze aus ihrer Tätigkeit
als Supervisorin erklärte die Klägerin in ihrer
Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2014 - wie auch in den
Vorjahren - in voller Höhe als nach § 4 Nr. 14 des
Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden
Fassung (UStG) steuerfrei.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) führte eine Außenprüfung bei
der Klägerin u.a. für das Streitjahr durch. Nach den
Feststellungen der Außenprüfung erbrachte die
Klägerin Supervisionsleistungen, die in Höhe von
14.117,80 EUR (2012), 26.170,30 EUR (2013) und 26.208,40 EUR (2014)
vergütet wurden. Daneben vereinnahmte die Klägerin aus
ihrer Lehrtätigkeit an einer Hochschule Honorare in Höhe
von 2.540 EUR (2012), 2.928 EUR (2013) und 4.920 EUR
(2014).
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Das FA vertrat im Umsatzsteuerbescheid
für das Streitjahr vom 16.11.2016 die Auffassung, dass die
Supervisionsleistungen weder nach nationalem Recht noch nach
Unionsrecht steuerfrei seien. Die für das Jahr 2013 geltende
Umsatzgrenze von 17.500 EUR (§ 19 Abs. 1 Satz 1 UStG) sei im
Jahr 2013 überschritten worden. Daher sei für das Jahr
2014 Umsatzsteuer festzusetzen. Der Einspruch blieb erfolglos
(Einspruchsentscheidung vom 15.05.2017).
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Das Finanzgericht (FG) gab mit seinem in
EFG 2019, 936 = SIS 19 04 95
veröffentlichten Urteil der Klage statt. Das FG war der
Ansicht, dass für die Umsätze der Klägerin im
Streitjahr nach § 19 UStG Umsatzsteuer nicht zu erheben sei.
Die Klägerin habe die Umsatzgrenzen des § 19 Abs. 1 Satz
1 UStG nicht überschritten und auf die Anwendung der
Kleinunternehmerregelung nicht verzichtet. Die
Supervisionsleistungen der Klägerin hätten weder im
Streitjahr noch im Vorjahr den Gesamtumsatz erhöht; denn die
Supervisionsleistungen seien nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der
Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) steuerfrei.
Insbesondere erbringe die Klägerin mit diesen Leistungen
Unterrichtstätigkeiten im Rahmen von Schul- und
Hochschulunterricht. Die Klägerin habe ihre Tätigkeit
auch als Privatlehrerin i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j
MwStSystRL ausgeübt.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Der Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) lege auch nach seinem Urteil
Dubrovin & Tröger – Aquatics vom 21.10.2021 - C-373/19
(EU:C:2021:873 = SIS 21 17 23)
weiterhin den Unterrichtsbegriff eng aus. Es handele sich bei den
Supervisionsleistungen der Klägerin um einen spezialisierten,
punktuell erteilten Unterricht, der nach der EuGH-Rechtsprechung
die Voraussetzungen für einen Schul- und Hochschulunterricht
nicht erfülle. Der Bereich der Fortbildung werde nicht von
Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL erfasst.
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Die Steuerbefreiung für
öffentlich-rechtliche und gleichgestellte Einrichtungen (Art.
132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) gehe dagegen darüber hinaus.
Sie umfasse auch die Aus- und Fortbildung sowie berufliche
Umschulung.
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Das FA beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die
Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten unter Hinweis
auf die hierfür maßgeblichen Gründe Gelegenheit zur
Stellungnahme.
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Das FG hat zu Recht entschieden, dass die
Voraussetzungen für die Kleinunternehmerregelung des § 19
Abs. 1 Satz 1 UStG im Streitjahr erfüllt sind, da die
Supervisionsleistungen der Klägerin von der Umsatzsteuer
befreit sind und daher nicht zum Gesamtumsatz (§ 19 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 UStG) zählen, wobei auch eine unionsrechtlich
begründete Steuerfreiheit zu beachten ist (Michel in
Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 19 UStG Rz
121, und Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz,
§ 19 Rz 110).
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1. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht
unstreitig, dass eine Steuerfreiheit nach nationalem Recht nicht in
Betracht kommt, da eine Anwendung von § 4 Nr. 21 Buchst. a
Doppelbuchst. bb UStG am dort genannten Bescheinigungserfordernis
und eine Anwendung von § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG an den dort
aufgeführten unternehmerbezogenen Voraussetzungen scheitert.
Ebenso kommt eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG nicht in
Betracht. Die Supervisionsleistungen sind keine Heilbehandlungen im
Bereich der Humanmedizin, da es hierfür nicht ausreicht, wenn
bei Supervisionen auch bei Heilbehandlungen eingesetzte Methoden
angewandt werden und diese auch der gesundheitlichen Prophylaxe
dienen können (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
30.06.2005 - V R 1/02, BFHE 210, 188, BStBl II 2005, 675 = SIS 05 36 35).
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2. Die Unterrichtsleistungen der Klägerin
sind aber gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL
steuerfrei. Diese Bestimmung befreit den von Privatlehrern
erteilten Schul- und Hochschulunterricht und weist damit eine
leistungs- und eine unternehmerbezogene Voraussetzung auf.
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a) Die Klägerin erfüllt die
leistungsbezogenen Voraussetzungen dieses Tatbestandes.
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aa) Aufgrund von Unterschieden in den
verschiedenen Sprachfassungen der Bestimmung erfasst die
Steuerfreiheit nach der EuGH-Rechtsprechung
„Unterrichtseinheiten, die von Unterrichtenden ... erteilt
werden und sich auf Schul- und Hochschulunterricht
beziehen“, wobei diese
Unterrichtseinheiten „die Vermittlung von Kenntnissen und
Fähigkeiten durch den Unterrichtenden an Schüler oder
Studierende im Rahmen einer Ausbildung im Hinblick auf die
Ausübung einer Berufstätigkeit
einschließen“ (EuGH-Urteil Eulitz vom
28.01.2010 - C-473/08, EU:C:2010:47 = SIS 10 02 41, Rz 21 ff., 33). Unerheblich ist dabei, dass
Buchst. j anders als Buchst. i des Art. 132 MwStSystRL neben dem
Schul- und Hochschulunterricht nicht ausdrücklich die Aus- und
Fortbildung erwähnt (EuGH-Urteil Eulitz, EU:C:2010:47 =
SIS 10 02 41, Rz 34). Es besteht
zudem keine Beschränkung auf Unterricht, der zu einer
Abschlussprüfung oder zur Erlangung einer Qualifikation
führt oder der eine Ausbildung im Hinblick auf die
Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt; vielmehr kann
der Unterricht auch andere Tätigkeiten einschließen
(vgl. EuGH-Urteil Eulitz, EU:C:2010:47 = SIS 10 02 41, Rz 29; BFH-Urteile vom 28.05.2013 - XI R 35/11, BFHE
242, 250, BStBl II 2013, 879 = SIS 13 22 89, Rz 42, m.w.N.).
Dementsprechend hat der BFH bereits ausdrücklich entschieden,
dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL auch Unterrichtseinheiten erfasst,
die sich auf Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung
beziehen, so dass danach auch Supervisionsleistungen steuerfrei
sein können (BFH-Urteile vom 20.03.2014 - V R 3/13, BFHE 245,
391 = SIS 14 15 62, Rz 19 f., und vom 24.01.2019 - V R 66/17,
BFH/NV 2019, 593 = SIS 19 05 31, Rz 10).
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bb) Danach liegen die leistungsbezogenen
Voraussetzungen für die Steuerfreiheit im Streitfall vor. Nach
den Feststellungen der Vorinstanz, die revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden sind (§ 118 Abs. 2 FGO), hat die Klägerin
Sozialarbeiter, Sozialpädagogen sowie andere in der Pflege
tätige Arbeitnehmer im Auftrag deren Arbeitgeber in ihrer
eigenen Handlungskompetenz insbesondere gegenüber den
jeweiligen Klienten geschult und weiterentwickelt. Dabei war der
Gegenstand der Supervisionseinheiten die Vermittlung im beruflichen
Alltag erforderlicher Kompetenzen, nicht die Lösung
persönlicher Probleme der Teilnehmer im Sinne einer Therapie.
Ziel der Tätigkeit der Klägerin war nach den
Feststellungen des FG an erster Stelle das gemeinsame Erarbeiten
von Lösungen und Handlungsmustern, die dazu befähigen
sollten, künftig im beruflichen Umfeld auftretende
Schwierigkeiten selbst oder gegenseitig kollegial zu
überwinden. Damit war nicht die Beratung für die
Bewältigung von konkreten Einzelfällen der Gegenstand der
Tätigkeit der Klägerin, sondern die Vermittlung
unterschiedlicher, für den beruflichen Alltag der Teilnehmer
erforderlicher Kompetenzen durch Reflektion bisheriger Erfahrungen
der teilnehmenden Personen. Die Leistungen der Klägerin
bezogen sich nach den tatsächlichen Feststellungen des FG auch
nicht auf Veranstaltungen mit bloßem Freizeitcharakter.
Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Auftraggeber der
Klägerin nicht die Teilnehmer der durch sie
durchgeführten Veranstaltungen selbst, sondern vielmehr deren
Arbeitgeber waren.
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cc) Auf die Anforderungen, die der EuGH an die Steuerfreiheit
des Schul- und Hochschulunterrichts i.S. des Art. 132 Abs. 1
Buchst. i und j MwStSystRL stellt (EuGH-Urteil Dubrovin &
Tröger – Aquatics, EU:C:2021:873 = SIS 21 17 23), kommt es im Streitfall
entgegen der Auffassung des FA nicht an, da sich die
Voraussetzungen nicht auf den gesondert zu betrachtenden Bereich
der Aus- und Fortbildung beziehen (zutreffend Alvermann/Esteves
Gomes in Wäger, UStG, 2. Aufl., § 4 Nr. 21 Rz 43).
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b) Der Unterricht wird zudem
unternehmerbezogen von einem Privatlehrer im Sinne dieser
Bestimmung erteilt, wenn der Lehrer Träger der
Bildungseinrichtung ist und für eigene Rechnung und in eigener
Verantwortung handelt (vgl. EuGH-Urteile Haderer vom 14.06.2007 -
C-445/05, EU:C:2007:344 = SIS 07 23 30, Rz 30; Eulitz, EU:C:2010:47 = SIS 10 02 41, Rz 52 ff.; BFH-Urteile vom
27.09.2007 - V R 75/03, BFHE 219, 250, BStBl II 2008, 323 = SIS 08 02 00, Rz 40; vom 15.12.2021 - XI R 3/20, BFH/NV 2022, 1010 = SIS 22 11 50, Rz 39, m.w.N.). Steuerfreie Unterrichtseinheiten
können auch mehreren Personen gleichzeitig erteilt werden
(vgl. EuGH-Urteil Haderer, EU:C:2007:344 = SIS 07 23 30, Rz 31).
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Danach war die Klägerin auch als
„Privatlehrerin“ i.S. des Art.
132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL tätig, da sie für eigene
Rechnung und in eigener Verantwortung handelte. Sie war auch
Trägerin der Bildungseinrichtung, da es den Auftraggebern der
Klägerin um die Aus- und Fortbildung des eigenen Personals
ging (vgl. BFH-Urteil in BFHE 245, 391 = SIS 14 15 62, Rz 24). Sie
haben die Leistungen der Klägerin nicht bezogen, um ihrerseits
entgeltliche Unterrichtsleistungen an ihre Arbeitnehmer zu
erbringen, sondern um als Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer
fortzubilden. Träger der Bildungseinrichtung, an der die
Fortbildungsmaßnahmen erbracht wurden, war daher die
Klägerin. Ohne Bedeutung ist daher im Streitfall, dass der
EuGH die Privatlehrereigenschaft grundsätzlich versagt, wenn
der Auftraggeber des Unterrichtenden die Leistung dazu verwendet,
als eigenständige Bildungseinrichtung entgeltliche
Unterrichtsleistungen zu erbringen (vgl. EuGH-Urteil Eulitz,
EU:C:2010:47 = SIS 10 02 41, Rz 52
ff.).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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