Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 12.06.2018 - 8
K 501/17 = SIS 19 01 49 wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die
Klägerin zu tragen.
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I. Streitig ist, ob bezüglich der
Erfassung von Bareinnahmen aus bargeldintensiven
Geschäftsbetrieben (insbesondere im Bereich der Gastronomie)
im Veranlagungszeitraum 2015 (Streitjahr) ein strukturelles
Vollzugsdefizit vorlag und deshalb die erzielten Bareinnahmen nur
teilweise der Besteuerung unterliegen.
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Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine im Jahr 2008
gegründete, zwischenzeitlich in der Rechtsform einer GmbH &
Co. KG tätige Personengesellschaft, betreibt mehrere
Gaststätten und Hotelbetriebe. Insbesondere die
Gaststätten gehören zum Bereich der sog.
bargeldintensiven Geschäftsbetriebe. Im Streitjahr erzielte
die Klägerin Netto-Umsatzerlöse in Höhe von
insgesamt rd. … EUR.
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Mit Bescheid für 2015 über die
gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen
(Gewinnfeststellungsbescheid) vom 20.02.2017 veranlagte der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die
Klägerin erklärungsgemäß und stellte u.a.
laufende gewerbliche Gesamthandseinkünfte in Höhe von ./.
… EUR fest.
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Mit ihrer hiergegen gerichteten Sprungklage
machte die Klägerin geltend, hinsichtlich der Erfassung von
Bareinnahmen bei bargeldintensiven Betrieben liege ein
strukturelles Vollzugsdefizit vor, das eine gleichmäßige
Besteuerung aller Marktteilnehmer verhindere. Der Gesetzgeber habe
dies zu verantworten. Die Besteuerung der von der Klägerin
erzielten Bareinnahmen in vollem Umfang verstoße daher gegen
den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Sie
schätze den Anteil der von ihr erklärten Einnahmen, die
verfassungswidrig versteuert würden, auf insgesamt 144.000
EUR. Sie habe im Streitjahr Nettoumsätze von rd. … EUR
erzielt. Gehe man mit der Studie der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2017 davon aus, dass
ein Anteil von mindestens 15 % hinterzogen werde, so ergebe sich
hieraus eine Differenz zum nicht versteuerten Umsatz eines
manipulierenden Marktteilnehmers von … EUR. Zur
Berücksichtigung des Anteils der unbar erzielten Einnahmen und
von anderen Unsicherheiten mache sie hiervon nur einen Anteil von
144.000 EUR klageweise geltend.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit
Urteil vom 12.06.2018 - 8 K 501/17 = SIS 19 01 49 ab. Der in der
mündlichen Verhandlung gestellte Antrag auf Vorlage des
Verfahrens an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sei
rechtsschutzgewährend dahin auszulegen, dass die Klägerin
zudem die Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids 2015 dahin
beantrage, dass der Verlust aus Gewerbebetrieb um 144.000 EUR
höher festgestellt werde. Das Ziel der Klägerin, ein
strukturelles Vollzugsdefizit festzustellen, lasse sich nach §
41 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorrangig durch
Anfechtungsklage erreichen. Die zulässige Sprungklage sei
jedoch unbegründet. Es liege kein strukturelles
Vollzugsdefizit vor. Bei der Besteuerung von Einnahmen aus
Gewerbebetrieben bestehe - trotz vorhandener Probleme bei der
Erhebung und Verifikation von Besteuerungsgrundlagen im Bereich der
bargeldintensiven Geschäftsbetriebe - kein struktureller
Erhebungsmangel. Die Klägerin weise zwar zutreffend darauf
hin, dass die bestehenden Möglichkeiten zur Manipulation von
Kassenaufzeichnungen ein ernstzunehmendes Problem für den
gleichmäßigen Steuervollzug darstellten. Entgegen der
Auffassung der Klägerin werde die Gleichheit im
Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des
Erhebungsverfahrens aber nicht prinzipiell verfehlt. Denn anders
als in den vom BVerfG entschiedenen Fällen zur Zinsbesteuerung
(BVerfG-Urteil vom 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239,
BStBl II 1991, 654 = SIS 91 14 01) und zu den
Spekulationsgeschäften (BVerfG-Urteil vom 09.03.2004 - 2 BvL
17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56 = SIS 04 13 59) bestehe
im Streitfall kein Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der
materiell pflichtbegründenden Steuernorm und einer nicht auf
Durchsetzung angelegten Erhebungsregel. Vielmehr liege im Bereich
der Gewinneinkünfte, zu denen auch die Einkünfte aus
Gewerbebetrieb gehörten, eine normative Gestaltung vor, die
gerade auf die Durchsetzung der pflichtbegründenden Steuernorm
abziele. Im Bereich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb bestehe
auch ein praktisch bedeutsames Entdeckungsrisiko bei
Manipulationen. Der Senat sei auch nicht davon überzeugt, dass
die Besteuerung der vollständigen Einnahmen aus
bargeldintensiven Betrieben aus politischen Gründen nicht
vollzogen werde. Das vorhandene Vollzugsdefizit liege im
Tatsächlichen und lasse sich nicht dem Gesetzgeber
zurechnen.
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Da die von der Klägerin begehrte
Rechtsfolge teilweiser Nichtbesteuerung von tatsächlich
erzielten Bareinnahmen ihrerseits zu einer verfassungswidrigen
Ungleichbehandlung führe, habe die Klage auch aus diesem Grund
keinen Erfolg. Im Ergebnis begehre die Klägerin, so behandelt
zu werden wie die Gewerbetreibenden, die unter Manipulation der
Kassendaten nach dem Gesetz geschuldete Steuern hinterziehen. Eine
Gleichheit im Unrecht dürfe aber nicht beansprucht
werden.
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Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision
rügt die Klägerin eine Verletzung des Gleichheitssatzes
des Art. 3 Abs. 1 GG. Zur Begründung führt sie im
Wesentlichen aus:
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Streitig sei, ob die fehlende gesetzliche
Verpflichtung zur Führung einer elektronischen Kasse ein
strukturelles Vollzugsdefizit auf Erhebungsebene verursache und
deshalb verfassungswidrig sei. Sie - die Klägerin - sei in
ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt, denn ihr bleibe aufgrund
der innerbetrieblichen Struktur nichts anderes übrig, als zur
Überwachung der Mitarbeiter und zur Ermittlung der
zutreffenden Besteuerungsgrundlagen eine elektronische
Registrierkasse einzusetzen. Demgegenüber könne jeder
Unternehmer ohne diese Zielsetzungen auf eine elektronische
Registrierkasse verzichten und lediglich eine offene Ladenkasse
führen mit der Folge, dass eine gleichmäßige
Steuerfestsetzung bei allen Marktteilnehmern ausgeschlossen sei.
Denn bei offenen Ladenkassen habe die Finanzbehörde keine
nennenswerten Möglichkeiten, den angegebenen Umsatz auf seinen
Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Jedenfalls blieben die
Prüfungsmöglichkeiten bei offenen Ladenkassen weit hinter
dem zurück, was bei Registrierkassen möglich sei. Dies
gelte auch für die sog. Kassen-Nachschau.
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Soweit das FG seine Ansicht, die
Nichteinführung einer Kassenpflicht sei nicht politisch
motiviert, darauf stütze, dass der Gesetzgeber 2016 das Gesetz
zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen
(DigGAufzMaSchG) vom 22.12.2016 (BGBl I 2016, 3152) erlassen und
somit auch Nachbesserungsversuche unternommen habe, übersehe
es, dass dieses Gesetz offene Ladenkassen gerade nicht erfasse.
Trotz Kenntnis des Vollzugsdefizits seit dem Jahr 2003 habe der
Gesetzgeber das Problem bei offenen Ladenkassen also auch im Jahr
2016 nicht geregelt.
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Die Klägerin beantragt,
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das FG-Urteil aufzuheben und den Bescheid
über die gesonderte und einheitliche Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen für 2015 vom 20.02.2017 dahin zu
ändern, dass der laufende Gesamthandsverlust um 144.000 EUR
höher festgestellt wird.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Das dem Verfahren beigetretene
Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat keinen Antrag
gestellt.
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II. Die Revision hat keinen Erfolg und ist
daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
FGO). Im Ergebnis zu Recht hat das FG das Klagebegehren der
Klägerin rechtsschutzgewährend als Anfechtungsklage
ausgelegt (dazu unter 1.). Zu Recht hat das FG diese Klage als
unbegründet abgewiesen (dazu unter 2. und 3.).
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1. Im Ergebnis zu Recht hat das FG den
Klageantrag der Klägerin rechtsschutzgewährend dahin
ausgelegt, dass sie (auch) beantragt - wie nun ausdrücklich
auch im Revisionsverfahren -, den Gewinnfeststellungsbescheid 2015
vom 20.02.2017 dahin zu ändern, dass der laufende
Gesamthandsverlust um 144.000 EUR höher festgestellt wird.
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a) In der mündlichen Verhandlung vor dem
FG hatte die Klägerin lediglich beantragt, das Verfahren nach
Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des
BVerfG einzuholen, ob § 15 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 und Abs. 3,
§ 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit Art. 3 Abs.
1 GG unvereinbar und nichtig ist, soweit „er“
bargeldintensive Gewerbebetriebe, insbesondere der Gastronomie,
betrifft. Bei diesem Antrag handelt es sich jedoch nicht um einen
Sachantrag, über den das FG befinden muss, sondern lediglich
um eine Anregung an das Gericht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 01.04.1981 - I R 27/79, BFHE 133, 386, BStBl II 1981, 660
= SIS 81 22 11, unter IV. [Rz 24]). Ob das FG sein Verfahren
aussetzen und nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem BVerfG die Frage
der Verfassungswidrigkeit einer Norm zur Prüfung vorlegen
muss, richtet sich allein danach, ob das FG davon überzeugt
ist, dass eine seiner Ansicht nach für den Streitfall
entscheidungserhebliche Norm verfassungswidrig ist.
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b) Hat ein Kläger keinen
ausdrücklichen Sachantrag gestellt, muss das FG sein
Klagebegehren anhand seines Vorbringens ermitteln.
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Die Klägerin begehrt die Feststellung
eines strukturellen Vollzugsdefizits. Ungeachtet der Tatsache, dass
auch diese Feststellung (was auch die Klägerin nicht
bestreitet) allein dem BVerfG vorbehalten ist, ist das FG im
Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass eine solche
Feststellungsklage unzulässig wäre. Dies ergibt sich
bereits daraus, dass sie nicht, wie dies nach § 41 Abs. 1 FGO
erforderlich wäre, auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines
Rechtsverhältnisses gerichtet wäre, sondern auf die
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Norm. Zudem wäre
sie, worauf das FG zu Recht hingewiesen hat, auch deshalb
unzulässig, weil der Klägerin zur Erreichung ihres Ziels
vorrangig die Anfechtungsklage zur Verfügung steht. Denn
letztlich begehrt die Klägerin, so gestellt zu werden wie sie
stünde, wenn das von ihr behauptete Vollzugsdefizit
tatsächlich gegeben wäre. Für diesen Fall geht sie
davon aus, dass dann ihr laufender Gesamthandsgewinn (mindestens)
um den Betrag von 144.000 EUR zu mindern sei, sich der bislang im
Gewinnfeststellungsbescheid festgestellte laufende
Gesamthandsverlust also entsprechend erhöhte. Insoweit hat das
FG im Ergebnis zu Recht ihr Klagebegehren als Anfechtungsklage
gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 2015 ausgelegt und nur diese
Klageart für statthaft gehalten.
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c) Ausgehend von den dargestellten
Grundsätzen widerspricht das Urteil des FG daher, anders als
die Klägerin meint, nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen,
wenn es einerseits die von der Klägerin in erster Linie
begehrte Feststellungsklage im Hinblick auf § 41 Abs. 2 FGO
für unzulässig hält, die seiner Ansicht nach
vorrangige Anfechtungsklage dann aber (auch) mit der
Begründung als unbegründet abweist, dass die
Klägerin keinen Anspruch auf „Gleichheit im
Unrecht“ habe. Insoweit übersieht die Klägerin
zum einen, dass die von ihr für statthaft gehaltene
Feststellungsklage in jedem Fall bereits unzulässig gewesen
wäre, und zudem, dass das FG im Rahmen der Anfechtungsklage -
wie von der Klägerin begehrt - geprüft hat, ob das nach
Ansicht der Klägerin gegebene Vollzugsdefizit besteht.
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2. Zu Recht hat das FG die Klage als
unbegründet abgewiesen. Der angegriffene
Gewinnfeststellungsbescheid ist rechtmäßig.
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Auch der erkennende Senat ist nicht davon
überzeugt, dass im Streitjahr 2015 hinsichtlich der Erfassung
von Bareinnahmen bei Einkünften aus Gewerbebetrieb bei
bargeldintensiven Betrieben, insbesondere bei solchen der
Gastronomie, ein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles
Vollzugsdefizit bestand, das zur (ggf. partiellen) Nichtigkeit der
materiellen Steuernorm hätte führen können. Eine
Aussetzung des Verfahrens und Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1
GG kommt danach nicht in Betracht.
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a) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im
Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. Die
Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein
Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig
belastet werden (BVerfG-Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12,
BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50 = SIS 15 00 45, Rz 123, und
BVerfG-Beschluss vom 24.03.2015 - 1 BvR 2880/11, BVerfGE 139, 1,
BStBl II 2015, 622 = SIS 15 10 36, Rz 40, jeweils m.w.N.). Wird die
Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des
Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die
Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach
sich ziehen (BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56 =
SIS 04 13 59, unter C.II.1.).
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Nach dem Gebot tatsächlich gleicher
Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug begründet eine
in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende strukturell
gegenläufige Erhebungsregel im Zusammenwirken mit der zu
vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit.
Strukturell gegenläufig wirken sich Erhebungsregelungen
gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu
führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht
durchgesetzt werden kann. Die Frage, ob der Gesetzgeber von ihm
erstrebte Ziele - im Steuerrecht die Erzielung von Einnahmen, ggf.
auch Lenkung - faktisch erreicht, ist rechtsstaatlich allein noch
nicht entscheidend. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder
vorkommen können und sich tatsächlich ereignen,
führen allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der
materiellen Steuernorm. Verfassungsrechtlich verboten ist jedoch
der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell
pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung
dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit
führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von
Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des
widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts.
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Daraus folgt eine nicht durch
gesamtwirtschaftliche Erwägungen relativierbare Pflicht des
Gesetzgebers, zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit des
materiellen Steuergesetzes dieses in ein normatives Umfeld
einzubetten, das die tatsächliche Lastengleichheit der
Steuerpflichtigen gewährleistet - mit dem Instrument des
Quellenabzugs oder im Veranlagungsverfahren mit der Ergänzung
des Deklarationsprinzips durch das Verifikationsprinzip (vgl. dazu
BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56 = SIS 04 13 59,
unter C.II.1., m.w.N.).
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b) Für die Prüfung, ob normative
Defizite einen gleichmäßigen Belastungserfolg
verhindern, ist maßgeblich auf den Regelfall des
Besteuerungsverfahrens abzustellen. Unabhängig von der
Möglichkeit der Quantifizierung nicht erfasster steuerbarer
Einkünfte hängt die Feststellung eines strukturellen
Vollzugsdefizits im verfassungsrechtlichen Sinn ganz wesentlich
davon ab, wie weit beim Vollzug einer bestimmten materiellen
Steuernorm die Erhebungsform oder die Besteuerungspraxis im Rahmen
gewöhnlicher Verwaltungsabläufe im Massenverfahren der
Finanzämter im Großen und Ganzen auf Gleichheit im
Belastungserfolg angelegt ist und wie weit insbesondere auch
unzulängliche Erklärungen der Steuerpflichtigen mit einem
angemessenen Entdeckungsrisiko verbunden sind. Dabei ist zu
berücksichtigen, ob besondere Verifikationsinstrumente wie
etwa die Außenprüfung hinsichtlich der betreffenden
Einkünfte regelmäßig zur Anwendung kommen oder eher
die seltene Ausnahme darstellen. Lässt sich der Regelfall
aufgrund einer Analyse der verfahrensrechtlichen Strukturen des
Besteuerungsverfahrens und aufgrund von empirischen Erkenntnissen
über die Veranlagungspraxis ausreichend zuverlässig so
beschreiben, dass bestimmte Einkünfte materiell-rechtlich
zutreffend nur bei einer qualifizierten Erklärungsbereitschaft
des Steuerpflichtigen erfasst werden und ein Fehlverhalten bei der
Erklärung ohne ein praktisch bedeutsames Entdeckungsrisiko
möglich bleibt, dann liefert bereits dies hinreichende
Grundlagen für die Feststellung einer im Gesetz strukturell
angelegten Ungleichmäßigkeit der Rechtsanwendung.
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Wenn die Finanzverwaltung wegen einer
bestimmten materiellen Norm generell verschärft prüfen
muss, um überhaupt einen annähernd
gleichmäßigen Belastungserfolg erreichen zu können,
kann dies Indiz für das Bestehen defizitärer
Erhebungsstrukturen sein. Die Form der Steuererhebung und - in
Ergänzung des Deklarationsprinzips - das behördliche
Kontrollinstrumentarium haben somit der materiellen Steuernorm
regelmäßig so zu entsprechen, dass deren
gleichheitsgerechter Vollzug im Massenverfahren der Veranlagung
möglich ist, ohne unverhältnismäßige
Mitwirkungsbeiträge der Steuerpflichtigen oder
übermäßigen Ermittlungsaufwand der
Finanzbehörden zu fordern.
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c) Bei der Beurteilung der Frage, ob in einem
bestimmten Veranlagungszeitraum ein strukturelles Vollzugsdefizit
besteht, sind sowohl faktische als auch normative
Veränderungen zu berücksichtigen, die zusätzliche
Anreize zur ordnungsgemäßen Erfüllung der
Erklärungspflichten geschaffen haben und die das
Entdeckungsrisiko für den Steuerpflichtigen bei der Abgabe
mangelhafter Erklärungen erhöht haben. In zeitlicher
Hinsicht sind dabei grundsätzlich alle solche
Veränderungen in die Betrachtung einzubeziehen, die sich
typischerweise auf den Vollzug innerhalb der allgemeinen
vierjährigen Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
der Abgabenordnung - AO - ) auswirken konnten, denn
regelmäßig müsste ein hinreichend effektiver
Vollzug innerhalb dieser Frist gelingen (z.B. BVerfG-Beschluss vom
10.01.2008 - 2 BvR 294/06, DStR 2008, 197 = SIS 08 10 38, unter
B.I.2.).
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Ebenso sind Nachbesserungsversuche zu
würdigen, welche die Finanzverwaltung nach dem Erkennen eines
tatsächlichen Vollzugsdefizits ergriffen hat. Art,
Ausmaß und Erfolg der Abweichung von der bisherigen
Veranlagungspraxis können Hinweise dazu liefern, ob das
für den Regelfall der Veranlagung zur Verfügung stehende
Instrumentarium bislang nur unzureichend angewendet worden ist oder
ob es sich bei den „Nachbesserungen“ um
Maßnahmen handelt, auf welche der normale Vollzug nicht
angelegt ist und nicht angelegt sein kann (z.B. BVerfG-Urteil in
BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56 = SIS 04 13 59, unter
C.II.2.d).
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d) Ein strukturelles Vollzugsdefizit stellt
eine ganz außergewöhnliche Rechtsfolge mangelnder
Effektivität des Rechts dar (vgl. BVerfG-Beschlüsse in
DStR 2008, 197 = SIS 08 10 38, unter B.I.3., und vom 10.03.2008 - 2
BvR 2077/05, HFR - HFR - 2008, 852 = SIS 08 25 84, unter B.I.3.a
aa).
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3. Ausgehend von den dargestellten
Grundsätzen bestand im Streitjahr (2015) hinsichtlich der
Erfassung von Bareinnahmen bei Einkünften aus Gewerbebetrieb
(auch) bei
bargeldintensiven Betrieben insbesondere im Bereich der
Gastronomie kein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles
Vollzugsdefizit, das zur Nichtigkeit des § 15 EStG bezogen auf
die Besteuerung des Betriebs der Klägerin hätte
führen können. Insoweit nimmt der Senat zunächst auf
die ausführliche Begründung des FG Bezug, die er für
zutreffend hält. Das gilt auch unter Berücksichtigung des
Umstandes, dass es der Klägerin im Revisionsverfahren allein
(noch) um die Feststellung eines ihrer Ansicht nach gegebenen
strukturellen Erhebungsdefizits bei Marktteilnehmern mit offener
Ladenkasse im Vergleich zu solchen mit einer Registrierkasse geht.
Der Senat teilt auch insoweit die Auffassung des FG, dass - trotz
bestehender Probleme bei der Erhebung und Verifikation von
Besteuerungsgrundlagen im Bereich der bargeldintensiven
Geschäftsbetriebe, insbesondere in der Gastronomie - im
Streitjahr kein struktureller, dem Gesetzgeber zuzurechnender
Erhebungsmangel besteht.
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a) Mit dem FG und der Klägerin geht auch
der Senat davon aus, dass die Möglichkeiten zur Manipulation
von Kassenaufzeichnungen ein ernstzunehmendes Problem für den
gleichmäßigen Steuervollzug darstellen; dies galt auch
bereits im Streitjahr.
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b) Zu Recht hat das FG aber ausgeführt,
dass die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche
Gestaltung des Erhebungsverfahrens - auch im Streitjahr - nicht
prinzipiell verfehlt wurde.
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aa) Auch die Klägerin behauptet nicht,
dass im Streitjahr eine strukturell gegenläufige, dem
Gesetzgeber zuzurechnende Erhebungsregelung vorgelegen habe, wie
sie das BVerfG in seinem Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991,
654 = SIS 91 14 01 (zur Verfassungswidrigkeit der Zinsbesteuerung)
in dem BMF-Schreiben vom 31.08.1979 - IV A 7 - S 0230 - 11/79
(BStBl I 1979, 590, sog. Bankenerlass 1979) und in seinem Urteil in
BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56 = SIS 04 13 59 (zur
Verfassungswidrigkeit von Spekulationsgeschäften) in §
30a AO a.F. gesehen hat.
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bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin
wurde die Gleichheit im Belastungserfolg im Streitjahr durch die
rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens aber auch im
Übrigen nicht prinzipiell verfehlt. Vielmehr lag auch im
Streitjahr selbst für bargeldintensive Betriebe im Bereich der
Gastronomie eine normative Gestaltung vor, die gerade auf die
Durchsetzung der pflichtbegründenden Steuernorm abzielt (dazu
(1)). Es bestand - anders als die Klägerin meint - auch im
Streitjahr selbst für Betreiber einer offenen Ladenkasse ein
angemessenes Entdeckungsrisiko bei Manipulationen (dazu (2)).
Ein etwa gleichwohl
bestehendes Vollzugsdefizit im Bereich der bargeldintensiven
Betriebe mit offener Ladenkasse lag im Streitjahr jedenfalls allein
im Tatsächlichen und ist dem Gesetzgeber nicht zuzurechnen
(dazu (3)). Dies entbindet den Gesetzgeber allerdings nicht von
seiner generell bestehenden Beobachtungs- und etwaigen
Nachbesserungspflicht (dazu (5)).
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(1) Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen,
dass Steuerpflichtige mit Einkünften aus Gewerbebetrieb auch
im Streitjahr bereits umfangreichen Erklärungspflichten
unterlagen, die von der zwingenden Abgabe einer
Steuererklärung mit einer Anlage EÜR bis zur Abgabe einer
Bilanz reichen (vgl. § 25 EStG, § 60 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung), und dass diese
Regelungen bereits damals flankiert wurden von umfangreichen
Anzeige-, Aufzeichnungs- und (Beleg-)Aufbewahrungspflichten (z.B.
§ 137, §§ 140 ff., §§ 147 ff. AO; ebenso
§ 22 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - ), die zur Verifikation
herangezogen werden können und ggf. Anlass zu weiteren
Ermittlungen - z.B. im Rahmen von Außenprüfungen - im
Hinblick auf Manipulationen ergeben.
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(2) Es bestand auch bereits im Streitjahr ein
erhöhtes Entdeckungsrisiko selbst für bargeldintensive
Betriebe mit offener Ladenkasse.
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(2.1) So war bereits damals eine
Außenprüfung ohne weitere Voraussetzung und nicht nur
ausnahmsweise zulässig (vgl. § 193 Abs. 1 AO; so auch
BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56 = SIS 04 13 59,
unter C.III.3.a dd, und BVerfG-Beschluss in HFR 2008, 852, unter
B.I.3.a aa).
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Zu Recht hat das FG darauf hingewiesen, dass
sich - auch - bei den bargeldintensiven Gewerbebetrieben Hinweise
regelmäßig auch aus einer Umsatzsteuer-Nachschau (§
27b UStG) ergeben können, so dass sich die Steuerpflichtigen
nicht ohne weiteres darauf verlassen können, dass nach einer
Außenprüfung für mindestens 70 Jahre keine weitere
Prüfung erfolgt. Soweit die Klägerin geltend macht, dass
die Möglichkeit der Umsatzsteuer-Nachschau (§ 27b UStG)
regelmäßig ins Leere laufe, da der Großteil der
Betreiber mit offenen Ladenkassen als Kleinunternehmer i.S. des
§ 19 UStG nicht umsatzsteuerpflichtig sei und Betriebe gerade
mithilfe der offenen Ladenkasse unterhalb der dafür
erforderlichen Grenzen bleiben könnten, kann sich der Senat
dem nicht anschließen. Nach der im Streitjahr geltenden
Fassung des § 19 UStG wurden als sog. Kleinunternehmer nur
solche Steuerpflichtige erfasst, deren Umsatz zzgl. der darauf
entfallenden Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 EUR
nicht überstiegen hatte und im laufenden Kalenderjahr 50.000
EUR voraussichtlich nicht übersteigen würde. Dass es im
hier allein streitigen Bereich der Gastronomie im Streitjahr in
erheblichem Umfang nur Kleinunternehmer gab, weshalb die
Möglichkeit der Umsatzsteuer-Nachschau regelmäßig
nicht von Bedeutung gewesen sei, ist nicht ersichtlich.
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Zudem war es der Finanzverwaltung auch im
Streitjahr bereits ohne weiteres möglich, bargeldintensive
Betriebe verstärkt zu prüfen. So konnte sie auch schon
damals z.B. einen Prüfungsschwerpunkt für solche
bargeldintensiven Betriebe bilden, die eine offene Ladenkasse
führen.
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Dass die Möglichkeit der Verifikation von
Angaben eines Steuerpflichtigen regelmäßig von der
Anzahl der für diese Aufgaben vorgesehenen Mitarbeiter
abhängt, ist kein spezifisches Problem der Effektivität
der Besteuerung von bargeldintensiven Betrieben mit offener
Ladenkasse, sondern eine generelle Frage der Personalpolitik der
Finanzbehörden. Das Fehlen von Personal, um die dem Grunde
nach möglichen Verifikationen durchführen zu können,
ist dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht zuzurechnen.
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(2.2) Zu Recht hat das FG des Weiteren darauf
hingewiesen, dass es auch im Streitjahr mit Methoden wie z.B. dem
Chi-Quadrat-Test bereits Möglichkeiten gab, selbst bei
bargeldintensiven Betrieben mit offener Ladenkasse Manipulationen
aufzudecken. So hat den Feststellungen des FG zufolge auch der in
der mündlichen Verhandlung vor dem FG anwesende
Kassensystemprüfer glaubhaft angegeben, er selbst habe trotz
genauer Kenntnis des Tests keine manipulierte Buchführung
erstellen können, die den Test bestanden hätte.
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(2.3) Das FG hat auch zu Recht darauf
abgestellt, dass den Veranlagungsstellen - anders als in den vom
BVerfG entschiedenen Fällen zur Zinsbesteuerung und zu den
Spekulationsgeschäften - auch Kontrollmaterialien zur
Verfügung stehen, die zur Verifikation der erklärten
Einkünfte herangezogen werden können, wie etwa die
Verprobung der erklärten Daten mit den Daten der Vorjahre oder
anhand der jährlich aktualisierten Richtsatzsammlungen.
Darüber hinaus musste der Gesetzgeber im Streitjahr auch noch
nicht davon ausgehen, dass eine Vollschätzung selbst dann
nicht möglich sein werde, wenn die Aufzeichnungen eines
Steuerpflichtigen, der eine offene Ladenkasse führt und seinen
Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, nicht die Gewähr
ihrer inhaltlichen Vollständigkeit bieten. Denn erst mit
Beschluss vom 12.07.2017 - X B 16/17 (BFHE 257, 523 = SIS 17 12 77,
Rz 86) - und damit deutlich nach dem Streitjahr - hat der X. Senat
des BFH - und auch nur bei summarischer Betrachtung im Rahmen eines
vorläufigen Rechtsschutzverfahrens - ausgeführt, dass aus
dem Umstand, dass es bei Führung einer offenen Ladenkasse und
Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG systembedingt keine
Vollständigkeitsgewähr geben könne, keine Befugnis
zur Vollschätzung abgeleitet werden könne. Dabei hat der
X. Senat jedoch zugleich ausdrücklich offen gelassen, ob die
bisherigen Rechtsprechungsvorgaben an die Form und den Inhalt von
Aufzeichnungen in Fällen der Gewinnermittlung durch
Einnahmen-Überschussrechnung und der Verwendung einer offenen
Ladenkasse unzureichend sind und daher noch für die Zeit vor
Inkrafttreten des DigGAufzMaSchG (dazu auch unter II.3.b bb (2.4) und (3)) einer
Verschärfung bedürften.
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Dahinstehen kann, welche Bedeutung
Kontrollmitteilungen in bargeldintensiven Betrieben insbesondere im
Bereich der Gastronomie im Hinblick darauf zukommt, dass der
Unternehmer eine Aufdeckung von Steuerhinterziehungen durch
Kontrollmitteilungen in gewissem Umfang dadurch umgehen kann, dass
er einen Teil seiner Ware bei Supermärkten gegen Barzahlung
erwirbt. Selbst wenn die Anzahl von Kontrollmitteilungen in diesem
Bereich geringer ist als in anderen Bereichen, besteht sie
jedenfalls dem Grunde nach und unterliegt keinen gesetzlichen
Beschränkungen. Insoweit besteht, worauf das FG zutreffend
hingewiesen hat, ein grundlegender Unterschied zu der Situation,
wie sie infolge des sog. „Verbots von
Kontrollmitteilungen“ bei der Prüfung von Banken in
Bezug auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus
Spekulationsgeschäften bestand, über die das BVerfG in
den Urteilen in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 = SIS 91 14 01
und in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56 = SIS 04 13 59 (dort
unter C.III.3.a dd (2) (a)) zu entscheiden hatte.
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(2.4) Wie oben dargelegt, sind bei der
Beurteilung der Frage, ob ein strukturelles Vollzugsdefizit
vorliegt, sowohl faktische als auch normative Veränderungen zu
berücksichtigen, die zwar erst nach dem Streitjahr in Kraft
getreten sind, die sich aber typischerweise auf den Vollzug
innerhalb der allgemeinen vierjährigen Festsetzungsfrist
auswirken konnten (vgl. BVerfG-Beschlüsse in DStR 2008, 197 =
SIS 08 10 38, unter B.I.2., und in HFR 2008, 852, unter B.I.2.). Zu
Recht hat das FG eine solche Regelung in der Kassen-Nachschau
gemäß § 146b AO i.d.F. des DigGAufzMaSchG
(nachfolgend: AO n.F.) gesehen. Nach dieser Vorschrift, die mit
Wirkung ab dem 01.01.2018 eingeführt wurde (vgl. Art. 97
§ 30 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung)
und damit im Rahmen der geltenden Festsetzungsfristen aufgrund von
Feststellungen ab dem Jahr 2018 auch Rückschlüsse auf
Verhältnisse im Streitjahr ermöglicht, können die
damit betrauten Amtsträger der Finanzbehörde ohne
vorherige Ankündigung während der üblichen
Geschäftszeiten die Geschäftsräume von
Steuerpflichtigen betreten, um für die Besteuerung erhebliche
Sachverhalte (z.B. die ordnungsgemäße Erfassung von
Bareinnahmen) festzustellen (§ 146b Abs. 1 Satz 1 AO n.F.),
und bei Beanstandungen ohne vorherige Prüfungsanordnung zu
einer Außenprüfung übergehen (§ 146b Abs. 3 AO
n.F.). Werden offene Ladenkassen verwendet, kann der
Amtsträger zur Prüfung der ordnungsgemäßen
Kassenaufzeichnungen einen sog. „Kassensturz“
verlangen und sich die Aufzeichnungen der Vortage vorlegen lassen
(z.B. BR-Drucks. 407/16, S. 19 bzw. BTDrucks 18/9535, S. 23). Die
Kassen-Nachschau nach § 146b AO n.F. stellt danach - entgegen
der Auffassung der Klägerin - ein Instrument zur wirksamen
Kontrolle der Vollständigkeit der Ursprungsaufzeichnungen dar
(vgl. auch BFH-Beschluss in BFHE 257, 523 = SIS 17 12 77, Rz 87).
Soweit für den Streitfall von Bedeutung, hat der Gesetzgeber
mit der Einführung der Kassen-Nachschau damit jedenfalls ein
Instrument geschaffen, von dem er annehmen durfte (vgl. BR-Drucks.
407/16, S. 6 und 18 f. bzw. BT-Drucks. 18/9535, S. 12 und 22 f.,
BT-Drucks. 18/9957, S. 4), dass es auch bei bargeldintensiven
Betrieben mit offener Ladenkasse zu einer deutlichen Erhöhung
des Entdeckungsrisikos von Manipulationen führen
würde.
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(3) Selbst wenn man davon ausgeht, dass im
Streitjahr ein (tatsächliches) Vollzugsdefizit bestanden hat,
ist ein solches dem Gesetzgeber jedenfalls nicht zuzurechnen. Denn
die im Streitjahr geltenden Normen waren - anders als in den vom
BVerfG entschiedenen Fällen zur Zinsbesteuerung und zu den
Spekulationsgeschäften - nicht widersprüchlich auf
Ineffektivität angelegt. Dabei kann dahinstehen, ob ein
normatives Gefüge im Sinne der dargestellten Rechtsprechung
des BVerfG überhaupt dadurch „widersprüchlich
auf Ineffektivität angelegt“ sein kann, dass der
Gesetzgeber es unterlässt, effektivere Erhebungsregeln zu
erlassen, mit anderen Worten, ob die ganz
außergewöhnliche Rechtsfolge mangelnder
Effektivität des Rechts auch durch ein bloßes
gesetzgeberisches Unterlassen ausgelöst werden kann. Denn die
im Streitjahr geltenden Erhebungsregeln waren, wie dargelegt,
jedenfalls nicht derart ineffektiv, dass ein Unterlassen weiterer
Regelungen bezüglich der Besteuerung von Betrieben mit offener
Ladenkasse im Bereich der Gastronomie dem Gesetzgeber bereits
für das Streitjahr als strukturelles Vollzugsdefizit
angelastet werden könnte.
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Soweit die Klägerin ausführlich
darlegt, welche gesetzgeberischen Maßnahmen nach ihrer
Ansicht zur Beseitigung eines angeblich bereits im Streitjahr
bestehenden strukturellen Vollzugsdefizits geboten wären,
setzt sie ihre Meinung an die Stelle der im Gesetzgebungsverfahren
unter Kenntnis der verschiedenen Stellungnahmen zu einem
Gesetzentwurf gebildeten Meinung des Gesetzgebers. Es ist aber,
worauf das FG zutreffend hingewiesen hat, grundsätzlich
Aufgabe des Gesetzgebers, die Gegenstände und den Umfang
steuerlicher Belastung sowie die Erhebungsinstrumentarien in
Übereinstimmung mit seinen wirtschaftspolitischen Zielen
auszuwählen. Die Frage, welche gesetzlichen Maßnahmen
für die Beseitigung bestehender Probleme ausreichend,
zweckmäßig und sinnvoll sind, ist der gerichtlichen
Prüfung grundsätzlich entzogen.
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Insoweit ist im Streitfall auch zu
berücksichtigen, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die
Problematik der
vollständigen Einnahmenerfassung im Bereich bargeldintensiver
Betriebe nicht untätig geblieben ist. Er hat zwar erst mit
dem bereits erwähnten DigGAufzMaSchG gesetzliche Regelungen zur
Beseitigung dieser Problematik erlassen, obwohl das Problem der
vollständigen Einnahmenerfassung im Bereich bargeldintensiver
Betriebe schon seit längerem bekannt war. Zu Recht weist das
FG allerdings darauf hin, dass bei der Feststellung eines
strukturellen Erhebungsdefizits auch Nachbesserungsversuche zu
würdigen sind, die die Finanzverwaltung nach dem Erkennen
eines tatsächlichen Vollzugsdefizits ergriffen hat (vgl.
BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56 = SIS 04 13 59,
unter C.II.2.d), und dass solche Maßnahmen insbesondere in
Gestalt der BMF-Schreiben vom 16.07.2001 - IV D 2 - S 0316 - 136/01
(BStBl I 2001, 415 = SIS 01 10 02) über die Grundsätze
zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen, vom
26.11.2010 - IV A 4-S 0316/08/10004-07 (BStBl I 2010, 1342 = SIS 10 38 65) zur Aufbewahrung digitaler Unterlagen bei Bargeschäften
und vom 14.11.2014 - IV A 4-S 0316/13/10003 (BStBl I 2014, 1450 =
SIS 14 30 79) über die Grundsätze zur
ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von
Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form
sowie zum Datenzugriff auch ergriffen wurden. Der Gesetzgeber hat
anschließend in angemessener Zeit nach der Erkenntnis, dass
die dargestellten Maßnahmen der Finanzverwaltung den Vollzug
im Bereich der Registrierkassen nicht wesentlich verbessert haben,
mit dem DigGAufzMaSchG auch grundlegende Maßnahmen ergriffen.
Dass er sich dabei zunächst im Wesentlichen auf Regelungen zum
Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen beim
Einsatz von Registrierkassen konzentriert und den Einsatz von
offenen Ladenkassen nicht unterbunden hat, ist verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden. Vielmehr fällt es in die weitreichende
Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers, welche gesetzlichen
Maßnahmen für die Beseitigung bestehender Probleme er
für ausreichend, zweckmäßig und sinnvoll hält.
Im Übrigen geht die Begründung des DigGAufzMaSchG
ausdrücklich davon aus, dass insbesondere die darin bestimmte
Einführung einer Kassen-Nachschau der zeitnahen
Aufklärung steuererheblicher Sachverhalte im Zusammenhang mit
der ordnungsgemäßen Erfassung von
Geschäftsvorfällen (auch) mittels offener Ladenkassen
dienen soll (vgl. BR-Drucks. 407/16, S. 6 und 18 f. bzw. BT-Drucks.
18/9535, S. 12 und 22 f.). Insoweit steht es dem Gesetzgeber frei,
die Wirksamkeit der von ihm ergriffenen Maßnahmen erst einmal
zu beobachten (dazu auch unter II.3.b bb (5)).
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(4) Dahinstehen kann, ob jenseits eines
normativen Erhebungsdefizits ein verfassungsrechtlich bedeutsames
strukturelles Vollzugsdefizit auch darin bestehen kann, dass die
Besteuerung aus politischen Gründen nicht vollzogen wird (vgl.
BFH-Urteil vom 29.11.2005 - IX R 49/04, BFHE 211, 330, BStBl II
2006, 178 = SIS 06 06 75; BFH-Beschlüsse vom 19.12.2007 - IX B 219/07, BFHE 219, 353, BStBl II
2008, 382 = SIS 08 08 15, und vom
16.06.2011 - XI B 120/10 = SIS 11 29 80). Denn Anhaltspunkte
für ein solches Vollzugsdefizit sind nicht ersichtlich.
Insoweit weist das FG zutreffend darauf hin, dass sich ein solches
- entgegen der Auffassung der Klägerin - insbesondere nicht
aus den verschiedenen schriftlichen und mündlichen
Stellungnahmen von Behörden und Interessenverbänden im
Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Entwurf des
DigGAufzMaSchG (vgl. Deutscher Bundestag, Finanzausschuss,
Protokoll Nr. 18/89 vom 17.10.2016, das sämtliche
schriftlichen Stellungnahmen enthält) ergibt, da die
Anhörung und die verschiedenen - naturgemäß
interessengetriebenen - Stellungnahmen der unterschiedlichen
Interessenverbände gerade Ausdruck des Prozesses der
politischen Meinungsbildung im Rahmen der Gesetzgebung sind.
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(5) Auch wenn danach im Streitjahr nach
Ansicht des erkennenden Senats kein strukturelles Vollzugsdefizit
im Bereich der bargeldintensiven Betriebe mit offener Ladenkasse
vorlag, entbindet dies den Gesetzgeber nicht von seiner Pflicht,
die offensichtlich bestehenden tatsächlichen Vollzugsprobleme
bei der Besteuerung von Betrieben mit offenen Ladenkassen
insbesondere im Bereich der Gastronomie sorgsam zu beobachten und
alsbald zu prüfen, ob die seit 2016 ergriffenen
gesetzgeberischen Maßnahmen zu einer Verbesserung des
Vollzugs auch in diesem Bereich geführt haben. Bei der danach
erforderlichen Evaluierung kann ggf. auch die fortschreitende
Digitalisierung zu berücksichtigen sein.
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4. Anhaltspunkte dafür, dass die
angegriffene Feststellung der Höhe des laufenden
Gesamthandsgewinns der Klägerin im Gewinnfeststellungsbescheid
2015 aus sonstigen Gründen unzutreffend sein könnte, sind
weder von der Klägerin geltend gemacht worden noch sonst
ersichtlich.
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5. War die Klage danach bereits deshalb als
unbegründet abzuweisen, weil der angegriffene
Gewinnfeststellungsbescheid rechtmäßig ist, kann
dahinstehen, ob sie auch mit der Begründung als
unbegründet abzuweisen wäre, sie sei letztlich auf eine
Gleichbehandlung im Unrecht gerichtet, auf die kein Rechtsanspruch
besteht.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 2 FGO.
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