Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts München vom 17.07.2017 - 7 K 1888/16 = SIS 17 19 90 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) erwarb im Jahr 2011 1.000 Aktien der X-Corp. zu einem
Preis in Höhe von insgesamt 4.685 EUR (4,661 EUR je Aktie
zuzüglich der Anschaffungsnebenkosten). In der Folgezeit
verloren die Aktien der X-Corp. aufgrund von Betrugsvorwürfen
gegen die Gesellschaft erheblich an Wert, so dass die Aktie von der
Börsenaufsicht vom Handel ausgeschlossen wurde. Im Februar
2013 veräußerte der Kläger alle Aktien der X-Corp.
zu einem Preis von insgesamt 10 EUR (0,01 EUR pro Stück) an
Frau Y (Käuferin). Im Gegenzug erwarb er von der Käuferin
wertlose Aktien.
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Im März 2013 wurden die Aktien der
X-Corp. aus dem Depot des Klägers ausgebucht und in das Depot
der Käuferin übertragen. Kosten hierfür fielen nicht
an. Die Bank behandelte diesen Übertrag wie eine
Veräußerung und setzte zur Ermittlung der Abzugsteuern
eine Steuerbemessungsgrundlage in Höhe von 1.405,52 EUR
an.
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Der Kläger beantragte in der
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2013 die
steuerliche Berücksichtigung des Verlusts aus dem
Aktienverkauf in Höhe von 4.675,05 EUR (= 4.685,05 EUR - 10
EUR) und den Abzug der laut Steuerbescheinigung von der C-AG
für den Aktienverkauf angesetzten Steuerbemessungsgrundlage in
Höhe von 1.405,52 EUR.
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Bei der Einkommensteuerfestsetzung im
Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 17.02.2015 wurde der
Verlust des Klägers aus der Veräußerung der X-Corp.
Aktien in Höhe von 4.675,05 EUR nicht berücksichtigt. Der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - )
kürzte jedoch den vom Kläger im Streitjahr erzielten
Gewinn aus der Veräußerung von Aktien in Höhe von
26.140 EUR um 1.404 EUR. Das FA ging dabei von einer
teilentgeltlichen Übertragung der Aktien aus. Es bestimmte den
Anteil der entgeltlichen Übertragung mit 0,17 Prozent und
ermittelte einen Veräußerungserlös von 2
EUR.
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Nach erfolglosem Einspruch gab das
Finanzgericht (FG) der Klage mit seinem in EFG 2017, 1792
veröffentlichten Urteil statt. Nach seiner Auffassung war der
Verlust des Klägers aus der Veräußerung der X-Corp.
Aktien steuerlich zu berücksichtigen und es lag kein
Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO)
vor.
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Mit der Revision rügt das FA, das FG
sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass vom Kläger eine
angemessene rechtliche Gestaltung gewählt worden sei. Der
Verkauf der Aktien durch den Kläger führe zu einem
gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil, so dass ein
Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO vorliege. Durch die im
Streitfall gewählte Konstellation eines „Tauschs“
sollten steuerliche Vorteile erzielt werden, ohne dass dies durch
wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe gerechtfertigt
sei. Der Vorgang sei somit als unangemessen i.S. des § 42 AO
zu bewerten. Das Vorbringen des Klägers, dass die Anteile
wieder an Wert gewinnen könnten, sei angesichts der Tatsache,
dass die vom Kläger gekauften und verkauften Anteile wertlos
gewesen seien und sich die gezahlten Entgelte gegenseitig
aufgehoben hätten, nicht nachvollziehbar. Durch die
Veräußerung objektiv wertloser Anteile zu einem
symbolischen Kaufpreis würden keine Einnahmen erzielt. Die
Gestaltung sei allein aus buchungstechnischen Gründen
gewählt worden, um steuerliche Verluste zu generieren.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG
München vom 17.07.2017 - 7 K 1888/16 = SIS 17 19 90 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger hat keinen Sachantrag
gestellt.
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II. Die Revision des FA ist gemäß
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als
unbegründet zurückzuweisen.
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Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass
der Verlust des Klägers aus der Veräußerung der
X-Corp. Aktien in Höhe von 4.675,05 EUR gemäß
§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 des
Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung
(EStG) steuerlich zu berücksichtigen ist und aufgrund des
Antrags nach § 32d Abs. 4 EStG im Rahmen der
(Antrags-)Veranlagung mit Aktiengewinnen zu verrechnen ist (§
20 Abs. 6 Satz 5 EStG). Ein Gestaltungsmissbrauch gemäß
§ 42 AO liegt bei dem Verkauf der Aktien nicht vor.
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1. Die Übertragung der X-Corp. Aktien vom
Depot des Klägers in das Depot der Käuferin gegen ein
Entgelt von 10 EUR führt zu negativen Kapitaleinkünften
aus der Veräußerung von Aktien gemäß §
20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 EStG in Höhe von
4.675,05 EUR.
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a) Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus
Kapitalvermögen auch Gewinne aus der Veräußerung
von Aktien. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats bedeutet
„Veräußerung“ die entgeltliche
Übertragung des - zumindest wirtschaftlichen - Eigentums auf
einen Dritten (z.B. Senatsurteil vom 03.12.2019 - VIII R 34/16,
DStR 2020, 971 = SIS 20 04 05, m.w.N.). Unstreitig ging im
vorliegenden Fall das Eigentum der Aktien des Klägers auf die
Käuferin über, da sie aus dessen Depot aus- und in das
Depot der Käuferin eingebucht wurden. Dieser
Rechtsträgerwechsel war auch entgeltlich, da die Käuferin
an den Kläger einen Kaufpreis von 10 EUR gezahlt hat.
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b) Weitere Tatbestandsmerkmale stellt das
Gesetz nicht auf. Die Erfüllung des Tatbestands der
Veräußerung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr.
1 EStG ist daher - entgegen der Auffassung des FA - weder von der
Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden
Veräußerungskosten abhängig (Senatsurteil vom
12.06.2018 - VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221 = SIS 18 13 93, Rz 14; so nun auch Schreiben des Bundesministeriums der
Finanzen vom 10.05.2019 - IV C 1-S 2252/08/10004:026, BStBl I 2019,
464 = SIS 19 05 68).
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c) Weder hat das FA konkrete Anhaltspunkte
dafür vorgetragen noch ist nach den Feststellungen des FG
ersichtlich, dass die Übertragung der Aktien nur zum Schein
erfolgte (§ 41 Abs. 2 AO). Es bestand zwischen dem Kläger
und der Käuferin auch kein Näheverhältnis, so dass
die Vereinbarung über den Verkauf der Aktien als entgeltliche
Veräußerung zwischen fremden Dritten zu behandeln ist.
Unerheblich ist auch, dass die Veräußerung der X-Corp.
Aktien an die Bedingung geknüpft wurde, dass der Kläger
im Gegenzug (wertlos gewordene) Aktien der Käuferin erwirbt.
Denn dies ändert nichts daran, dass hinsichtlich der X-Corp.
Aktien des Klägers ein Rechtsträgerwechsel stattgefunden
hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch der Abschluss
eines Tauschvertrags über die Aktien des Klägers und der
Käuferin - anstatt zweier Kaufverträge - steuerlich als
Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG
anzusehen gewesen wäre (vgl. hierzu Buge in Herrmann/
Heuer/Raupach, § 20 EStG Rz 422).
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d) Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH)
vom 06.04.2011 - IX R 61/10 (BFHE 233, 446, BStBl II 2012, 8 = SIS 11 24 30) folgt entgegen der Ansicht des FA keine andere
Beurteilung. Zwar hat der BFH in dem Urteil entschieden, dass das
Halbeinkünfteverfahren und Halbabzugsverbot nicht anzuwenden
sind, wenn objektiv wertlose Anteile aus buchungstechnischen
Gründen zu einem symbolischen Kaufpreis (z.B. 1 EUR)
veräußert werden. Das Urteil betraf die Anwendung des
Halbeinkünfte- bzw. Halbabzugsverfahrens. Zudem hat der BFH in
dem Urteil unter Rz 13 ausdrücklich klargestellt, dass eine
entgeltliche Veräußerung auch dann vorliegt, wenn einem
Kaufpreis lediglich eine symbolische Funktion zukommt. Eine
entgeltliche Anteilsübertragung liegt selbst dann vor, wenn
wertlose Anteile ohne Gegenleistung zwischen fremden Dritten
übertragen werden (BFH-Urteil vom 12.05.2015 - IX R 57/13,
BFH/NV 2015, 1364 = SIS 15 20 71, Rz 15).
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e) Das FG ist auch zu Recht davon ausgegangen,
dass sich aus dem Umstand, dass die Aktien der X-Corp. bereits Ende
2012 wertlos waren, keine andere steuerliche Beurteilung ergibt.
Allein der Kursverfall der Aktien und deren Ausschluss vom Handel
an der Börse (Delisting) im Jahr 2012 ohne Ausbuchung aus dem
Depot des Klägers führen nicht zu einer Realisierung des
Aktienverlusts. Dieser ist erst dann steuerlich zu
berücksichtigen, wenn die Aktien veräußert werden
(§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) oder ein Ersatztatbestand
für die Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz
2 EStG vorliegt. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen
eines dieser Tatbestände bereits vor dem Streitjahr
erfüllt waren, liegen nicht vor. Auch kann offenbleiben, ob
bereits die Ausbuchung der Aktien zu einer steuerlichen
Berücksichtigung des Aktienverlusts führen könnte,
da diese - wie die Veräußerung - erst im Streitjahr
erfolgte.
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f) Der nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG zu
ermittelnde Verlust aus dem Veräußerungsgeschäft
beträgt danach unstreitig 4.675,05 EUR.
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2. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die
Veräußerung der (wertlosen) Aktien auch keinen
Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO darstellt.
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a) Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch
Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das
Steuergesetz nicht umgangen werden. Ein Missbrauch nach § 42
Abs. 2 Satz 1 AO liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche
Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem
Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem
gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Jedoch
macht das Motiv, Steuern zu sparen, eine Gestaltung noch nicht
unangemessen i.S. des § 42 AO. Der Steuerpflichtige darf seine
Verhältnisse grundsätzlich so gestalten, dass keine oder
möglichst geringe Steuern anfallen und dabei zivilrechtliche
Gestaltungen, die vom Gesetz vorgesehen sind, frei verwenden. Eine
rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der
Steuerpflichtige nicht die vom Gesetzgeber vorausgesetzte
Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels
gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg
wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel
nicht erreichbar sein soll. Eine Gestaltung, die überhaupt
keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung
nicht zugrunde gelegt werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn
durch mehrere Geschäfte, die sich wirtschaftlich gegenseitig
neutralisieren, lediglich ein steuerlicher Vorteil erzielt werden
soll oder wenn die Gestaltung in ihrer wirtschaftlichen Auswirkung
durch eine gegenläufige Gestaltung kompensiert wird und sich
deshalb im Ergebnis lediglich als formale Maßnahme erweist
(Senatsurteil in BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221 = SIS 18 13 93,
Rz 19, m.w.N.).
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b) Nach diesen Grundsätzen liegt im
vorliegenden Fall kein Missbrauch i.S. des § 42 AO vor. Der
Kläger hat lediglich von gesetzlich vorgesehenen
Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht, diese aber nicht
missbraucht.
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aa) Der Kläger verfolgte das Ziel, sich
von den nahezu wertlosen Wertpapieren durch Übertragung auf
einen Dritten zu trennen. Dieses Ziel war (sinnvoll) nicht anders
als durch eine Veräußerung zu erreichen. § 20 Abs.
2 Satz 1 Nr. 1 EStG sieht die Veräußerung von Aktien
ausdrücklich vor und unterwirft sie der Besteuerung. Der
Kläger hat daher nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene
Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das
Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Daran
ändert sich nichts dadurch, dass ein Verlustgeschäft
vorliegt, denn auch Veräußerungsverluste werden vom
Anwendungsbereich des § 20 EStG erfasst. Dabei steht es dem
Steuerpflichtigen frei, ob, wann und an wen er seine
Gesellschaftsanteile veräußert (s. hierzu Senatsurteil
in BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221 = SIS 18 13 93, Rz 22).
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bb) Auch der Umstand, dass die
Übertragung der (wertlosen) Aktien des Klägers mit der
Verpflichtung des Erwerbs wertloser Aktien verknüpft wurde,
führt nicht zu einem Gestaltungsmissbrauch. Die gewählte
Art der Veräußerung stellt eine durch das Gesetz
eingeräumte Möglichkeit dar, die nicht gegen vom
Gesetzgeber vorgegebene Wertungen verstößt, zumal
mögliche Kurssteigerungen der vom Kläger erworbenen
Aktien steuerverstrickt sind.
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3. Nach zutreffender Auffassung des FG steht
die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG der
Verlustverrechnung nicht entgegen. Diese Vorschrift, nach der
Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer
unterliegen, nur verrechnet werden dürfen, wenn eine
Bescheinigung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3
Satz 4 EStG vorliegt, dient der Verhinderung eines doppelten
Verlustabzugs. Eine solche Gefahr ist im vorliegenden Fall nicht
gegeben, da von der C-AG für die Übertragung der
streitgegenständlichen Aktien kein Verlust, sondern die
Ersatzbemessungsgrundlage nach § 43a Abs. 2 Satz 10 EStG
angesetzt wurde. Es ist daher ausgeschlossen, dass der Verlust
doppelt berücksichtigt wird. Es wäre reiner Formalismus,
in diesem Fall für die Verlustverrechnung eine Bescheinigung
i.S. des § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG zu verlangen (Senatsurteil in
BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221 = SIS 18 13 93, Rz 25,
m.w.N.).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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